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2004
Oldtimer
Nicht nur heute in Mode: Viereinhalb-malsechs
Oskar Barnacks Leica fasste gerade Fuß und die Contax war schon konstruiert. "Kleinbild" gab es auf dem Rollfilm, wobei dem Fotografen der 30er Jahre das Format 3 x 4 cm schon zu klein war...
Bis zu diesem Zeitpunkt rangierten unter "Kleinbildformat" die Negativgrößen 4x6,5 cm und 3x4 cm. Durch den Boom der Jahre 1930 und 1931 mit im 3x4-Format seinen Kameras geriet das 4x6,5-Format etwas ins Hintertreffen (bitte vergleichen Sie dazu auch meinen Bericht in Color Foto 11/1978). Warum sich dieser Trend zum 3x4-Format vollzog, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, denn eigentlich erwies sich das 4x6,5-Format als äußerst bequem. So paradox es klingen mag, aber der Amateur legte nicht solchen gesteigerten Wert auf Bequemlichkeit, sondern er war durchaus auch bereit, bei einem entsprechenden Motiv, seine Kamera auf ein Stativ zu schrauben. Andererseits gab es natürlich auch viele Amateure, die sich mit dem 24x36-mm- und 3x4-cm-Format nicht anfreunden konnten.
So schwappte in den Jahren 1931-33 eine Welle neuer 4x6,5-cm-Kameras auf den Photomarkt. Kameras zwar im altbewährten Format, doch auch mit neuem Konstruktionsgewand.
Ein Anliegen der Amateure fragte nach der Möglichkeit, bei Bewegungsaufnahmen das Bild bis zum Augenblick des Auslösens auf einer Mattscheibe beobachten zu können. Diesem berechtigten Wunsch seitens der Amateure kamen zwar die Hersteller der Spiegelreflexkameras nach, jedoch war mit der Kastenform dieses Kameratyps eine gewisse Unbequemlichkeit verbunden.
Neue Wege beschritt aber dann die Görlitzer Kamerafabrik Curt Bentzin mit ihrer "Primarette", die Ende 1931 präsentiert wurde.
Aber warum nimmt die Primarette heute einen so bedeutenden Platz in der Geschichte des deutschen Kamerabaus ein? Nun, diese Konstruktion hatte nicht die übliche, bekannte Spiegelreflexanordnung, sondern das Sucherobjektiv war mit Balgen und Mattscheibe getrennt vom Aufnahmeobjektiv (das auch vor einem Balgen montiert wurde). Bei der Aufnahme hielt man den Apparat in Augenhöhe und stellte scharf auf der Mattscheibe ein. Also ein einfaches Prinzip: Zwei 4x6,5-Kameras mit Objektiven von genau gleicher Brennweite (75 mm) wurden in Form einer einheitlichen Spreizenkamera über- und aneinander gebaut. Mit 2 Griffen war die Primarette "schußbereit"; mit dem ersten zog man die Standarte heraus, der zweite öffnete den Lichtschacht auf der Rückseite, wobei sich gleichzeitig eine Einstell-Lupe automatisch quer vor den Schacht legte. Oben auf der Standarte befand sich ein Mikrometer-Drehknopf. Er diente zur Verstellung der Spreizen und dadurch gleich-zeitig zur Feinregulierung des Abstandes zwischen den beiden Objektiven und der Bildebene. Durch die Verstellung des Spreizen wurde jedoch nicht nur die Schärfe eingestellt, sondern durch das Abwärts-gleiten der oberen beiden Spreizenenden in ihren Führungen und die hierdurch hervorgerufenen Auszugsverlängerung bei Aufnahmen auf geringer Entfernung, glitt ebenfalls das obere Sucherobjektiv
entsprechend nach unten, in Richtung auf das Aufnahmeobjektiv zu. Auf diese Weise wurde automatisch ein völliger Höhen-Parallaxenausgleich erreicht. Für Nahaufnahmen unter 90 cm setzte man einfach Proxarlinsen auf.
Der "Clou" an der Primarette überhaupt, war die Tatsache, dass die Görlitzer Konstrukteure die Kamera mit einer sehr praktischen Einrichtung versahen, nämlich, in dem Apparat gleich zwei (!) Reserve-Filmspulen unterzubringen, so dass man ständig mit drei Filmen ausgerüstet war - und für die damaligen Verhältnisse kaum in Verlegenheit mit dem Aufnahmematerial kam (insgesamt 24 Aufnahmen). Die Spulenkammern befanden sich, bei zusammengeklappter Kamera, rechts und links vom Sucherobjektiv angeordnet.
