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Mittelformat-Typologie
Welche Kamera für wen?
Der Mittelformat-Einsteiger sieht sich zunächst einmal mit einer Vielzahl von Kameramodellen für das Mittelformat konfrontiert. Damit Sie die richtige Kaufentscheidung treffen können, geben wir einen Überblick.
Fast jede Mittelformatkamera hat eine eigenständige Konzeption, ist eine Persönlichkeit, zu der sich der passende Fotograf finden muß. Die mechanische Kamera ohne jede Elektronik ist hier genauso selbstverständlich zu finden wie die vollmotorisierte High-Tech-Kamera mit Programmautomatik. Was erstaunlich ist: Beide kosten annähernd dasselbe. Der Verzicht auf Komfort zahlt sich nicht in barer Münze aus; die Qualitäten der einzelnen Modelle müssen also woanders liegen.
Die zweiäugige Spiegelreflexkamera
Urahn und Klassiker aller Mittelformatkameras ist die "Zweiäugige", deren Konstruktion unverwechselbar durch die zwei Objektive kenntlich ist: Das Bild eines Sucherobjektivs von etwas minderer Qualität wird über einen feststehenden Spiegel auf die Mattscheibe umgelenkt; das Sucherbild ist seitenverkehrt. Darunter ist ein Aufnahmeobjektiv hoher Güte mit dem Zentralverschluß. Der Fotograf kontrolliert sein Motiv über das Sucherobjektiv. Dieses weist die gleiche Brennweite und in den meisten Fällen auch die gleiche Lichtstärke auf wie das Aufnahmeobjektiv. Die Schärfe kann mittels einer Mattscheibe über das Sucherobjektiv eingestellt werden. Dies ist möglich, weil die Objektivstandarte, auf der sich Sucher- und Aufnahmeobjektiv befinden, über einen Zahnradantrieb beweglich ist. Da das Sucherobjektiv hier im Gegensatz zum Aufnahmeobjektiv nicht abblendbar ist, ist allerdings keine Kontrolle der Schärfentiefe möglich.
Die Vorteile dieser Konstruktion liegen in der Handlichkeit der Kamera, die extrem leicht und leise auszulösen ist, da die bewegten Massen sehr gering sind. Eine ganze Zeit lang, von den dreißiger bis in die fünfziger Jahre hinein, beherrschte die Zweiäugige nahezu uneingeschränkt die professionelle Szene, und ein jeder Amateur träumte davon, eine zu besitzen. "Rolleigraf" zu sein, war dabei das höchste der Gefühle.
Auch heute ist die Zweiäugige aufgrund ihrer Handlichkeit und ihrer Geräuscharmut durchaus eine Überlegung wert. Ein Vorteil gegenüber manch "Einäugiger" ohne Rückschwingspiegel ist der starre Spiegel, der hier eine fortwährende Motivbetrachtung zuläßt, während dort das Sucherbild nach dem Auslösen dunkel ist, bis der Verschluß erneut aufgezogen wird.
Zu bedenken bleibt, daß die Möglichkeiten, die Kamera zu erweitern, eingeschränkt sind. Der Nahbereich endet bei einem Meter - soll das Motiv größer aufgefaßt werden, dann kann nicht einfach ein Zwischenring oder ein Balgen angesetzt werden; nur Nahlinsen lassen sich anbringen. Auch die Mamiya C 33OS, zu der es Wechseloptiken gibt, kann bei weitem nicht mit einäugigen SLR-Kameras mithalten, deren Systemzubehör wesentlich umfangreicher ist.
Die Billigste: Seagull 4A-103
Die billigsten Mittelformatkameras bietet Seagull an. Für um die 200 Mark ist der Nachbau einer zweiäugigen Rolleiflex aus früheren Tagen zu bekommen. Ein Hauch Nostalgie und die Ahnung, wie sich Fotografie in den Fünfzigern ausnahm, wird hier kostenlos mitgeliefert.
In Anbetracht der Tatsache, daß bei renommierten Herstellern für diesen Preis gerade mal eine Kameratasche zu bekommen ist (wenn überhaupt), ist die 4A-103 ein absolutes Dumping-Angebot. Zum Hineinriechen in die Mittelformatfotografie ideal, zumal die Bildergebnisse durchaus befriedigend sind.
