← Zurück
Artikel
2004
KAMERAS POLAROID SPECTRA
Spectra Spektakel
Polaroid, unlängst in den Schlagzeilen wegen des Prozesses gegen Kodak, stellte in den USA mit großem Pomp ein neues Kameramodell und einen neuen Ein-Blatt-Sofortbildfilm vor. Das Spectra-System soll den Sofortbildmarkt wiederbeleben.
Die Polaroid-Spectra ist eine zusammenklappbare Sofortbild-Kamera, deren Design endlich einmal wirklich gelungen ist. Eine sehr weitgehende Automatisierung nimmt dem Fotografen jede Belastung ab. Automatisch wird die Belichtung geregelt, wobei der permanent zugeschaltete Blitz zur Minderung des Kontrastes beiträgt. Polaroid-typisch ist die automatische Schärfeneinsteuerung durch Ultraschall (Sonar-Prinzip), neu ist dagegen die über eine rotierende "Linse" mit zehn Schärfenzonen; im Gegensatz zu den Vorgängermodellen geschieht die Fokussierung lautlos. Der neue Spectra-Film ist nicht mehr quadratisch, sondern rechteckig Das Negativ-Positiv-Sandwich besteht aus 18 Lagen.
E s war sicher kein Zufall, daß Polaroid sich das ehemalige Filmgelände der Centfox in Hollywood, auf der heute das Lieblingshotel Präsident Reagans steht, als die Weltbühne für die Enthüllung des neuen Sofortbildsystems "Spectra" aussuchte. Eine Million Dollar wurde investiert, und die Vorstellungszeremonie war eines großen Autoherstellers würdig. Meiner Erinnerung nach wurde seit der Eumig-Vorstellung einer Super-8-Filmkamera in Salzburg vor 19 Jahren kein derartiger Aufwand mehr betrieben. Das ganze typische Hollywood Spektakel - Feuerwerk, Luftballons, Tanzgruppen, Ansprachen und natürlich jede Menge Buffets mit erlesenen Speisen und Getränken - galt dem neuen Spectra System.
Kamera und Film sind neu und sollen das nachlassende Interesse der großen Gemeinde am Sofortbild wiederbeleben. Polaroid hatte nicht nur TV und Presse, sondern auch Börsen- und Bankanalytiker eingeladen, um Spectra zu einem spektakulären Erfolg zu verhelfen. Das ganze 1394-Zimmer-Century-Plaza-Hotel erschien im Polaroid-Gewand, und als besonderer Gag war ein vollbegehbares Modell der Spectra Kamera in fünfundsiebzigfacher Größe auf dem Dachgarten aufgebaut, wo man in sinnverwirrender Sound & Light Show die Funktionen der Kamera erklärt bekam. Das Spektra-Kamera-Modell wird auch auf der kommenden photokina in Köln zu bewundern sein.
Sofortbild in gelungener Verpackung
"Spectra ist ein großer Schritt zur Qualität und braucht den Vergleich mit dem herkömmlichen 35-mm-Farbbild nicht zu scheuen," sagte siegesgewiß Polaroid Präsident MacAllister Booth. Fachleute schätzen, daß bis zum Jahresende über 700000 Spectra-Kameras den Weg zum Verbraucher finden können.
Jedenfalls gelang es den Polaroid Technikern, eine Menge raffinierte Elektronik und Optik in ein sehr ansprechendes Gehäuse im "Clam Shell"-Design zu verpacken. Wurden bisher Polaroid Kameras entweder im zerklüfteten Box-Look oder als geräumige Klappkameras angeboten, so ist es diesmal den Polaroid Designern gelungen, eine recht ungewöhnliche Muschelform zu finden.
Durch leichten Knopfdruck klappt die Muschel ihr Maul ein wenig auf, nicht unähnlich dem "Schlafaugenmechanismus" moderner Sportwagen und ein "Kühlergesicht", das durchaus Raumschiff-Züge aufweist und sofort in abstrahierter Form als Polaroid-Logo verwandt wurde, lugt keck hervor. Dieses "Kühlergesicht", kaum noch als Objektivplatte zu bezeichnen, hat denn auch alle Elemente, die diese vollautomatische Kamera zum problemlosen "Bild-Hamster" werden lassen: Von links - Sonor Autofocus Transducer, 10/125 mm Quintic Dreilinser Objektiv, Selbstauslöseranzeigelampe, Fotozelle für Blitz, Blenden- und Verschlußautomatik, Sucherfenster und Elektronenblitzreflektor. Auf der Rückseite sind - von links - das Sucherokular, Wahlschalter für Entfernungsangabe in Fuß oder Metern, Audio-Signalschalter, Selbstauslöser, Autofokusausschalter, Blitzausschalter, Belichtungskorrekturschalter, Blitzbereitschaftslampe und Blitzzähler in übersichtlicher Reihe angeordnet. Darüber hinaus gibt es nur noch den elegant versenkten recht-eckigen Auslöseknopf auf der rechten Oberseite der Kamera, ein Stativgewinde auf der Unterseite, auf der linken Unterkante den Hebel zur "Muschelöffnung" und auf der rechten Seite den Hebel für die Öffnung der Filmkammer. Nach Muster des Modells 680 wird der Filmpack mit zehn Einzelbildern von vorne eingeschoben, und die belichteten Bilder werden auch nach vorne wieder ausgeworfen. Die Kamera wird ähnlich einem Fernglas zwischen beiden Händen gehalten und hat auf der linken Seite einen bequemen Handgriff (außerdem den obligaten Trageriemen, der auf der Rückseite der Kamera angehakt ist). Die Flächen der Kamera sind mit einem elastischen matt-schwarzen Kunststoff bezogen, die sich gut anfühlen. Das Kameragehäuse ist aus Kunststoff, die Metallteile mattschwarz lackiert und die ganze Kamera sieht sehr gediegen aus.
