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Artikel

2009

BERICHT AUS BUENOS AIRES

Wenn das PHOTO-MAGAZIN monatlich nach seiner Luftreise über den Atlantik bei uns in Buenos Aires landet, greifen viele Hände - man möchte lieber sagen: viele Herzen - erwartungsvoll nach ihm. Es wandert von Haus zu Haus in unserem großen Kreis von Geschäfts- und Fachfreunden, und es ist uns allen ein beredter Spiegel dessen, was kulturell und industriell Schöpferisches und technisch Hervorragendes in unserer deutschen Heimat und darüber hinaus in Europa heute wieder geleistet wird. Allgemein wird dieser Entwicklung uneingeschränkte Anerkennung, ja Bewunderung, gezollt. Unsere deutschen Landsleute dürfen berechtigterweise stolz darauf sein. Was uns stets mit großer Freude und Hochachtung erfüllt, ist die Tatsache, daß sich das schöpferische Moment in der Fotografie trotz oder gerade wegen der schweren Zeitläufe immer mehr zu einer verinnerlichten, geistig-künstlerischen Ausdrucksform erhebt und steigert, die Anregung wie Vorbild für das Wirken anderer Länder sein kann.

Ganz besonders springt dem Leser des PHOTOMAGAZIN in Argentinien das friedensmäßige Angebot der Photoindustrie auf dem deutschen Markt als Hauptmerkmal ins Auge. Qualität und Präzision der deutschen Photoartikel sind in Argentinien seit je geschätzt. Während drüben die Materialsorgen in erstaunlich kurzer Zeit dank der ungebrochenen Initiative überwunden werden konnten, bleiben nämlich die Auswirkungen der wirtschaftlichen Nachkriegswirren in Argentinien noch empfindlich spürbar. Die Lage auf dem photographischen Sektor gleicht in Argentinien der deutschen vor der Währungsreform. Die Zeiten, da eine 8- bis 10-to-Schiffsladung lichtempfindlichen Materials etwa gerade den Tagesbedarf der Amateur- und Berufsphotographen der Hauptstadt Buenos Aires zu decken vermochte (und auch tatsächlich eingeführt wurde), sind geschwunden. Der Bedarf besteht zwar nach wie vor unvermindert fort, wenn er nicht gar noch gestiegen 'st, allein der Dollar-Mangel zwingt, an erster Stelle den unmittelbar lebenswichtigeren Röntgenfilm im Vorrang zu importieren, Kameras und sonstiges Photomaterial dagegen stehen gegenwärtig noch als „Luxus-Artikel" hintan. Dennoch ist die Amateurfotografie in beinahe stärkeren' Maße als in Deutschland vertreten. Der Argentinier, von unmittelbarem Kriegserleben, Not und Flüchtlingselend anbetroffen, liebt das leichte Leben, die Feste, sein Wochenende im Tigre Delta, am Rio de la Plata. Er ist ein Freund. großer Sportveranstaltungen; das Klima erfordert jährlich einen mindestens 4-wöchigen Erholungsaufenthalt in den Bergen oder an der See, und wo wäre mehr Anreiz und Gelegenheit zum Fotografieren als bei jenen Anlässen! Zwei bis acht Filme mit 40 bis 100 Kopien oder Vergrößerungen pro Woche sind für den Durchschnittsamateur in der Saison normal. Er erhält seinen Rollfilm, für den er 4-4,5Peso zahlt, wie bei uns ehedem mehr oder weniger unter dem Ladentisch, aber er bekommt ihn noch! Man kennt die Quellen dieses zufließenden Stromes nicht und macht sich auch keine Gedanken darüber. Der Leica-Film wird für 8,40 Peso verkauft, der Color-Film, wenn man einen auftreibt, wird offiziell zu 48,00 Peso gehandelt, der Schwarzmarktpreis dürfte weitaus höher liegen. Die Kontakt-Kopie wird mit 0,50-0,60, die Vergrößerung 6 X 9 mit 0,60 und 0,70 Peso berechnet. (Bei den Schiffahrtslinien wird die DM mit 165 Peso für 100 DM gewechselt, an der Börse wird sie noch nicht notiert, auf dem Schwarzmarkt steht sie bei etwa 350 Peso für 100 DM.) Viele Kopieranstalten sind infolge des gestoppten Imports dazu übergegangen, je Negativ nur noch eine Kopie oder Vergrößerung anzunehmen. Nach authentischen Mitteilungen der Geschäftsführungen haben die Gevaert-Niederlassungen, die Kodak-Argentina, Ansco u. a. seit vielen Monaten keine Importmöglichkeiten mehr, so daß die Lagerbestände angegriffen und langsam aufgebraucht sind. Mit England, Frankreich und Italien bestehen zwar Handelsverträge, es kommt jedoch nur in verschwindend geringen Mengen der gute italienische Ferrania-Film und das Ferrania-Papier herein; das englische Kodak-Material und USA-Material kann zur Zeit nicht eingeführt werden. Ein großer Nachteil für die Kopieranstalten liegt darin, daß z.B. die Wiederverkäufer wie die Kodak eigene Kopieranstalten betreiben und das Papier nicht restlos abgeben, sondern für die Eigenverarbeitung verbrauchen. In der Filmversorgung ist Argentinien ausschließlich auf Import angewiesen, da es über keine eigene Filmproduktion verfügt. Photo-Papier wird in Argentinien in fünf kleinen Produktionsstätten erzeugt, von denen jedoch keine den europäischen Begriff „Fabrik" oder „Industrie" führen könnte. Mit der Qualität dieser Produkte liegt es noch manchmal etwas im argen: das sogenannte „nationale" Papier soll Mängel aufweisen. Dabei ist es pro Karton mit 100 Blatt 18 X 24 bei 50 bis 57 Peso teurer als das erstklassige ausländische Papier für 30 Peso, das allerdings selten zu haben ist und auf dem Schwarzen Markt für 110-150, auch 220 Peso gehandelt wird.