Die Sucherkamera
Bedingt durch die Formgebung teilt die Sucherkamera einige Merkmale mit Kleinbildkameras. Der größte Vorzug liegt in einer schnellen Bedienung in Augenhöhe, die der einer Kleinbildkamera entspricht. Dieser Vorzug ist sonst bei den einäugigen Spiegelreflexkameras im Mittelformat nur durch den gesonderten Erwerb eines Prismensuchers zu erreichen. Andererseits bedeutet eine Sucherkamera immer den Verzicht auf Wechselmagazine - eines jener Details, die Mittelformat jenseits aller Qualitätsdiskussionen sehr interessant machen.
Der Verzicht auf einen Reflexspiegel ermöglicht eine erschütterungsarme und sehr leise Auslösung, und die vergleichsweise einfache Konstruktion begünstigt "Exoten" wie die Panoramakameras von Plaubel, Linhof, Widelux und Fuji, die mit nur einer festen Optik versehen sind und Bildwinkel bis zu 150 Grad mit ungewöhnlichen Aufnahmeformaten (6x12 Zentimeter, 6x17 Zentimeter usw.) bieten. Nur wenige dieser Sucherkameras bieten Wechseloptiken: Die Linhof Technorama 612 PCII und die Meßsucherkamera Mamiya 6. Letztere stellt mit interner Belichtungsmessung und den drei Brennweiten 50, 75 und 150 Millimeter eine sehr interessante Alternative für die hochwertige (und leise) Fotografie dar. Reportagen im Theater etwa lassen sich damit fast geräuschlos über die Bühne bringen.
Die Kompromißloseste: Hasselblad 903 SWC
Während es normalerweise so ist, daß die Objektive passend zu einer Kamera gerechnet und gebaut werden, ist es im Fall der Weitwinkelkamera Hasselblad 903 SWC genau anders herum gewesen: Es gab da das hervorragende Zeiss Biogon 4,5/38 mm, um das herum Hasselblad dann ein Gehäuse -gebaut hat. Bei dieser Sucherkamera konnte das Objektiv ohne Kompromisse gerechnet werden, weil kein Schwingspiegel das Autlagemaß vergrößert und eine Retrofokuskonstruktion erfordert - Resultat ist eine optische Spitzenleistung an der Grenze des technisch Möglichen.
Die einäugige Spiegelreflexkamera
Wie im Kleinbildbereich ist auch beim Mittelformat die einäugige Spiegelreflexkamera die vielseitigste Kamerakonzeption. Gegenüber dem Kleinbild ist die Mittelformatlösung sogar noch deutlich vielseitiger, da fast alle Kameras nach dem "Würfelprinzip" gefertigt sind: An allen Seiten eines solchen Kamera-Gehäuses läßt sich etwas wechseln oder anbringen.
Vom passen Wechselobjektive, hinten die Wechselmagazine. Diese Magazine erlauben es den Film jederzeit gegen ein anderen Filmtyp beziehungsweise einen Film anderer Empfindlichkeit auszutauschen. Oben können verschiedene Sucher gesetzt werden, und seitlich sowie unten ist Platz für Handgriffe, für Stativ- und Blitzschuhe usw. Eine solche Universalität findet sich in dieser Kompaktheit nirgends sonst: Einerseits bleiben die Kameras freihandtauglich, andererseits können sie den jeweiligen Anforderungen angepaßt werden.
Die Teuerste: Hasselblad 205 TCC
Die 205 TCC ist die erste Kamera aus dem Haus Hasselblad mit integrierter Belichtungsmessung. Und sie ist ein Preishammer - immerhin sind knapp 15000 Mark für diese Kamera zu zahlen. Unbestritten ist, daß die Hasselblad 205 TCC einige interessante Belichtungsfunktionen· bietet. Jedoch muß die Frage erlaubt sein, ob das auch praxisgerecht und notwendig ist. Ihre Konzeption zielt auf Ansel Adams Zonensystem und damit auf die gestaltende Fotografie. Eine belichtungstechnische Analyse des Motivs und die Mehrpunktmessung sind verlangt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob nicht der externe Handbelichtungsmesser dies genauso gut (und schnell) kann wie der interne der 205 TCC.
Vergleicht man die 205 TC einmal mit der Hasselblad 2000 FCW, die bis auf den fehlende Belichtungsmesser technisch nahezu mit der neuen 205 TC identisch war, so ergibt sich allein für die integrierte Belichtungsmessung ein Aufpreis von rund 6500 Mark.
