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Artikel

2004

Trends der Wissenschaft

L. A. Mannheim über die Canon AF 35 M

Endziel: Die Automatik

Nach Jahrzehnten von Patentanmeldungen erschien vor ca. drei Jahren endlich die Einstellautomatik in käuflichen Kameras. Die Konica AF und andere Geräte mit dem Visitronic-Modul von Honeywell beherrschten den Markt der Messsucherkameras 24 x 36 mm und die Sonar von Polaroid jenen der Sofortbildgeräte. Zur nächsten photokina ist evtl. die erste marktgängige Kleinbild-Spiegelreflex mit elektronischer Scharfeinstellung zu erwarten.
Inzwischen gibt es aber unter Amateurkameras ein weiteres neues Automatik-Konzept: Canon's AF35 M. Denn hier ist der Gedanke der Automatik logisch bis zum Ende durchgedacht: Auf Knopfdruck misst die Steuerung der Kamera die Belichtung, meldet eventuelle Verwacklungsgefahr bei langen Belichtungszeiten, stellt das Objektiv scharf ein, macht die Aufnahme und schaltet den Film auf den nächsten Bildabschnitt weiter. Bei ungünstigen Lichtverhältnissen kann die AF 35 M mit dem eingebauten Blitzgerät blitzen und wickelt den Film schließlich auch noch motorisch zurück.
Nun, für sich gibt es ja diese Möglichkeiten alle schon - aber deren Kombination in einer preisgünstigen Kamera ist neu. Belichtungsautomatik fehlt heute nur in den billigsten Amateurmodellen; viele Reflexkameras sind mit Motorantrieb oder Winder verwendbar. Auch sind eingebaute Blitzgeräte und selbst Einstellautomatik keine Seltenheit mehr. Für ihre Einstellautomatik entwickelte Canon aber eine neuartige Entfernungsmessung mittels Infrarotstrahlen, die nichts mit dem Visitronic-Baustein von Honeywell gemein hat.

