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Alexander Borell über:

Leicaflex SL2 und Leica M5

2 Pferde laufen für Deutschland.
Die Leicaflex SL 2 ist nicht nur eine der großen photokina-Neuheiten, sondern darüber hinaus eine photokina-Neuheit, die auch tatsächlich bereits zu haben ist. Andererseits ist aber auch die neue Leicaflex gleichsam ein fototechnischer Gegenpol zur Leica M 5, die in ihre Konzeption als TTL-Meßsucher-Kamera grundlegend andere Kriterien aufweist. Eines aber ist beiden Kameras gemeinsam: Jene Präzision, die für Leitz typisch ist. Red.

So ziemlich alles, was man auf der photokina 74 an interessanten Neuheiten sehen konnte, befindet sich im Augenblick nicht etwa in den Schaufenstern deutscher Fotogeschäfte zum Verkauf, sondern in fernöstlichen Heimatwerkstätten. Die photokina war, im großen gesehen, nichts anderes, als ein SuperTest. Man hat sich gesagt, wenn eine Woche lang von morgens bis abends irgendwelche unerfahrenen Leute an einem Gerät sämtliche Hebel bewegen und sämtliche Knöpfe drücken, dann kann man hinterher bei einer Demontage feststellen, wo noch etwas geändert bzw. verbessert werden muß.
Im Augenblick wird also überall geändert und verbessert.
Im Gegensatz hierzu hat es Leitz fertiggebracht, das neueste Produkt, die LEICAFLEX SL 2, unmittelbar nach der photokina tatsächlich zu liefern. Diese Kamera ist eine echte Neuheit auf dem Weltmarkt.
In diesem Zusammenhang erscheint es mir aber durchaus angebracht, auch noch einmal die andere Kamera von Leitz zu erwähnen, denn sie ist nach wie vor die einzige Sucherkamera auf der ganzen Welt, bei der die Belichtungsmessung in ähnlicher Weise durch das Objektiv erfolgt, wie sonst nur bei SLR-Kameras.
Daß die LEICA M 5 die einzige Kamera dieser Art geblieben ist, mag verschiedene Gründe haben. Sicherlich nicht den, daß sie nicht gebraucht wird. Wahrscheinlich aber ist, daß die Herstellung einer Kamera von dieser hohen Qualität und dieser Leistungsfähigkeit anderen Herstellern stückzahlmäßig nicht verlockend genug erscheint, als daß man es riskieren würde, sich mit einer zusätzlichen Neukonstruktion die Finger zu verbrennen. Hier ist Leitz ein Vorsprung geblieben, wie ihn diese Firma in den 30iger-Jahren als Weltproduzent hatte.
Von jeher war mir bei der Vorstellung nicht wohl, ich müßte die Werbung für diese beiden Leitz-Kameras machen. Denn das setzt selbstverständlich eine Art von Schizophrenie voraus: Denn entweder bin ich ein leidenschaftlicher Anhänger der Meßsucher-Kamera und vertrete dementsprechend dieses Prinzip, das gegenüber jeder, auch der besten Spiegelreflexkamera unbestreitbare Vorteile hat. (Zum Beispiel die präzise Entfernungsmessung mit Weitwinkelobjektiven oder bei schlechtem Licht und der kaum hörbare Ablauf des Verschlusses!) Oder aber ich vertrete mit Leib und Seele das Spiegelreflexsystem, das wiederum Vorteile gegenüber der Meßsucher-Kamera hat. (Übersichtlichkeit des Suchers, Nahaufnahmen usw.) Eine absolut überzeugende Werbung kann man nur für eines dieser beiden Systeme machen. Und hier lag und liegt meiner Meinung nach die Hauptschwierigkeit für Leitz. Denn selbstverständlich gibt es für beide Kameras nicht nur ein "Entweder Oder` sondern in der Praxis ein ebenso richtiges "Sowohl-als-auch". Nur kann man eben nicht in der Werbung mit letzter Überzeugungskraft für eine Meßsucher-Kamera eintreten, wenn man gleichzeitig eine Spiegelreflexkamera aus dem gleichen Stall loben muß.
Grundsätzlich sind aber diese Überlegungen für uns als Verbraucher nicht so wichtig, wie für den Hersteller. Wir haben heute die Wahl zwischen zwei absoluten Welt-Spitzen-Kameras, und es gibt Leute genug, die schon längst das von Leitz angebotene "Sowohl-als-auch" erkannt haben und in der Praxis ausnützen.