Nun zur Kameratechnik und der optischen Ausstattung. Zuerst wählte der Hersteller die beste Optik des Marktes: das Tessar 4,5/75 mm. Man verwendete den Compur Verschluss (heute als Ring-Compur bekannt). Später kamen Objektiv/Verschluss-Kombinationen wie Trioplan 1:3,5 in Compur, Makro-Plasmat 1:2,7 in Compur mit Selbstauslöser; Tessar 1:3,8 in Compur, Tessar 1:2,8 in Compur mit Selbstauslöser und Trioplan 2,9 in Compur mit Selbstauslöser hinzu. Alle Objektive verfügten über eine 75 mm Brennweite. Gegen einen Aufpreis von RM 10,- bekam man o. g. Objektive auch mit Compur Rapid Verschluss (bis 1/500 sec.).
Um den September 1933 herum brachte die Firma Bentzin zwei praktische Neuerungen an der Primarette heraus. Erstens erhielten die Kameras einen Gehäuseauslöser. Der Druck auf den Auslöserhebel wurde jetzt durch Spreizen auf den Verschluss übertragen. Diese Neuerung erlaubte es, bei Aufnahmen aus der Hand, den Apparat fest mit beiden Händen zu fassen - man brauchte nur noch einen Finger frei zu haben für den Hebeldruck.
Die zweite Verbesserung bestand darin, in dem Lichtschacht eine Lupe zu montieren, die einen Teil des Mattscheibenbildes erheblich vergrößert zeigte und dadurch die Scharfeinstellung erleichterte.
Die Primarette konnte sich auf dem Markt bis ins Jahr 1935 behaupten. Dann wurde sie mehr oder weniger von ihrem Schwestermodell, der Primaflex, verdrängt. Soviel von der Primarette.
Wenden wir unsere Aufmerksamkeit einer anderen seltenen Zweiäugigen aus den 30er Jahren zu - der "Zeca-Flex".
Doch zuerst einen kleinen geschichtlichen Rückblick. Paul Zeh, der Hersteller, hat sich nie besonders hervorgetan, wenn man in der deutschen Kamerageschichte forscht. Die Dresdener Firma wurde im Jahre 1901 gegründet; zuerst fabrizierte man fotografische Bedarfsartikel, wie z. B. aufsteckbare Objektiv-Verschlüsse, Rollenquetscher, Dosenlibellen, Plattenhalter und anderes Zubehör. Etwa um 1912 fing Paul Zeh an, Kameras herzustellen. Ganz gewöhnliche Plattenkameras, zwar zum Teil mit Markenobjektiven, aber Aufregendes war nicht dabei. Durch die 20er und 30er Jahre produzierte die Zeh-Camera-Fabrik ihre Plattenkameras - ein kleiner Betrieb, der die sprichwörtliche "deutsche Qualität" Tag für Tag lieferte.
Zu Beginn der 30er Jahre erschienen drei Rollfilmkameras ("Argus", " Bobby" und "Bettax"), die das Programm der Plattenkameras erweiterten. Die Leipziger Frühjahrsmesse 1936 beschickte das Unternehmen mit einer hochinteressanten Konstruktion: der Zeca-Flex.
Mit dieser Konstruktion versuchten die Designer nicht nur eine Kamera großen Negativformats zu bauen, sondern auch einen zusammen-klappbaren Apparat zu konstruieren - möglichst einen, den man in die Tasche stecken konnte. Dies wurde gelöst, denn die Zeca-Flex war fast so klein wie eine 6x9 Rollfilmkamera, nämlich 18,5x8,5x5,5 cm.
Wie stuft man nun die Zeca-Flex ein? Diese Rarität ist eine zusammen-klappbare Reflexkamera mit Laufboden, Spreizen und Balgen. In zusammengeklapptem Zustand sieht sie beinah wie eine Rollfilmkamera üblicher Bauart aus, nur dass am oberen Teil noch eine Optik sichtbar bleibt.
Nun zur Eigenart der Konstruktion: Beim Öffnen springt der Laufboden vor, ohne die Aufnahmeoptik mitzunehmen. Diese wird danach bis zum Anschlag herausgezogen. Die Reflexeinrichtung ist nicht beweglich, sondern sie ist im "Kasten" oberhalb der Aufnahmeoptik fest eingebaut. Die Mattscheibe hat die Größe 4x4 cm - ist also kleiner als das Aufnahmeformat (6x6 cm).
Das Sucherobjektiv ist mit der Aufnahmeoptik gekuppelt - interessant aber ist, dass der Sucher eine größere Lichtstärke (1:2,9) hat, als die Aufnahmeoptik (1:3,5 und 1:4,5). Zur Objektiv-Auswahl bot die Firma Zeh vier Möglichkeiten an: Schneider
Xenar 1:4,5 und Xenar 1:3,5 oder das Tessar 1:4,5 und 1:3,5; alle mit einer Brennweite von 75 mm. Die Objektive wurden in Compur bis'/250 sec. oder Compur Rapid bis'/400 sec. - beide mit Selbstauslöser - geliefert. Weitere technische Eigenschaften der Zeca-Flex waren u. a. der herausnehmbare Spulenhalter, der es ermöglichte, dass man einen Film sogar mit Handschuhen im Winter einlegen konnte. Ferner bot dieses Modell eine Sucherlupe mit 5-fachem Vergrößerungsfaktor. Die Scharfeinstellung erfolgte über eine Mikrometerschraube, links neben dem Lichtschacht - das ging so leicht, dass man nur den Zeigefinger dazu brauchte.
