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Spiegelreflex-Praktikum

Minolta XM

Eine Kamera für Profis, Spezialisten, faule Leute

Fast zwölf Jahre Entwicklungsarbeit hat diese Kamera beansprucht. Auf der photokina letztes Jahr konnte man sie sehen, bewundern, aber nicht bestellen. Jetzt ist sie beinahe schon da die Minolta XM: Ab Januar 1974 wird sie bei uns ausgeliefert, denn bis dahin sind Service und Lieferbarkeit aller wichtigen Systemteile gesichert. Der Preis? Nun, mit dem Normalobjektiv MC Rokkor 1,4/50 mm, der Standard-Einstellscheibe und dem Automatik-Prismensucher werden Sie zwischen 1800,- und 1900,- Mark bezahlen müssen - je nachdem, wie Ihr Händler kalkuliert. Aber wenn Sie SR-T-Objektive haben, dann können Sie sich das Normalobjektiv schon mal sparen - Sie bekommen die Kamera auch ohne Objektiv. Doch an den Preis sollten Sie zunächst vielleicht gar nicht einmal denken. Als Besitzer einer SR-T müssen Sie diese neue Minolta einfach gesehen haben. Und auch wenn Sie kein Minolta-Anhänger sind, sollten Sie die XM wenigstens einmal in die Hand nehmen. Sie werden feststellen: Die XM ist wirklich eine Handvoll Kamera, eine Handvoll grundguter, gesunder Technik, gekleidet in ein bestechend funktionelles Gehäuse mit vorzüglichem Finish.
Als SR-T-Besitzer aber werden Sie ein seltsames Gefühl dabei haben. Es ist, als ob Ihre Minolta SR-T 101 oder 303 zu Ihnen gesagt hätte: "Moment, ich geh' mal eben meinen großen Bruder holen." Und genau das ist der Fall: Die Minolta XM, die erst jetzt zu Ihrer Verfügung steht, ist nicht nur der große, sie ist auch der ältere Bruder der SR-T 101, mit der Sie vielleicht schon seit 1966 arbeiten. Die Entwicklungsarbeiten an der XM begannen 1962. Ehrgeizige Techniker bei Minolta wollten sie schon auf der photokina 1966 präsentieren. Aber sie waren nicht nur ehrgeizig sondern auch vernünftig. Sie erkannten, daß sie sich zuviel vorgenommen hatten. Und darum packten sie alle gesammelten Erfahrungen in eine andere Kamera - in die SR-T 101. Diese Kamera brachten sie zur photokina 1966 heraus, an der XM aber arbeiteten sie in aller Stille weiter. Und so kommt es, daß die SR-T 101 wiederum zum Vorläufer, zum Versuchskaninchen für die XM wurde: Alle Erfahrungen, die man mit dieser Kamera machte, zogen die Konstrukteure bei der Weiterentwicklung der XM heran. Wer die Zuverlässigkeit der SR-T-Modelle kennt, weiß damit eigentlich schon genug über die neue Kamera.
Und er weiß noch etwas anderes: Da beide Kameras aus einem Grundguß sind, ist das bisherige SR-T-System praktisch übertragbar. Vor allem die 28 praxiserprobten Rokkor-Objektive vom 2,8/16 mm Fisheye bis zum 11/ 1600 mm Spiegelobjektiv, das gesamte Nahaufnahmezubehör und teure Spezialgeräte wie beispielsweise die Mikrofotografier-Einheit 11 lassen sich wechselweise einsetzen - mit einem Unterschied: Die Möglichkeiten, die die XM bietet, sind natürlich größer.
Doch hier zunächst die nackten Fakten: Die Minolta XM ist eine einäugige Spiegelreflex für das KB-Format mit SR-Bajonett-Objektivanschluß. Die Belichtung wird nach dem CLC-Prinzip, also mit automatischem Kontrastausgleich durch das Objektiv gemessen. Sowohl Offenblenden-, wie auch Gebrauchsblenden-Messung ist ohne Meßwerk-Umschaltung möglich. Blende und Verschlußzeit sind im Sucher sichtbar, solange das vorhandene Licht dazu ausreicht - auch bei dieser Kamera sind die Skalen leider nicht beleuchtet.
Der Titanium-Schlitzverschluß wird elektronisch gesteuert. Dabei haben Sie die Wahl, die Zeiten stufig von 16 Sekunden bis 1/2000 s einzustellen oder im Bereich von 1-1/2000 s von der Automatik einstellen zu lassen Zusätzlich hat der Verschluß zwei mechanisch gesteuerte Werte die X-Synchronisation mit 1/100 s und B.
