← Zurück

Artikel

Photographica Aktuell

Ein verkanntes Genie

Einst berühmt, heute vergessen: die Topcon RE super

Wer kennt heute noch die Kameramarke Topcon? Genauso wie Miranda ging die einst erfolgreiche Marke Tokyo Kogaku sang und klanglos unter, obwohl sie bemerkenswerte Kameras produzierte - wie die Topcon RE.

Kantig und ein wenig bieder sieht sie aus, und ihr sattes Mattchrom-Finish deutet mehr auf Solidität als auf Geniales. Und doch war diese Topcon ein echter Meilenstein in der Geschichte der Kleinbildkamera: Als erste Serienspiegelreflex konnte sie mit der heute durchweg selbstverständlichen Lichtmessung durch das Objektiv (TTL) aufwerten. Meist wird diese Pioniertat Asahi Pentax zugeschrieben, aber die legendäre Spotmatic erschien erst Ende 1964, gut ein Jahr nach der RE super. Und mit der Topcon ließ es sich erheblich komfortabler arbeiten: Bei ihr wurde die Objektivblende intern auf den Kamerabelichtungsmesser übertragen, so daß schon bei offener Blende mit hellem Sucherbild gemessen werden konnte. Auch sonst hatte die Topcon einiges zu bieten. Ihr technischer Steckbrief gleicht dem der berühmten Nikon F, die mit einer TTL-Belichtungsmessung jedoch erst 1965 aufwerten konnte): Mattscheibe, Sucher und Rückwand sind wechselbare und - seinerzeit noch eine Rarität - im Bodendeckel ist serienmäßig ein Motoranschluß vorgesehen.
Wir haben also eine ernsthafte Systemkamera vor uns, und an der Qualität hapert es auch nicht - warum ist dieses Juwel dann so gründlich in Vergessenheit geraten? Vor allem deswegen, weil die Firma Topcon, genauer Tokyo Kogaku, in der Bundesrepublik nie den Schritt zu eigenem Vertrieb und Marketing wagte. Zunächst gab es einen Hamburger Generalimporteur, dann liierte man sich mit der schon in den letzten Zügen liegenden Schweizer Firma Bolex. Heute bietet Topcon keine Fotoartikel mehr an, sondern baut hochwertige medizinische Geräte. Doch genug der Geschichte - nehmen wir unser gutes Stück einmal zur Hand.
Hoppla, beinahe wäre sie uns heruntergefallen. Sie wiegt mit Normalobjektiv über einen Kilogramm und, das Gehäuse allein immer noch stattliche 840 Gramm. Damit ist sie allerdings für ihre Kamerageneration keine Ausnahme-, man schleppte sich ab, bekam aber dafür auch grundsolide Geräte.
Zunächst versucht man vergeblich, das Geheimnis der Rückwandentriegelung zu lösen richtig, im Kameraboden gibt es einen Knopf, neben ihm verspricht ein Pfeil "open". Mit ein wenig Fingerspitzengefühl drückt und dreht man das Knöpfchen und erschrickt, denn die Rückwand, zum Glück anscharniert, kommt einem heftig entgegengesprungen. Drinnen sieht es sauber aus, lange Filmführungsbahnen, eine überdimensionierte Andruckplatte für ordentliche Planlage. Das Einlegen des Films klappt unkompliziert, der Filmtransport ist ein Traum. Ich kenne keine andere mechanische Kamera, deren Transportmechanismus so butterweich, leise und elegant funktioniert wie bei dieser Topcon.
Hat man dann den Auslöser gefunden - dort wo er eigentlich sitzen sollte, auf der Oberseite neben dem Zeiteinstellrad, betätigt man die Sucherentriegelung -, gibt es allerdings einen herben Schlag und ein lautes Klong. Null Spiegeldämpfung - ade, ihr Vögel in der freien Wildbahn, Entschuldigung, Opernfreunde. Schade, und eigentlich nicht ganz verständlich, denn das im Verhältnis zu den bewegten Massen große Gesamtgewicht hätte weniger Aufruhr erwarten lassen.
Der Auslöser an der Frontplatte ist stark gewöhnungsbedürftig, das heißt, mangels Routine muß ich ihn immer suchen, wenn ich mal mit der Topcon fotografiere. Vermutlich sitzt er deshalb dort, weil er beim Urahn der Kamera, der Topcon R aus dem Jahr 1957, schon an dieser Stelle angesiedelt war, damals allerdings aus gutem Grund: Die Druckblende der ersten Topcon-Objektive wurde ähnlich wie bei der Exacta - von einem in das Objektiv integrierten Auslöser betätigt, der dann auf den Kameraauslöser an der Frontseite wirkte.

