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Artikel

2009

ERINNERUNGEN AN OSKAR BARNACK

Vor 25 Jahren, am 16. Januar 1936 starb Oskar Barnack, der Konstrukteur der Leica, die einen Wendepunkt im Kamerabau eingeleitet und Barnack zum Wegbereiter der Kleinbildfotografie gemacht hat. Daß er einmal in die Geschichte der Fotografie als so erfolgreicher Konstrukteur eingehen würde, hat Barnack sicher nicht geahnt, als er 1911 von Jena nach Wetzlar verzog. Anregungen zu seiner Tätigkeit hatte er bei Carl Zeiss empfangen. Dort war er von 1902-1909 im Kamerabau beschäftigt. Ich lernte Barnack 1904 beruflich kennen und war bis 1910 gelegentlich auch privat mit ihm zusammengetroffen. Dann trennten sich unsere Wege. Wir standen nicht im Briefwechsel, und nur noch einmal sahen wir uns 1925 auf der Kipho in Berlin (eine Ausstellung nach Art der photokina mit gleicher Zielsetzung, doch ohne ihren Kulturteil). Sein Wesen und seine Erscheinung sind mir aber noch heute in lebhafter Vorstellung - die gedrungene Gestalt, das hohe, buschige blonde Haar, die blauen Augen und die leise, immer etwas belegt klingende Stimme. Über seinen Lebenslauf ist mir wenig bekannt geworden. Er war am 1. November 1879 in Lynow bei Baruth geboren, hatte als Feinmechaniker gelernt und in seinen Wanderjahren auch in Wien gearbeitet. Nach Jena war er 1902 gekommen, als die um 1900 gegründete AG Kamerawerk Palmos sich in einem Neubau vergrößern wollte und Arbeitskräfte warb. Als finanzielle Gründe die Erweiterung vereitelten, übernahm Carl Zeiss das Palmos-Werk mitsamt den Beschäftigten. So fand auch Barnack seinen Platz in der Kameramontage der Palmos-Abteilung des Zeiss-Werks, wo ich ihn einige Jahre später kennenlernte. Als echter Jünger seines Berufs war er immer dabei, zu basteln, zu verbessern und zu konstruieren, auch Dinge, die nicht in sein Arbeitsgebiet fielen.
1906 brachte Kodak eine Panoramakamera auf den europäischen Markt, bei welcher der Film kreisförmig gespannt war und das Objektiv im Kreismittelpunkt rotierte. Zu dieser Zeit war der Film noch ziemlich teuer und wenig verbreitet. Barnack hatte deshalb den Gedanken, den Film durch eine Platte zu ersetzen. Für Stereoaufnahmen war damals das Format 9 x 18 cm üblich. Für eine Platte dieser Größe baute Barnack ein Modell, bei dem die Platte bzw. die diese tragende Kassette tangential auf einem Kreisbogen abrollte. Es gelang Barnack jedoch nicht, eine Kamerafabrik dafür zu interessieren.
Bis zum Beginn des ersten Weltkriegs wurde bei Zeiss geteilt gearbeitet mit zweistündiger Mittagspause. Barnack, der nicht rauchte, hatte häufig eine angebrochene Tafel Schokolade in seinem Tischkasten liegen. Obwohl verschlossen, war über Mittag oft gestohlen worden. Da Beobachtungen den Täter nicht ermittelt hatten, wollte Barnack die Fotografie zu Hilfe nehmen. Er baute sich eine einfache Kastenkamera mit einem aus einer Kodak-Kamera stammenden Objektiv und Verschluß, verband den Auslöser mit dem Tischkasten durch eine Schnur und versteckte die Kamera gut getarnt in einem seitlich hängenden Schrank. Der Zweck wurde erreicht, der Dieb entlarvte sich selbst - ein Laufbursche, der sich über Mittag im Werk versteckte.

