← Zurück

Artikel

Test

Olympus OM-1

Testbericht von Fritz Meisnitzer in Verbindung mit Ergebnissen aus dem NF-Testinstitut.

Die Internationale Fotopresse war sich ausnahmsweise mal einig: Mit ungewöhnlicher Einmütigkeit begrüßte sie die Olympus OM-1 auf dem schon schier unüberschaubar gewordenen Markt der Kleinbild-Spiegelreflexkameras als den langersehnten, viele "Große" überragenden Zwerg. Das war eigentlich überraschend:
Kennzeichen modernen Kamerabaus ist der Einsatz elektronischer Bauteile, die eine funktionsgerechte Automatisierung auch bei den professionell verwendbaren Kameras erlauben. Viele Fachleute und allen voran die Fachjournalisten neigen bereits dazu, alle konventionell-mechanischen Konstruktionen zum alten Eisen zu werfen. Die Olympus OM-1 ist trotz interessanter Perfektionierung im Detail durchgehend konventionell-mechanisch konstruiert. Und trotzdem bekam sie international ihren Applaus.
Noch überraschender: Sie bekam den Applaus, obwohl zu diesem Zeitpunkt den meisten Testern nicht mehr als ein Kameragehäuse und ein Normalobjektiv 1:1,8/50 mm zur Verfügung stand. COLOR Foto-Journal war in bewährter Art vorsichtig. In dem Bericht "Der Taschenzwerg" in Heft 7/73 wurde zwar das umfangreiche Zubehör der Olympus OM-1 erwähnt. Die Erfahrungshinweise aber bezogen sich nur auf die Kamera selbst und ihr Standardobjektiv. Und so habe ich heute das ungetrübte Vergnügen, Ihnen weitere Einzelheiten berichten zu können - sowohl aus eigener Erfahrung im praktischen Umgang mit dem Taschenzwerg wie auch gestützt auf Meßwerte, die wir in einem unabhängigen Testlabor ermitteln ließen.

Konsequente Miniaturisierung

Zunächst die Praxis, die ja manchmal zur Theorie in Widerspruch steht und schon deshalb Vorrang haben sollte, weil eine Kamera ein Werkzeug ist, das seinen wirklichen Wert nur im praktischen Einsatz erweisen kann. In dieser Hinsicht ist an der Olympus OM-1 schlicht nichts auszusetzen. Und das ist im Grunde verwunderlich, denn man hat diese Kamera so konsequent miniaturisiert, daß man eigentlich Schwierigkeiten mit einigen Bedienungselementen, zumindest aber ein gewisses Umgewöhnen erwarten muß. Bei der Olympus OM-1 aber sind diese Elemente so griff-logisch angeordnet, daß einem die Umstellung überhaupt nicht bewußt wird. Schon während des ersten Films stellt sich die alte Sicherheit ein - man fotografiert mit dieser Kamera, als wäre man es nie anders gewohnt gewesen.

Hoher Bedienungskomfort

Dabei sind einige Veränderungen gegenüber der gewohnten Bauweise doch recht beachtlich. Die Zeiteinstellung wird an einem Ring vorgenommen, der unmittelbar hinter dem Bajonettring für die Objektivaufnahme liegt.
Durch zwei erhöhte, geriffelte Griffflächen ist dieser Zeitenring leicht zugänglich und durch seine Rasterungen auch blind bequem zu bedienen. Hatte ich zunächst gefürchtet, daß sich insbesondere bei der auffallend kurzen Bauweise aller Zuiko-Wechselobjektive für die OM-1 bei schnellem Arbeiten ein Vergreifen zwischen Zeit-, Entfernungs- und Blendeneinstellung ergeben könnte, so erwies sich diese Befürchtung schnell als gegenstandslos - der Zeitenring aus Metall ist mit dem wesentlich breiteren, mit facettiertern Gummi belegten Entfernungsring an der Objektivfassung nicht zu verwechseln. Der Blendenring aber befindet sich bei den meisten Objektiven ganz vorn und ist ebenfalls mit blindem Griff leicht zu finden und zu bedienen. Schwierigkeiten bereitete mir in dieser Hinsicht lediglich das Auto-Zoom 1:4/75150 mm, bei dem der Blendenring dem Kameragehäuse am nächsten liegt, gefolgt vom geriffelten Brennweiten-Stellring, an den sich erst wesentlich weiter vorn der Ring für die Entfernung anschließt.
Was man bei erstem Blick für einen Zeiten-Einstellknopf halten möchte - schon deshalb, weil er sich am gewohnten Platz für ein solches Element, nämlich rechts oben neben dem Pentaprisma befindet -, ist in Wahrheit der Wählknopf für die Einstellung der Filmempfindlichkeit. Seine große, gut lesbare Skala erlaubt bequemes Einstellen auch bei schlechtem Licht. Gegen unbeabsichtigtes Verstellen ist er durch eine Sperre gesichert, die durch Druck auf einen kleinen, zwischen Schnellaufzug-Hebel und Auslöser geschützt angebrachten Knopf gelöst werden muß, bevor man ihn drehen kann.

