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Artikel

2006

FOTO-KLASSIK

Leica-M-System feiert Jubiläum

50 Jahre

Es gibt etwas, das können selbst modernste Digitalkameras nicht - beim Auslösen so unnachahmlich schön klicken wie eine M-Leica. Aber das ist bei weitem nicht der einzige Grund, warum Leicas so legendär waren und bis heute sind.

Die Bedeutung der Leica hat zunächst eine fotohistorische Dimension. Das erste Modell mit Wechselobjektiven - das war die Leica I von 1930 - machte Jahre nach der „Erfindung" des Kleinbildformats mit den Maßen 24x36 mm durch Oskar Barnack noch nie Dagewesenes möglich: Live-Reportagen mit bis dato ungesehenen neuen Perspektiven und Blickwinkeln, wie sie heute selbstverständlich sind. Schnell und wendig muss eine Kamera für die Reportagefotografie sein -und die Leica I, die 1932 zur „Leica Standard" wurde, erfüllte diesen Anspruch wie keine Kamera zuvor. Die weit über das rein Technische hinausgehende Qualität der Leica hat bis heute Bestand. Unverändert gilt die klassische Leica-Maxime fort: das handwerkliche Können des Fotografen und nicht die Kameraausstattung zählt. Die Leica-M-Modelle von heute finden ihre Hauptanwendungsgebiete vor allem in der Reportagefotografie, in Available-Light-Aufnahmen und in Bereichen, die von der diskreten, künstlerisch-ästhetischen Bildgestaltung leben.
Verglichen mit modernsten Kameras erscheinen die aktuellen Leica-M-Modelle M7 und MP altmodisch, weil sie sich technisch ganz auf das Wesentliche beschränken. Ein Blick auf die Details zeigt aber, wie viel menschlicher Ideenreichtum und auch Arbeit bis zur aktuell erreichten Perfektion des M-Systems nötig war.

Mit dem Wirtschaftswunder der fünfziger Jahre begann die ganz große Zeit der Messsucher-Leicas. Neben besseren ökonomischen Voraussetzungen war die Grundlage für den Erfolg der wohl wichtigste technische Fortschritt der Leica-Geschichte: die Einführung des M-Objektivbajonetts 1954 mit der Leica M3. Damit war Schluss mit dem Gedrehe beim Objektivwechsel, und der größere Durchmesser gab Raum für lichtstärkere Objektivkonstruktionen.
Die auf den ersten Blick merkwürdig anmutende Bezeichnung M3 für das erste Modell einer neuen Baureihe weist auf den neuen parallaxenfreien Sucher hin, in dem jetzt die Leuchtrahmen für die Bildfeldgrenzen der drei seinerzeit gefragtesten Brennweiten 50, 90 und 135 mm sowie der Mischbild-Entfernungsmesser vereint waren. Dieser ist in seinen Grundzügen bis heute unverändert. Er löste den antiquierten Doppel-Sucher der Schraub-Leicas ab, der getrennte Einblicke für die Entfernungsmessung und für den Bildausschnitt mit 50 mm (und später auch 90 mm) Brennweite aufwies. Was mit drei Bildfeldrahmen begann, wurde fortentwickelt bis zu dem heutigen Sucher in M7 und MP, der allein aus über 100 mit höchster Präzision gefertigten Einzelteilen besteht. Vom 28-mm-Weitwinkel bis zum 135-mm-Tele lässt sich damit dank der größeren Messbasis genauer als mit einer Spiegelreflexkamera fokussieren.
Die aktuellen Leica-Modelle M7 und MP werden heute in Varianten mit drei unterschiedlichen Sucherabbildungsgrößen angeboten. Praktisch Standard ist die Version 0,72x mit einem sichtbaren Bildfeld ab der Brennweite 28 mm. Der 0,85x-Sucher beginnt erst bei der Brennweite 35 mm, zeigt dafür aber das Motiv größer und weist bei gleicher mechanischer Messbasis von 69,25 mm mit 59,07 mm eine größere effektive Messbasis als die 49,86 mm bei 0,72-facher Abbildung auf. Die Varianten mit 0,85x-Abbildung bieten bei gleichen Bildfeldern wie 0,72x eine bessere Übersicht für Brillenträger, was allerdings zu Lasten der Abbildungsgröße geht.
Wie präzise der Leica-Sucher arbeitet, verdeutlichen zwei Beispiele. Der Winkel der Spiegelfläche im Teilerprisma wird auf eine Bogenminute genau geschliffen. Eine mit derartiger Genauigkeit von Paris nach London gezogenene Linie würde ihr Ziel mit einer Genauigkeit von weniger als einem Meter Abweichung nach rechts oder links treffen. Die Achse der Gleitrolle des Entfernungsmessers wird toleranzfrei gefertigt, damit alle Entfernungen von 0,7 m bis unendlich auf nur 4,437 mm Stellweg dargestellt werden können.