Ziel: neue Käuferschichten
Die ganze Mikrosofortbildfabrik wird für ca. 200 Dollar angeboten werden, und Polaroid hofft mit dieser Kamera in die Gunst der Yuppies und Yoppies, deren bisherige Aufmerksamkeit den 35mm vollautomatischen Sucherkameras galt, zu gelangen. Yuppies nennt man hier in den USA die "Young, Up-ward, Mobile People", das sind die jungen Schnellverdiener, die meistens auch gerne schnell fahren. Yoppies sind analog dazu die "Young - Old, Upward, Mobile People", also die älteren Herrschaften, die schon früher schnell verdient haben und sich trotzdem noch im Hauptstrom des Lebens bewegen. Die Prägung des Yoppy-Begriffes stammt übrigens auch von Polaroid. Vorstandsvorsitzender William J. McCune erklärte ihn den versammelten Presse- und Bankleuten. Polaroid will also hin zu den "Angestellten mit dem weißen Kragen", denen es finanziell gut geht. Das sind die Leute, die nicht vor dem Kamerapreis und dem Bildpreis von über einem Dollar pro Belichtung zurückschrecken und denen es wirklich auf das Sofortbild ankommt, weil ihnen jede Beschäftigung mit dem Medium Fotografie lästig ist. Wenn Polaroid das Marketing entsprechend konsequent durchführt, könnte Spectra ein großer Erfolg werden.
Kameratechnik auf dem neuesten Stand
Wenden wir uns der Technik zu: Die Spectra-Kamera zeichnet sich durch einige außergewöhnliche Zutaten aus, auf die Polaroid mit berechtigtem Stolz hinweist. Das Objektiv mit dem Namen Quintic ist ein Dreilinser. Aber damit ist die Grenze des Konventionellen bereits erreicht. Das Frontlinsenelement ist ein asphärischer Fixfokus mit einer größten relativen Öffnung von 1:10. Die Hinterlinse ist ebenfalls fixiert. Dazwischen bewegt sich ein nierenförmiges Linsenstück mit zehn Schärfezonen um eine Achse, die außerhalb der optischen Mittelachse liegt. Mittels dieses Linsenstücks können zehn verschiedene Schärfezonen anfokussiert werden. Alle Elemente des eigenwilligen Objektivs sind aus einem hochbrechenden Polymer-Kunststoff. Der Gesamtschärfebereich reicht von 60 cm bis unendlich. Hörte man bei der 680 deutlich den Motor, der die Frontlinse des Objektivs scharf stellte, so geschieht der Scharfstellvorgang bei der Spectra-Kamera völlig geräuschlos. Der Verschluß verläßt ebenfalls traditionelle Vorbilder und ist eine elektronisch gesteuerte Dreilamellenverschluß/Blendenkombination. Bei genügendem Außenlicht reicht der Blendenbereich von Blende 41,8 bis 10 in jeder der zehn Schärfezonen. Bei Blitzlicht blendet der Automat von Blende 31,5 bei 60 cm Distanz bis zu Blende 10 bei 4,6 Metern ab. Die Verschlußzeiten reichen von 1/245 Sek. bis 2,8 Sek.
Die Kamera ist so programmiert, daß selbst bei hellstem Sonnenschein immer ein Aufhellblitz ca. 1/4 der Gesamtbelichtung beisteuert und so zur Kontrastmilderung beiträgt. Erst bei Dunkelheit sorgt der Blitz für das Gesamtlicht.
Der Auslöser arbeitet in zwei Stufen: die erste Stufe - leichtes Niederdrücken - aktiviert den Elektronenblitz, den Ultraschallentfernungsmesser und die Belichtungsautomatik; die zweite Stufe -weiteres Niederdrücken -öffnet die Blende auf den Wert für die gemessene und errechnete Belichtungszeit. Erst bei Loslassen der Auslösertaste tritt der Filmtransportmechanismus in Aktion und schiebt das Negativ-Positiv-Sandwich hervor.
Die Fotozelle zur Belichtungsmessung besteht aus zwei Silicium-Fotodioden, die in ein Plastikstück eingeschmolzen sind, und sie mißt das reflektierte Licht des sichtbaren und des infraroten Spektrums durch eine grüne und eine schwarze Linse. Damit erreicht die Kamera eine echte Lichtwertmessung - unbeeinflußt durch die differierenden Lichtwerte der verschiedenen Farben.
