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Foto Professional

Junge Großbild-Fotografie

Kardan Master L - die Kamera mit variablen Schwenkachsen

Junge Großbild-Fotografie - das ist Spiel mit Bildelementen und hartem Realismus zugleich, das ist Willkür im Umgang mit der Perspektive ebenso wie präzise, überspitzte Sachlichkeit. Vor allem aber ist die junge Großbild-Fotografie Konzentration - Konzentration auf die Information, die im Detail steckt. Auf Information, die Grundlage neuer Kreativität sein kann.
Junge Großbild-Fotografie braucht modernes Werkzeug. Sie braucht Werkzeug, das sich trotz der formatgegebenen Schwerfälligkeit in die Hand des Fotografen schmiegt, ihm technisch Bewegungsfreiheit gibt und ihm hilft, die Schwerfälligkeit zu überwinden.
Die Großformatige auf optischer Bank bietet von der Konzeption her die technischen Möglichkeiten dazu in besonderem Maß. Eine neue Kamera realisiert sie auf hervorragende Weise: Linhofs Kardan Master L.

Meine erste Bekanntschaft mit der Kardan Master L war handgreiflich. Ich versetzte ihr einen Faustschlag und trug einen blauen Fleck davon. Die Kamera zitterte kaum.
Das war auf der photokina '74, auf der Linhof die Master L als Neuheit präsentierte. Seither habe ich eine Schwäche für diese Kamera - eine Schwäche, die vielleicht durch ihr formvollendetes Design, ihr schwarzes Finish ein wenig vertieft wird, die aber in allen entscheidenden Punkten technisch begründet ist. Großbildkameras - und unter ihnen besonders die auf optischer Bank - sind seltsame Gebilde. Alles, was eine konventionelle Kamera mitbringt, muß man bei ihnen erst ansetzen. Sie haben kein Objektiv, gewöhnlich keinen Verschluß, keinen Sucher und keine Filmhalterung. Sie bestehen aus einem Träger mit einem Loch vorne und einem weiteren Träger mit einem Stückchen mattem Glas hinten. Dazwischen befindet sich eine Schiene irgendwelchen Art und ein Balgen aus weichem, gefälteltem Leder.
Worauf es ankommt, ist, was die Träger können. Was für Bewegungsfreiheit sie geben, und mit wieviel Stabilität sie diese Bewegungsfreiheit abstützen. Je mehr Bewegungsfreiheit die Konstruktion gewährt, und je größer die Stabilität ist, mit der sie diese Bewegungsfreiheit abstützt, desto besser, desto funktioneller ist eine solche Kamera. Darum der Faustschlag zur Begrüßung. Und darum - diese Grobheit ein wenig wiedergutzumachen - vorweg das Gesamturteil: Die Linhof Master L ist Spitze.
Wenn Sie noch nicht viel Erfahrung mit Großbildkameras haben, dann müßte ich Sie eigentlich bitten, sich mit diesem Urteil zufriedenzugeben und nicht weiterzulesen. Denn jetzt kommen technische Details, deren Bedeutung ich jeweils nur kurz umreißen kann. Da ist zuerst das Grundrohr, dessen Länge Sie sich aussuchen können 370, 500 oder 700 mm, je nachdem, weiche Auszugslänge Sie brauchen. Aus harter Alulegierung als Zweikammerrohr gefertigt und mit Profilschienen versehen, glaubt man ihm auf den ersten Blick, daß es praktisch verwindungsfrei auch viel größeren Belastungen standhält, als die Kamera jemals braucht. In der unteren Profilschiene läuft der Kamerabock, der als Nivellierkalotte ausgebildet - ca. 100 Standausgleichsbewegung nach allen Seiten gestattet. Ein einziger Hebel klemmt die Laut- und Nivellierbewegung punktgenau - die Kamera läuft nicht mehr einen Millimeter weg. Auch wenn es anderen Linhof-Kameras wehtut: Mit dem Flanschbock ist diese Genauigkeit nie erreicht worden.
In der oberen Schiene des Grundrohrs laufen die beiden Standartenträger, ebenfalls punktgenau und völlig fest zu klemmen. Sie sind für Objektiv- und Rückteilstandarte praktisch identisch ausgebildet - als großes, massives L, das der Kamera nicht nur ihr charakteristisches Aussehen, sondern vor allem die Grundlage für ihre besonderen Eigenschaften verleiht: Das L ist nicht die Spielerei eines Designers, es ist der Bügel, auf dem die Bewegungsfreiheit der Kamera beruht.
