← Zurück
Artikel
2004
Oldtimer
Die Volkskameras der Dreißiger Jahre
Neben den legendären Leica- und Contax-Modellen, Mitte bis Ende der 30er Jahre, konkurrierte noch eine Vielzahl anderer Kleinbildapparate um die Gunst der Käufer. Einige davon stellte ich Ihnen, liebe Leser, in Color Foto 1/1979 vor. Heute komme ich auf die wesentlich preiswerteren Kameras zu sprechen, die für das breite Publikum erschwinglich waren. Versetzen wir uns dazu in die Mitte der 30er Jahre zurück. Das Jahr 1935 kann man nicht als eines mit überhastetem Fortschritt im deutschen Kamerabau bezeichnen, sondern eher als Zeit der ruhigen Fortentwicklung, die mehr eine Vervollkommnung und Ausgestaltung des Vorhandenen als die Schaffung grundsätzlicher und umwälzender Neuheiten zum Ziel hatte.
Es bot sich daher die Möglichkeit, die Entwicklungsrichtung der Fototechnik klarer zu erkennen als in früheren Jahren, wo oft eine Neuheit der anderen folgte, ohne dass man sich ein endgültiges Bild über ihre praktische Brauchbarkeit und ihre Entwicklungsmöglichkeit machen konnte. Kennzeichnend dafür war B. die Entwicklung auf dem Gebiet des Kamerabaus.
Die Kleinbildkamera hatte im Jahre 1935 ihr Gesicht kaum verändert und der konstruktive Aufbau dieses Kameratyps schien in den verschiedenen Modellen mehr oder weniger festzuliegen.
Doch ein Jahr später verblüffte die Nürnberger Firma Bolta-Werk die Fotowelt mit einer neuartigen Kleinbildkamera - der Boltavit. Dieser Apparat entsprach dem Wunsch nach einer billigen Kleinbildkamera. Natürlich reichte die Boltavit nicht an ein Präzisionsinstrument wie die Leica oder die Contax heran, aber sie gab dem Fotoamateur die Möglichkeit, für wenig Geld sozusagen als Skizzenbuch zu dienen. Die Kamera sollte sich als neues Modell erweisen, das für die große Anzahl der Hobbyphotographen bestimmt war.
Die Boltavit besaß ein Doppelobjektiv mit der Lichtstärke 1:7,7 und 40 mm Brennweite. Bei Gebrauch zog man das versenkte Objektiv nach vorn heraus. Die Optik wurde so berechnet, dass bei Blende 7,7 die Schärfe von 3 Meter bis Unendlich reichte. Für Nahaufnahmen diente eine Vorsatzlinse, die mitgeliefert wurde. Die Kamera besaß einen besonderen Verschluss, der Zeit- und Momentaufnahmen von 1/125, 1/50 und 1/10 sec gestattete. Außerdem verhinderte eine Arretiervorrichtung das Auslösen des Verschlusses (S= Sicherung auf der Verschlusszeitenskala). Die größte Blendenöffnung von 7,7 habe ich bereits erwähnt - bleibt noch zu sagen, dass die Boltavit eine Spezial-Revolverblende für die Öffnungen 1:12 und 1:16 mitbrachte, Wie im Bild sichtbar, verfügte die Kamera auch über einen Fernrohrsucher.
Im Gegensatz zu anderen Kamerakonstruktionen hatte die Boltavit kein Panfilmfenster (rotes Fenster in Rückwand). Der Film wurde wie üblich eingespannt, der Filmtransportknopf fünfmal herumgedreht und auf die Zahl 1 eingestellt. Nach jeder weiteren Belichtung wurde bis zur nächsten sichtbaren Zahl weitergedreht.
Als Filmmaterial verwendete der Fotoamateur Spezial-Perutz Rollfilme, entweder "Neo-Persenso" oder "Perpantic" (beide 16/10 DIN). Das Bildformat maß 25x25 mm und auf einem Film konnte man 12 Aufnahmen unterbringen.
Die Boltavit-Kleinbildkamera gelangte im Frühjahr 1936 in zwei Ausführungen in den Handel. Bei der normalen Version waren alle Teile schwarz emailliert, die Vorder- und Rückwand jeweils beledert. Daneben bot das Unternehmen die Luxusausführung an, die lt. Prospekt aus "Edelleichtmetall" bestand und deren Chromteile matt poliert waren. Ab Juli 1936 erschien bereits ein verbessertes Modell der Boltavit in den Geschäften. Was konnte nach so kurzer Zeit an der Kamera verbessert worden sein? Nun, die Rückwand der Kamera ließ sich jetzt abnehmen und war nicht mehr durch ein Scharnier gehalten. Ferner ließen sich die Verschlusszeiten jetzt nicht nur von vorn, sondern auch von oben ablesen. Und zu guter Letzt erhielt die Kamera auf der Rückwand eine Tiefenschärfentabelle.
Das Standardmodell in Normalausführung wurde auch weiterhin mit dem Boltar-Objektiv 1:7,7 geliefert. Das verbesserte Modell gab es zusätzlich mit dem bekannten Corygon-Anastigmat 1:4,5/40 mm. Übrigens galt das Corygon sozusagen
als "Parade-Pferd" des Münchner Objektivherstellers C. Friedrich. Zurück zur Kamera, beide Modelle konnte man in der Luxusausführung erwerben.
