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Prüfstandtest

Test-Stenogramm

Tessar contra Tessar

Vorbemerkung: Der Rollei 35 kann man auch heute noch nicht nachsagen, daß sie unaktuell ist. Inzwischen wird nicht nur die Kamera in Singapore gefertigt. Auch Objektiv und Verschluß kommen aus der Rollei Optical, Singapore. Man erkennt das äußerlich an der Gravur auf dem Objektivring: "made by Rollei". Aufgabe dieses Teststenogrammes ist, zu untersuchen, ob Unterschiede, bezüglich der Abbildungsqualität, zwischen dem Tessar "made by Carl Zeiss" und dem Tessar "made by Rollei" bestehen. Dies festzustellen liegt im Interesse aller, die mit dem Gedanken spielen, sich eventuell eine Rollei 35 zu kaufen.

Ich habe mir diesen Test ausgesucht und die Prüflinge besonders hart hergenommen, weil er, aus der Situation von Rollei gesehen, sich geradezu anbietet und weil Rollei-Boss Peesel jedem Journalisten, der in der Lage ist, einen Unterschied zuungunsten der Rollei-Fertigung in Singapore nachzuweisen, einen namhaften Geldbetrag versprochen hatte.

1. Beurteilung der technischen Eigenschaften

Tessare, einst "Adlerauge der Fotografie" genannt, haben einen wesentlichen Beitrag zur Weltgeltung der deutschen Optik geliefert. Das Carl Zeiss Tessar zählt daher auch heute noch zu den populärsten 4-Iinsigen Objektiven. Dieser "Oldtimer" der Kameraoptik scheint nahezu "unverwüstlich" zu sein. Carl Zeiss fand stets Möglichkeiten, dieses Objektiv durch Um- und Neurechnung den unterschiedlichsten Aufgaben und Wünschen der Kameraindustrie anzupassen.
Bereits die ersten Rolleiflex-Kameras (6x6 cm) waren mit einem Carl Zeiss Tessar 1:4,5/ 75 mm ausgerüstet. Auch heute verwendet Rollei dieses Objektiv in der Variation 1: 3,5/75 mm für die Rolleiflex T. Es lag daher sehr nahe, die damalige Neuentwicklung der Rollei-Werke, die Rollei 35, mit einem Tessar auszustatten. Wegen der Kleinheit der Kamera mußte dieses Tessar bei einer Öffnung von 1: 3,5 auf die Brennweite 40 mm umgerechnet werden. Auch das gelang. Trotz dieser offensichtlichen "Vergewaltigung` des optischen Systems entstand ein Tessar, dessen optische Leistung so gut war, daß die kleine Rollei 35 in ihrer Abbildungsqualität selbst sehr hohen Ansprüchen genügen konnte.
