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Artikel

Praxistest

Krönung eines Systems:

Die Minolta XE-1

Es ist Dienstag der 19. November 1974, Redaktionsschluß für COLOR Heft 1/75. Vor mir liegen die Ergebnisse eines Tests, der aus den besonderen Umständen heraus in wenigen Punkten unvollständig sein muß. Und der dennoch außergewöhnliche Informationen bietet:
Minolta hat sich selbst überwunden. Entgegen branchenüblichen Gepflogenheiten hat Minolta uns eine XE-1 aus der Nullserie zur Verfügung gestellt, eine Kamera obendrein, die die harte Beanspruchung der Messe-Demonstrationen auf der photokina '74 hinter sich hat. Normalerweise wäre eine solche Kamera am Rand der Unbrauchbarkeit. Ich habe mit ihr fotografiert. Sie funktioniert tadellos.
Trotzdem haben wir aus Gründen der Fairneß auf einen meßtechnischen Test verzichtet, denn wir wissen, Minolta wollte noch geringfügige Änderungen im Kamerainnern vornehmen, bevor die XE-1 jetzt, zu dem Zeitpunkt, zu dem ich diese Zeilen schreibe, endgültig in Serie geht damit Sie sie ungefähr ab Frühjahr 75 kaufen können. Etwa zur gleichen Zeit werden wir die meßtechnische Information bringen. Vorab jedoch der Praxistest, den die Minolta-Leute im Vertrauen auf die Ausgewogenheit ihrer Neukonstruktion ermöglicht haben und den die XE-1 glänzend bestanden hat. Bei dieser Kamera ist jedem Detail Aufmerksamkeit bis zur letzten Konsequenz geschenkt worden, was sowohl der Funktionstüchtigkeit wie auch dem Bedienungskomfort zugute kommt. Nahezu alle Funktionen, die eine einäugige KB-Spiegelreflex auszeichnen können, sind in einer Weise optimiert, daß man sie im Eifer des Fotografierens ruhig vergessen darf - entweder sie laufen auch ohne Kontrolle nach Wunsch ab oder aber sie sperren automatisch und machen so auf das Vergessen aufmerksam: Ein Scheinfunktionieren samt der großen Enttäuschung am Ende gibt es bei dieser Kamera nicht. Und so kann man sie als Krönung eines Systems bezeichnen, als Krönung eines der umfangreichsten, bestdurchdachten KB-Spiegelreflex-Systeme, die es gibt - als Kamera, bei der weitere Verbesserungen nur noch schwer vorstellbar sind.
Die XE-1 ist eine Spiegelreflex mit abschaltbarer Profiautomatik. Sowohl bei automatischem wie auch manuellem Betrieb gibt sie volle Kontrolle über die jeweilige Belichtungssituation. Bestückt mit dem MC Rokkor 1:1,4/50 mm Normalobjektiv und geladen mit einem Kodachrome 25 (Testserie voraussichtlich ab COLOR 3/75) wiegt sie ca. 1080 g, liegt schwer und sicher in der Hand. Einsatz einer längeren Brennweite wie z. B. des MC Tele Rokkor 1: 2,8/135 mm ändert an der ausgewogenen Balance nichts. Ans Auge genommen, erweist sich der fest eingebaute Pentaprismensucher mit Schnittbildindikator und Mikroprismenring inmitten der sehr hellen Mattscheibe als auch mit Brille gut überschaubar. Er zeigt 94% des 24x36 mm Bildformats, darüber die eingestellte Blende und entweder das rote "A" für Automatikbetrieb oder weiß die stufigen Einstellwerte des Verschlusses. Rechts neben dem Bild sind die Belichtungszeiten von 4-1/1000 sek. sichtbar. Diese Skala überstreicht bei Automatikbetrieb ein Zeiger, weist die stufenlos zur jeweiligen Blende gebildete, elektronisch gesteuerte Verschlußzeit aus. Bei manuellem Betrieb ist der Abgleich zwischen eingestellter und gemessener Verschlußzeit durch Verstellen der Blende vorzunehmen. Die Kamera kann dabei stets am Auge bleiben - alle erforderlichen Informationen sind ja im Sucher sichtbar.
