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Prüfstandtest
Test-Stenogramm
Polaroid SX70
1. Beurteilung der technischen Eigenschaften
Die Polaroid SX 70 ist ein "Unikum" und eine technische "Sensation" zugleich. Sensationell ist sie aus drei Gründen:
1. Sie ist die erste Kamera, bei der praktisch alle Funktionen durch einen elektronischen Rechner bestimmt werden.
2. Sie ist eine Spiegelreflexkamera mit vollkommen unkonventionellem Aufbau und Naheinstellmöglichkeit auf ca. 30 cm.
3. Sie verwendet einen Sofortbildfilm mit vollkommen neuen Eigenschaften.
Elektronische Funktionen: Drückt man auf den Auslöser der SX 70, betätigt man einen Schalter, der der Kameraelektronik den Startbefehl gibt. Von nun an laufen alle Funktionen automatisch ab. Zunächst wird der Verschluß geschlossen. Dann klappt der Spiegel nach oben in Aufnahmestellung. Der Verschluß belichtet das Bild. Ein Elektromotor transportiert das belichtete Bild durch die Entwicklerwalzen aus der Kamera heraus. Der Spiegel wandert wieder nach unten in die Sucherstellung. Der Verschluß öffnet sich wieder.
Spiegel: Die Kamera hat drei Spiegel. Ein Spiegel sitzt fest an der schrägen Rückwand der aufgeklappten Kamera (man betrachte beim Lesen dieses Abschnittes die Abbildung, in die ich die Funktionen eingezeichnet habe). Die beiden anderen Spiegel sitzen auf einer elektrisch gesteuerten "Klappe". Unter der Klappe sitzt der Aufnahmespiegel, auf der Oberseite der Klappe sitzt ein, mit einer Fresnellinse belegter Spiegel, der Sucherspiegel. Ist die Klappe unten, verdeckt sie lichtdicht das Aufnahmematerial. Das vom Objektiv entworfene Bild fällt über den feststehenden Spiegel an der Rückwand auf den Fresnel-Spiegel. Hier entsteht das reale Sucherbild, das über Hohlspiegel und Okularlinse betrachtet wird. Da das Sucherbild auf dem Fresnel-Spiegel 8 x 8 cm groß ist, ist es sehr hell, und die Bildschärfe läßt sich hervorragend einstellen.
Verschluß: Er besteht aus zwei Verschlußblättern, die Öffnungen für die Belichtung des Filmes durch das Objektiv und für die Belichtung der Silizium-Zelle zur Belichtungsmessung enthalten. Die beiden Blätter laufen qegensinniq und geben daher die Öffnungen zunächst teilweise, später ganz frei. Die Blätter werden über eine Federmechanik direkt von einem Elektromagnet gesteuert, der seine Befehle von dem elektronischen Prozeßrechner erhält. Sobald sich der Verschluß zu öffnen beginnt, erhält auch die Silizium-Zelle Licht. Sie meldet diesen Lichteindruck als elektrisches Signal dem Rechner. Der vergleicht mit dem Sollwert. Sobald die Lichtmenge zur korrekten Belichtung ausreicht, schaltet der Rechner den Verschlußmagnet stromlos. Die in dem mechanischen Bindeglied gespeicherte Federkraft schließt den Verschluß sofort wieder. Wenn viel Licht vorhanden ist, erfolgt der Schließbefehl bevor der Verschluß Zeit hatte, sich ganz zu öffnen. Durch die besondere Form der Verschlußöffnung bildet sich ein mehr oder weniger kleiner Blendenwert. Beim Blitzen ist es anders. Die Silizium-Zelle wird durch Einstecken der sogenannten "Flash Bar", einem stabförmigen Gebilde mit 10 elektrisch zündbaren Blitzbirnchen abgeschaltet. Der Verschluß belichtet konstant mit 1/40 sek. Die Verschlußöffnung (Blende, abhängig von der Blitzleitzahl und Entfernung) wird ebenfalls elektronisch über einen zweiten Elektromagneten mit der Entfernungseinstellung gekoppelt. Die richtige Blitzbelichtung erfolgt also in der eingestellten Entfernungsebene.
Bei normalen Aufnahmen kann der Verschluß zwischen 1/180 sek. und ca. 30 Sekunden automatisch belichten. Außer der Entfernung kann man nur die Lichtmenge, die auf die Siliziumzelle fällt, durch eine verstellbare Blende vor dieser Zelle beeinflussen. Je nach Stellung dieser Blende werden die Bilder generell heller oder dunkler - eine Korrektur, die kaum erforderlich ist.
Film: Der Filmpack enthält 10 Aufnahmefilme und die Batterie für den Betrieb der Kamera. Mit jedem neuen Filmpack setzt man automatisch eine neue Batterie ein. Wenn das einzelne Bild (8x8 cm groß) automatisch ausgestoßen wird und die vom Polaroid-System her bekannten Entwicklerwalzen durchläuft, bildet sich auf der Oberseite des Bildes eine graue, lichtundurchlässige Schicht. Die fortschreitende Entwicklung baut diese Schicht allmählich ab, das Bild steigt quasi an die Oberfläche. Dieser Vorgang dauert mindestens 20 Minuten. Nach dieser Zeit hat man ein brillantes, ziemlich farbrichtiges (hängt vom Aufnahmelicht und von der Entwicklungstemperatur ab) und relativ scharfes Color-Bild. Natürlich erscheinen die ersten Bildspuren viel schneller, aber nach meiner Erfahrung braucht das Bild mindestens 20 Minuten, um sich in voller "Pracht" darzubieten.
