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Artikel

Testlinie in Color Foto-Journal

Alexander Borell über:

Kowa Six

Sie können sich ohne großen Aufwand und ohne erhebliche Kosten einen gewissermaßen ideellen Genuß verschaffen: Besorgen Sie sich eine große Kokosnuß, nehmen Sie sie in Ihre beiden Hände, halten Sie diese bequem vor Ihren Bauch und stellen sich dabei vor, diese Kokosnuß hätte oben eine Mattscheibe, vorne ein sehr beachtliches Objektiv, und genau da, wo Ihr rechter Zeigefinger liegt, einen Auslöser. Damit haben Sie dieses ganz spezielle Kowa-Gefühl.
Das Vergnügen mit der Kokosnuß kostet Sie etwa DM 1,50. Wenn Sie rund drei Jahre lang täglich diesen finanziellen Aufwand treiben wollen (noch nicht einmal ein Päckchen Zigaretten!), dann können Sie sich statt der Kokosnüsse eine KOWA SIX leisten, wobei ich allerdings voraussetze, daß Sie lieber drei Jahre lang unerhört schöne Photos 6x6 machen, als täglich eine Kokosnuß verspeisen wollen. Aber - wir sind ja engagierte Amateure, also sprechen wir im Folgenden auch mit entsprechendem Ernst:
Wenn ich diese kompakteste (137x116x157 mm) aller mir bekannten 6x6-Kameras in die Hände nehme, habe ich tatsächlich dieses ideale Gefühl, eine wirklich runde Sache in Händen zu halten.
Das Vergnügen an dieser Kamera fängt schon damit an, daß sich der mitgelieferte Umhängeriemen besonders leicht, aber unverlierbar am Gehäuse einhängen läßt. Nun also haben Sie die KOWA SIX um den Hals hängen, sie dürfte auch die leichteste (1700 Gramm) ihrer Art sein. Sie klappen den Lichtschacht hoch und - sehen nichts. Weil der Verschluß geschlossen ist. Also drehen Sie rechts an dem großen Rad oder, wenn Ihnen das lieber ist, an der ausklappbaren Kurbel: einfach nur im Uhrzeigersinn. Da öffnet sich der Verschluß, der Spiegel klappt herunter, und Sie können Ihr Motiv scharf einstellen, wenn Sie - vorne ein Objektiv eingesetzt haben.
Die voluminösen Objektive sitzen in einem Bajonettring, der seinerseits wieder nur gedreht werden kann, wenn man ihn entsichert: eine der stabilsten Objektivhalterungen, die ich kenne. Als Standardobjektiv haben Sie das Kowa 1:2,8/85 mm gekauft. Es läßt sich bis 0,8 Meter nahe einstellen, was einem Abbildungsmaßstab von über 1:10 entspricht.
Es fällt Ihnen vielleicht auf, daß die Kowa-Objektive relativ schwer sind. Aber das haben sie mit denen von Hasselblad gemeinsam, weil Sie mit jedem Objektiv auch gleich den eingebauten Zentralverschluß erwerben. Das bedeutet für Blitzanhänger die Möglichkeit, über die ganze Zeitenskala von 1-1/500 sek. mit Elektronenblitz arbeiten zu können. Und wenn unterwegs ein Verschluß wirklich einmal streikt, haben Sie sicherlich noch ein Wechselobjektiv mit anderer Brennweite dabei und sind nicht so aufgeschmissen wie Ihr Freund, dessen Kamera nur einen Schlitzverschluß hat, - dafür die Objektive keinen.
Daher bleibt die Kamera beim Auslösen auch sehr ruhig, denn Spiegel und Hilfsverschluß-Klappe schlagen zwar hoch, aber sie tun das mit recht erträglichem Geräusch und schlagfrei. Damit gehört die KOWA SIX auch zu den Leisen im Mittelformat.
Es gibt noch eine "T"-Stellung: da bleibt der Verschluß nach dem Auslösen solange offen, bis man ihn durch Drehen am Zeit-Einstellring wieder schließt. "B" fehlt also, dafür gibt es den Blendenhebel, mit dem Sie beim Einstellen die Blende auf den vorgewählten Wert ' schließen können, um die Schärfentiefe zu kontrollieren. Alle Manipulationen am Objektiv passen zu dem handlichen Kompakteindruck "Kokosnuß".
Der Sucherlichtschacht ist mit zwei Fingern zu öffnen, er hat die übliche Einstell-Lupe, die auswechselbar ist, aber zum Schließen brauchen Sie drei Finger. Mich stört das wenig, denn ich habe an der freien Linken fünf.
