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Alexander Borell über:

Alpa 11el

Denkt man an Kamera-Erzeugungsländer, so denkt man an Deutschland und selbstverständlich an Japan. Aber weniger an die Schweiz. Da erinnern wir uns an Fondue, an eidgenössische Korrektheit und technisch-handwerkliche Wertarbeit. Eingeweihte Fotonarren identifizieren Schweizer Wertarbeit sofort mit ALPA-Kameras, die in jeder Hinsicht dem Ruf ihrer Heimat gerecht werden und im internationalen Kamera-Reigen etwas ganz besonderes sind. Red.

Seit zwanzig Jahren weiß ich, daß es sie gibt, seit zwei Jahrzehnten geistert sie durch mein Bewußtsein, und ich hörte gelegentlich von ihr sprechen, wie Seeleute vom Fliegenden Holländer reden: ein wenig ungläubig und doch voller Ehrfurcht vor soviel Unsterblichkeit.
Vor einiger Zeit aber wollte ich es nun endlich mal wissen und bat die deutsche Vertretung dieses Schweizer Fabrikats, mir das neueste Modell zu schicken.
Seit ich sie habe, seit ich mit ihr fotografiere und seit ich sie auch zwischendurch mal immer wieder in die Hand nehme, überlege ich mir, was ich Ihnen über diese Kamera sagen soll: es ist der komplizierteste Bericht, den ich mir bisher zu schreiben vorgenommen habe, denn diese Kamera ist so einmalig - im wahrsten Sinne des Wortes - und so voller innerer Widersprüche, daß sie sich einfach nicht klassifizieren läßt. Vielleicht kommt man über die Details zu einem Gesamteindruck.
Bleischwer liegt sie mit ihren über 1000 Gramm in der Hand, aber sie faßt sich an, als wäre sie aus Gold, und jedes einzelne Teil scheint aus vollem Stahl herausgefräst.
Als nächstes schaut man bei einer Kamera durch den Sucher, und da weihnachtet es gar sehr: man hat für alle Möglichkeiten einer Entfernungsmessung gesorgt. Und deshalb sieht man: einen diagonalen Schnittbildspot, darum herum einen Microprismenring, der seinerseits wiederum von einer kreisförmigen Klarglaszone mit Strichen umgeben ist, damit man auf Luftbild und am Mikroskop einstellen kann, und schließlich besteht der Rest aus einer überaus fein mattierten Mattscheibe mit nochmals einem Fadenkreuz um die Mittelzone. Das alles stiftet anfangs ziemliche Verwirrung, bis man dahinter kommt, daß die Schwyzer damit gleich einen Vergleichsmaßstab mit eingebaut haben: was in den Schnittbildring paßt, wird auf dem Negativ 2,5 mm groß abgebildet, was in den Microring hineingeht 5 mm, der äußere Ring der Luftbildzone bedeutet 7,5 mm, und die Enden des Fadenkreuzes zeigen 12,5 mm an. Dazu brauchen andere Kamerafabrikanten mindestens fünf verschiedene Einstellscheiben.
Dann spannt man bekanntlich den Verschluß, und da sucht der Daumen vergeblich nach dem Schnellschalthebel: der sitzt nämlich vorn neben dem fest eingebauten Dachkantprisma. Man zieht ihn mit dem Zeigefinger nach hinten. Ein absolut neues Kameragefühl - aber man bolzt sich den Griff nicht in Stirn oder Auge.
Anschließend sucht Ihr Zeigefinger vergeblich den Auslöser wo man ihn üblicherweise findet, aber da ist er nicht. Er befindet sich rechts vorn neben dem Objektiv, etwa in der Art, wie es das früher bei der Exakta gab, nur eben rechts, und man löst nach einiger Zeit ganz von selber mit dem Mittelfinger aus, was auch prima funktioniert. Beim Auslösen spürt man den leichten Gegendruck der mechanischen Druckblende, die sich auf den eingestellten Wert schließt: sowas hat's bald nach Wilhelm Teil gegeben, und - es hat sich bis heute bewährt, denn kein noch so großes Sandkorn aus der Sahara kann dieses System lahmlegen. An einem ebenso mächtigen wie massiven Rad wird die Verschlußzeit üblicher Art von B bis zur 1/1000 sek. eingestellt, ebenso die ASA-Zahlen für die Belichtungsmessung. Von der sehen Sie aber zunächst im Sucher überhaupt nichts, denn zum Messen müssen Sie a) einen Riegel neben dem Auslösemechanismus zum Objektiv hin schieben, und b) den Auslöser auf Druckpunkt eindrücken. Dann ist das E-Werk eingeschaltet, und jetzt sehen Sie, ganz nach Belieben, unter dem Sucherbild oder oben auf der Kamera einen Pfeil aufleuchten, aber eigentlich sind es zwei Pfeile. Entweder leuchtet ein gelber nach links, dann drehen Sie den Blendenring nach links, die Blende schließt sich dabei. Oder es leuchtet ein roter Pfeil nach rechts, dann drehen Sie eben nach rechts und öffnen dabei die Blende. Wenn beide Pfeile zugleich leuchten, stimmt die Öffnung in Relation zur programmierten Belichtungszeit. Das ist wiederum enorm sinnfällig und deutlich, dem Konstrukteur muß das bei Yashica besonders gut gefallen haben. Damit findet man aber immer nur die absolute "Nullstellung", und wenn man bewußt etwas unter- oder überbelichten will, schaut man lieber auf den Blendenring, um wieviel man das tut, denn in der Kamera leuchtet dann ja nur immer der eine Pfeil. Das Ganze ist noch ein wenig komplizierter, weil der Einschaltriegel drei Stellungen hat: außen ganz ausgeschaltet, aber der Auslöser nicht blockiert. Für Serienaufnahmen, wie es in der Druckschrift heißt. In Mittelstellung wird gemessen und ausgelöst, und ganz eingeschoben wird nur gemessen, ohne daß man dabei aus Versehen auslösen kann. Ich bin fest davon überzeugt, daß es noch keinem anderen Kamerakonstrukteur gelungen ist, soviele Möglichkeiten auf so kleinem Raum in eine Kamera einzubauen.