Die Leica M 5

Wenn diese Kamera auch schon längst nicht mehr als "Neuheit" angesprochen werden kann, so verdient sie es doch, im Zusammenhang mit dem anderen Produkt der Firma Leitz noch einmal erwähnt zu werden. Es ist immer wieder faszinierend, wie seidenweich diese Kamera in all ihren Funktionen arbeitet. Ich kenne Profis, eingeschworene Nikon- oder Canon-Leute, die trotzdem auf ihre LEICA M 5 nicht verzichten können: Sie machen damit ihre Aufnahmen dann, wenn jedes Geräusch stören würde. So ist es möglich, mit der M 5 während einer laufenden Fernsehproduktion unmittelbar neben der Kamera bzw. dem Mikrophon zu fotografieren.
Selbst beim leisesten Pianissimo im Konzertsaal ist der M 5-Verschluß nicht zu hören, und wenn auf der Bühne nicht einmal geflüstert wird, kann man mit der M 5 ganze Serien aus den Kulissen schießen. Man kann aber auch die M 5, bestückt mit einem Weitwinkelobjektiv, unter der Jacke zu Konferenzen mitnehmen, auf denen Fotografieren nicht gern gesehen wird: Und niemand hört oder merkt die blitzschnellen Schüsse mit dieser Kamera. Und deshalb kann man diese LEICA M 5 weder mit irgendeiner anderen Kamera auf der Welt vergleichen, noch eine Vergleichswertung aussprechen: Sie ist und bleibt eine einmalige Kamera.