Der Sucher ist auswechselbar. Sie können wählen zwischen Automatik- und Nachführ-Prismensucher, einfachem Prismensucher, Vergrößerungssucher und Lichtschacht. Und Sie können was ich als besonders sinnvoll empfinde - sich unter 10 wechselbaren Einstellscheiben diejenige heraussuchen, die wirklich zum verwendeten Objektiv oder der jeweiligen Aufgabenstellung paßt. Zur Wahl stehen Mattscheiben mit Schnittbildindikator, mit Indikator und Mikroprismenring, mit Mikroprismenfleck, außerdem eine Mattscheibe ohne alles und eine mit zentralem Klarglasfleck; daneben gibt es Klarglasscheiben mit Mikroprismenfleck oder Doppellinienkreuz. Ober eine weitere Einstellscheibe, als Typ F bezeichnet, kann ich Ihnen leider nichts sagen ich habe das Ding noch nie gesehen, obwohl es mich brennend interessiert: Aus 4 Millionen Lichtleiterfasern von je nur 0,017 mm Durchmesser soll sie bestehen und damit einen "springenden" Einstelleffekt erzeugen. Das soll vermutlich heißen, daß die Schärfe, einmal ermittelt, einen förmlich anspringt. Und das wäre bei der Arbeit mit sehr lichtstarken Objektiven vor allem bei kontrastarmen Motiven und schwachem Licht natürlich ideal. Die Sucher und die Einstellscheiben sind mühelos mit wenigen Handgriffen zu wechseln. Das Sucherbild zeigt 98 Prozent des tatsächlichen Filmbildes.
Der Filmtransport und Verschlußaufzug wird mit einem Hebelschwung von 1100 in üblicher Weise durchgeführt. Auch das Zählwerk zählt normal von 1 bis 36 und stellt sich bei Öffnen der Kamera automatisch zurück. Raffiniert ist die Aufwickelspule für den Film. Sie besteht aus drei geschlitzten Flügeln mit Perforations-Zahn. Wenn Sie den Film auch etwas unachtsam hineinstecken - er wird sicher gefaßt und entgegen seinem Drall aufgespult. Mehrfachbelichtungen sind - wie schon bei der SR-T 303 - mit Hilfe der Rückspulentsperrung einfach und sicher zu machen. Der besonders große Rückschwenkspiegel, der übrigens vorbildlich abgebremst ist, weder Krach macht, noch die Kamera ernstlich erschüttert, sorgt dafür, daß auch bei Einsatz langer Telebrennweiten das Sucherbild unbeschnitten bleibt.
Außerdem kann er ausgeschwenkt und arretiert werden. Weiteres am Rande: Selbstauslöser mit zwischen 4 und 10 Sekunden einstellbarem Vorlauf; umschaltbarer X/FP-Kontakt und "heißer` Kontakt im aufsteckbaren Sucherschuh; Batteriekontrolle mit Hebelschalter und Lichtsignal.
Doch das, was Sie eigentlich interessiert, haben wir ja noch gar nicht besprochen - die automatische Zeitenbildung. Gestatten Sie vorab eine grundsätzliche Überlegung: Die Diskussion, ob der automatischen Blendenbildung bei fest eingestellter Verschlußzeit der Vorzug zu geben sei oder aber der automatischen Zeitenbildung bei fest eingestellter Blende, ist nach wie vor im Gange. Die Diskutierenden reden sich heiß und übersehen im Eifer der Redeschlacht nur allzu leicht, daß beides unter gewissen Voraussetzungen Vorteile oder auch Nachteile haben kann. Minolta hat sich bei der XM für die automatische Zeitenbildung bei voller Kontrolle über die im Sucher eingespiegelte Zeitenskala entschlossen. Und das ist ein in diesem Fall unbestreitbar vernünftiger Entschluß gewesen.
Denn eine XM ist unter anderem auch ein Werkzeug für speziellen Einsatz. Sie ist dafür bestimmt, nicht nur normale, fotografische Aufgaben zu bewältigen, sondern auch am Mikroskop, am Fernrohr oder Spiegelobjektiv ganze Arbeit zu leisten. Und weder Mikroskop, Fernrohr noch Spiegelobjektiv haben eine Blende. Daß ich darüber hinaus eine Schwäche für die automatische Zeitenbildung habe, bei den stets auf volle Öffnung zurückspringenden Objektiven lieber mit einer Blende arbeite, von der ich weiß, was sie tut, und dafür die Verschlußzeitenanzeige kontrolliere, ob ich die gerade eingespielte Zeit noch sicher "halten` kann, sei nur am Rande erwähnt - es ist eine vielleicht nur subjektiv gültige Einstellung.
