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2009
AUS DER FRÜHZEIT EINER KAMERA
Anläßlich des in diesem Monat in Wetzlar gefeierten Jubiläums sei es gestattet, eines Mannes zu gedenken, dessen Schöpfung, die „Leica", für die Entwicklung der Fotografie weit über den Rahmen einer einzelnen Firma hinaus Bedeutung hat. Oscar Barnack hieß der Konstrukteur der Leica. Sein Sohn spricht Worte der Erinnerung.
Man schrieb das Jahr 1849, als Julius Kellner in seinem Haus an Kohlhauers Treppchen in Wetzlar ein optisches Institut gründete, das von seinem Mitarbeiter Ernst Leitz d. Ä. einige Jahre später übernommen und erweitert wurde. So blickt Wetzlar in diesem Jahr auf ein hundertjähriges Bestehen seiner optischen Industrie zurück, und im Gesamtbild dieses seltenen Ereignisses sehen wir die historischen Entwicklungsdaten der Leica als Marksteine, die sich mit interessanter Periodizität in die hundertjährige Werks-Chronik des Hauses Leitz einreihen.
Vor 70 Jahren wurde Oscar Barnack, der Schöpfer der Leica, geboren. Vor 55 Jahren kam er, eigentlich gegen seinen Willen, zu einem Mechanikermeister in Berlin in die Lehre. Vor 45 Jahren hatte er erstmalig die Idee, eine Kleinkamera zu hauen. Vor 35 Jahren war sein erstes Modell, die „Ur-Leica" fertig. Vor 25 Jahren brachte Leitz die Leica auf den Markt und leitete damit eine umstürzende Wendung in der gesamten Fotografie ein.
Es war im Jahre 1914, als das erste Bastelmodell der späteren Leica in der Hand meines Vaters schon sehr beachtliche Resultate lieferte. Entstanden aus dem Bedürfnis, „etwas Kleineres", Handlicheres zu bauen, hatte diese „Ur-Leica" die alte 13/18-Platten-Apparatur meines Vaters abgelöst. Seine körperliche Konstitution sowie ein unangenehmes Asthmaleiden erforderten eine gewisse Rücksichtnahme, und so baute er sich nach mancherlei Versuchen eine Kleinkamera für perforierten Kinofilm, die er bequem in der Tasche mit herumtragen konnte. Sie hatte bereits das Format 24/36 mm und die zwangsläufige Kuppelung zwischen Filmtransport und Schlitzverschluß.
Die Firma Leitz, in die mein Vater 1911 als Leiter der Versuchsabteilung eingetreten war, befaßte sich bekanntlich mit der Fabrikation von optischen Präzisionsinstrumenten für die Naturwissenschaften.
Es kamen der Weltbrand 1914/18 und die bekannten Nachkriegserscheinungen. Als man in den Depressionsjahren 1922/23 bei Leitz Ausschau hielt nach neuen Produktionsmöglichkeiten, erinnerte sich der Chef des Hauses, Herr Dr. Ernst Leitz, der kleinen Kamera meines Vaters, die man inzwischen schon als beinahe produktionsreif ansehen konnte. Sie hatte den verdeckt aufziehbaren, in der Schlitzbreite verstellbaren Rouleauverschluß und Tageslichtkassetten.
Rein mechanisch war also die Leica bereit, in die Fabrikation zu gehen, doch fehlte noch das geeignete Objektiv. Da fand mein Vater in Prof. Dr. Max Berek, dem wissenschaftlichen Leiter des Leitz-Werkes, den Mann, der ein Objektiv errechnete, das auf Grund seiner hervorragenden Qualität der Kamera den Weg zum Erfolg erst ermöglichte. Die ersten Leicas waren mit einem Elmax 5 cm, f: 3,5 ausgerüstet, und kurz darauf kam an dessen Stelle das Elmar 5 cm f: 3,5.
So stand man nun bei Leitz vor der entscheidungsschweren Frage der Serien-Produktion dieser Kleinbild-Kamera - angesichts einer Reihe düster klingender Prophezeiungen. In einer denkwürdigen Sitzung wurde im Leitz-Werk das Für und Wider in stundenlanger Debatte behandelt. Der Druck schwerer Verantwortung lastete auf der Versammlung. Es mußten ganz erhebliche Mittel eingesetzt werden. Schließlich entschied Dr. Leitz kurzerhand: „Die Kamera wird gebaut." Und sie ward gebaut.
Die ersten Kameras gingen auf den Markt und wurden, wie nicht anders zu erwarten war, mit großer Skepsis aufgenommen. Mitleidig lächelte die Fachwelt. „Davon werden Sie, wenn Sie Glück haben, vielleicht zehn Stück im Jahr verkaufen, an Kuriositätenhändler", hörte Leitz von Leuten sagen, deren Urteil eigentlich etwas galt. „Eine Spielerei", taten andere die Sache ab. „Lächerlich - ein Negativ gerade doppelt so groß wie eine Briefmarke - unwürdig eines ernsten Amateurs." Besorgt hat man bei Leitz in jenen Tagen den Beginn dieses Wagnisses verfolgt.
Als dann aber die ersten Leica-Aufnahmen in der Öffentlichkeit gezeigt wurden, begann man in photographischen Kreisen aufzuhorchen, wenn der Name „Leica" genannt wurde. Die Absatzziffern stiegen in auffallend gleichmäßiger Kurve, und das
Wagnis schien geglückt. Die Photo-Prominenz fing an, sich mit der Leica zu befassen, jedoch nicht, ohne auf Reisen „für alle Fälle" noch eine Großformat-Kamera mitzunehmen.
Im Zusammenhang mit dem Aufstieg der Kleinbild-Fotografie ist das besondere Verdienst der Filmfabriken Perutz und Agfa zu erwähnen, die durch ihr erfolgreiches Bestreben, ein verbessertes Negativ-Material zu schaffen, den Siegeszug beschleunigten.
Mit dem Erfolg stiegen die Ansprüche, und in den weiteren Jahren wurde die Leica den verschiedensten Bedürfnissen der Fotografie immer mehr angepaßt. 1930 kamen bereits die ersten drei auswechselbaren Zusatzobjektive, 1931 zwei weitere, 1932 das Leica-Modell II mit eingebautem gekuppeltem Entfernungsmesser, 1933 die Leica III mit langen Momentgeschwindigkeiten, und so folgten weitere Modelle und Hilfsmittel.
Nicht nur im Werk, sondern auch in seinen freien Stunden zu Hause hat mein Vater oft über seinen Konstruktionen gesessen und gegrübelt. Dabei beschränkte sich jedoch seine angeborene Freude am Konstruieren und am Basteln nicht nur auf die Leica. Sogar eine automatische „Wasserkippanlage" haute er am Zaun zum Hühnerstall, die den räubernden Nachbarhund triefend das Weite suchen ließ.
Im Jahre 1935 wurde sein an sich schon labiler Gesundheitszustand bedenklicher. Bis zu seinem Lebensende hat er dennoch an der Vervollkommnung des Leica-Verfahrens gearbeitet. Manche Konstruktion, die er noch zu vollenden gedachte, lag in seiner Schublade, als im Jahre 1936 - er war 57 Jahre alt - der Tod ihm den Schraubenzieher aus der Hand nahm.
Über 475 000 Leicas haben das Werk verlassen und sind hinausgegangen in die Welt. Dem heute 78jährigen Seniorchef aber, Herrn Dr. Ernst Leitz, der vor 25 Jahren die entscheidenden Worte sprach: „Die Kamera wird gebaut", gebührt der Ruhm einer Pioniertat allerersten Ranges.
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