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Artikel

2004

Der Alexander Borell-Kommentar

Die AF-35-ML

Canons neueste Geheimwaffe

Vor anderthalb Jahren (CoFo 4/80) berichtete ich über die damals brandneue Autofocus-Canon AF 35 M. Inzwischen habe ich meine ganze Umgebung mit dieser Kamera verseucht: Greise, Mädchen, Kinder, Frauen, Väter, Mütter und Juristen fotografieren mit ihr, unbeschwert und mit besten Resultaten. Ich sah sogar - anläßlich eines großen politischen Empfangs - einen Profi mit einer Halskette von SLRs heimlich die AF 35 aus der Hosentasche ziehen; und just dieses Bild fand ich später in einer Illustrierten wiedergegeben!

Und nun gibt's das gleiche mit einem "L" am Schluß: die Canon AF 35 ML. Zwar das gleiche, ist sie beileibe nicht dieselbe geblieben, Canon hat sich einiges einfallen lassen, und leider auch einiges dabei vergessen. Die "Neue" ist - wie man schon auf den ersten Blick sieht, kleiner und eleganter. Dank dem rechtshändigen Wulst ist sie auch noch griffiger geworden, der Auslöser liegt noch günstiger unter dem Zeigefinger, und - im Gegensatz zur alten "M" - schießt sie, solange man den Finger auf dem Auslöser läßt. Somit sind auch schnelle Serien-Aufnahmen möglich. Geblieben ist auch das patente und vorbildliche Filmeinlegen - ohne Einfädelei auf eine Schlitzspule! - mit Motor, sowie das motorische Rückspulen. Das allerdings ist bei der alten "M" leichter, weil Rückspul-Schiebeschalter und Bildzählwerk nebeneinander liegen, während man bei der neuen ML unten schieben und oben das Zählwerk ablesen muß. Überhaupt das Rückspulen! Es mag dem Knipser egal sein, wenn sein ganzer Film in die Patrone zurücksaust, das Labor wird ihn schon herauskriegen. Wer etwas mehr Ansprüche an die Fotografie stellt oder seine Filme selber entwickelt, hätte halt gern den "Schwanz" des Films, und den immer zu erwischen, ist bei beiden AF-Canons ein Glücksspiel. Warum nicht hier einen Abtaster, der dem Motor das Filmen meldet und ihn stoppt?

Ein weiterer, wichtiger Unterschied ist das neue fünflinsige Objektiv mit der Lichtstärke 1,9, was den Arbeitsbereich dieser Kamera deutlich erweitert. So schafft sie von 1/4 Sekunde bis 1/40o mit den Blenden 1,9 bis 18. Das reicht auch bei schlechtem Wetter, und wenn es nicht mehr reicht, piepst die Kamera. Dann schaltet man den eingebauten Blitz ein, der den Bereich von 0,9 bis 6 Meter schafft, was durchaus praxisgerecht ist.

Auch das Entfernungs-Meßsystem hat Canon geändert, für meine Belange keineswegs verbessert. Während die "M" mit einem Infrarot-Strahl maß, bei jedem Motiv und vor allem auch in totaler Finsternis, was herrliche, anders gar nicht zu bekommende Schnappschüsse erlaubte, hat man der neuen "ML" das Allerwelt-System mit Kontrastmessung verpaßt. Das bedeutet, wo kein Kontrast, da keine Aufnahme, im Dunkeln geht schon gar nichts. Schade - ich verstehe diese Einschränkung nicht. Man müßte, um Vergnügen in jeder Situation zu haben, künftig mit der "M" und der "ML" arbeiten. Vielleicht haben die Kaufleute bei Canon das gewollt?