Carl Zeiss Tessar 1:3,5/40 mm und Rollei 35 lieferten den Beweis, daß man für eine ausgezeichnete Bildqualität selbst bei extremen Vergrößerungsmaßstäben nicht unbedingt eine große "Kleinbildkamera` braucht. Allein diese Tatsache dürfte ein wichtiger Grund für die Popularität der kleinen Rollei 35 sein. Ein gutes Tessar zu machen, ist gar nicht so einfach. Wenn es auch "nur" 4 Linsen hat, so ist es doch kritisch in der Herstellung. Das Tessar stellt hohe Anforderungen an die Genauigkeit der Fertigung. Carl Zeiss hat Rollei nicht nur die Lizenz für die Herstellung des Tessars gegeben, Carl Zeiss hat auch tatkräftig mitgewirkt, die Objektivfertigung bei Rollei Optical in Singapore aufzubauen. Die bei Rollei hergestellten Tessare werden somit nach den Vorschriften von Carl Zeiss gefertigt und geprüft. Das allein ist aber noch kein Freibrief für Qualität. Denn Prüftoleranzen lassen sich so oder so auslegen.
Ich war also sehr gespannt, ob und wie das Tessar "made by Rollei" von dem Tessar "made by Carl Zeiss" in seiner optischen Leistung abweichen würde. Um zu einem möglichst genauen, von Zufälligkeiten unabhängigen Ergebnis zu kommen, habe ich folgendes gemacht: Das getestete Carl Zeiss Tessar Nr. 4323697 ist ein Objektiv, das sich in meiner eigenen Rollei 35 befindet und das ich mir ausgesucht hatte. Es ist also gut. Die Kamera Nr. 3331859 mit dem Tessar "made by Rollei" (diese Objektive haben keine eigene Nummer mehr, weil Kamera und Objektiv gemeinsam von einem Hersteller gefertigt werden) habe ich mir wahllos aus dem Regal des Kameralagers bei Rollei in Braunschweig gegriffen.
Das vorweggenommene Ergebnis zeigt, daß beide Objektive nur unwesentlich und nur in meßtechnischer Beziehung voneinander abweichen. Im praktischen Gebrauch sind sie beide absolut gleich gut. Die Definition "gut` bedeutet hier etwas Bestimmtes. Das Tessar ist für den Fachmann immer wieder der Beweis, daß der Begriff "Bildschärfe" ein Relativum ist. Der Bildkontrast spielt eine wichtige Rolle dabei, ob das menschliche Auge ein Bild scharf oder unscharf findet. Das Tessar liefert Bilder von hohem Kontrast. Es ist also ein Objektiv, das infolge dieser Eigenschaft in der Lage ist, relativ feine Bilddetails gut kontrastiert von ihrer Nachbarschaft abzubilden. In dieser Beziehung gehört es zu den sehr guten optischen Systemen. In Bezug auf optimale Korrektur aller Bildfehler und in Bezug auf die realisierbare, größte Öffnung gehört es zu den guten optischen Systemen, nicht aber zu den besten. Wozu gäbe es sonst Hochleistungsobjektive mit 6 und mehr Linsen und einem Preis, der mehr als doppelt so hoch ist, wie der der ganzen Rollei 35.
Das soll uns aber alles nicht "kratzen". In der Praxis, und nur darum geht es im Endeffekt, muß man schon extrem hohe Anforderungen stellen, um den Unterschied zwischen einem guten Tessar und einem Hochleistungsobjektiv, beispielsweise vom Gauß-Typ, feststellen zu können.