Weiche Verschlußauslösung

Der leichtgängige Aufzug kann mit einem Schwung oder aber auch mit mehreren, kleinen Schwüngen betätigt werden. Der Auslöser, der einen ausgesprochen kurzen Weg hat, ist weich und druckpunktlos, was relativ lange Zeiten aus freier Hand erlaubt - relativ deshalb, weil hier natürlich die Kondition des Fotografierenden eine entscheidende Rolle spielt.
Auf dem Dach des Pentaprisma fällt ein kleiner, schwarzer Stöpsel ins Auge. Zieht man ihn heraus, wird ein Gewinde frei - zum Aufschrauben des mit jeder Kamera mitgelieferten Geräteschuhs mit Mittenkontakt. Dieser Geräteschuh dient zum Aufstecken eines kleinen Elektronenblitzes für direktes Blitzen - ein Zugeständnis ans Knipsen, das man sich für meine Begriffe ruhig hätte sparen können.

Praxisgerechte TTL-Messung

Links neben dem Pentaprisma ist der große, bequeme Schalter für die Belichtungsmessung, der schon einem flüchtigen Blick keine Zweifel läßt, ob das Meßwerk eingeschaltet ist oder nicht - eine, vorzügliche Lösung eines alten Problems! Das Meßwerk selbst mißt integriert das gesamte Objektfeld, wobei der Schwerpunkt ein wenig auf dem Mittelfeld liegt - ebenfalls eine praxisnahe Lösung. Es spricht schnell an, bremst seinen Zeiger aber ebenso schnell ab, so daß sich keinerlei Meßschwierigkeiten ergeben. Die Meßmarke im Sucher mit ihrer ± Anzeige erlaubt willkürliche Beeinflussung ohne Manipulation. Daß Streulichteinfall durch das Sucherokular das Meßergebnis verfälscht, ist eine Systemkrankheit, der man - wie bei anderen Kameras auch - einfach dadurch begegnet, daß man beim Messen das Auge dicht ans Okular bringt, gegebenenfalls eine ohnehin praktische Augenmuschel benutzt. Der Rückspulknopf mit seiner ausklappbaren Kurbel findet sich am gewohnten Ort links außen. Eine Besonderheit ist jedoch auch hier zu beachten: Bevor man den Film zurückspulen kann, muß der Transportmechanismus entriegelt werden. Und das geschieht, indem man den kleinen, mit "R" bezeichneten Schalter an der Vorderseite der Kamera unterhalb des Auslösers querstellt.
Im rechten Winkel zu diesem Schalter findet sich am Bajonettlager ein ähnlich ausgebildeter Schalter, mit dem man den Spiegel wegklappen und feststellen kann. Auf der anderen Seite des Bajonettlagers ist der Synchro-Anschluß, der einem die Wahl zwischen X- und FP-Synchronisation läßt. Dieser Schalter allerdings gefällt mir nicht - er ist ungesichert, leicht unbeabsichtigt zu verstellen und in seiner Stellung nur bei intensiver Kontrolle klar zu erkennen. Hier hätte man sich wirklich eine bessere Lösung einfallen lassen sollen.
Ein eingebauter Selbstauslöser mit Vorlaufwerk vervollständigt die mechanische Ausrüstung der Kamera. Im Verein mit dem wegklappbaren Spiegel erlaubt er eine nahezu erschütterungsfreie Auslösung bei Stativaufnahmen, denn - das wurde schon im letzten Bericht betont - der Verschluß selbst läuft ausgesprochen weich ab. Sogar bei normaler
Aufnahme mit wegklappendem Spiegel ist er vorbildlich - er läuft in vier Kugellagern, den Spiegel fängt ein pneumatischer Stoßdämpfer. Der gewohnt laute Schlag unterbleibt, der Taschenzwerg fotografiert fast so leise wie eine Kamera mit Zentralverschluß. Der Verschluß der Olympus OM-1 ist ein horizontal laufender Schlitzverschluß mit Zeiten von 1-1/1000 s und B, bis zu 1/60 s mit Elektronenblitzgeräten synchronisierbar. Wir ließen ihn elektronisch testen, wobei sich für die Testkamera bei 1/500 und 1/1000 s eine geringe "Verlangsamung" für die langsameren Zeiten jedoch eine gewisse Beschleunigung ergab. Die Meßwerte lagen jedoch alle innerhalb der Norm, übertrafen sie sogar zum Teil erheblich.