Anpeilung mit Infrarot: Die Einstellautomatik der Canon AF 35 M ist ein aktives System; d. h. sie funktioniert mit einem in die Richtung des Objektivs ausgestrahlten Signal und ermittelt die Objektentfernung nach der Rückstrahlung dieses Signals. Das System besteht aus einer infrarot-emittierenden Leuchtdiode, die sich während der Messung seitwärts verschiebt, sowie einer feststehenden Empfängerzelle. Diese beiden Elemente sitzen hinter zwei Fenstern mit einer Messbasis von ca. 55 mm - ähnlich wie übliche Entfernungsmesserfenster. Die Verschiebung der beweglichen Diode hinter dem linken Fenster (von vorn gesehen) beträgt ca. 10 mm und dauert beim Messvorgang etwa 1/4 sec. Während dieser Zeit strahlt die Diode ein Dauersignal einer entsprechenden Wellenlänge ab. Die Wahl dieser Wellenlänge verhindert weitgehend äußere Einflüsse von natürlichen Infrarotstrahlern (z. B. der Sonne). Ferner erfasst beim Messablauf die Sensorzelle hinter dem zweiten Entfernungsmesserfenster die Intensität der zurückgeworfenen Infrarotstrahlung, die als Stromspannung in die Steuerschaltung eingeht. Sobald die Spannung einen Spitzenwert erreicht und anfängt abzusinken, stoppt die Schaltung die Verschiebung der Signaldiode. Diese Verschiebung ist mit der Scharfeinstellung des Objektivs gekuppelt, die einen stufenlosen Bereich von einer Nah- bis zu einer Ferngrenze durchläuft. Die Grenzen entsprechen 0,9 bzw. unendlich; je eher die Bewegung gesperrt wird, desto näher liegt die Objektiveinstellung.
Bei einem nahen Objekt erreicht also die Sensorzelle eine maximale reflektierte Strahlungsintensität, wenn die beiden Zellen noch weiter auseinander liegen. Bei einem entfernteren Objekt entspricht das Reflexionsmaximum einem kürzeren Abstand zwischen den Zellen. Dieser Abstand ist daher ein Messwert der Objektentfernung.
Mit dieser Anpeilung ist die Messung bei kurzen Objektentfernungen genauer als bei entfernteren Motiven. Da im letzteren Fall auch die Schärfentiefe größer wird, ist diese Systemcharakteristik auch für die Praxis am günstigsten. Für die Einstellautomatik sind ferner zwei Sucheranzeigen vorgesehen: ein Messfeld und ein über eine Entfernungsskala ausschlagender Zeiger. Die Skala hat Entfernungssymbole (Kopf für Porträt bzw. Nahobjekt, Berg für ferne Landschaft usw.). Während der Messung läuft der Zeiger von links (Nahobjekt) nach rechts über die Skala hinweg und bleibt bei der dem Objekt entsprechenden Entfernungsangabe stehen. Für die Einstellung visiert man daher das Objekt im etwas ovalen Messfeld in der Suchermitte an und drückt auf den Auslöser, der automatisch den Messablauf und unmittelbar danach die Aufnahme (mit Belichtungsmessung und -einstellung) und Filmschaltung auslöst. Während der motorischen Schaltung läuft auch das Objektiv (und der Zeiger im Sucher) auf seine Ausgangsstellung für den nächsten Messablauf zurück. Die Entfernungsmessung und Belichtung laufen normalerweise automatisch nacheinander ab. Man kann sie aber auch mittels des Selbstauslösers trennen und so ein Objekt anmessen, das für die Aufnahme selbst nicht im zentralen Messfeld erscheinen soll. Die Kamera hat also eine Einstell-Messsperre.
Der Selbstauslöser wird durch Herunterschwenken des Hebels vorn an der Kamera eingeschaltet. Drückt man dann auf den Auslöseknopf, so findet ein elektronisch gesteuerter Vorlauf statt: Die Einstellautomatik läuft sofort ab, die Aufnahmefolge aber erst 10 Sekunden später - man kann also wie bei Selbstporträts üblich seinen Platz (allein oder in einer Gruppe) vor der Kamera einnehmen. Schwenkt man aber sofort nach Druck auf den Auslöseknopf (also vor der Aufnahme) den Selbstauslöserhebel wieder hoch, so schaltet sich der Selbstauslöser ab. Die schon erfolgte automatische Scharfeinstellung bleibt aber gesperrt - man kann also den gewünschten Bildausschnitt wählen. Bei nochmaligem Druck auf den Knopf erfolgt nun die Aufnahme selbst mit der vorbestimmten Entfernungseinstellung. Im Sucher sind ferner ein Leuchtrahmen mit Parallaxenmarken und eine rote Leuchtdiode sichtbar. Die letztere leuchtet beim Antippen des Auslöseknopfes auf, wenn die von der Steuerung gewählte Belichtungszeit länger als 1/60 sec beträgt - sie ist also ein Warnsignal für Verwacklungsgefahr und Unterbelichtung. Das Motiv erscheint im Sucher ca. 1:2 verkleinert (Suchermaßstab 0,5 x). Das in der Mitte liegende Messfeld entspricht im Filmformat 24 x 36 mm einer Breite von etwa 2-3 mm, umfasst also einen Messwinkel von ungefähr 4,5xGRADx.
Die Belichtungsautomatik: In der Canon AF 35 M umfasst die Belichtungsautomatik eine unmittelbar unter dem Objektiv liegende Silizium-Messzelle und einen Programmverschluss. Der letztere hat einen stufenlosen Einstellbereich von 1/6 bis 1/500 sec. Im Programm blendet das Objektiv 1:2,8/38 mm bis auf Blende 16 ab. Bei Filmempfindlichkeit 21 DIN bzw. 100 ASA umfasst das Programm daher Belichtungswerte (EV) von 6 bis 17. Das entspricht einer Maximalempfindlichkeit von 2 cd/m2 - ausreichend für eine Amateurkamera. Dieser Bereich bezieht sich auf die Belichtungssteuerung und nicht auf die Einstellautomatik. Denn dank der Infrarotausstrahlung funktioniert diese Scharfeinstellung selbst in völliger Dunkelheit, z. B. vor einer Blitzaufnahme. Andererseits wird die Einstellung von allen infrarot-reflektierenden Flächen beeinflusst. Fotografiert man z. B. durch ein Fenster (oder einen Spiegel), so stellt sich die Kamera auf die Glas- bzw. Spiegelfläche ein und nicht auf ein evtl. dahinter liegendes Objekt. In dem Fall muss man eben eine Voreinstellung (wie schon beschrieben - mit dem Selbstauslöser) auf ein entsprechend entferntes Objekt ausführen.