Die Leicaflex SL 2

Eine gewisse Zwiespältigkeit erscheint mir grundsätzlich mit dem Namen Leitz verbunden zu sein, jedenfalls für mich. Denn als Journalist und Berater empfand ich diese Zwiespältigkeit stets dann, wenn ich nach der LEICAFLEX gefragt wurde. Es war mir nie möglich, eine klare und eindeutige Antwort über diese Kamera zu geben, ich mußte immer auf umfassende Erklärungen und Definitionen ausweichen. Denn seit vielen Jahren sind ja SLR-Kameras mit Belichtungsmessung durchs Objektiv über Nachführzeiger, kreuzgekuppelt mit Blende und Belichtungszeit, nichts Neues mehr. Mit gutem Gewissen habe ich stets die Ansicht vertreten, daß die Leitz-Objektive mit zum besten gehören, was es auf dem Weltmarkt gibt, wenn sie nicht überhaupt die besten sind. Dem gegenüber steht zweifellos bei anderen Fabrikaten ein wesentlich umfangreicheres Angebot an Objektiven, von ebenfalls tadelloser Qualität. Es gibt auch SLR-Kameras, die in ihrer Konstruktion der LEICAFLEX überlegen sind, z. B. durch die Möglichkeit, entweder die Mattscheiben oder die Suchersysteme zu wechseln. Und trotzdem habe ich nicht nur an mir, sondern auch an anderen Interessenten immer wieder die gleiche Beobachtung gemacht: Die LEICAFLEX ist nicht nur qualitativ ein Optimum, sondern sie faßt sich auch so an, man fühlt es mit den Fingerspitzen. Vor allem aber sieht man es beim Blick durch den Sucher, der mit einem Objektiv 1:2,8 ein immer noch wesentlich klareres Bild zeigt, als irgendeine andere Kamera mit einem Objektiv 1:1,2. Dem sehr beachtlichen Preis für eine LEICAFLEX steht auf der anderen Seite eine mindestens ebenso beachtliche Qualität gegenüber, mit Sicherheit aber nicht die modernste technische Konzeption.
Es liegt offenbar in der Natur großer Firmen, deren Name zu einem Qualitätsbegriff auf der ganzen Weit geworden ist, daß sie andererseits nicht zu den entwicklungsfreudigsten Unternehmen gehören. Das gilt auch für andere Branchen. Die Käufer aber, die bewußt solche Marken bevorzugen, verzichten ebenso bewußt auf letzte Modernität zugunsten einer unerhört zuverlässigen und ausgereiften Technik.
So hat mir z. B. in den 50igerJahren Daimler-Benz erklärt, die Modetorheit der Scheibenbremsen werde man nie mitmachen, und etwa zur gleichen Zeit erfuhr ich von Leitz, man könne die Belichtungszeit niemals wirklich präzise innerhalb der Kamera durch ein Objektiv messen. Damals erschien die erste LEICAFLEX auf dem Markt, gegenüber Kameras mit TTL-Messung weit im Rückstand, in der Qualität jedoch nicht zu überbieten.
Vor Jahren sah ich bei Leitz eine LEICAFLEX, deren Meßzeiger beleuchtet werden konnten. Ich weiß nicht, warum es Jahre dauerte, bis die neue LEICAFLEX SL 2 diese Möglichkeit jetzt bietet. Ihre Universalität wird dadurch sehr wesentlich angehoben, von Leuchtdioden will man offenbar in Wetzlar heute noch nichts wissen. Hält man ein Lichtlein a la Edison für zuverlässiger als Leuchtdioden?
Man hat auch aus dem Sucher ein Kontrollzentrum gemacht, das absolut keinen Wunsch mehr übrig läßt. Sie sehen deutlich, aber nicht störend, die eingestellte Verschlußzeit. Sie sehen ebenso deutlich und ebenso wenig störend die eingestellte Blende, und Sie können, je nach Motiv, die Entfernung mittels Schnittkeil oder Prismenrasterring oder über die ganze Mattscheibe messen, die als Mikroprismenrasterfeld ausgebildet ist. Dazu noch die Klarheit und Helligkeit des Sucherbildes: Man entschließt sich leicht, auf modernere Konzeptionen zu verzichten, wenn man diese Kamera am Auge hat.
Nicht anders verhält sich das mit dem Auslösen: Auslöser und Spiegelschlag sind so gedämpft, daß allein schon dieses Geräusch das Gefühl enormer Präzision vermittelt. Denn schließlich ist jedes Geräusch, das irgendein Mechanismus erzeugt, ein Signal für die technische Qualität: Was laut ist und klappert, ist technisch nicht präzise. Die selektive Lichtmessung mit der Anzeige durch den 7 mm-Kreis im Sucher wurde beibehalten. Vielleicht kann ein Ungeübter damit danebenhauen. In der Hand der Perfektionisten arbeitet dieses System präziser als alle andere Messungen, seien sie nun meßbetont, wo immer es im Prospekt stehen mag. Die Auswahl an Objektiven vom Fisheye mit 16 mm bis zu 800 mm Brennweite reicht für jeden Anspruch.
Und die neue LEICAFLEX SL 2 ist unbestritten Weltspitze. Auch im Preis. Sie wird aber mit Sicherheit ihre Käufer finden, Käufer, die sich den Genuß von fühlbarer Präzision und Qualität leisten wollen.
Bei so viel Vorzügen fällt es schwer, sachliche Kritik zu üben, die nicht aus theoretischen Überlegungen, sondern aus der praktischen Arbeit mit dieser Kamera kommt. Trotzdem sind es zwei Punkte, die ich geändert hätte, würde man mich rechtzeitig um meine Meinung gefragt haben: Erstens finde ich den Nachführzeiger, der wie eine Büroklammer ins Bild ragt, nicht sehr gut. Man fummelt zu lange, bis man den Meßzeiger in diese Büroklammer gebracht hat. Ich würde die vordere Hälfte abschneiden, der gabelförmige Rest würde völlig genügen, und die Arbeit wesentlich schneller machen. Und was mir zweitens nicht gefällt und was ich auch bei allem guten Willen für wirtschaftlich ungeschickt halte, ist die Tatsache, daß ich, will ich später einen Motor anschließen, eine neue Kamera dazu kaufen muß. Kameras mit vorprogrammiertem Motoranschluß sind weiß Gott lange genug auf dem Markt, der Trend zum Motor bei dieser Preisklasse ist nicht zu übersehen, wozu also wieder die Zwiespältigkeit zwischen zwei Modellen? Trotzdem tut diese Kritik der LEICAFLEX SL2 grundsätzlich keinen Abbruch. Ich habe bei mir selber und bei anderen Leuten stets die gleiche Beobachtung gemacht: Man nimmt diese Kamera in die Hand, man nimmt den Sucher ans Auge, man stellt ein, man löst aus und dann zeigt ein versponnen-nachdenkliches Gesicht deutlich die Überlegung, was man unternehmen muß, um sich dieses Prachtstück einer Kamera zu kaufen. Sie ist kostbar in jeder Beziehung, technisch, optisch und im Preis, dessen Präzisierung ich mir hier ersparen kann, weil es Leuten, die bereit sind, für eine Kamera zwischen 2 1/2 und 3.000 Mark auszugeben, auf ein paar blaue Lappen mehr oder weniger nicht ankommt. Für den Preis eines Bentley bekommt man schließlich auch rund zwanzig VW's.

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