Top-Belichtungsmesser

Apropos Exacta - von der hat die Topcon ihr Bajonett. Meine Jena-T-Objektive bekomme ich aber nicht an die RE-Super, da die Fassungen an einer Stelle zu weit nach hinten überstehen.
Nun zum technischen Glanzpunkt der Topcon, ihrem Belichtungsmesser. Wenn wir die Optik herausnehmen, um einen Blick ins Kamerainnere zu werfen - verfluchen wir erst einmal den Arretierhebel des Wechselbajonetts, denn er ist scharfkantig und tückisch, fährt schmerzhaft zwischen Fingerspitze und Nagel. Auf dem Spiegel der Topcon erkennt man dann ein Linienmuster, das aus haarfeinen lichtdurchlässigen Schlitzen besteht. Diese sind ganze 0,05 Millimeter dick, so steht es jedenfalls in der Gebrauchsanleitung. Insgesamt lassen die Schlitze 7 Prozent des einfallenden Lichts zu den beiden direkt auf der Rückseite des Spiegels angebrachten CdS-Fotowiderständen durch - genug für eine präzise Lichtmessung, zu wenig, um die Sucherhelligkeit nennenswert zu beeinträchtigen. Im Sucher nimmt man diese Linien selbstverständlich nicht wahr (Ausnahme: extreme Makro-Aufnahmen), da sie viel zu weit von der Schärfeebene (Mattscheibe) entfernt sind.
Das System ist schlechtweg genial. Da es in den Spiegel integriert ist, ersparte man sich einen zusätzlichen Mechanismus, um den Belichtungsmesser vor der Aufnahme aus dem Bild zu schwenken. Außerdem ist es ein großer Vorteil, den Belichtungsmesser nicht - wie bei fast allen späteren Konkurrenten der ersten TTL-Generation - im Suchersystem anzuordnen. Probleme mit Streulichteinfall durch das Sucherokular waren, zumal bei nur 7 Prozent Lichtdurchlässigkeit des Spiegels, gering, ein Mattscheibenwechsel beeinflußte die Lichtmessung nicht, der Sucher konnte als Wechselsucher ausgebildet werden - und trotzdem stand der Belichtungsmesser immer zur Verfügung. Er ist nicht nur auf der Oberseite der Kamera ablesbar, sondern wird über ein kleines Prisma auch in den übrigens bis in die Ecken hinein recht hellen Sucher eingespiegelt. Wenn keine Batterie eingelegt ist oder der Meßbereich überschritten wird, so verdeckt ein dicker Balken die Nadel der Anzeige - an alles wurde gedacht.
Sonst hat die Topcon die damals übliche Ausstattung: Abblendtaste, Selbstauslöser, Blitzsynchronzeit 1/60 Sekunde und - keinen Blitzschuh? Doch, der wurde extra mitgeliefert und ähnlich wie bei der Nikon F - in ein Bajonett unter der Rückspulkurbel eingesetzt. Immerhin hat er schon einen Mittenkontakt, aber er ist aus graubeige-farbenen Plastik und sieht so abscheulich aus, daß ich ihn für unsere Fotos von der Kamera abgenommen habe.
Und was gab es alles im Topcon-System? Eine nicht besonders üppige, aber hinreichend vollständige Objektivreihe von 20 bis 1000 Millimeter Brennweite, darunter ein Macroobjektiv, ein 1,8/85 mm und ein urigklobiges Zoom 87-205 mm.
Kein Druckfehler - die haben wirklich pingelig genau die 87 Millimeter eingraviert. Die meisten der Objektive haben ein wunderschönes, matt-verchromtes Finish, ab 135 Millimeter ist eine lange Sonnenblende ausziehbar eingebaut. Ich mag am liebsten das 2,8/100 mm, kaum größer als die Normaloptik, und das leichte 5,6/200 mm, bei dem ich den Mut zur Lichtschwäche bewundere. Zur optischen Leistung läßt sich hier wenig sagen, da ich bei meinen Aufnahmen nicht an ihre Grenzen vorgestoßen bin. Die mechanische Qualität bemerkt man dagegen sofort beim Fokussieren - diese Schneckengänge laufen Leica-like. Ein reichhaltiges Nahaufnahmesystem mit Balgengerät, Mikroadapter usw., ergänzt die Objektivpalette.
Daneben gibt es diverse Mattscheiben, einen Lichtschacht sowie einen Lupensucher. Auch an das Pentaprisma war mittels eines Okularadapters ein Winkelsucher oder eine 2,5x-Lupe anzusetzen, wenn man es lieber kompliziert haben wollte. Die Topcon-Leute gehörten offenbar zu den Systematikem. Interessantestes Zubehör ist der Motor, ein recht klobiges Teil, das mit zehn Batterien betrieben wurde und maximal drei Bilder pro Sekunde hergab. Als verspieltestes Accessoir stellte sich die Belichtungsmesserbeleuchtung heraus, deren Gehäuse eine Knopfzelle und ein Glühbirnchen beherbergt. Sie wird auf den häßlichen Sucherschuh geschoben und beleuchtet im Bedarfsfall das Belichtungsmesserfenster. So kann man auch in schwärzester Nacht im Sucher ablesen, daß man das Fotografieren besser lassen sollte.

