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Alexander Borell über:
Mamiya RB67
Der Ablieferungstermin für mein Manuskript über die MAMIYA RB 67 rückt immer näher, und seit Tagen tyrannisiere ich meine ganze Umgebung, denn ich finde es leichter, Über die präzise Kletterroute durch die Eiger-Nordwand zu schreiben, als über diese Kamera im Mittelformat, die mehr Möglichkeiten bietet, als irgend eine andere ihrer Klasse. Dabei preiswerter als alle anderen.
Aber vielleicht sollte ich mit einer einzigen Möglichkeit anfangen, die die RB 67 nicht bietet: man kann sie nicht als Motormodell bekommen. Das ist der einzige Minuspunkt, und für viele Liebhaber wird er gar keiner sein. Denn wer sich zu dieser Kamera entschließt, ist kein Maschinenpistolen-Profi, sondern ein Mensch, der seine Kamera liebt und die Aufnahmen, die er mit ihr machen kann, noch mehr.
Ich weiß nicht, wie die RB 67 einmal "erfunden" wurde, aber nach meinen Erfahrungen könnte es so gewesen sein:
Der große Mamiya-Boß sagte zu seinen Konstrukteuren, sie sollten eine Kamera entwerfen, die von allen anderen das jeweils Beste haben muß. Etwa von Linhof das "Idealformat" 6x7, von Hasselblad die Zentralverschlüsse in jedem Objektiv, von Rollei den eingebauten Balgen, - und das Ganze muß unerhört stabil sein. Kassetten sind selbstverständlich, aber wir wollen noch mehr: wir wollen einen Drehrahmen, damit man Hoch- und Queraufnahmen machen kann. Außerdem muß man natürlich die Mattscheiben wechseln können, die Suchersysteme ebenfalls, und man muß nicht nur mit Rollfilm 120 oder 220 arbeiten können, sondern auch mit Platten, Planfilm und mit einer Polaroid-Kassette.
Die Mamiya-Konstrukteure haben das fertiggebracht, und obendrein in einer Art und Weise, daß man sich beim Kauf überlegt, ob wohl die Urenkel auch noch fotografische Ambitionen haben werden.
Zuerst ein paar Worte zum Format.
Solange es das Quadrat 6x6 gibt, solange gibt es den Streit darum, ob das Quadrat besser sei als das Rechteck. Die Quadratler kämpften um ihr Format, von den Herstellerfirmen tatkräftig unterstützt, und argumentierten, man brauche dabei die Kamera nicht drehen und könne hinterher Ausschnitte vergrößern. Zudem könne man beim Bildkreis 6 x 6 die Objektive kleiner, leichter und billiger herstellen. Die Gegner behaupteten, die Quadratler würden sich in die eigene Tasche lügen, denn wo werde schon ein Quadrat gedruckt, und somit stünde in der Praxis ja nur das Format 4,5x 6 zur Verfügung, denn Abfall gäbe es überall. Entweder beim Film am Negativ oder beim Vergrößern am Papier.
Entgegen allen Prognosen hat sich das Format 6x7 durchgesetzt und setzt sich langsam, aber stetig immer mehr durch. Das hat mindestens zwei gute Gründe: Profis, die Titelbilder für Illustrierte verkaufen wollen, kennen ihre Redakteure. Die nehmen lieber ein Rechteck, das von vornherein stimmt und den richtigen Ausschnitt zeigt, als ein abgeklebtes Quadrat. Und wer mit Color-Negativ-Film arbeitet, weiß ein Lied über Printer-Preise zu singen. Die Kopierwerke berechnen nämlich Ausschnitte aus dem Quadrat wesentlich höher, als eine Standardvergrößerung vom Rechteck. Nicht zuletzt diese Tatsache mag Quadrathersteller dazu veranlaßt haben, zwei Kassetten 4,5x6 zu liefern: eine im Hoch-, die andere im Querformat. Bei der Hochformat-Kassette geht natürlich Filmmaterial flöten, und man bekommt auf den Film nur genausoviele Aufnahmen wie im Querformat.
Die RB 67 hat dieses Problem beispielhaft gelöst: ein Dreh am Rahmen, die Kassette dreht sich mit, und die Wahl ob hoch oder quer, dauert nur eine Sekunde. Auf den Mattscheiben sind Hoch- und Querstellung markiert, auf den Kassetten ebenso.
Diese Drehmöglichkeit bringt allerdings auch einen Handgriff mehr: man muß mit einem Hebelschwung den Spiegel und den Verschlußaufzug betätigen, mit einem zweiten an der Kassette den Filmtransport. Wer aber mit der RB 67 arbeitet, hat diese zwei Bewegungen rasch im Blut, außerdem wird an der Kassette angezeigt, ob transportiert ist oder nicht, und im Zeitalter modischer Verfremdungen ist die einfache Möglichkeit zu Doppelbelichtungen auch was wert.
Zwei Halterungen werden gelöst, und Sie haben die Kassette in der Hand - aber nur, wenn Sie den Schieber eingesteckt haben. (Den man während der Arbeit seitlich an der Kamera befestigen kann!)