Um mit Automatik zu fotografieren, müssen Sie Ihre XM mit dem Automatik-Prismensucher bestücken. Einmal eingesetzt, schaltet er die Widerstandskette aus, die normalerweise die Verschlußzeiten bildet. Seine eingebaute Elektronik übernimmt die Steuerung: Zwischen 1 und 1/2000 s werden die Verschlußzeiten stufenlos den herrschenden Lichtverhältnissen, der eingestellten Filmempfindlichkeit und der Blende angepaßt. Blende und Verschlußzeit sind im Sucher sichtbar. Wenn Ihnen die Verschlußzeit aus irgendeinem Grund nicht paßt, brauchen Sie die Kamera nicht einmal vom Auge zu nehmen: Sie drücken mit dem Daumen auf die "Override" Taste unterhalb des Verschlußzeitenrades und regeln die Zeit nach Ihrem Willen im Bereich von ±2 Blenden. Sobald Sie die Taste loslassen, arbeitet die Automatik wie zuvor.
Natürlich müssen Sie nicht mit Automatik fotografieren - Sie können Ihre Zeiten auch fest einstellen: Von 16 vollen Sekunden bis zu 1/2000 s reicht die Skala. Zwischenwerte sind nicht einstellbar, da bei dieser Betriebsart die Zeiten über die nur stufig auslegbare Kette von Widerständen erfolgt. Aber seien Sie zufrieden: Steuerung über Widerstände ist sehr aufwendig, dafür aber auch sehr zuverlässig.
Eine Kamera mit viel Elektronik braucht Strom. Die XM bezieht ihn aus zwei 1,5 V Silberoxyd-Batterien vom Typ Mallory MS76. Damit die Batterien sich nicht zu schnell verbrauchen, gibt es einen Schalter, um den Stromkreis zu unterbrechen. Wenn Sie es jedoch sehr eilig haben, nicht mit dem kleinen Schalter herumfummeln wollen, dann können Sie ihn überrennen: An der Kamera-Frontseite links befindet sich ein schmaler, langer Druckkontaktschalter. Solange Sie diesen Schalter drücken, haben Meßwerk und Verschluß "Saft" Sie können fotografieren, auch wenn der Hauptschalter auf "Off` steht.
Die Belichtungsmessung arbeitet nach dem CLC-Prinzip. Sie gleicht Kontraste aus. Aber sie tut das ein wenig anders, als Sie es vielleicht von den SR-T-Kameras her gewöhnt sind: Bei der XM ist Bildfeld = Meßfeld, was in der Praxis dazu führt, daß hohe Kontraste stärker ausgeglichen werden, als wir es heute gewöhnt sind. Ihr erster Probefilm gibt Ihnen darüber genauere Auskunft. Er zeigt Ihnen, ob der Ausgleich für Ihren Geschmack gerade richtig oder aber zu stark ist. Und danach können Sie sich anschließend richten - entweder, indem Sie einen Korrekturwert einstellen, oder, indem Sie einfach die Override-Taste drücken. Ich bin sicher, schon nach den ersten Aufnahmen hat es Ihnen der Verschluß genau so angetan wie mir. Rein nach dem Gehör sind Sie sicher, daß die Minolta-Konstrukteure sich für diesen Verschluß etwas ganz Neues haben einfallen lassen. Ich muß Sie - und ich hoffe im Hinblick auf die dadurch bedingte Servicefreundlichkeit angenehm - enttäuschen: Der Verschluß ist nahezu eine exakte Kopie des altbewährten SR-T-Verschlußes. Minolta hat lediglich die Trommel ein wenig dicker gemacht und ihm Titaniumrollos gegeben. Mit 9 Millisekunden läuft er etwas schneller ab als der SR-T-Verschluß, die Kuriststoffbeschichtung des Titaniums verringert die Reibung und damit auch die Verschlußgeräusche. Der Verschlußantrieb aber entspricht dem der SR-T-Kameras. Und so zuverlässig dieser Titanium-Verschluß auch ist - sollte wirklich einmal etwas fehlen, dann ist, bedingt durch diese einheitliche Konstruktion - die Servicearbeit kein Problem.
So, jetzt wissen Sie praktisch alles, was ich bei meinen Versuchen mit der Minolta XM herausbekommen oder anderweitig in Erfahrung bringen konnte. Und trotzdem fehlt Ihnen noch eine wesentliche Information - das Gefühl, das diese Kamera einem vermittelt, sobald man sie in die Hand nimmt. Sehen Sie zu, daß Sie auch diese Information möglichst bald bekommen.

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