Durch komplexe Computerschaltungen wird die Helligkeit abhängig zur Entfernung unter Berücksichtigung des elektronischen Mischlichts errechnet und Blende, Zeit und Blitzdosierung eingestellt. Das doppelte Fotodiodensystem bewertet ca. 12 Prozent der Bildfläche in einem Bildwinkel von 20 Grad horizontal und 10 Grad vertikal. Die Fotozelle für den sichtbaren Spektralbereich zielt auf den unteren Bildteil, um Fehlmessungen durch helles Himmels-licht zu vermeiden.
Der Sucher hat mehr Linsenelemente als das Objektiv, nämlich sechs mit fünf asphärischen Oberflächen, als auch vier Spiegel, Datendisplayprismen und ein weiches Gummiokular. Das Sucherbild ist hell mit, 0,5-facher Vergrößerung frei von optischen Verzerrungen, selbst wenn man schräg in den Sucher blickt. Leuchtdioden im Sucher zeigen Entfernung, Aufnahmebereitschaft, Belichtungsdaten und Filmvorrat an.
Der Ultraschall Transducer mißt nicht nur die Entfernung in einer Millisekunde und gibt die Information an die Autofokus-Mechanik weiter, sondern bestimmt auch in Zusammenarbeit mit der digitalisierten Information von der Fotozelle, ob Mischblitz oder voller Blitz gebraucht werden. Der eingebaute, vollintegrierte Elektronenblitz schaltet bereits bei 10 fc (foot candles) auf Mischlicht. Unter 10 fc gibt er volle Leistung ab, die durch einen Thyristor auf die passende Lichtmenge für die jeweilige Entfernung reduziert wird. Die Aufladezeit variiert zwischen 0,2 bis 1,2 Sekunden. Auf der Rückseite hat die Kamera eine Steckdose für den Anschluß einer drahtlosen Fernauslösung.
Wenn alle zehn Bilder belichtet wurden und man die Kamera für eine Aufnahme aufklappt, ertönt ein allerliebstes Glockenspiel, um anzuzeigen, daß der Film alle ist. Dieses elektronische Miniglockenspiel läutet einem auch, wenn man immer noch nichts gemerkt hat und auf den Auslöser drückt. Wem das zuviel ist, kann die ganze Klingelei abschalten. Soweit die Kamera.
Der neue Film: nur wenig besser
Der Spectra-Film soll auch neuen Enthusiasmus wecken. Es wird - und hier irrt Polaroid leider gewaltig, wenn man glaubt, die Bildqualität mit der eines konventionellen Farbprint von 35-mm-Negativ vergleichen zu müssen - behauptet, daß dis Bildqualität gegenüber den 600 Sun Film verbessert wurde Neben dem hochmodernes Design der Spectra-Kamera mit all ihrer raffinierten Technologie verblaßt die wenig sichtbar Qualitätsverbesserung de neuen Spectra-Films. Der Spectra Film hat auch 600 ASA/29 DIN, und er braucht auch die gleiche Entwicklungszeit wie sein Vorgänger. Das Format ist größer und rechteckig - 7,4 cm mal 9 cm - geworden.
Das Negativ-Positiv Sandwich hat 18 Lagen, unterteilt in drei Farbsegmente, für Blau, Grün und Rot, und arbeitet nach den subtraktiven Verfahren. Ein, sehr raffinierte Emulsionstechenik soll bessere Farbtrennung und Wiedergabe garantierern. Es wird empfohlen, krasse Temperaturschwankungen z vermeiden.
Unter 13 Grad Celsius könnt der Film Blaustich zeigen, übe 35 Grad Gelbstich. Mein Tip gegen unliebsame Farb-Überraschungen: Legen Sie sich eine Isoliertasche zu, denn bei Ihnen, lieber Leser, sind sicher 1; Grad schon milde Frühsommerzeit und Temperaturen darunter auch im Sommer keine Seltenheit. Bei mir in Florida sind dagegen 35 Grad im Schatten in Sommer auch nicht ungewöhnlich. Ebenfalls im Filmpack ist die schon bekannte Polarpulse 6-Volt-Batterie, die die ganze herrliche Elektronik speist. De Spectra-Filmpack soll zum Listenpreis von etwas über 1 Dollar verkauft werden. Man darf annehmen, daß nach Markteinführung die Preise herunter "gediscountert" werden Wem seine Bilder so gut gelingen, daß es ihn nach Vergrößerungen gelüstet, für den bietet Polaroid einen Laser-Print-Service, der wirklich erstaunliche Qualität produziert. Großformatige Bilder 28x35 cm sind kein unerfüllbarer Wunschtraum mehr. Ist Spectra nun der Weisheit letzter Schluß? Darauf weiß nur der Verbraucher die Antwort. Auf jeden Fall wird Polaroid alle seine anderen Sofortbildlinien weiter produziere und verkaufen. Nicht ausgeschlossen ist, daß der Spectra Film bald auch im Format für die bisherigen Kameras der Serie 600 angeboten wird.
{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}