Um den Film einzulegen, klappen Sie die Rückwand auf und ziehen die beiden Halteknöpfe für die Filmspulen heraus. Das erinnert an die gute alte Box, was Primitivität und ständiges Funktionieren betrifft. Ob Sie 120er oder 220er Film laden wollen: die Andruckplatte und das Zählwerk entsprechend ein- und umstellen, das ist alles.
Das Einspulen des Films erfolgt automatisch bis zum 1. Bild, dann, nach jeder Aufnahme, nur bis zum Anschlag weiterdrehen. Sollten Sie am Lichtschacht keine Freude haben: mit einem Knopfdruck ist er gegen verschiedene Prismen auszuwechseln, ebenso die Mattscheibe, die es in verschiedenen Ausführungen gibt. Wenn Sie ganz komfortabel arbeiten wollen, können Sie ein Prisma mit eingebautem TTL-Belichtungsmesser aufsetzen.
Nach dem weichen Auslösen schwingt der Spiegel nicht gleich wieder auf, wie Sie das vielleicht von Ihrer KB-Kamera gewöhnt sind: es bleibt dunkel im Sucher. Erst mit dem Spannen kommt das Bild wieder. Ich habe das nicht als störend empfunden, denn man drückt doch nur in dem Augenblick aufs Knöpfchen, wo man glaubt, der Augenblick sei richtig. Ob es richtig war, weiß ich auch bei einer Kamera mit Rückschwingspiegel immer erst, wenn ich den Film entwickelt habe.
Müssen oder wollen Sie viel vom Stativ arbeiten, dann kaufen Sie sich den Stativ-Adapter dazu, der außerdem einen Schuh für Blitzgeräte hat.
Wollen Sie aber Ihre Kokosnuß noch griffiger (nicht handlicher!) machen, können Sie einen verstellbaren Handgriff mit Drahtauslöser bekommen, der wirklich empfehlenswert nur dann ist, wenn Sie zugleich mit Prismensuchern arbeiten.
Ich hatte, neben dem ausgezeichneten Standardobjektiv, noch einen großartigen Weitwinkel: Kowa 1: 4,5/35 mm (! ! !), der sich bis 0,4 Meter einstellen läßt. Aber das gesamte Objektiv-Programm von Kowa ist groß und interessant, vom 19-mm-FishEye bis zur langen Tele-Kanone. Außerdem gibt es für alle KOWA SIX-Objektive einen zweifachen Telekonverter, der optisch einwandfrei, aber dafür auch nicht billig ist.
Selbstverständlich fehlen im Programm auch nicht Zwischenringe und Balgengerät: das KOWA-System ist universell und ausgereift.
Sprachen wir bisher nur von der KOWA SIX, so gibt es inzwischen auch das Modell MM, bei dem sich nicht nur der Spiegel vor der Aufnahme hochklappen läßt, so daß nur noch der erschütterungsfreie Zentralverschluß arbeitet, sondern das außerdem für Doppelbelichtungen eingerichtet ist.
Und schließlich gibt es jetzt auch eine KOWA SIX 11, bei der man Wechselmagazine verwenden kann.
Das ganze Konzept dieser Kamera und die Art der technischen Ausrüstung imponiert mir. Man hat mit dieser Kamera ein außerordentlich gut funktionierendes System, das sich aus bescheidenen Anfängen heraus bis zu absoluter Profireife entwickeln läßt, stufenweise, wie es der Geldbeutel erlaubt.
Von Störungen irgendwelchen Art habe ich nichts bemerkt, und auch nichts von Besitzern dieser Kamera gehört.
In vielen täglichen Telefongesprächen kann ich mehr und mehr einen Trend bei engagierten Amateuren feststellen, der zum größeren Format hinführt. Die KOWA SIX Kameras sind in ihrer Konstruktion, ihrer Ausbaufähigkeit und in ihrer optischen und technischen Qualität durchaus dazu geeignet, immer mehr Fotofreunden den Mund nach mehr als 24 x 36 wässrig zu machen. Man sollte sich, tendiert man zum Umsteigen auf das Mittelformat, auf alle Fälle mit diesen Kameras und ihrem Zubehör auseinandersetzen, ehe man seine Wahl trifft.
Unter meinen vielen Kameras schnappe ich mir stets dann meine "Kokosnuß mit Griff`, wenn es darum geht, unaufwendig ausgezeichnete Negative zu bekommen.
Und sollten Sie nun enttäuscht darüber sein, daß ich nichts daran auszusetzen fand, dann bitte ich KOWA-Besitzer um ihren Anruf: ich wüßte gern, was man gegen diese patente

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