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Artikel
2004
PHOTOGRAPHICA AKTUELL
Schön und kostbar
Stilempfinden und viel Liebe zum Detail bewies der Hersteller der Plaubel-Makina-Kameras, die in den zwanziger Jahren auf den Markt kamen. Trotz einiger Schwächen sind sie begehrte Sammlerstücke.
Wenn ich meine Kameras nach Schönheit ordnen würde - dann bekäme die Plaubel Makina auf jeden Fall einen Ehrenplatz. Sie sieht wunderschön aus mit ihrer großen Objektivstandarte aus Edelstahl, mit ihren Scherenspreizen, ihrem quaderförmigen Balgen und dem filigranen, lederbezogenen Leichtmetallgehäuse. Kleine Details ergänzen das Bild: der handbetätigte Parallaxenausgleich am Sucher-Okular, die vielen kleinen Vorsprünge und Hebelchen, die Aufschrift "Makina" mit einem Akzent auf dem "i", damit auch jeder weiß, wie der Name aus-gesprochen wird - das alles läßt das Herz des Kamera-Nostalgikers höherschlagen. So konnte ich nicht widerstehen, als ich sie vor einiger Zeit beim Händler sah.
Die Makina ist eine legendäre Kamera. Sie war bei Pressefotografen beliebt, und in den siebziger Jahren bemühte man sich bei Plaubel in Zusammenarbeit mit japanischen Produzenten um ein Comeback der Scherenspreizen-Konstruktion. Allerdings blieb die neuzeitliche "Makina 67" etwas für Spezialisten.
Die erste Makina tauchte bereits in den zwanziger Jahren auf. Sie wurde stetig raffinierter und war bis in die sechziger Jahre zu kaufen. Sie war gleichermaßen begehrt und kostspielig. Im Porst-Katalog von 1952 wurde sie mit Normalobjektiv und Rollfilmkassette für 860 Mark angeboten - ein stolzer Preis. Eine Leica oder eine zweiäugige Rolleiflex beispielsweise gab es schon ab 500 Mark. Der heutige Sammlerpreis kann durchaus in die Regionen des Neupreises vorstoßen.
Bei dem abgebildeten Modell handelt es sich vermutlich um einen der ersten Nachkriegsapparate. Er hat bereits eine besonders ausgeklügelte Blitzsynchronisation, das Objektiv ist aber noch nicht vergütet.
Von der Ausstattung her ist die Makina sehr hochkarätig. Das Objektiv ist ein "Anticomar", ein Vierlinser mit der beachtlichen Lichtstärke von 1:2,9. Der Name macht deutlich, worauf es dem Konstrukteur besonders ankam: auf die Vermeidung von Koma ein Abbildungsfehler, der durch schräg in das Objektiv einfallende Lichtstrahlen bewirkt wird). Was die Sucher betrifft, so ist die Kamera ebenfalls gut bestückt. Der aufklappbare Rahmensucher, das sogenannte "Ikonometer", wird in der Betriebsanleitung als der genaueste Sucher gepriesen. Hinzu kommt der ebenfalls klappbare Newton-Sucher. Er ermöglicht zugleich den Blick auf die Entfernungsskala. Über das blaue Okular witzelte ein Freund: "Für Polarforscher nicht geeignet - ein Eisbär könnte es für eine Blaubeere halten!" Für viele Aufgaben, für statische Motive ebenso wie für Nahaufnahmen, ist der Mattscheibensucher am sinnvollsten, ebenfalls eine sehr schöne Konstruktion aus Aluminium und Leder. Der gekuppelte Entfernungsmesser unterstreicht die Vielseitigkeit der Kamera und ihre Tauglichkeit für Reportagen. Die Entfernungseinstellung ist recht ungewöhnlich: Ein Rad an der Objektivstandarte, mit der linken Hand zu bedienen, bewegt die Scherenspreizen und sorgt so für den Vorschub der Standarte. An alles ist gedacht: Luftkanäle er-möglichen das ungehinderte Zusammenschieben und Auseinanderziehen des Balgens. In zusammengeklapptem Zustand ist der Apparat extrem kompakt.