Die Modernste: Rollei 6008
Im Hinblick auf den Komfort ist die Rolleiflex 6008 einzigartig unter den Mittelformatkameras: Sie bietet Zeit-, Blenden- und Programmautomatik, Mehrzonen- wie auch Spotmessung, außerdem einen Meßwertspeicher und motorischen Filmtransport mit maximal zwei Bildern pro Sekunde. Ein kleiner Wermutstropfen, wie wir finden: Das neue, modische Design, das bei den Objektiven dieser Kamera klobig wird, ist nicht unbedingt jedermanns Geschmack.
Interessanter Oldie: Hasselblad 2003 FCW
Hasselblad, bekannt für hohe Systemtreue, hat mit der 2000er reihe ein Meisterstück abgeliefert. Diese Schlitzverschlußkamera kann alles, was die 500C/M auch kann, weil alle C/F-Objektive uneingeschränkt angesetzt werden können, Damit ist sie eine vollwertige Zentralverschlußkamera, kann aber auch den eigenen Schlitzverschluß mit diesen Objektiven nutzen. Darüber hinaus hat sie eine eignen extrem lichtstarke Objektivreihe ohne Zentralverschluß; 2,8/50 mm, 2,0/110 mm, 2,8/150 mm, 4,0/250 mm, 4,0/350 mm - genau die gleichen Objektive (bis auf die elektronischen Kontakte), wie sie heute zur TCC angeboten werden.
Empfehlenswert aus der Modellreihe sind die 2000 FC (Verschluß öffnet bei Magazinwechsel zum Schutz der Titanlamellen), die 2000 FC/W (Möglichkeit, einen Winder anzuschließen) und die 2003 FC/W (hellere Mattscheibe). In gut erhaltenem Zustand sind Gebrauchtkameras schon für 2000 Mark zu bekommen.
Die optische Bank
Die Fortschritte in der Film- und Objektivtechnologie machen den Formatsprung möglich: Statt Mittelformat genügt heute oft Kleinbild statt Großformat tut es auch das Mittelformat. An Großformatkameras werden inzwischen öfter Rollfilmrückteile verwendet. Dadurch steigt die Aufnahmekapazität, und die Kosten pro Aufnahme sinken deutlich Dieser Entwicklung tragen etliche Hersteller Rechnung, indem sie Kameras nach dem Prinzip der optischen Bank (voll verstellbar) für das Mittelformat anbieten. Diese Kameras sind kleiner, handlicher und preiswerter als 9x12-Kameras, aber Spezialisten für das Studio, da sie nur auf einem Stativ einsatzbereit sind. Aus der freien Hand lassen sie sich nicht bedienen.
Zentral- oder Schlitzverschluß
Von dieser Fragestellung sollten Sie keinesfalls die Entscheidung für das eine oder andere Kamerasystem abhängig machen, denn obwohl jede Verschlußart prinzipbedingt Vor- und Nachteile hat, können in der Praxis mit beiden Systemen hervorragende Fotos entstehen.
Die weitaus meisten Kameras im Mittelformat sind mit Zentralverschluß ausgerüstet. Dieser ist im Objektiv eingebaut und muß also mit jedem Objektiv neu erstanden werden. Kostenvorteile für verschlußlose Objektive lassen sich nicht ausmachen; es kann keine Rede davon sein, daß Schlitzverschlußkameras die billigeren Objektivreihen besäßen.
Vorteil eines Zentralverschlusses: Er gibt zur Belichtung immer das gesamte Filmfenster frei, weshalb Blitzlichtfotografie mit allen Verschlußzeiten möglich ist. Das bietet einen großen Spielraum bei Tageslicht, wenn das Blitzgerät zum Aufhellblitzen eingesetzt werden soll.
In seltenen Fällen wirkt sich die maximale Verschlußgeschwindigkeit von meist "nur" 1/500 Sekunde nachteilig aus. Da die Verschlußlamellen kreisförmig von innen nach außen schwenken, kann es bei großen Blendenöffnungen und kurzen Verschlußzeiten zu Belichtungsungenauigkeiten kommen. Ein Argument gegen den Zentralverschluß ist auch, daß die Notwendigkeit, ihn im Objektiv unterzubringen, die optische Konstruktion einschränkt. Ohne ihn sollten sich also bessere Objektive rechnen lassen. Dies läßt sich aber in der Praxis nicht feststellen: Tests wie auch die Datenblätter der Hersteller bescheinigen, daß die Verschlußart keinen sichtbaren Einfluß auf die Güte der Optik hat.
