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Alexander Borell Kommentar
Nikon F3
Nikons Super-Käfer
Aus Schillers "Die Piccolomini" stammt der bekannte Satz vom Fluch der bösen Tat, die fortzeugend immer Böses gebären muß. Es gibt aber auch den Fluch der guten Tat, unter dem Nikon ganz erheblich zu leiden scheint.
Die gute Tat war die erste wirklich brauchbare und stabile Spiegelreflexkamera nach dem Kriege, auf die sich alle Profis stürzten, weil sie damit ihr Brot verdienen mußten. Seitdem genügt das "Nikon" auf der Kamera, um jeden Redakteur davor, zu überzeugen, mit einem echten Fotografen zu verhandeln. Und seitdem ist Nikon nicht mehr in der Lage, das einmal geschaffene gute Kamerasystem grundlegend zu ändern, zu modernisieren, ohne damit Tausende von Profis vor den Kopf zu stoßen, Millionen von Nikon-Objektiven in aller Welt zu Schrott zu machen.
Nikon leidet am Käfer-Syndrom: auch hier wäre ein Autohersteller an der Qualität und der Masse seiner Volkswagen beinahe baden gegangen, weil man sich nicht entschließen konnte, ein dreißig Jahre altes Modell, mit außen zwei Trittbrettern und innen keinem Platz, auslaufen zu lassen, um einer völlig neuen Konzeption Platz zu schaffen. Nikon steht diese Entscheidung noch bevor, sie ist mit der neuen F 3 nicht gefallen, sondern nur hinausgeschoben worden.
Und damit ist das Wesentlichste zu dieser Kamera bereits gesagt: man kann mit ihr sämtliche Nikkore verwenden, aber eine Blenden- oder gar Mehrfachautomatik ist nicht drin, sie ist ein Zeitautomat, wie es ihn schon vor vielen Jahren gab und heute noch gibt, teilweise unter DM 500,-.
Andererseits müßte sie keine Nikon sein, wenn sie nicht mehr könnte, als alle anderen Zeitautomaten auf der Welt, und das kann sie wirklich, wenn auch in ihrer Automatik von 8-1/1000 Sekunden und Lichtwert 1-1 8 vor allem im Langzeiten-Bereich von anderen Fabrikaten längst überrundet.
Man hat sie, verglichen mit der guten, alten F2, natürlich verbessert, zugleich aber auch so verkompliziert und verbaut, daß sie eigentlich nur noch von einem rechtshändigen Gitarristen voll bedient werden kann: Versuchen Sie mal, die Zeitautomatik durch Antippen des Auslösers zu aktivieren, gleichzeitig den Meßwert zu speichern und dazu noch die Beleuchtung der LCD-Anzeige im Sucher durch Knopfdruck am Prisma zu betätigen! Trotzdem kann sie das alles, man kann auch die Suchersysteme auswechseln, die Anzeige bleibt, weil sie nicht mehr in den Suchern, sondern im Kameragehäuse untergebracht ist.
Sie brauchen auch ein gutes Gedächtnis, weil Sie auf der rechten Oberseite der Kamera drei Hebel finden, denen jegliche InformationsBezeichnung mangelt. Nur wenn Sie daran hebeln, werden bei zweien davon rote Punkte sichtbar. Rot heißt aber bei dieser Kamera nicht, wie sonst überall auf der Welt: Achtung, gesperrt`, sondern "frei". Der linke Hebel betätigt dabei den Selbstauslöser, der rechte dient der Stromzufuhr. Steht der linke zufällig auf Rot, und lösen Sie aus, ist Ihr Schnappschuß im Eimer, weil Sie den Selbstauslöser in Gang gesetzt haben. Es ist an alles gedacht, es ist alles perfekt, und so können Sie auch Mehrfachbelichtungen machen: mit dem kleinen Hebel ganz rechts. Nur hat man sich jeden Hinweis darauf gespart. Dafür hat die F 3 einen wundervollen, aufwendig intarsierten roten Streifen an der rechten Vorderfront, der absolut keinerlei Bedeutung hat; und der schwarze Bezug daneben besteht aus anderem Material, als der übrige Kamerabezug.
Mag sein, daß Nikon hier den amerikanischen Geschmack im Auge hatte, mir wäre statt dessen eine moderne Film-Einspul-Vorrichtung lieber gewesen.