Im November 1936 wird in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, dass ab sofort die Boltavit auch mit Objektiven der Lichtstärke 1:3,5 lieferbar seien. Gemeint waren hier das Trioplan oder Pololyt. Gleichzeitig bot die Firma die Kamera noch mit den Objektiven Trioplan, Pololyt oder Corygon aber mit der Lichtstärke 1:2,9 an - hierzu dann den Prontor-II-Verschluss.
Für den "verwöhnten Foto-Liebhaber" bestand dann noch die Wahl zwischen Primotar oder Axinon-Anastigmat 1:3,5/40 mm in Prontor II Verschluss. Man wird alt wie'ne Kuh und lernt immer noch dazu. So erging es auch mir bei den Nachforschungen zur Boltavit-Kamera. Bekannt war allgemein, dass man Leicas und Contax-Modelle im Werk umbauen lassen konnte, aber mir war bis vor kurzem völlig neu, dass auch die Firma Bolta-Werk den Besitzern einer Boltavit mit 1:7,7 Objektiv die Möglichkeit des Umbaus (mit einem Corygon-Anastigmat 1:4,5) gab.
Ab Anfang 1937 - die Firma heißt nicht mehr Bolta-Werk, sondern nennt sich jetzt Photovit - erscheint wieder ein neues Modell, dieses Mal Marke Photavit, auf dem Fotomarkt. Es markiert den Anfang einer langen Reihe Photavit-Kameras, die bis in die 50er Jahre reicht. Das erste Modell bot man in den nachfolgenden Variationen an: Objektiv Boltar 1:7,7/40 mm, Corygon oder Trioplan 1:4,5/40 mm oder mit Trioplan 1:3,5/40 mm. Wieder wurde der Spezial-Verschluss (B, 11/25, 1/100, S) verwendet; und jeweils in Normalausführung (schwarz lackiert) oder in Luxusausführung (blanke Teile verchromt) konnte man die Kamera erwerben. Negativformat und Bilderzahl blieben, bei der Photavit gleich; zu den 2 bekannten Perutz-Filmen, kamen noch ein orthochromatischer und ein panchromatischer Film (16/ 10 DIN) der Firma Eisenberger hinzu.
Die nächste Photovit hieß "Standard II" und erblickte Anfang 1938 das Licht der Welt. Mit diesem Modell bekam die Photavit ein neues Gesicht und dieses Gesicht behielt sie auch für alle nachfolgenden Versionen bei. Wenn man alle vorangegangenen Modelle neben die Standard II stellt, fällt auf, dass Letztere etwas größer ausgefallen ist. Technisch gesehen gestaltete man die Standard II "up to date", mit Details wie: Gehäuseauslöser, Doppelbelichtungssperre und Tageslichtkassette. Auf dem Aluminiumgehäuse brachten die Konstrukteure einen optischen Durchsichtssucher anstelle des Fernrohrsuchers an. Die Tiefenschärfentabelle auf der Rückwand wurde beibehalten. Außer dem neuen Gesicht, der veränderten Technik, verringerte man auch das Negativformat. Ab jetzt gab es nur 24x24 mm Negative - man benutzte entweder fertige Tageslicht-Nachfüllpackungen für 20 Aufnahmen oder normale Kleinbildfilme, mit denen man die Kassette laden musste. Wie bei Modell 1 bot die Firma Photavit bei ihrem neuesten "Kind" Objektive mit Lichtstärken 1:3,5 und 1:2,9, sowie je nach Preis mit Pronto, Prontor oder Compur-Verschluss an. Wie bereits erwähnt, lief die Produktion der Photavit-Modelle auch nach dem Krieg weiter.
Doch bleiben wir noch in der zweiten Hälfte der 30er Jahre. Der Begriff "Kleinbildkamera" umfasste nicht nur das Format 24x36 mm, sondern auch das 24x24 mm und natürlich das 3x4 cm Rollfilm-Format, das bereits einige Jahre zuvor ungeheuer populär war. 1936, als viele Fachleute es für "gestorben" erklärten, erlebte das 3x4 Format ein neues Aufblühen.
Viel dazu trug eine nette, kleine und preiswerte Kamera namens "Junka" bei. Aus Berichten der Zeit stellte die Junka eine sog. "Volkskamera" dar. Das stimmte auch mit dem Preis überein, der etwas über fünf Mark lag. Die technischen Details lassen Sammlerherzen nicht gerade schneller schlagen, aber trotzdem sollte auf die Kamera nicht verzichtet werden: 8 Aufnahmen 3x4 cm, Metallgehäuse, Objektiv 1:8/45 mm (auch Blende 11), Verschluss für Zeit- und Momentaufnahmen, Drahtauslöser-Anschluss. Bleibt noch nachzutragen, dass die Junka mit Eisblumenlack überzogen wurde und It. Pressemitteilung "ein Dioptersucher das Finden des Objektes ermöglichte". Zur Leipziger Frühjahrsmesse 1938 stellte man die neue Junka mit Fernrohrsucher vor.
Sammlerpreise: Boltavit: ca. DM 250,-, Photavit: Mod. 1 ca. DM 200,-, Photavit Standard II: ca. DM 150,-, Junka: ca. DM 125,-, Junka: ca. DM 100,-,
{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}