Einen unbestreitbaren Vorteil allerdings haben verschlußlose Objektive - sie lassen sich in höheren Lichtstärken rechnen, da die Öffnung beliebig groß sein kann. Der Zentralverschluß setzt konstruktive Grenzen, da er bei zu großen Öffnungen die schnellen Zeiten nicht mehr einhält. Allerdings nutzen nur wenige Hersteller diese Möglichkeiten. Einzig die Zeiss-Objektive zur Schlitzverschlußkamera Hasselblad 205 TCC (früher die F-Reihe zur 2000er Serie) bieten durchgängig von 50 bis 350 Millimeter höhere Lichtstärken.
Aus den Nachteilen beziehungsweise Vorzügen des Zentralverschlusses ergeben sich im Umkehrschluß auch die positiven wie negativen Eigenschaften des Schlitzverschlusses. Prinzipiell ist die Belichtung sehr genau und gleichmäßig, und die Verschlußzeiten sind schneller. Die schnellste Kamera ist die 205 TCC mit maximal 1/2000 Sekunde, alte anderen bieten 1/1000 Sekunde. Die Synchronzeiten allerdings sind hier nicht eben umwerfend: 1130 bis 1/90 Sekunde. Scharfe Freihandaufnahmen mit Aufhellblitz und Tageslichtanteil sind damit kaum möglich. Viele Hersteller von Schlitzverschlußkameras haben deshalb auch Objektive mit Zentralverschluß im Angebot. Spitze ist auch hier wieder die 205TCC beziehungsweise die Vorgängerin 2003 FCW, an der sich alle Zeiss-Objektive mit Zentralverschluß, die auch an die 500 C/M passen, uneingeschränkt verwenden lassen.
Objektive
Warum gilt ein 50-mm-Objektiv, das im Kleinbildformat als Normalbrennweite angesehen wird, im Mittelformat als Weitwinkelbrennweite? Man muß sich hier vergegenwärtigen, daß das Aufnahmeformat ja wächst: Soll ein Objektiv bei einer gegebenen Brennweite (Abstand zwischen Film und Objektiv-Mittelpunkt) eine größere Filmfläche auszeichnen, dann muß auch der Bildwinkel größer werden, und damit wird auch mehr vom Motiv aufgezeichnet. Man kann es sich auch anders herum verständlich machen: Wird aus einer Mittelformataufnahme ein Ausschnitt von 24x36 Millimeter genommen, dann entspricht das der Kleinbildaufnahme - mit dem Effekt, daß weniger vom Motiv zu sehen ist, also eine Telewirkung erzielt wird.
Um nun in den verschiedenen Aufnahmeformaten gleiche Bildwirkungen, etwa mit einem Normalobjektiv, zu erzielen, müssen die Brennweiten angepaßt werden. Die Normalbrennweite für ein Aufnahmeformat wird ungefähr durch die Formatdiagonale charakterisiert. Das ergibt für das Kleinbild zirka 50 Millimeter, für das Mittelformat um die 80 Millimeter und für das 9x12-Großbild eine Brennweite von rund 150 Millimetern.
Wegen der prinzipiell längeren Brennweiten und der Notwendigkeit, ein größeres Format auszuzeichnen, sind Mittelformatobjektive schwieriger zu konstruieren. Die Linsenflächen werden größer, was zweierlei Auswirkungen hat - die Objektive sind teuer und außerdem auch vergleichsweise lichtschwach. Eine größte Öffnung von 2,8 ist im Mittelformat guter Durchschnitt. Viele Optiken haben hier Anfangsöffnungen von nur 3,5 beziehungsweise 4 oder gar 5,6. Nur wenige Objektive weisen Werte um die 2,0 auf. Auch ist das Angebot bei weitem nicht so groß wie im Kleinbildbereich. Besonders Zoomobjektive sind hier dünn gesät. Fremdobjektive mit besonderen Leistungsmerkmalen oder zu besonders interessanten Preisen sucht man gleichfalls vergeblich.
Doch viele theoretische Einschränkungen erweisen sich im Foto-Alltag als unbedeutend. So stellt die Beschränkung auf wenige Brennweiten selten eine Beeinträchtigung dar. Eine praxisgerechte Grundausstattung besteht aus Normal-, Weitwinkel und leichtem Teleobjektiv, im Format 6x6 zum Beispiel aus den Brennweiten 50, 80 und 150 Millimeter - eine "klassische" Kombination für die meisten Aufnahmesituationen.
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