Betrachtet man die Kamera nun streng technisch, so stellt man fest, daß an den beiden Schenkeln des L-Bügels Verschiebe- und Schwenkeinrichtungen angebracht sind, die von der Konzeption her völlig übereinstimmen, obwohl sie grundverschiedene Funktionen haben - für mich schon mal der beruhigende Hinweis darauf, daß sich der verantwortliche Entwicklungsingenieur ernsthaft Gedanken gemacht hat. Was dabei herauskam, ist sachlich einwandfrei:
Im Trägerfuß ist als selbsthemmender Feintrieb in Schwalbenschwanzführung die Fokussierung untergebracht, die über einen gut dimensionierten Drehgriff betätigt wird. Darüber befindet sich das mit Exzenterklemmung ausgestattete Drehgelenk für die Vertikalschwenkung und auf dem Gelenk - wiederum in Schwalbenschwanzführung - der selbsthemmende Feintrieb für die Seitenverschiebung, mit deren Hilfe die vertikale Schwenkachse auf jede beliebige Vertikale innerhalb des Bildformates gelegt werden kann. Gut ablesbare Skalen geben Kontrolle über die Bewegung: insgesamt 60 mm fürs Fokussieren, 500 nach jeder Seite fürs Schwenken und 40 mm nach jeder Seite für die Seitenverschiebung.
Stellen Sie sich diesen Aufbau jetzt auf den aufrecht stehenden L-Schenkel übertragen vor, so haben Sie den Aufbau, der den Standartenträger mit der Standarte verbindet - mit einer kleinen, für die Praxis unwichtigen Einschränkung: Die Verschiebeeinrichtung unmittelbar am L ist schwalbenschwanz-geführt, jedoch ohne Feintrieb. Sie wird mit Hand verschoben. Für das Rückteil war diese Lösung sicher eine technische Notwendigkeit: Schließlich wollte man die Möglichkeit bieten, problemlos von einem Rückteil 9x12 cm/ 4x5" auf ein solches von 13x 18 cm/5x7" zu wechseln.
Auf die äußere Verschiebeeinrichtung folgt auch hier das Drehgelenk mit Exzenterklemmung und sodann die Einrichtung für vertikale Verschiebung über selbsthemmenden Feintrieb in Schwalbenschwanzführung. Dieser Aufbau gibt jetzt die gleiche Möglichkeit wie schon der Aufbau im Trägerfuß, nur, daß hier diese Möglichkeit ungleich viel bedeutungsvoller ist: Der Aufbau gestattet, die horizontale Schwenkachse auf jede beliebige Horizontale innerhalb des Bildformates zu legen. Was das in der Praxis bedeutet, läßt sich eigentlich nicht mit wenigen Worten umreißen. Es bedeutet Mühelosigkeit beim Einstellen und Schwenken, es bedeutet nahezu totale Freiheit im Umgang mit dem großen Format, im Spiel mit der präzis dosierten Schärfe, der völlig kontrollierten Perspektive. Vorbei ist das quälend ermüdende Iterieren bei der Einstellung, das oft sogar passionierten Großbild-Fotografen allen kreativen Schwung nahm. Vorbei ist der Kampf um Verstellungen, von denen man zwar wußte, daß sie funktionieren, die man mit den früheren Kameras aber nicht vernünftig in den Griff bekam: Die Master L erlaubt, alles aus einem Objektiv herauszuholen, was es zu leisten vermag. Und das mühelos.
Denn auch bei dem seitlichen Gelenkaufbau sind die möglichen Wege so dimensionierte daß sie die Leistungsfähigkeit heutiger Objektive überschreiten: Die äußere Verschiebeeinrichtung erlaubt 40 mm nach oben und 40 mm nach unten, die innere ebenfalls. Das bedeutet, daß die beiden Standarten insgesamt 160 mm gegeneinander verschoben werden können - und dabei spielt kein Objektiv mehr mit. Die Drehbewegung ist mechanisch unbegrenzt, nach Skala über 500 in jeder Richtung zu kontrollieren - auch hier also Reserven, die im Rahmen der Gesamtverstellung der Kamera nie völlig ausgeschöpft werden können. Und der Rest der Kamera? Linhof-Qualität eingebettet in das Linhof-System - braucht man mehr zu sagen? Ja, ein Wort noch - ein Wort zum Design: Die Kardan Master L ist eine auch von der Optik her moderne Kamera, eine Kamera, die jungen Leuten gefällt, also ein vorzügliches Werkzeug für junge Großbild-Fotografle.

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