Die dritte mit der Leica M3 eingeführte und bis heute aktuelle Neu-Entwicklung war der Gummituch-Schlitzverschluss. Seine geringe Masse sorgt dafür, dass weder nennenswerte Geräusche noch Erschütterungen durch den Verschlussablauf entstehen. Die unabhängige Steuerung der beiden von jeweils einer Feder angetriebenen Verschlussrollos trägt mit zu der im Vergleich zu einer Spiegelreflexkamera bis zu viermal geringeren Verzögerung bei, die zwischen dem Auslösen und der Belichtung liegt.
Ein Schritt in die neue Zeit war auch der Schlitz im Zeitenrad zur Ankopplung eines aufsteckbaren Belichtungsmessers. Eine eingebaute Libellen-Wasserwaage, die die Oberseite eines M3-Prototypen zierte, fand aber leider bis heute nicht den Weg in die Serie.
Damals bei anderen schon Standard, für Leica aber neu, waren Zeitenrad, Schnelltransporthebel und die automatische Bildzählwerk-Rückstellung, wie sie heute noch bei M7 und MP zu finden sind. Geblieben sind auch zwei konstruktionsbedingte Marotten fast aller Leica-Sucherkameras. Zum einen ist das von keinem Spiegel geschützte Gummituch verantwortlich für die bis heute gültige Empfehlung, eine Messsucher-Leica nicht mit unbedeckeltem Objektiv in die Sonne „blickend" abzulegen. Die Folge könnte ein Brandloch im Gummi sein. Nostalgisch ist auch das Filmeinlegen durch den Kameraboden. Eine komplett aufklappbare Rückwand soll wegen dann fehlender Stabilität der Gehäusekonstruktion nicht machbar sein. Ein Blick auf die M5 von 1971 verdeutlicht die Leistung der Konstrukteure der nachfolgenden Modelle mit TTL-Belichtungsmessung. Der einzige Weg, die Leica M mit einer Belichtungsmessung durch das Objektiv zu versehen, schien damals ein völlig neu konstruiertes, größeres Gehäuse. Auch wenn sich praktisch denkende Profis der M5 bedienten, blieb sie doch ein kantiger Außenseiter ohne Zukunft im M-System. Das gleiche Schicksal war der kompakten Leica CL von 1973 beschieden. Sie hatte kein langes Leica-Leben, machte aber in ihrem zweiten Leben als Minolta CLE jahrelang vor, wie schön eine moderne Leica mit M-Bajonett, Zeitautomatik und TTL-Blitzmessung hätte sein können. Den fotografierenden Leica-Fans brachte erst die M7 gut 20 Jahre später die optimale Lösung.

Eine Wissenschaft für sich in der Leica-M-Geschichte sind die vielen Sondermodelle. Einige der Anlässe ihrer Vorstellung mögen etwas willkürlich erscheinen und nach Marketing-Maßnahmen riechen, um zwischendurch ein bisschen Extra-Geld in die immer wieder mal klammen Leica-Kassen zu spülen. Wer reich und prominent genug ist, kann sich sogar sein persönliches Leica-Modell ganz nach eigenen Materialvorstellungen fertigen lassen.
Die Beliebtheit der M-Leica in all ihren Facetten bei Sammlern und Fotografen ist ein Indiz für den einzigartigen Status, den sich die Marke erworben hat. Dementsprechend sind die Preise für gängige Leica-M-Modelle auf dem Gebrauchtmarkt anders als bei den meisten anderen Kameras weitgehend stabil. Auch dürfte es für kaum eine andere Kameramarke so viele dicke und detaillierte Bücher weltweit geben. Das alles zeigt, dass die Leica M nicht nur für vorbildliche, aber doch eher technisch-kühle Werte wie feinmechanische und optische Präzision steht, sondern zugleich auch Begehrlichkeiten und Emotionen wecken kann.
Die aktuellen Modelle bewahren diese Tradition. 2002 wurde die Leica M7 vorgestellt. Mit Zeitautomatik, TTL-Blitzmessung und elektronisch gesteuertem Verschluss und DX-Kontakten ist die Kamera komfortabler und schneller, ohne das bewährte Leica M-Bedienkonzept anzutasten. Fast alle Systemkomponenten der Vorgängermodelle lassen sich weiter verwenden. Parallel dazu erweitern neue Objektivkonstruktionen wie das Tri-Elmar 4/28-35-50 mm oder ganz aktuell das neue Macro-Elmar-M 4/90 mm die Objektivpalette. Davon profitiert auch die älteste Leica M3 von 1954.
Mit der MP folgt Leica kompromisslos dem Motto „Zurück zu den Wurzeln", zum Glück ohne gleich ein Sondermodell mit Wurzelholz-Applikationen daraus zu machen. Das einzige, was Strom braucht, ist der Belichtungsmesser. Wegen ihrer besonderen Solidität und Zuverlässigkeit gewährt Leica auf die MP eine besondere Garantie von fünf Jahren und garantiert darüber hinaus alle Serviceleistungen und Ersatzteile noch für mindestens 30 Jahre nach einem möglichen Modellwechsel.
Der überzeugendste Beweis für die Schlüssigkeit des Konzepts der Leica-M-Kameras und seine gelungene technische Umsetzung ist die Tatsache, dass es sich nach 50 Jahren am Markt immer noch behaupten kann.
Wer kann sich dagegen heute eine Digitalkamera vorstellen, die in über 50 Jahren in ihren wesentlichen Grundzügen noch unverändert funktionell und damit weiterhin aktuell sein wird?

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