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Artikel
2006
KAMERAS PHOTOGRAPHICA
Klein und edel
Ica Bebe von 1911
Eine Kamera für das Negativformat 4,5 x 6 cm konnte 1911 in den Augen der Profis nur Spielzeug sein. Da passte der Name „Bebe" („Baby"). Allerdings war die „Bebe" der Firma Ica in Dresden ein hochkarätiges und teures Spielzeug.
Die Firma Ica in Dresden wurde 1909 als Zusammenschluss verschiedener Firmen gegründet und 1926 von Zeiss-Ikon übernommen. Neben den üblichen großformatigen und oft professionellen Kameras brachten die Sachsen 1911 die „Mini"-Kamera Bebe auf den Markt. Für Glasplatten im damals außerordentlich kleinen Format 4,5 x 6 cm konstruiert, sind ihre Außenmaße nur wenig größer als das Filmformat - allerdings mit dem Nachteil, dass das Aufnahmematerial separat transportiert werden muss. Die Kamera verfügt über das bekannte vierlinsige Zeiss-Tessar mit einer Brennweite von 7,5 cm und Lichtstärke 4,5, das eine ausgezeichnete Bildschärfe garantiert. Es ist in einen massiv wirkenden Objektivträger montiert; dahinter liegt der Schneckengang zur Entfernungseinstellung, dessen Hebel seitlich herausragt.
Der Balgen, der wesentlich zur Kompaktheit der Kamera beiträgt, ist ungewöhnlich konstruiert. Er hat nicht die Ziehharmonika-Faltung, die wir von späteren Balgenkameras gewohnt sind; hier wurde dickes Leder verwendet mit nur einem umlaufenden Knick. Es hat die Jahrzehnte erstaunlich gut überstanden. Die vier Metallspreizen müssen beim Entfalten der Kamera einzeln zurechtgerückt werden. Liebe zum Detail zeigt auch der ausklappbare lederne Sucherschacht.
Der Objektivverschluss mit Zeiten von einer bis 1/200 Sekunde ermöglicht einen breiten Anwendungsbereich. Er funktioniert noch, hat aber nach den vielen Jahrzehnten Mühe, die eingravierten Zeiten einzuhalten. Sie werden an dem kleinen Rad neben dem Objektiv eingestellt. Der kleine gegenüberliegende Hebel dient zur Umschaltung zwischen Momentaufnahme, B und Zeitaufnahmen. In der „Z"-Stellung bleibt der Sucher nach dem Druck auf den Auslöser so lange offen, bis der Auslöser nochmals betätigt wird. Diese Einstellung ist besonders sinnvoll bei Benutzung des Mattscheibensuchers.
Bei den langen Zeiten gibt es eine Überraschung: kein Ticken oder Surren ist zu hören. Die Erklärung: der Compoundverschluss. Bei diesem „pneumatischen" Verschluss wird zur Regelung der langen Zeiten Luft aus einem kleinen Zylinder verdrängt.
In unserer Abbildung ist der kleine Zylinder zu sehen, in dem sich durch Federkraft ein Kolben bewegt. Wenn man nach dem Spannen des Verschlusses auf den Auslöser drückt, öffnen sich die Verschlusslamellen und der Kolben setzt sich durch Federkraft in Bewegung. Wenn er die Luft aus dem Zylinder komplett verdrängt hat und am Anschlag angelangt ist, schließen sich die Lamellen. Dieses System wurde in den zwanziger Jahren allmählich durch mechanische Verschlüsse abgelöst, die das bekannte Surren erzeugen.
Attraktives Konzept
Für Schnappschüsse diente der kleine Durchsichtssucher, der heute zwar nicht mehr wirklich überzeugen kann, ehedem aber seinen Zweck erfüllte. Für aufwendig gestaltete Fotos benutzte man den Mattscheibensucher. Spiegelreflexkameras boten damals nur relativ geringe Vorteile, denn ihr dunkles Sucherbild war für Schnappschüsse denkbar ungeeignet.
Wer eine Ica Bebe sucht und findet, wird dafür mindestens 150 Euro bezahlen müssen. Und die Preisskala reicht bis 300 Euro, denn Kleinstkameras sind bei Sammlern begehrt. Um damit zu fotografieren, braucht man eine Menge Experimentierfreude - und die Negativhalter. Mit ihrer Hilfe kann man anstelle von Glasplatten moderne Planfilme benutzen. Obwohl die Negativkassetten mit denen anderer Hersteller zum Teil kompatibel sind, dürfte es schwer fallen, gut erhaltene und vor allem lichtdichte zu bekommen. Außerdem ist die Bebe als Schmuckstück in der Vitrine sicher am besten aufgehoben.
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