Die Information im Suchersystem
In dem mitgelieferten Prismensucher -der sich mit einem Handgriff gegen andere Systeme auswechseln läßt erkennen Sie Ihr Motiv klar und kontrastreich, und über dem Sucher sehen Sie bei entsprechendem Licht die jeweils programmierte Blende eingespiegelt; daneben ein "Display", also eine Art Fenster, in dem nach Antippen des Auslösers und Verschlußeinstellung auf "Automatik" die von Armbanduhren bekannten LCD's die gewählte Verschlußzeit 16. sek. lang signalisieren. Diese LCD's brauchen, wie Nikon sagt, etwa 1/5 von dem Strom, der zum Betreiben der roten Leuchtanzeige in der Canon A-1 nötig ist. Dafür muß man bei schwachem Licht dieses Display mit einer Lampe beleuchten. Man erkennt so den messenden Fotografen nachts auf gute zehn Meter, weil's an seiner Kamera hell wird, und wieviel Strom das kostet, steht nirgends. Verschlußgeräusch und Spiegelschlag sind hart und laut, wie Profis das mögen, damit man auch weithin hört, wie fleißig sie arbeiten. Und eins ist sicher: die Mechanik dieser Kamera hält alles aus, was man einer Kamera an Härte und Temperaturen überhaupt nur zumuten kann.
Um die - selbstverständlich austauschbare - Rückwand zu öffnen, müssen Sie die Rückspulkurbel mit einem kleinen Hebel entriegeln, was ebenso zeitraubend wie - bei kaltem Wetter - unpraktisch ist, weil man's mit Handschuhen nicht kann. Aber harte Profis tragen ja keine Handschuhe, die nehmen dafür lieber zusätzlich 19 (!) Einstellscheiben mit, die es zur F 3 gibt: eine für Kinderporträts, eine für Eisbären, eine für den Petersdom und ein paar für den Markusplatz in Venedig. Dafür können Sie an dieser Kamera lange nach dem üblichen Blitzkontakt im Sucherschuh suchen, es gibt ihn nicht. Sie müssen einen Spezialadapter über die Rückspulkurbel schieben und den Blitz zu jedem Filmwechsel abnehmen, was an den Schlager erinnert: "Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche zieh'n der Autor muß die F 3 schon gekannt haben. Ganz sicher hat Nikon sein uraltes Konzept folgerichtig fortgesetzt: es ist das größte und umfassendste System der Welt, und die Nikon F 3 ist eine bewundernswerte Schöpfung innerhalb dieses Konzepts, eine Kamera, die alles kann, wenn auch unorganisch und keineswegs" in die Hand gebaut".
Die Stromversorgung
Gespeist wird dieses Elektrizitätswerk aus zwei der berüchtigten 1,5-Volt Knopfzellen, an die man ohne Geld in der Tasche nicht drankommt, und sie mit klammen Händen auszuwechseln ist auch kein Genuß. Aber wozu überhaupt auswechseln, wenn mitten beim Porträtieren von Pinguinen der Saft ausgeht? Die F 3 hat einen zusätzlichen Auslöser, der völlig ohne Strom eine 1/60 Sekunde produzieren kann. Der Hebel dazu läßt sich mit dem rechten Mittelfinger betätigen, wenn kein Motor an der Kamera sitzt. Und mit Motor kann man auch den Meßwertspeicher nicht erreichen, weil's da zu eng wird. Es ist unmöglich, innerhalb eines Kommentars dieser so hoch technisierten Kamera voll gerecht zu werden. Immerhin erfordert die Erklärung der F 3 58 Punkte.
Unbedingt noch zu erwähnen ist der neue Motor, der bis zu fünf Bilder pro Sekunde leistet, mit aufgeklapptem Spiegel (läßt sich bei der F 3 selbstverständlich auch machen!) sogar sechs! Damit ist er der schnellste serienmäßig gelieferte Kameramotor der Welt. Es sieht auch gut aus und man fragt sich, warum der Mann, der ihn entworfen hat, nicht auch die Kamera selber hat entwerfen lassen. Um diesen Motor an der Kamera anzubringen, muß man am Kameraboden eine kleine Platte abschrauben, die die Kontakte schützt, und dann weiß man nicht wohin mit dieser Platte, damit man sie noch findet, wenn man mal ohne Motor fotografieren will. Bei Nikon wußte das offensichtlich auch niemand, sonst gäbe es irgendwo einen kleinen Aufbewahrungs-Schlitz, wie's anderweitig ja so gekonnt vorgemacht wurde. Aber vielleicht gibt es im Hause Nikon ein Gesetz, das jedem Konstrukteur verbietet, sich ein Fremdprodukt anzuschauen? Wie immer dem auch sei: die F 3 ist trotz ihrer Macken eine Spitzenkamera, die insgesamt alles bietet, was man zu extremer Fotografie braucht, auch wenn das Design ganz bestimmt nicht von Porsche stammt. Wenn Sie sich eine kaufen, können Sie ja den roten Rallye-Streifen mit etwas schwarzem Mattlack überpinseln; dann tun Sie das gleich auch nebenan mit dem kleinen Fenster, wo's rot blinkt, wenn der Selbstauslöser eingeschaltet ist, - eine unverständliche Konzession an den Geschmack von Pocket-Kunden und dann haben Sie eine echte Nikon, mit der Sie ernst genommen werden. Sie kostet um die DM 2000,-, der Motor ca. DM 500,- und wo in aller Welt bekommen Sie schon soviel Technik für dieses Geld?
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