Obwohl es der kleinen Firma Zeh in Dresden damals hoch angerechnet wurde, dass sie neue Wege der Kamerakonstruktion gegangen war, blieb der Erfolg aus. Zwar wurde die Zeca-Flex bis zum Jahre 1938 noch angeboten, aber wir können heute sagen, dass nur eine kleine Stückzahl dieses Modells gefertigt wurde. Diese Tatsache macht die Zeca-Flex zu einer Sammlerrarität und ihr Wert liegt heute bei ca. DM 1.300,- bis DM 1.500,-.
Eine andere seltene Kamera (nicht so wertvoll, aber doch auch selten) ist die "Reflecta" - eine 6x6 cm zweiäugige Reflexkamera. Sie stammt von der Firma C. Richter aus Tharandt, einer kleinen Stadt (3.800 Einwohner) südwestlich von Dresden.
Die Vorgeschichte der Reflecta geht aber einige Jahre zurück und beginnt mit der Gründung der Fa. Ferdinand Merkel in Grossopitz bei Tharandt. In den ersten Jahren spezialisierte sich die Firma auf Klappkameras und Namen wie "Mignon", "Mars", "Minerva", "Elite" waren für ihre soliden und sauberen Konstruktionen weithin bekannt; als Spezialität produzierte Merkel die Tropenkamera "Phönix". Ab 1930 kam eine Plattenkamera (Aus Bakelit!) aus der inzwischen wohlbekannten Fotofabrik; danach, im Jahre 1931, die "Metharette", eine 3x4 Klappkamera.
Um 1934 wird Fritz Richter Teilhaber der Firma und Ferdinand Merkel geht in den wohlverdienten Ruhestand; einige Jahre später übernimmt Fritz Richter gemeinsam mit seiner Frau Charlotte das Unternehmen und führt es unter dem Namen Richter weiter. Während dieser Zeit - genau gesagt 1936 - erscheint die Rectaflex auf dem Markt - ohne große Reklame und Pressenotizen.
Beim Nachschlagen in vielen Fotokatalogen der Zeit habe ich, liebe Leser, die Reflecta nur 1 x finden können. Allein die Tatsache, dass die Kamera kaum angeboten wurde, jedenfalls nicht in den Katalogen der Großhändler und auch nicht in denen der größeren Einzelhändler), kann ein Grund dafür sein, dass sie heute schwer zu finden ist.
Der eine Katalog, in dem die Reflecta zu finden ist, gibt folgende Auskunft: Besagte Kamera gab es mit einem Anastigmat 1:4,5/75 mm entweder in Stelo, Prontor II oder Compur Verschluss. Die bessere Version gab es mit einem Meyer Trioplan 1:4,5 oder 1:3,5/75 mm in Stelo oder Compur Verschluss. Alle Variationen lagen zwischen 34,- und 72,- Reichsmark. Zum Vergleich: Eine Exakta 4x6,5 lag bzw. 120,- und 220,- RM, die Reflex-Korelle zwischen 80,- und 150,- RM, die Voigtländer Brillant mit Skopar 1:4,5 in Compur bei RM 46,50 und die Rolleiflex bei RM 192,-. Das hier abgebildete Modell mit ziselierten Seitenteilen besitzt ein Nedar Anastigmat 1:4,5/75 mm in Compur Verschluss (T, B, 1-'/300 sec.) Die Optik muss nicht serienmäßig hergestellt worden sein, sie kann auch später eingesetzt sein (Hersteller Nedo-Werk?, München). Wir machen einen Sprung in der Geschichte der Firma Richter, Tharandt. Der Krieg kommt, der Besitzer wird enteignet. Und so kommt es, dass sich Fritz Richter nach Westdeutschland absetzt. Zunächst nach Bünde in Westfalen, wo er die Firma Kamerawerk C. Richter GmbH gründet.
Bald danach lernt Fritz Richter den Dipl.-Ing. Karl Fischer in Barntrup/ Lippe kennen, und sie beschließen, eine Firma zu gründen. Es entsteht die Firma Lipca GmbH, Barntrup; später in Lippische Camerafabrik Richter und Fischer, Barntrup, geändert, die zwischen 1949 und 1961 zweiäugige Spiegelreflexkameras wie Flexo 5, Flexora, Rollop I und II und Rollop 2,8 automatic herstellen. Aus der enteigneten Firma Richter in Tharandt werden die Kamera-Werke Tharandt VVB (Vereinigung volkseigener Betriebe), die in eigener Regie die Reflecta 1948 in den Handel bringen. Ab 1949 wird der Name verdeutscht in Reflekta.
Sammlerwerte:
Reflecta (vor 1945): DM 200,- bis 250,
Reflecta (nach 1945): ca. DM 75,- Flexo: DM 100,- bis 130,-.
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