2. Beurteilung der Handhabung
Zusammengeklappt hat man ein flaches "Kästchen" von den Abmessungen einer Zigarillokiste.
Zur Not paßt es noch in eine größere Jackentasche. Durch Ziehen an dem Sucheraufsatz faltet sich die Kamera auseinander und arretiert in Aufnahmestellung. Da man kräftig ziehen muß, erfüllte mich dieser Vorgang anfangs mit einiger Besorgnis, doch habe ich bald herausbekommen, daß kein Grund für solche Besorgnis vorhanden ist: Bisher jedenfalls konnte ich nichts verbiegen.
Infolge des "ulkigen", aber qenialen Strahlenganges, sieht das Ganze, auch aufgeklappt, nicht unbedingt nach einer herkömmlichen Kamera aus.
Das Halten der Kamera muß man zunächst lernen. Man darf mit keinem Finger 1. den seitlichen Gummibalgen und 2. die Bildauswurfsöffnung berühren. Im ersteren Fall kann der Spiegel nicht funktionieren, im zweiten Fall hemmt man das Bild und macht es kaputt. Zunächst erschrickt man fürchterlich, wenn man das Filmpack vorschriftsmäßig in die Kamera geschoben hat und diese wieder verschließt. im gleichen Augenblick beginnt der Motor zu surren und schiebt das Deckblatt, das den Film vor Licht geschützt hat, heraus. Ebenso bekommt man zunächst immer wieder einen Schrecken, wenn gleich nach der Aufnahme mit vernehmlichen Surren das Bild ausgeschoben wird. Daran gewöhnt man sich bald. Einzustellen hat man nur die Entfernung, und das ist wahrlich ein reines Vergnügen. Das große, helle Sucherbild läßt sich, auch wenn man zwei "linke" Augen hat, mühelos scharf stellen. Für ganz Genaue ist auch noch ein Schnittbildindikator vorhanden. Allerdings sitzt er, wiederum Folge des "ulkigen" Strahlenganges, nicht in der Mitte des Bildes. Besonders aber verdient die Möglichkeit herausgestellt zu werden, bis auf ca. 30 cm einstellen und messen zu können. Mit der SX 70 kann man also auch ein "Blümchen" nahezu formatfüllend aufnehmen.
3. Beurteilung der meßtechnischen Prüfung
Ablauf der elektrischen Funktionen: Die Batterie hat 6 Volt Spannung. Sie kann ausreichend Strom abgeben. Nach Belichtung eines Filmpacks ist sie nicht verbraucht. Man kann sie noch zu allerhand benutzen. Mein Sohn läßt seine Eisenbahn mit diesen Batterien fahren (Bild). Die elektrischen Funktionen habe ich im Dauerversuch überprüft. Elektronik und Elektrik haben keinerlei Fehlergebnisse gezeigt.
Objektiv: Es ist ein 4-Linser mit einer relativen Öffnung von 1:8 und einer Brennweite von 116 mm. Es ist in seiner Leistung auf den Film abgestimmt, der ja auch kein so besonders hohes Auflösungsvermögen hat. Leichte Randunschärfe wird auf dem Bild nicht bemerkt. Von ihm Kennlinien anzufertigen ist sinnlos, da ja ein anderer Film in der Kamera nicht benutzt werden kann. Ich gebe ihm die Note "gut" für diese spezielle Kamera und den verwendeten Film.
4. Gesamtbeurteilung
Auf den Test der SX 70 habe ich mich besonders gefreut, weil die Kamera so herrlich unkonventionell ist. Natürlich ist sie keine Kamera für den Profi und auch keine für den ernsthaften Amateur. Für denjenigen aber, der unbeschwert Farbbilder machen möchte, der Freude am Sofortbild hat, der auch Töchterchen, Söhnchen oder Mutti genauso an die Kamera heranlassen möchte wie die eventuelle Freundin, für den, der im Urlaub problemlos Bildchen machen will und dabei eine Freude an nahaufgenommenen, kleinen Dingen hat, für den ist sie eine gute Sache.
Wie viele Menschen mögen einfach deshalb nicht fotografieren, weil sie Angst vor dem "Ding" Kamera haben, weil sie auf die Ergebnisse einfach nicht warten wollen. Vielen ist der Gang zum Fotohändler, um den belichteten Film abzugeben, bereits ein Grund, keine Kamera zu besitzen.
Was ich an ihr besonders schätze: Sie verursacht keine "Umweltverschmutzung" mehr. Bei den anderen Polaroid-Verfahren gibt es immer eine Unmenge Papierabfall, zum Teil benetzt mit ätzender Entwicklerpaste. Bei der SX 70 gibt es nur eine leere Filmpackkassette mit einer (noch verwendbaren) Batterie. Die Sache mit dieser Batterie kann man natürlich als Verschwendung ansehen. Polaroid aber wollte bei einer so auf Batterieenergie angewiesenen Kamera einfach sichergehen. Man wollte eben alle Gefahrenpunkte, die den Benutzer verärgern könnten, eliminieren.
Wenn Sie eine SX 70 haben, fotografieren Sie mal Bekannte, die Sie zufällig treffen. Entschuldigen Sie sich nachher für das nichts gewordene (da noch graue) Bild, raten Sie ihnen aber, es aufzubewahren. Ich wette, Sie haben eine halbe Stunde später einen aufgeregten Telefonanruf, denn inzwischen ist das Bild ja fertig ausentwickelt und zeigt sich in voller Farbenpracht.
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