Das Objektiv ist auswechselbar. Der Hinterlinsenverschluß ist vom Compur und wird mit dem großen Ring direkt auf der Standarte eingestellt. Die Verschlußzeiten umfassen T, B und eine bis 1/200 Sekunde. Die kürzeste Zeit ist nicht gerade rekordverdächtig, aber dies beruht wohl auf der großen Durchlaßöffnung, die wahrscheinlich keine kürzere Zeit ermöglichte. Der Verschluß wird durch Niederdrücken des Hebels über dem Entfernungsrad gespannt. Wenn man zugleich den kleinen Knopf an der Vorderseite eindrückt, kann man den Spannhebel noch weiter senken und damit das Vorlaufwerk aufziehen. Beim Vorgängermodell befanden sich Vorder- und Hinterlinsensatz jeweils vor und hinter dem Verschluß, so daß das Objektiv nicht so weit herausragte. Offensichtlich hat man dies um der leichteren Wechselbarkeit willen geändert.
Eins muß man den Leuten von Plaubel schon lassen: Sie hatten Stilempfinden und Sinn für die vielen Kleinigkeiten. Mit der Makina schufen sie ein edles Schmuckstück. Alles ist sehr sauber verarbeitet, die Bedienungselemente laufen leicht und glatt - eine Freude, diese Kamera in die Hand zu nehmen und damit "herumzuspielen".
Damit zu fotografieren, ist allerdings eine andere Sache. Nüchtern betrachtet, finden sich einige Ungereimtheiten und Unzulänglichkeiten. So ist etwa das Gehäuse so fein bearbeitet, daß man kaum Platz zum Anfassen hat. Die Stativauflageflächen sind so klein, daß der Prospekt davor warnen muß, die Kamera auf dem Stativ herumzutragen. Das Vorderteil ist so schwer, daß die Scherenspreizen dem Gewicht etwas nachgeben. Die Entfernungsskalen sind ein Fall für sich. Schärfentiefetabellen sind nicht vorhanden und bei dieser Konstruktion wohl auch nicht möglich. Die Skalen sind so eng, daß genaues Arbeiten damit unmöglich ist. Ein Kuriosum ist der Umgang mit Wechselobjektiven, sofern man welche hat (lieferbar waren ein 73-mm- und ein 190-mm-Objektiv). Die Spreizen haben für das Weitwinkel-objektiv eine zweite Rastung und eine Skala, für die schon der Normalsichtige ein Vergrößerungsglas braucht; der Entfernungsmesser ist dann nicht mehr gekuppelt. Das Teleobjektiv hat einen eigenen Tubus vor dem Balgen auch hier sind bei einem Wechsel Manipulationen nötig.
Eine weitere Kuriosität findet sich am Anticomar. Die Blende wird mit dem Frontring bewegt; dieser sitzt auf einem Gewinde. Beim Verstellen der Blende wird also die Frontlinse immer ein wenig herein- beziehungsweise herausgeschraubt. Ein Konstruktionsfehler? Oder wollten die Konstrukteure damit Fokusdifferenzen bei verschieden Blenden ausgleichen? Beides wäre kein gutes Zeichen.
Für die Probefotos benutzte ich die Originalrollfilmkassette von Plaubel. Die Filmplanlage ist kritisch, aber man kann kräftig abblenden. Dennoch werde ich den Eindruck nicht los, daß ich mit meiner Vorkriegs-Rolleiflex oder meiner Super-Ikonta schärfere Aufnahmen zustandebringe und daß die beiden letztgenannten Kameras auch, insgesamt gesehen, besser durchkonstruiert sind. Doch "Lieben heißt, nicht zu vergleichen", sagt ein Sprichwort. Einer Schönheit wie der Plaubel Makina sollte man kleine Schwächen nachsehen.
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