Mit einem weiteren Hebel lösen Sie den Drehrahmen vom Gehäuse, wenn Sie mit einem anderen Rückteil arbeiten wollen.
Ist andererseits der Kassettenschieber drin, können Sie nicht auslösen.
Manchmal will man entweder den Verschluß oder den Blitz kontrollieren. Dazu zieht man den Schieber bis zu einer Markierung heraus und kann nun auslösen, ohne den Film zu belichten.
Nach dem Auslösen bleibt's im Sucher dunkel. Das stört vielleicht manche Leute, die einen Rückschwingspiegel gewohnt sind. Mir macht es nichts aus, denn ich drücke ja nur auf den Auslöser, wenn ich glaube, den richtigen Augenblick zu haben, und ob er es wirklich war, erkenne ich doch erst später am Negativ. Will man den Schlag vermeiden, kann man den Spiegel vor der Aufnahme liften. Dann läuft der Zentralverschluß leise und ohne jede Erschütterung ab.
Das normale Suchersystem ist ein Lichtschacht mit Lupe. Mit einem Handgriff kann er gegen einen senkrechten Lupenschacht oder gegen einen TTL-Aufsatz ausgewechselt werden.
Dieser Meßsucheraufsatz ist nicht nur deshalb besonders empfehlenswert, weil er ein überdimensioniertes Einstellokular besitzt, in dessen Gummimuschel man selbst mit einer Brille hineinkommt, sondern weil beim Einschalten des Stroms eine kleine Meßzelle -ins Sucherbild schwenkt, mit der man punktgenau ein Motivdetail anmessen kann.
Das Meßergebnis, resultierend aus einer Zeit/Blendenkombination, wird aufs Objektiv übertragen. Die Meßpräzision ist, nach meinen Erfahrungen, hervorragend, die Ablesung deutlich, auch bei schlechtem Licht.
Das eingebaute Balgengerät läßt sich mit beidseitigen, griffigen Schrauben 46 mm herausdrehen. Mit dem empfehlenswerten Standardobjektiv 3,8/127 mm läßt sich so eine Fläche von 15,5 x 18,9 cm ohne jedes andere Hilfsmittel abbilden. Mit Zwischenringen kommt man bis zu 4,1 x 5 cm mit diesem Objektiv.
Mit dem Weitwinkel 4,5/65 mm schaffen Sie ohne Ring 8x9,7 cm!
Nicht zuletzt in diesen Möglichkeiten liegt die vergnügliche Universalität der RB 67.
Das Balgengerät ist zweiseitig mit massiven Stahlschienen geführt, was sehr zur Stabilität auch bei vollem Auszug und mit schweren Objektiven beiträgt.
An der rechten Auszugseite befindet sich eine Entfernungsskala. In verschiedenen Farben werden die Werte für folgende Objektiv-Brennweiten angezeigt: 50 mm, 65 mm, 90 mm, 127 mm, 180 mm, 250 mm, 360 mm. Damit ist zugleich einiges über das Objektivprogramm ausgesagt, das wohl allen Ansprüchen genügen dürfte.
Zugleich ist die, infolge des Balgenauszugs, gelegentlich nötige Belichtungszeit-Verlängerung eindeutig markiert.
Eine spezielle Bodenplatte ist dazu bestimmt, die Kamera in einer Schnellfassung aufs Stativ zu schieben.
Und nun ist es an der Zeit, einiges über die Objektive selber zu sagen, die ja in einem großen Sortiment angeboten werden. Sie besitzen ein ungewöhnlich großes Bajonett, mit dem sie, gleich in richtiger Stellung, in den Kamerakörper eingeführt werden. Ein schwerer Rändelring hält sie dann im Gehäuse fest. Gelöst kann er nur werden, wenn der Verschluß gespannt ist. Diese Befestigung scheint für alle Ewigkeit präzise zu arbeiten. Jedes Objektiv hat natürlich seinen Blitz-Synchron-Nippel mit einem Schalter auf "X" oder "M". Auch das vorherige Hochschwenken des Spiegels funktioniert über einen arretierten Drehknopf am Objektiv, der einen gesonderten Drahtauslösernippel trägt. Mittels griffigem Ring stellen Sie die Blende ein, die Zahlen sind von oben deutlich abzulesen.
Ein seitlicher Hebel ermöglicht jederzeitige Kontrolle der Schärfentiefe, da ja alle Objektive mit Blendenautomatik ausgerüstet sind, so daß man immer auf voller Mattscheibe einstellen kann. (Die Zwischenringe übertragen diese Blendenautomatik!)
Ganz vorne ist der Ring mit den Verschlußzeiten, die von "T" Über 1 sec. in üblicher Weise bis zu 1/400 reichen.
Nun sehe ich bei einigen Lesern ein langes Gesicht: nicht mehr als 1/400?