Steht der Zeiger im untersten Feld, so bedeutet es, daß entweder das Licht zu schwach oder aber der Stromkreis überhaupt nicht eingeschaltet ist. In letzterem Fall ist der Auslöser blockiert - die Kamera kann nicht ausgelöst werden. Ist dagegen bei Automatikbetrieb das Licht für einen Zeigerausschlag zu schwach, und lösen Sie trotzdem aus, so macht der Verschluß eine Zeitbelichtung bis zu 24 Sekunden. Wie genau eine solche Belichtung ist, kann erst der meßtechnische Test erweisen. Ein Bonus ist sie auf jeden Fall, denn Minolta gibt für die Automatik nur einen Funktionsbereich von 4-1/1000 sek. an. Alles, was darüber hinausgeht, ist ohnehin problematisch - das unterschiedliche Schwarzschild-Verhalten der verschiedenen Filmemulsionen kann auch das präziseste Zeitmeßwerk nicht erahnen.
Ein elektronischer Verschluß braucht Strom, um funktionieren zu können. Bei der XE-1 liefern ihn zwei 1,5 Volt Knopfzellen. Sinkt ihre Spannung unter den Gebrauchswert, schlägt beim Auslösen der Spiegel zwar hoch, der Verschluß jedoch läuft nicht ab, der Film wird nicht belichtet. Der Spiegel bleibt oben, der Sucher dunkel - das Signal ist nicht zu übersehen: Die Batterien müssen gewechselt werden. Sind nicht sofort Batterien zur Hand, kann man notfalls mit zwei mechanischen Verschlußwerten weiterfotografieren - mit der X-Einstellung für Blitzsynchronisation, die ca. 1/90 sek. entspricht, und mit B. Den Spiegel holen ein Druck auf die Mehrfachbelichtungstaste und Verschlußaufzug über den Schnellschalthebel filmverlustfrei wieder in Arbeitsstellung.
Die schon von der Minolta SR-T 101 her berühmte CLC-Meßmethode, die automatisch Motivkontraste berücksichtigt und den jeweils optimalen Belichtungswert ermittelt, ist natürlich auch in die XE-1 eingebaut. Hier drängt sich nun der Vergleich mit der eine photokina älteren Schwester, der Minolta XM auf, die praktisch auch all das kann, was die XE-1 so perfekt anbietet - und in einigen Punkten sogar noch ein wenig mehr. Und die ich - obwohl ich die XM sehr schätze - trotzdem nicht zur Krönung des Systems erklären würde: Die XM ist eine Kamera für Wissenschaftler und bedächtige Leute, bei der man höllisch aufpassen muß, daß man nichts unabsichtlich verstellt. Bei der XE-1 sind solche unbeabsichtigten Verstellungen ausgeschlossen. Doch das sei hier nicht einmal der Grund für
den Vergleich:
Die XM hat wechselbare Sucher und Einstellscheiben - eine großartige Sache, die aber konstruktiv Kompromisse hinsichtlich der Auslegung des Meßwerkes bedingt. Die Folge: Bei der XM konnte die CLC-Meßmethode nur in abgeschwächter Form verwirklicht werden. Die neue XE-1 aber hat wieder einen fest eingebauten Sucher - bei ihr funktioniert die altbewährte Kontrastausgleichs-Meßmethode samt ihrer praxisgerechten, deutlichen Mittenfeldbetonung. Sie arbeitet lediglich nicht mehr so steil wie bei den SR-T-Modellen - und darin sehe ich eher einen Vorteil.