2. Beurteilung der Handhabung

Die Handhabung dieser Objektive ist die Handhabung der Rollei 35. Sie steht hier nicht zur Debatte. Einige Punkte, die ebenfalls unter den Begriff "Handhabung" fallen, müssen aber doch gesagt werden:
Mit seinen 40 mm Brennweite und seiner relativen Öffnung von 1: 3,5 ist das Tessar der Rollei 35 nicht kritisch in Bezug auf die Einstellung der Entfernung. Es hat, normale Aufnahmeentfernung vorausgesetzt, auch bei voller Öffnung einen günstigen Schärfentiefenbereich. Infolge seiner relativ kurzen Brennweite hat es einen großen Bildwinkel (ca. 56xGRADx). Es ist praktisch bereits ein Weitwinkelobjektiv. Das hat zur Folge, daß man z. B. bei Aufnahmen einzelner Personen gerne im Bereich zwischen 1,5 und 3 Meter fotografiert. Will man in diesem "Nahbereich" die ganze Leistung des Objektives auf den Film bringen (und das vielleicht auch noch bei Blende 3,5), muß man schon recht genau die Entfernung schätzen können. Man kann sich daran gewöhnen. Mit einem Entfernungsmesser ginge es besser.

3. Beurteilung der meßtechnischen Prüfung 

1. Prüfung der Justage der Objektive auf unendlich Messung im Kollimator bei eingelegtem Film (Messung auf die tatsächliche Filmebene). Carl Zeiss Tessar: Objektiv ist genau auf unendlich justiert. Tessar "made by Rollei": Objektiv ist genau auf unendlich justiert. 
2. Prüfung auf Übereinstimmung der 1 m Gravur mit der tatsächlichen Einstellung auf 1 m. Carl Zeiss Tessar: + 1 mm Abweichung (am Umfang des Einstellringes gemessen). Tessar "made by Rollei": + 1,5 mm Abweichung. Die Abweichung von der Einstellmarke ist normal. Das Ergebnis ist in Ordnung.
Aufnahme des Testbildes (Abbildungsgröße auf dem Negativ: 2 mm Durchmesser) in Bildmitte, 1/3, 2/3 und Bildrand (Kollimator auf unendlich). Auswertung und Kontrolle mittels Meßmikroskop:
Tessar "made by Rollei": Blende 3,5. Mitte gut, leichter Abfall zum Rand hin. Bewertung: gut. Carl Zeiss Tessar: Blende 3,5. Gleiches Ergebnis. Bewertung: gut.
Tessar "made by Rollei": Blende 8. Mitte sehr gut, Leistungsabfall zum Rand kaum feststellbar. Bewertung: sehr gut.
Carl Zeiss Tessar: gleiches Ergebnis. Bewertung: sehr gut.
Die meßtechnischen Unterschiede beider Objektive sind so gering, daß sie praktisch innerhalb der bei der Auswertung möglichen Fehlerquellen liegen.
Reflexmessung: Beide Objektive zeigen keine fotografierbaren Reflexe. Sie sind daher praktisch reflexfrei.
Praktische Aufnahmen: Mit beiden Objektiven wurden jeweils mit Blende 3,5 und 8 Aufnahmen gemacht. Als Motiv für den Nahbereich diente die Testwand, für den Unendlichbereich ein entsprechendes Aufnahmemotiv. In beiden Fällen wurde vollständige Übereinstimmung der Ergebnisse erzielt.
Fazit der meßtechnischen Prüfung: Beide Tessare sind sowohl meßtechnisch als auch in der Aufnahmepraxis gleich. Die Ergebnisse liegen, gemessen an vergleichbaren Objektiven dieser Bauweise, über dem Durchschnitt. Für 4-linsige Objektive dieser Bauweise kann das Ergebnis als sehr gut bezeichnet werden.

4. Gesamtbeurteilung

Aus den ausführlichen Schilderungen der durchgeführten Messungen und Prüfungen geht bereits hervor, daß ich den beiden Prüflingen nichts geschenkt habe. Wenn man weiter bedenkt, daß es sich bei dem Carl Zeiss Tessar um ein ausgesuchtes Exemplar handelt, kann ich den Rollei-Leuten die absolute Einhaltung der hohen Zeiss-Tessar-Qualität bescheinigen. Etwas unterschiedliche Dichte der Negative ließen in mir den Gedanken an eine unterschiedliche Lichtdurchlässigkeit beider Objektive aufkommen (die Negative der Kamera mit dem Carl Zeiss Tessar zeigten eine geringfügig höhere Dichte). Eine Verschlußzeitenmessung beider Kameras aber zerstreuten diesen Verdacht. Die ältere Kamera mit dem Zeiss Tessar, durch die bei mir schon etliche Filme gewandert sind, lag in den Verschlußzeiten etwas länger als die neue Kamera. Während die Verschlußzeiten der neuen Kamera aus Singapore stimmten, lagen die der älteren Kamera bei etwa 10% im Plus. Eine weitere Kontrollmessung ergab dann auch gleiche Lichtdurchlässigkeit für beide Objektive. Wer sich demnächst eine Rollei 35 kaufen will, kann sicher sein, mit ihr ein Tessar zu kaufen, das, gefertigt bei Rollei in Singapore, absolut dem Carl Zeiss Tessar ebenbürtig ist.

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