Topcon RE super DM und Topcon RE 2

Die Topcon RE super wurde über zehn Jahre lang ohne Änderung gebaut. Dann bekam sie ein modisch schwarzes Outfit spendiert, einen Winder dazu (im Jahr 1974 auch eine Topcon-Pioniertat) und ein noch trickreicheres Belichtungsmeßsystem. Sie hieß dann super DM und war auf dem deutschen Markt wiederum reichlich erfolglos. Auch mit der etwas abgemagerten Ausführung, der RE 2, gewann Topcon keine Blumentöpfe, nur diverse automatische Zentralverschlußreflexen, die mit demselben Spiegelbelichtungsmesser ausgestattet waren, verkauften sich besser. Sie kosteten allerdings auch bedeutend weniger. Für die RE super mit 1,8/58-mm-Normaloptik mußten 1966 stolze 1166 Mark hingeblättert werden, damals ein Heidengeld. Zwar waren Kameras generell teurer, aber die Topcon lag eindeutig jenseits der gehobenen Mittelklasse; eine Pentax Spotmatic mit 1,8er Optik war beispielsweise für 850 Mark zu bekommen. Nur die Nikon F sowie die europäischen Spitzenprodukte von Leitz, Zeiss und Alpa kosteten noch mehr. Und was muß man heute anlegen, wenn man diese durch und durch gediegene Kamera besitzen will? Das Problem liegt vor allem darin, überhaupt eine zu finden. Mir sind in den letzten Jahren vier RE super über den Weg gekommen, zweimal habe ich zugegriffen. Sie kosteten mich jeweils soviel wie eine Märklin-HO-Grundpackung - rund 120 Mark. Platzbedarf und Energieverbrauch der Topcon sind niedriger, ihr Spielwert kann mit der Modellbahn konkurrieren und man kann mit ihr noch fotografieren.

{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}