Das Meßfenster auf der Kamera kann extra mittels Schieber abgedeckt werden, damit kein Störlicht einfällt. Überhaupt das Störlicht! Auch hier hat man weder Denken noch Aufwand gescheut, denn gemessen wird mit zwei Fotowiderständen, während ein dritter das etwa durch den Suchereinblick fallende Störlicht bei Brillenträgern kompensiert. Ehrlich, wie es nur Schweizer sein können, schreiben sie aber in der Anleitung, daß trotzdem etwas Störlicht einfallen kann. Dafür ist der Bereich dieses Meßwerks wiederum ungewöhnlich groß: von 3 bis 6.400 ASA. Natürlich fehlt auch der Selbstauslöser nicht, dessen Zahnräder dem Geräusch nach auch in hundert Jahren noch arbeiten.
Mit einem Riegel am Boden öffnet man die Kamera und hat die ganze Rückwand in der Hand, wie das früher bei Zeiss so üblich war. Und an dieser Rückwand offenbart sich die ganze Qualität dieser Kamera: Sie können sie ruhig als Bremsklotz auf der Glocknerstraße hinter ein Rad Ihres Wagens legen, das schadet ihr bestimmt nicht. Schlitzverschluß und Spiegelklappen sind konventionell, aber seidenweich und leise wie die Tür eines Rolls.
Zum Rückspulen ziehen Sie am Rückspulknopf. Der kommt Ihnen weit entgegen und wird zu einer handlichen Kurbel, die man auch mit Fäustlingen bedienen kann. Einen Sucherschuh oder ähnlichen Firlefanz gibt es bei der ALPA nur als Sonderzubehör: Sie stecken Ihr Blitzkabel entweder in die X- oder in die M-Buchse. Ihren kleinen Computerblitz befestigen Sie am besten mit einer Eisenbahnschiene am Kameraboden. Die Synchronisation arbeitet mit der bewährten 1/60 sek.
Die Möglichkeit, den Spiegel vor der Aufnahme hochzuklappen, wurde natürlich auch nicht vergessen. Ober die Objektive zur ALPA heißt es wörtlich: Kern, Kinoptik, Angeunieux, Schneider, Zoomar, Zeiss usw. Ein geradezu klassisches Angebot von 24 bis 600 Millimeter für Individualisten. Ich fotografierte mit dem Kern-Macro-Switar 1,9/50. Allein schon wegen dieses Objektivs sollte man sich eine ALPA leisten: einstellbar von unendlich bis 1: 3 arbeitet es mit einer Schärfe und Brillanz, nach der sich manche andere Hersteller mit Rang und Namen die Finger lecken würden. Köstlich verspielt und doch deutlicher als alles andere: die kleinen Punkte, die als Signal für die Schärfentiefe je nach Blendenstellung sichtbar werden. Etwas verschroben, aber ganz zu dieser ALPA passend, die viel zu kurze Blendenskala, bei der Zwischenwerte ab Blende 8 kaum noch einzustellen sind: entweder rutscht man in die Kerbe für Blende 8 oder in die für 11 der Zwischenraum ist zu klein, und wenn Sie gar die zwei Leuchtpfeile zwischen 11 und 16 zum gleichzeitigen Aufleuchten bringen wollen, können Sie sich damit über eine Zigarettenlänge hinweg amüsieren.
Darüber hinaus gibt es zu dieser ALPA einfach alles: acht Mattscheiben, Adapter für noch mehr Objektive, Zwischenringe mit und ohne Automatik, Balgengeräte in diversen Ausführungen, einen Elektromotor, der, ähnlich wie Gepäck auf dem Autodach, über der Kamera angebracht wird, ein 30 m Magazin, Fußschalter, Timer, Fernauslöser, Sucherlupen und Winkelsucher . . . einfach alles. Nur den Ortssender können Sie mit einer ALPA noch nicht empfangen.
Also - was soll man nun über die ALPA abschließend sagen? Ist sie eine Kamera für Snobs, die bereit sind, knapp zwo Mille dafür auszugeben? Ganz gewiß, denn was ist gegen den sauber gravierten Namen ALPA schon Nikon, Canon oder Leitz - das sind doch ordinäre Profiwerkzeuge, nicht wahr?
Eine Kamera für Qualitätsfanatiker? Ganz gewiß, denn ich wage es für ausgeschlossen zu halten, daß es noch eine zweite Kamera von so hoher technischer Qualität gibt.
Eine Kamera für Individualisten? Ganz gewiß, denn Individualisten nehmen gern kleine Unbequemlichkeiten in Kauf wie Herren, die heute einen Bentley fahren. Manche Leute denken praktisch und überlegen sich, was sie bekommen, wenn sie eine Kamera mal wieder verkaufen wollen. Wer sich eine ALPA kauft, denkt an alles, nur nicht daran, sie jemals wieder herzugeben. Sie ist wie ein guter Freund: manchmal ein wenig unbequem, aber ein Leben lang verläßlich. Eine ALPA wird man lieben, nicht weil sie so nüchtern, praktisch und funktionell ist, sondern weil man die Liebe überall spürt, mit der sie gemacht wird, Und gerade das kann man heute von unseren anderen Kameras kaum noch behaupten.

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