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Artikel

2009

Norgelmann über:

Kowa Six

Etwa ab September häuften sich bei mir die Anrufe: „Was ist eigentlich mit der Kowa Six? Gut oder nicht? Wann gibt es einen Bericht?" Und ich antwortete wahrheitsgemäß: „Keine Ahnung, die haben mir noch nichts geschickt."
Inzwischen haben sie. Am 18. 10. 72 bekam ich das Paket von Optica, am 15. 11. bat man mich um möglichst rasche Rücksendung, weil man total ausverkauft sei. Meinen Glückwunsch für Optica!
Und wenn ich eine Kamera nur fünfmal runterwerfen, eine halbe Stunde braten und über Nacht einfrieren brauchte, würden mir ein paar Tage zum Testen reichen. Normalerweise aber arbeite ich mit Testkameras. Das heißt, ich fotografiere mindestens ein halbes, besser ein ganzes Dutzend Filme damit. Bei Regen, bei Sonne, vom Stativ, aus der Hand, aus dem Auto bei Rotlicht an einer Ampel, nachts auf Straßen und in Lokalen, mit höchstempfindlichem und zusätzlich noch gequältem Film, mit feinkörnigem Material, und vor allem brauche ich unseren bayerischen Föhn dazu, weil dann die Dachziegel von Bad Tölz, von einer Anhöhe aus fotografiert, besonders praxisnahen Aufschluß über Rand- und Eckenschärfe geben.
Und da ich dies alles während meiner Freizeit mache und nicht als Profi, brauche ich halt etwas Zeit. Und wenn man, so meine ich, seine Erzeugnisse so rasant verkaufen kann, daß es auf jedes Stück ankommt, ist ja ein Testbericht gar nicht so nötig.
Aber es ist doch einer geworden, gerade noch, und ein guter obendrein.
Nimmt man diese Kowa Six (das MM-Modell unterscheidet sich nur durch die Möglichkeit der Doppelbelichtung und Spiegelvorauslösung!) in die Hand, - mich hat sie an eine Kokosnuß mit Objektiv erinnert. Alles schön rund, schwer und in zwei Hände passend: Die erste Kamera, der ich den Begriff „kompakt" bedingungslos zuspreche.
Trotzdem leidet die Bedienung nicht darunter. Das Filmtransport- und Verschlußaufzugrad ist griffig, durch eine versenkte Kurbel kann es noch rascher gemacht werden. Die Auslösung erfolgt in der durch die ersten Rolleis offenbar fast mythisierten rechten vorderen Ecke, und überhaupt hatte ich noch nie etwas so „rolleiähnliches" in Händen. Allerdings nur mit einem Objektiv in Wechselfassung. An diese Fassung muß man sich erst einige Filme lang gewöhnen: Sie ist kein Bajonett, auch keine Schraubenfassung, sondern eine Mischung aus beidem, und in der Eile funktioniert das eben erst nach Übung. Es gibt Brennweiten von Fisheye über 35, 40, 55 Millimeter bis zur längsten Kanone; das Standardobjektiv 2,8/85 und ein 3,5/150 entsprachen allen Anforderungen, die ich an ein gutes Objektiv stelle. Es handelt sich jedoch bei allen Objektiven um „Schwergewichte", weil sie einen Zentralverschluß eingebaut haben. Mir sind ein Schlitzverschluß und leichte Objektive lieber, aber diese Frage ist ebensosehr Geschmacksangelegenheit, wie die Frage nach Front- oder Heckantrieb beim Auto. Immerhin: Wenn unterwegs ein Verschluß Zicken macht, hat man noch andere, und Blitzen geht auch mit jedem Objektiv bis zur 1/500 s.