Und die Apparaturen?

Die Marktlage sieht hei Kameras weit besser aus. In den Schaufenstern finden wir die Agfa-Karat, Contax, Leica bis zur Leica-Fälschung sowie Leica-Nachahmungen, wie die Gamma, ferner gute englische und nordamerikanische Apparate. Bei den deutschen handelt es sich 
entweder um Vorkriegslieferungen oder um Geräte, die von deutschen Einwanderern mitgebracht und als „Anfangskapital" umgesetzt wurden. Ein ausgesprochener Import auf größerer Basis war bislang mit Deutschland noch nicht möglich. Die Preise liegen entsprechend hoch, eine Leica 111c, die man hin und wieder auch mit gefälschtem Summitar antrifft, kostet 3800 bis 4000 Peso. Im übrigen ist die preiswerte Gevaert Rex Lujo für B-II-Rollfilm und Rex Junior zu 45,- Peso sehr vertreten; sie wird im Lande hergestellt. Als für den Amateur brauchbare, aber nach unseren Begriffen primitive Spiegelreflexkamera im Box-Typ (ohne Blende, eine Verschlußzeit) wird die argentinische Yoya (Kleinod) mit 89,50 und 94,50 Peso angeboten. Eine mindere Nachahmung einer englischen Box ist die Frati für 35,- Peso.
Besser in der Ausführung wirkt die Nicro-Box zu 55,-, jedoch dürfen an die Linsen keine zu hohen Ansprüche gestellt werden. Für den Porträt-Photographen werden Atelier-Kameras - je größer, je lieber - mit englischer Optik im Lande fabriziert. So wurde einem deutschen Industrie-Photographen von einem anderen Kollegen angeraten, auf keinen Fall das Unterfangen zu versuchen, mit seiner Kleinbild-Kamera Industrieaufnahmen zu machen, und da er als Kleinbild-Spezialist sich dennoch daran wagte, neben einer Industriekamera mit dem Kleinbild-Apparat Spezialaufnahmen anzufertigen, mußte er es sich gefallen lassen, daß seine Honorarforderungen wegen des Negativformates „tan chicitito" (so winzig klein) gedrückt wurden.

Sonstige Photoartikel sind in englischen, nordamerikanischen und auch einheimischen Fabrikaten vorhanden. Nicht alle einheimischen Kopiermaschinen entsprechen in der Ausführung den fachlichen Ansprüchen. Die noch vorhandenen englischen sind technisch veraltet, dagegen sind moderne englische und nordamerikanische Vergrößerungsapparate und Nachbildungen des Focomat in schlechter Ausführung im Handel. Es fehlt durchaus an Qualitätsprodukten. Die vorstehenden Streiflichter erhellen, daß für den Export der deutschen Photo-Industrie ein weites Feld offensteht, wenn . . . Noch einiges über den Stand der Fachfotografie. Auf den großen Plätzen und den öffentlichen Parkanlagen treffen wir auf eine erstaunlich große Anzahl konzessionierter Standphotographen, pro Platz fünf bis zehn in Abständen von 10 bis 20 m in grauen Mänteln und blauer Dienstmann-Mütze einträchtig ohne Konkurrenz- und Brotneid nebeneinander. Trotz dieser „Bevölkerungsdichte" macht jeder sein Geschäft, denn der mit seinen Kindern bummelnde Argentinier oder die ganze Familienschar läßt sich konterfeien und nimmt das im Apparat in 2 Minuten entwickelte und fixierte Bild mit heim. Eine Kategorie von Photographen gibt sich lediglich der Tätigkeit hin, auf Familienfesten, bei Banketten von Firmen und Clubs mit dem nationalen Assado-Essen die Gruppen und Tafeln mit Pulver zu blitzen, um mit 200,- oder mehr Peso Verdienst heimwärts zu wandern. Der Elektronen-Blitz ist in Buenos Aires in Einzelexemplaren vertreten, der Vacublitz, wenn erhältlich, unrentabel teuer. Das Niveau des durchschnittlichen Porträt-Photographen ist bescheiden, der Geschmack weiter Kundenkreise für unsere Begriffe zurückgeblieben. Es wäre aber ungerecht, wollte man nicht die Porträt-Photographen von Salonrang erwähnen, unter denen vorwiegend Deutsche, Ungarn und überhaupt Europäer an der Spitze stehen. Argentinien ist ein junges Land, das durch den letzten Krieg neuerlich wirtschaftlich und kulturell abgeschnitten wurde. Mit allen Kräften wird eine Fortentwicklung angestrebt, und so begegnen wir vielen, die der europäischen Kultur und Technik sehr aufgeschlossen gegenüberstehen. Dessen ungeachtet beharrt ein großer Teil der Bevölkerung aber auf seinem alten Geschmack, seiner Eigenart, und gepaart mit nationalem Stolz begegnet man nicht selten einer Ablehnung. die es dem modernen europäischen Fachmann, dem „Gringo", oft erschwert, sich beruflich durchzusetzen. -d-

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