Zurück zum Piepsen: Die "ML" piepst, wenn das Licht nicht ausreicht und man blitzen sollte, bzw. wenn die längere Belichtungszeit zum Verwackeln führen könnte. Sie piepst auch, wenn Sie den Selbstauslöser betätigen, und sie piepst, wenn Sie die beiden normalen 1,5-Volt-Batterien testen. Auf der Rückseite finden Sie die stark reduzierten Überreste eines Schalters, den Sie auf "Selbstauslöser", On, Off und Batterie-Test stellen können und - sollten, damit Sie nicht versehentlich auslösen, wenn Sie nach der Kamera greifen.

Neu und dringend nötig ist auch die Art der Anzeige im Sucher, wenn Sie den Auslöser bis zur Raste sanft eindrücken. Während Sie bei der alten "M" erst nach der Aufnahme sahen, ob die eingestellte Entfernung gestimmt hat, sehen Sie das bei der neuen "ML" nicht nur vorher an roten Leuchtsymbolen, sondern Sie können auf diese Art auch die Einstellung speichern. Ein ganz wesentlicher Fortschritt gegenüber dem vorigen Modell, das übrigens - weil vermutlich etwa DM 100,- billiger - weiter auf dem Markt bleiben soll. Soweit - so gut, die "ML" ist eine sehr ansprechende Kamera; auch sie wird sich reißend ihre Liebhaber erobern. Insbesondere solche, die nicht viel einstellen wollen und die mit dem superhellen und deutlichen Leuchtrahmensucher besser zurecht kommen, als mit den Einstellscheiben einer SLR.

Aber gerade dieser Sucher hat's in sich! Folgende Situation: Spielende Kinder im Garten bei Sonne - etwa zwölf Aufnahmen - später spielen die Kinder im tiefen Schatten einer Terrasse. Ich drücke den Auslöser an, die Kamera piepst und signalisiert mir: entweder langsame Zeit oder blitzen. Ich wähle den Blitz und mache noch weitere Aufnahmen mit Blitz, bis zum Filmende. Und dann merke ich, daß ich den Deckel auf dem Objektiv hatte, denn wenn der Blitz eingeschaltet ist, piepst nichts! Sie können diesen Murks auch noch einfacher haben: Sie gehen zu einer Party und wissen von vornherein, daß Sie dort blitzen werden. Sie haben den Gastgebern Fotos versprochen und womöglich auch noch die praktische, betriebssichere Einfachheit Ihrer Canon AF 35 ML gerühmt. Und wenn Sie dann Ihre zwei 36er Filme vom Entwickeln zurückbekommen, ist absolut nichts drauf: Sie haben vergessen, den Objektivdeckel abzunehmen, und in Ihrem superhellen Leuchtrahmensucher - für Parties ganz besonders geeignet - hat Ihnen kein Signal, weder optisch noch akustisch, den Deckel vor dem Objektiv gemeldet.

Als Positiv bei diesem Ergebnis ist höchstens noch die Tatsache zu werten, daß man Sie in Zukunft mit derartigen Bitten nicht mehr behelligen wird.

Wie eine Weltfirma wie Canon so etwas anbieten kann, ist mir rätselhaft. Haben die denn in ihrem Stall keinen einzigen Praktiker? Dabei ist eine Lösung ebenso einfach, wie billig: man braucht nur dem Objektivdeckel eine Lasche anzufügen, die - bei aufgesetztem Deckel - den Sucherausblick verwehrt! So einfach wäre das, und es gäbe keine Kunden mit unbelichteten Filmen, und es gäbe keine Käufer, die enttäuscht zu Fotohändlern laufen und reklamieren, daß ihre Kamera nicht funktioniert. (Der Fotohändler schickt sie dann zur Reparatur!)

Schlimm für Canon, aber nicht so schlimm für uns, wenn wir uns zu helfen wissen: kleben Sie sich diese Lasche aus schwarzem Tesa auf den Objektivdeckel, daß sie den Sucher verdeckt, und schon kann Ihnen nichts mehr passieren. Mit dieser kleinen handwerklichen Korrektur ist die AF 35 ML die vollendetste Kamera der Welt für unbelastetes Vergnügen und tadellose Fotos.

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