Wer in den Jahren bis zum ersten Weltkrieg in Jena spät abends oder am frühen Morgen durch die Straßen außerhalb der Innenstadt ging, sah an den Klinken der Haustüren Leinenbeutel hängen. Sie dienten zur Aufnahme der frischgebackenen Brötchen, die von den Bäckern frühmorgens frei Haus geliefert wurden. Barnack wohnte im zweiten Stock eines freistehenden Hauses in der Katharinenstraße und fand es unbequem, abends den Beutel an der Haustür anzuhängen und morgens wieder heraufzuholen. Er brachte daher am Fenster über der Haustür eine Vorrichtung an, bestehend aus einer Schnurrolle mit Spannfeder
und Sperrklinke, die es erlaubte, vom Fenster aus den Beutel herunterzulassen. Der Austräger löste nach Füllen des Beutels durch Zug die Sperrklinke aus, die Feder zog ihn hoch und Barnack fand die Brötchen am Fenster.
Damals und bis in die zwanziger Jahre hinein war das Format 9 X 12 cm am meisten verbreitet. Auch bei den Palmos-Kameras dominierte dieses Format. Es gehörte aber viel »Liebe zur Kunst« dazu, sich auf längeren Wanderungen mit der »gewichtigen« Ausrüstung zu behängen, die, außer der Kamera, drei mit Platten geladene Doppelkassetten, eine massive Rindledertasche und oft noch ein zweiteiliges Holzstativ umfaßte. Bei Zeiss bestand der schöne Brauch, außer Ferngläsern auch Kameras an die Werksangehörigen kostenlos auszuleihen. Man konnte so dem Fotosport huldigen, ohne sich eine teure Ausrüstung anschaffen zu müssen. Wir machten häufig Gebrauch davon und uns auch Gedanken über die künftige Entwicklung im Kamerabau. Es dünkte uns ein großer Fortschritt, als Zeiss mit einer Planfilmpackung herauskam, von der sechs Stück leicht in der Brusttasche Platz fanden. Leider stand der hohe Preis - die Filme waren noch teuer und wurden nur von Perutz und englischen Firmen geliefert - einer weiten Verbreitung entgegen. Zeiss brachte auch noch eine Minimum Palmos 6X9 cm auf den Markt, eine sehr handliche, präzise Schlitzverschlußkamera mit gedecktem Aufzug, die aber nach Gründung der ICA am 1. Oktober 1909, in welcher die Kameraabteilung von Zeiss aufging, der Typenbereinigung zum Opfer fiel. Das Prinzip des Verschlusses dieser Kamera übernahm Barnack für die erste Leica.
Es fehlte durchaus nicht an Versuchen, Kameras noch kleinerer Formate zu bauen, doch hatte man zu ihnen wenig Vertrauen. Die Voraussetzungen dafür mußten erst heranreifen. Sehr überrascht waren wir daher, als Ende 1906 oder Anfang 1907 eine kleine Kamera auftauchte zur Anpassung eines Kino-Tessars 3,5/5o mm. Sie war nur wenig größer als eine der heute üblichen 8-mm-Kinokamcras, jedoch für Kino-Normalfilm und die Bildgröße 18 x 24 mm eingerichtet. Wenn ich nicht irre, war der Name der Kamera Minigraph. Vielleicht gibt es in einem Museum oder einer Sammlung noch ein Stück, das zur Bestätigung dienen könnte. Wir waren von der Kamera beeindruckt, man konnte mit ihr fotografieren, aber befriedigen konnten die Aufnahmen nicht, es fehlte an der zur Vergrößerung nötigen Schärfe. Der Mangel war bedingt durch das viel zu grobe Korn der Emulsion, die den Erfordernissen für Kinoaufnahmen entsprach, d. h. gesteigerte Empfindlichkeit auf Kosten eines feinen Korns besaß. Ich bin sicher, daß Barnack durch die Minigraph-Kamera angeregt wurde, sich mit dem Bau einer kleinen Filmkamera für Normalfilm mit etwas größerem Format zu befassen. Ob dieser Gedanke schon in Jena Gestalt annahm oder erst in Wetzlar, habe ich nicht erfahren.
Wie mir Jahrzehnte später bekannt wurde, hatte man bei Zeiss die Begabung Barnacks erkannt und ihn für den Posten eines Werkmeisters vorgesehen. Er stand aber wohl schon durch Vermittlung von Ernst Mechau (Mechau-Projektor), den er bei Zeiss kennengelernt hatte, mit der Firma Leitz in Verbindung und nahm die ihm dort gebotene Stellung an. Welche Gründe diese Firma veranlaßten, die Leica in ihre Fertigung aufzunehmen, während sie bis dahin nur Miskroskope und andere wissenschaftliche Geräte baute, darf durch Veröffentlichungen als bekannt vorausgesetzt werden.
Diese Zeilen mögen dazu dienen, die Erinnerung an Oskar Barnack und seine Verdienste um die Fotografie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

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