Auswechselbare Einstellscheiben

Ober das helle, klare Sucherbild habe ich bereits im letzten Beitrag ausführlich gesprochen, ebenso über die wechselbaren Einstellscheiben, die ein Anpassen des Suchers an jede Aufgabenstellung erlauben. Was nun vor allem interessiert, ist die tatsächlich erbrachte, optische Leistung der Zuiko-Objektive. Drei besonders wichtige Brennweiten haben wir prüfen lassen. Die Ergebnisse:

Objektive am Prüfstand

Zuiko Auto-S 1:1,8/50 mm, Nr. 136638: 6 Linsen in 5 Gruppen, Bildwinkel 470, geringste Öffnung f 16, geringste Einstellentfernung 45 cm. Kontrast mittel bis hoch. Das Auflösungsvermögen im Zentrum ist schon bei voller Öffnung gut und ausgezeichnet bei f 2,8. Es nimmt bei f4 zu und erreicht seinen Maximalwert zischen f 5,6 und f 11. Bei f 16 läßt es etwas nach. Die Randauflösung ist bei voller Öffnung akzeptabel, gut bei f 2,8 und ausgezeichnet bei f 4. Bis f 11 läßt sich laufend weitere Verbesserung nachweisen, bei f 16 tritt der übliche Rückgang ein. Koma ist über f 2,8 hinaus nicht bemerkbar, sphärische und chromatische Aberration sind sehr gut korrigiert - ein vorzügliches Objektiv.
Zuiko Auto-W 1:3,5/28 mm, Nr. 111857: 7 Linsen in 7 Gruppen, Bildwinkel 750, geringste Öffnung f 16, geringste Einstellentfernung 30 cm. Kontrast mittel. Das Auflösungsvermögen ist generell gesehen bei rotem und grünem Licht gut, weniger befriedigend dagegen bei blauem Licht. Ab f 5,6 wird es sowohl für das Zentrum wie auch für die Randzonen sehr gut. Ein Abblenden auf f 8 steigert es in den Randzonen, ein Abblenden auf f 11 über das gesamte Bildfeld. Bei f 16 tritt kein Nachlassen der ausgezeichneten Leistung ein. Koma und sphärische Aberration sind in Anbetracht der bekannten Schwierigkeiten, die Weitwinkelkonstruktionen in dieser Hinsicht machen, gut korrigiert. Leichte, kissenförmige Verzeichnung bleibt nachweisbar, mindert den praktischen Wert des Objektivs aber kaum.
Zuiko Auto-T 1:3,5/135 mm, Nr. 107946: 5 Linsen in 4 Gruppen, Bildwinkel 180, geringste Öffnung f 22, geringste Einstellentfernung 150 cm. Kontrast mittel. Bei voller Öffnung ist das Auflösungsvermögen sowohl im Zentrum wie auch in den Randzonen akzeptabel, gut bei f 5,6. Mit Abblenden auf f 8 nimmt es sprunghaft zu, bleibt ausgezeichnet bei f 11 und läßt darüber hinaus etwas nach. Reste von Astigmatismus und sphärischer Aberration lassen sich nachweisen, Koma ist über f 5,6 hinaus zu vernachlässigen. Tonnenförmige Verzeichnung fehlt praktisch, die chromatische Aberration ist gut korrigiert und praktisch nur im Rotbereich spürbar. Man kann also sagen, daß auch die so beliebte 135 mm Brennweite sehr gute Leistungen erbringt. Diesen Testlabor-Ergebnissen möchte ich noch ein paar praktische Hinweise aus meinem Feldtest gegenüberstellen. Sie betreffen das Auto-T 1:2,8/100 mm und das Auto-Zoom 1:4/75-150 mm, beide von Zuiko.
Das 100 mm Objektiv überrascht einen schon wegen seiner sehr kurzen Bauweise. Denn ist der 28 mm Weitwinkel praktisch ebenso hoch wie das - besonders kurze - 1,8/50 mm Normalobjektiv, so ist dieses 100 mm Tele gerade so groß wie das Normalobjektiv einer normalen KB-Spiegelreflex. Für sich allein hat es eine Höhe von 54 mm. Und setzt man es in die Kamera ein, so ist das Ganze sage und schreibe nur 10 cm hoch. Da macht Telefotografie echt Spaß, die hohe Lichtstärke erlaubt Arbeiten unter schlechten Lichtverhältnissen, und die Ergebnisse sind - übrigens bei allen Blendenöffnungen - durchaus zufriedenstellend.
Weniger Begeisterung konnte ich für das Zoom-Objektiv aufbringen. Seit es einfache Verschiebung für die Brennweitenverstellung gibt, kann ich mich für einen Schneckengang zum selben Zweck nicht mehr erwärmen - es schränkt die gestalterischen Möglichkeiten hinsichtlich "gezoomter", d. h. während der Belichtung mit verstellter Brennweite aufgenommener Bilder erheblich ein.
Das Objektiv zeigte bei praktischem Einsatz eine gewisse Gegenlichtempfindlichkeit, was vielen, derartigen Konstruktionen eigen ist. Bei voller Öffnung befriedigt die Schärfe nicht, bei Abblendung auf f 11 ist sie gut.