Nein, nicht mehr. Ich kann mir aber erstens ohnehin nicht vorstellen, daß ein Sportreporter mit diesem Dampfschiff loszieht, um das Tor des Jahres zu fotografieren, und für solche Aufgaben ist die Mamiya RB 67 auch gar nicht gedacht. Aber wie war es denn früher? Da hatten wir in kleinen Taschenkameras auch nur eine 1/500, in den großen Modellen sogar oft nur die 1/300, und merkwürdig: diese Zeiten haben auch für Sportaufnahmen noch gereicht. Ich habe Sportaufnahmen mit der Mamiya RB 67 gemacht: Auto- und Motorradrennen sind Überhaupt kein Problem, wenn man die Fahrzeuge spitz anlaufen läßt oder ein wenig mitzieht. Geräteturnen, und alle anderen Sportarten auch, haben fast immer zugleich mit dem bildwirksamen Höhepunkt auch einen kurzen Totpunkt in der Bewegung. Den erwischt man, dank des großen und hellen Mattscheibenbildes, nahezu immer. Wenn nicht, liegt's nicht an der RB 67, sondern an Ihrer zu langsamen Reaktion. Springende Pferde sind kein Problem, und wenn Sie beim Riesenslalom an einem Tor stehen, mit dem 180er oder 250er drin, dann dürfen Sie sowieso nur mit 1/30 sec. belichten, falls Sie Wert darauf legen, Ihr Foto auf eine Ausstellung zu bringen. Oder haben Sie vielleicht in letzter Zeit irgendwo scharfe Sportaufnahmen gesehen?
Aber ohne Spaß: diese 1/400 leistet mehr, als man ihr zutraut. Man könnte es auch umgekehrt sagen: die 1/1000 sec. eines Schlitzverschlusses bringt weniger, als man meistens glaubt.
Dazu ein weiterer Vorteil dieser Objektive, den sie z. B. mit der Hasselblad gemeinsam haben: Man sitzt mit Kamera und Ausrüstung nicht auf dem Trockenen, wenn in den Abbruzzen einmal der Schlitzverschluß nicht mehr mitmacht! Denn jedes Objektiv hat ja seinen eigenen Verschluß, und zwei werden Sie auf eine Reise doch hoffentlich mitnehmen, zumal Sie nur soviel dafür bezahlen, wie anderwärts für eins.
Aber, werden Sie nun vielleicht fragen, wie steht es mit der optischen Qualität?
Sehen Sie, mir ist bei Telefonanrufen schon vieles untergekommen, und es gibt keine einzig Objektivmarke auf der Welt, von der ich nicht schon Schreckliche zu hören bekam, mag es sich dabei auch vermutlich um Ausreißer handeln. Aber über die Sekore zur RB 67 habe ich noch nie Nachteiliges gehört. Im Gegenteil, man sagte mir wiederholt, sie wären mindestens genauso gut, wie Objektive von Zeiss, und einige behaupten sogar, die Sekore wären noch "schärfer". Davon bin ich allerdings keineswegs überzeugt, denn mit der Schärfe, von Amateuren getestet, ist das so eine Sache. Immerhin scheinen mir die Sekore ein wenig härter zu zeichnen, als manche anderen Spitzenobjektive, und mehr Kontrast erweckt ja, das ist bekannt, beim unbefangenen Betrachter den Eindruck von Schärfe. Wie dem nun auch sei, allein diese Meinungen von RB 67-Besitzern zeigen, daß es an diesen Objektiven nichts auszusetzen gibt. Ich selber konnte bei Vergleichsaufnahmen in zehnfacher Vergrößerung von 4,5x6 keine Unterschiede zu anderen Spitzenprodukten feststellen. Auch an der Farbwiedergabe hatte ich nichts auszusetzen.
Ich verwende als Standardobjektiv die mir sehr angenehme Brennweite 127 mm, als Weitwinkel benütze ich das 1: 4,5/50 mm, und das 1: 4,5/180er ist eine Wucht.
Natürlich wiegen diese Objektive etwas. Aber der ganze Kloben ist nicht leicht, man hat ständig das Gefühl, ein ausgewachsener Stier würde sofort tot umfallen, schlüge man ihm eine RB 67 auf den Kopf - der Kamera aber würde das nichts schaden.
Verwenden Sie stets den blitzschnell ein- und auszuhängenden Trageriemen, damit sie Ihnen nicht aus Versehen auf den Fuß fällt, sonst müssen Sie in die Klinik - die Kamera sicherlich nicht. Die universellen Möglichkeiten und die solide Fertigung kosten eben Gewicht: das Gehäuse wiegt rund 1,5 kg, eine Kassette 0,4 kg, und das 3,8/127 mm mit Sonnenblende rund 0,7 kg.
Die Schlepperei wird aber mit der Freude am Ergebnis reichlich aufgewogen.
Zum Schluß noch etwas zu den Kassetten: ich halte es für praktisch, zwei davon zu haben. Die 6x7 für Color-Negativfilm, von wegen Farbsättigung und allerletzte Schärfe, und für Schwarzweiß die 4,5x 6, auf die man mit 120er Film 16 Aufnahmen bringt! Und wenn Sie eines Tages Ihre ersten Aufnahmen mit der Mamiya RB 67 betrachten, werden Sie vielleicht, ebenso wie ich, erfreut ausrufen: "Mamma mia!"
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