Was die Offenblendenmessung über 2 CdS-Fotowiderstände mißt, wird über eine Niedervolt-Schaltung mit 2 monolithischen IC's dem Verschluß mitgeteilt, der bei Automatikbetrieb stufenlos zur eingestellten Blende passende Zeit bildet. Am Anfang dieser Funktionskette wäre beim heutigen Stand der Technik noch eine Verbesserung möglich man könnte statt CdS- die schneller reagierenden Silizium-Fotoelemente einsetzen. Doch darüber sind die Meinungen der Fachleute geteilt - vertrauen wir also auf die Minolta-Ingenieure, die ihren guten Gründe gehabt haben werden. Weil ich aber gerade beim Kritisieren bin eines hätte ich mir auf jeden Fall gewünscht: Eine kleine, elektrische Beleuchtung für die Meßanzeige. Das ist bestimmt nicht viel verlangt und sehr wertvoll, wenn man aus dem Dunkel heraus fotografiert, wie so häufig bei Reportagen.
Doch zurück zum Verschluß. Hatten Minolta-Kameras bisher einen horizontal ablaufenden Schlitzverschluß - aus Tuch bei den SR-T-Modellen, aus Titanium bei der XM, behaftet mit den bei Minolta zwar gut beherrschten Problemen solcher Konstruktionen wie relativ große, bewegte Masse, Kompressionen der Luft beim Aufrollen, Erschütterung, relativ lautes Ablaufgeräusch - so weist die XE-1 einen völlig neuen Verschluß auf: den vertikal ablaufenden Lamellen-Schlitzverschluß von Copal-Leitz aus parallelogrammartig geführten Stahlplättchen. Bei diesem Verschluß werden nur sehr wenig Teile bewegt, die bewegte Masse ist also gering. Die Bewegungen laufen größtenteils gradlinig.
Hohe Leichtgängikeit, mechanische Zuverlässigkeit sind die Folge: Der neue Verschluß ist besonders leise, nahezu schlagfrei und unabhängig von Umwelteinflüssen wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit, darüber hinaus robuster als jeder Rollo-Verschluß. Er ist das ebenbürtige, mechanische Gegenstück zu der aufwendigen, elektronischen Verschlußsteuerung.
Bilder sagen mehr als schöne Worte. Darum sei hier nur gestreift, was in den Abbildungen gezeigt und in ihren Unterschriften erläutert ist: der Hauptschalter "off-on"; das Zählwerk mit Transportkontrolle; der koaxial mit dem Schnelltransporthebel angeordnete Hebel für Mehrfachbelichtungen, der beliebig oft pro Bild betätigt werden kann, ohne daß der Film sich von der Stelle rührt oder das Zählwerk weiterschaltet; die Arretierung des Zeiten-Einstellrades auf Automatik, die erst nach Druck auf den Sicherungsknopf ein Verstellen erlaubt; die vergleichbare Sicherung an der Empfindlichkeitseingabe für den Belichtungsmesser; die Override-Taste für willkürliche Belichtungskorrekturen auch während die Kamera bereits am Auge ist; der Okularverschluß; die Batteriekontrolle - alles Einrichtungen, die das Arbeiten mit dieser Kamera so unerhört bequem, mühelos, vor allem aber sicher machen.
Es gibt Kameras, mit denen man sofort einig ist, bei denen die Finger alle Einstellelemente auf Anhieb finden. Die XE-1 ist eine solche Kamera. Mit ihr zu fotografieren, war für mich ein vollkommenes Vergnügen. Eingebettet in das große Minolta Spiegelreflex-System, von dem auch älteres Zubehör uneingeschränkt an dieser Kamera verwendbar ist, erfüllt die XE-1 alle praktischen Anforderungen der KB-Fotografie - mit Ausnahme vielleicht von wenigen, wissenschaftlich orientierten Aufgabenstellungen, für die die XM vorzuziehen wäre. Entsprechend groß dürfte der Interessentenkreis sein - vom engagierten Amateur bis zum hart arbeitenden Profi.

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