Der Verschluß, bzw. die Verschlüsse, lösen weich und schlagfrei aus. Schlagen könnte ja nur die Abdeck-Klappe, bzw. der Spiegel, aber er tut das nicht.
Die Mattscheiben sind auswechselbar, der Lichtschacht, den ich hatte, kann gegen Prismensysteme, evtl. sogar mit TTL-Messung ausgetauscht werden, aber die hatte ich nicht. Sportsucher, Handgriffe einfach und komfortabel: diese Kowa Six ist ein System, wohl durchdacht und für fast alle Ansprüche ausreichend.
Kassetten gibt's dazu keine. Aber wozu auch? Ich höre immer wieder, zum Wechseln zwischen Color und Schwarzweiß. Liebe Fotofreunde, - aus diesem Grunde hätte die Industrie nie im Leben auch nur eine Mark in Kassettensysteme investiert. In Wirklichkeit kostet ein gutes Foto-Modell einige hundert Mark pro Stunde, und somit jedes Filmeinlegen mehr als ein Mittagessen. Deshalb lädt man Kassetten vor, - bei Profis. Wenn Sie aber für eine Kassette einen halben Tausender hinblättern wollen, nur um zwischen Color und Schwarzweiß - nee, da können Sie billiger für den Rest Ihres Lebens die Filme durchdrehen und wechseln, auch wenn erst zwei Aufnahmen drauf waren.
Schade, daß man bei der Kowa Six den Film nicht wechseln kann, wenn man die Kamera auf dem Stativ hat. Das Umstellen von 120erFilmen auf 220er ist einfach, Doppelbelichtungen zu machen erfordert nur einen Handgriff, und den Spiegel ... wer klappt den eigentlich hoch? So oft, daß sich eine so verteuernde Technik in Serienmodellen lohnt? Jedenfalls können Sie mit solchen 2000.Mark-und-darüber-Kameras ein billiges Stativ verwenden und warten, bis es ausgewackelt hat.
Insgesamt habe ich von Leistung und Handlichkeit dieser Kamera einen sehr guten Eindruck, der erst weniger gut wird, wenn ich Preisvergleiche anstelle. Dann ist nämlich das Gehäuse mit Lichtschacht etwa so teuer, wie er anderwärts bereits mit Pentaprisma kostet, und billig sind die verschlußbestückten Objektive auch nicht. Und somit gehört die Kowa Six keineswegs zu den billigen „Ausweichkameras" für Leute, bei denen es zu mehr nicht reicht, sondern es ist eine absolut wertvolle und vollwertige Systemkamera eigener Prägung.
Jas wichtigste Kriterium für mich: ich habe mich ungern von ihr getrennt und hätte gern loch länger mit ihr gearbeitet. Sie gehört zu jener Sorte von Kameras, an die man sich gewöhnt, die man eines Tages liebt, weil sie keine reinen Vernunftdinger sind, sondern ein gewisses Etwas haben, das sich schwer ausdrücken läßt, am wenigsten in einem Testbericht. Man spürt das nämlich erst mit den Händen und bei der Arbeit.

Näher als auf 80 cm kommen Sie mit dem Standardobjektiv nicht heran, haben also etwa 1:10. Dann fängt der Jammer mit den Zwischenringen an, deren drei Stück immerhin so etwa DM 650.- kosten, die Filter von ca. DM 50.- aufwärts, und wenn Sie, als Fehlsichtiger, die Lupe in ihrem Lichtschacht korrigiert haben wollen, sind dafür so runde DM 40.- fällig. Alles ganz schön saftig, finde ich, aber - gut. Vermutlich haben die Kowa-Leute in Japan ausnahmsweise auch einmal unsere deutschen Preise übernommen.
Und sollten Sie bereit sein, nahezu DM 3000.- für ein Tele 8/500 anzulegen, dann lassen Sie sich bitte nicht durch das Beispielfoto im Original-Kowa-Prospekt aus der Fassung bringen: Man kann mit diesem Objektiv auch garantiert scharfe Aufnahmen machen, - wie mit allen anderen auch.
Schade, daß diese Kamera nun nach meinem Bericht bei Optica vermutlich noch knapper werden wird, - ich hätte bei Gelegenheit mal gern wieder eine!
PS. Sagen Sie bitte nicht, ich sei schlecht informiert, wenn Sie Kamera oder Zubehör hier oder dort billiger bekommen können. Seit es keine Preisbindung mehr gibt, (worüber ich mich freue!) gibt es einzelne Fotohändler, die permanenten Selbstmord und Mord betreiben. (Was mich, trotz gewisser Vorteile für uns Amateure, nicht freut. Die Vernunft wäre in der Mitte anzutreffen gewesen!)

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