Motorisierte Schaltung und Rückwicklung: Abgesehen von schnellen Serienaufnahmen ist eine motorisierte Filmschaltung hauptsächlich eine Frage des Bedienungskomforts. Sieht man eine Motorisierung aber als erforderlich an, so ist es logisch, laufende Zelle sie integral in die Kamera einzubauen und sie nicht erst nachher anzusetzen.
Die Canon AF 35 M hat drei eingebaute Antriebsfunktionen: Die Verschiebung der Infrarot-Leuchtdiode für die Einstellautomatik, die Filmschaltung mit Verschlussaufzug und die motorisierte Rückwicklung. Die letztere würde man am wenigsten in einer Kamera der mittleren Preis-klasse erwarten - sie ist selbst in fortgeschrittenen Reflexkameras selten - sie ist aber in der Praxis besonders bequem.
Normalerweise wird die Filmschaltung vorwärts durch Schließen des Verschlusses ausgelöst und treibt das Schaltritzel sowie - über eine Friktionskupplung - die Aufwickelachse an. Sie ermöglicht Serienaufnahmen bis 1 Bild/sec - auf den ersten Blick ist das etwas langsamer als übliche Winder, aber die AF 35 M muss schließlich auch den Einstellablauf in ihrer Serienfunktion berücksichtigen. Lediglich das Filmeinlegen ist noch nicht automatisch, denn das hängt schließlich von der Kleinbildpatrone ab - und davon, ob bzw. wann Kodak mit einer moderneren Schnelladepatrone 35 mm herauskommt (da scheint sich schon etwas vorzubereiten). Der Motorantrieb ist aber auch beim Filmeinlegen nützlich: schließlich schaltet man damit schneller auf die erste Aufnahme durch. Andererseits ersetzt der Rückwickelmotor völlig jedes manuelle Rückspulen - bei erschöpften Batterien lässt sich die Kamera auch nicht entladen.
Die verschiedenen Antriebs-, Ein-stell- und Belichtungsfunktionen der Kamera werden von zwei Mignon-Batterien (also Größe AA bzw. LR6) gespeist. Nach Canon soll ein Satz alkalischer Batterien für ca. 30 Filme zu je 36 Aufnahmen ausreichen. Das setzt wahrscheinlich nur gelegentliche Blitzaufnahmen mit dem von denselben Batterien gespeisten eingebauten Blitzgerät voraus.
Während der Filmschaltung und Rückwicklung leuchtet hinter dem Auslöseknopf eine von oben und rückwärts sichtbare rote Leuchtdiode auf. Sie leuchtet ständig während der Rückwicklung, erlischt aber nach jeder Transportfolge. Sinkt die Batteriespannung unter einen Minimalwert für das verlässliche Funktionieren der Automatik und des Antriebs, so blockiert der Auslöser.
Ein normaler Film von 36 Aufnahmen läuft in ca. 30 Sekunden zurück - nicht sehr schnell aber viel bequemer als mit der besten Kurbel. Ein von einem zweiten Schaltrad in der Filmbahn betätigtes Transportsignal bestätigt den ordnungsmäßigen Filmlauf vorwärts oder rückwärts.
Ein Schiebeschalter vorn am Gehäuse schaltet den dabei hochschnellenden Elektronenblitz ein. Eine Leuchtdiode leuchtet bei Blitzbereitschaft auf und erlischt nach dem Blitz bzw. wenn man den Reflektor wieder zurückschiebt. Das Blitzgerät ergibt richtig belichtete Aufnahmen in einem Entfernungsbereich von 0,9 bis 5 m. Die hervorragend gut aussehende Kamera mit ihrem Kunststoffgehäuse misst 133 x 54 x 77 mm und wiegt (einschließlich Batterien) 405 g.

Marktpolitik für die AF 35 M: Inzwischen gibt es schon mindestens fünf andere Messsucherkameras 24 x 36 mm mit Einstellautomatik. Canon musste sich also bemühen, schnellstens einen bedeutenden Marktanteil zu sichern. Die AF 35 M schneidet sowohl im Aussehen - mit ihrem eleganten schwarzen Kunststoffgehäuse - wie in der Technik, also mit Motorantrieben, günstig gegenüber der Konkurrenz ab. Das Infrarot-Einstellprinzip hat dabei einige Vorteile und anscheinend keine Nachteile im Vergleich mit dem Visitronic-System von Honeywell. Ein wichtiger Vorteil ist, dass Canon keine Lizenz an Honeywell zahlen muss, was sich auch in den Fertigungskosten niederschlägt. In Japan gab Canon einen Listenpreis von 44.800 Yen (ca. DM 350,-) bekannt - identisch mit dem Listenpreis der Konica C 35 AF, die keinen Motor besitzt. Konica hat zwar inzwischen ihren Preis um etwa 10% herabgesetzt - mit Hinsicht auf die überlegene Ausstattung der Canon AF 35 M müsste die Preisermäßigung von Konica mindestens 30% betragen, bevor sie sich negativ auf die Absatzerwartungen von Canon auswirkt. Ferner soll Canon ihren Preis auf Betreiben des japanischen Fotoindustrieverbandes etwas höher als unbedingt nötig angesetzt haben - für einen Preiskampf ist also noch „Luft drin". Vorläufig geht es mehr darum, wie schnell Canon die sofortige Nachfrage nach der neuen Kamera befriedigen kann.

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