Vorzügliche feinmechanische und optische Eigenschaften

Doch das alles sind - wiederum auf die einzig entscheidende Praxis bezogen - im Grunde Kleinigkeiten am Rande: Jeder Tester weiß aus Erfahrung, daß nicht jedes Teilstück eines umfangreichen Kamerasystems gleiche Perfektion aufweisen kann. Er weiß darüber hinaus, daß viele, labormäßig nachweisbare Mängel in der Praxis nicht zum Tragen kommen. Und so möchte ich hier ganz betont sagen: Ich habe nichts gefunden, was mir den Spaß an dem Taschenzwerg verderben könnte, was seine praktische Nutzbarkeit einschränken würde. Die Olympus OM-1 ist eine gute Kamera, die in jedem ihrer Teile vorzügliche, feinmechanische Verarbeitung erkennen läßt. Trotz ihrer Kleinheit, ihres geringen Gewichtes ist sie für harte Beanspruchung gebaut, ihre Konstrukteure verdienen hohes Lob. Die Reihe der Wechselobjektive - am Ende werden es insgesamt 30 in Brennweiten von 8 bis 1000 mm sein - ist umfassend. Die optische Leistung der von uns geprüften Objektive war und das muß gerade wegen der kritischen Worte gesagt werden -, im Vergleich mit dem generellen Angebot des Marktes ausgezeichnet. Daneben steht noch das Sonderzubehör, das schon in meinem letzten Artikel erwähnt wurde und das es gestattet, die Olympus OM-1 praktisch jeder Aufgabenstellung der KB-Spiegelreflexfotografie, darüber hinaus aber auch noch ausgesprochen laborgebundenen Bereichen anzupassen. Daraus ergibt sich eigentlich nur ein Schluß: Wer sich für die Olympus OM-1 entscheidet sei es, daß er in ihr in erster Linie den Taschenzwerg sieht, sei es, daß er eine vorzügliche, dabei aber leichte Systemkamera braucht -, der ist gut beraten.

{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}