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Artikel

Erfahrungsbericht

Alexander Borell:

Minolta XE-1

Es gab eigentlich schon genug über die Minolta XE-1 zu lesen, aber mir scheint, daß man über diese großartige Kamera immer wieder etwas zu sagen findet: Sie wird nämlich den Markt bis in die Reihen der Profis durchdringen. Und zwar zu den Spitzenprofis, weil sie eine Spitzenkamera ist. Daher soll mein Artikel diesmal auch nicht nur die Kamera beschreiben, sondern über eine Kombination berichten, mit der jeder Profi nahezu jede Aufgabe in aller Welt lösen kann. Ein Minimum an Technik und Optik, ein Maximum an Möglichkeiten: das bietet die XE-1 mit nur drei Objektiven: 1:2,8/21 mm, 1:1,4/50 mm und 1:4,5/80-200 mm. Das entspricht dem Brennweitenbereich von 1:10!

Die Minolta-Modelle SRT 101 und SRT 303 bevölkern diese Welt schon so lange, daß man über sie ebensowenig sagen muß, wie über die Ameisen.
Ebenso bekannt ist die Tatsache, daß sich ein sehr hoher Prozentsatz von Amateuren seit vielen Jahren für die Spitzenfabrikate der bisherigen Mittelklasse entschieden hat, für Asahi oder Minolta. Mit diesen Kameras bewies man sich und anderen, daß man zu den "ernsthaften" Amateuren gehörte.
Dann kam, gewissermaßen als Paukenschlag, in die ziemlich gedämpften Trommelwirbel die Minolta XM. Dieser Kamera bin ich trotz ihrer sicherlich vorhandenen technischen Vollendung stets nur mit einer gewissen Reserve begegnet. Sie erinnerte mich, gerade wegen ihrer Universalität, zu sehr an die Contarex von Zeiss, die nicht zuletzt gerade wegen ihrer bis dato unerreichten Perfektion zum Scheitern verurteilt war: für Profis wie für Amateure war sie zu schwer, zu unhandlich, und deshalb wurde sie schließlich nur noch von Spezialisten oder Behörden gekauft. So schien mir die Minolta XM zwar bewunderns-, aber für mich als Amateur nicht liebenswert.
Ganz anders bei der XE-1!
Schon auf der photokina 1974 war es bei mir Liebe auf den ersten Blick. Aber mit Kameras geht es nun einmal, wie mit vielen anderen Dingen auch, man muß sie begreifen. Ich meine das in des Wortes wahrster Bedeutung: "begreifen", anfassen, mit ihr arbeiten. Testlabors sind eine feine Sache, sie entdecken alles, nur oft das Nächstliegende nicht: ob einem eine Kamera paßt oder nicht. Ich habe die XE-1 sofort begriffen und sie hat mir gepaßt. Viele COLOR-Leser kennen mich schon lange, sie wissen am besten, ob mein oder ihr "Begreifen" einer Kamera identisch ist, oder nicht. Und schließlich ist ebensowenig erwiesen, ob eine Miss Germany für alle deutschen Männer die richtige Ehefrau wäre.
Alles an dieser Kamera ist richtig, oder doch fast alles. Sie liegt satt in der Hand, der rechteckige Suchereinblick stört Brillenträger nicht, man kann ihn gegen Fremdlicht abdecken, genau am Daumen vor dem Schnellschalthebel sitzt der Schalter für "Off" und "On", der Auslöser arbeitet so weich und der Spiegelschlag ist so leise und kaum zu spüren, wie man das bisher als Weltstandard nur von Leitz kannte. Die XE-1 übertrifft in dieser Hinsicht alles, was ich je in der Hand hatte und hat sich damit einen Platz in der Kameraspitzenklasse erworben. Für Doppelbelichtungen braucht man nicht irgendwelche Manipulationen auszuführen: es gibt dafür einen Druckknopf. Manuell sind Zeiten von 4 sek. bis zur 1/1000 einzustellen, natürlich auch B, und geblitzt wird mit 1/90 sek., also ebenfalls gut. Wird der Verschluß auf "A" (Automatik) gestellt, schafft er stufenlos von Lichtwert 1 bis 17, also von 1 sek. bis 1/1000 sek. mit Blende 1,4 bis 11 bei 21 DIN. Die Zeiten werden elektronisch kontrolliert und erlauben, worauf Minolta immer noch stolz ist, unendlich viele Abstufungen, obwohl das in der Praxis kein Mensch braucht. Aber die XE-1 kann das.
Sie kann auch die Automatik überlisten, indem man einen arretierten Ring löst und bis zu plus oder minus zwei Blendenstufen wieder einrasten läßt. Auch die Einstellung der Filmempfindlichkeit rastet und kann sich nicht selber verstellen.
Das Sucherbild ist normal, weder übermäßig hell, noch etwa dunkel, darüber sieht man eingespiegelt die Blende und ein Signal für die manuell gewählte Verschlußzeit, oder ein A dann arbeitet die Automatik. Ein Batterietester ist noch da, eine Schnell-Aufwickelspule, etwas besser als bei Leitz, und die Rückwand wird ebenso konventionell wie ungesichert durch Ziehen an der Rückspulkurbel geöffnet. Den kleinen Tupfen auf dem Rückspulknopf, der beim Rückspulen auch im Lärm optisch das Filmende signalisiert, den hat man sich gespart. Und trotzdem wäre diese Kamera vollkommen, wenn nicht zwei Dinge . . .
Also über die Verschlußzeitenautomatik will ich mich hier noch nicht auslassen, wohl aber darüber, daß Minolta trotz dieser vollendeten Technik übersehen hat, daß es schon längere Zeit Leuchtdioden gibt. Immer noch muß ich rechts neben dem Sucherbild eine Skala beobachten, und das kleine, dünne Zeigerlein darauf. Diese Zeigerinstrumente sind nicht nur stoß-, sondern auch motivempfindlich: bei Dämmerung oder etwas Schwarzem am rechten Bildrand sieht man nichts mehr. (Und deshalb habe ich mir auch prompt mein Bild 4 versaut!)
Die zweite und für mich noch größere Enttäuschung: es gibt zu dieser prachtvollen Spitzenkamera keinen Motor, nicht einmal einen Anschluß dafür. Zur gleichen Zeit also, wo Olympus zur generellen Motor-Drive-Ausführung übergeht, wo Leitz mit der Leicaflex vermutlich die gleichen Erfahrungen macht, wo eine neue Contax in Aussicht ist, die sogar mit zwei Motorsystemen arbeiten wird, und wo eben überhaupt die Menschheit - soweit sie fotografiert - nicht mehr schnellschalthebeln will - kommt diese Prachtkamera ohne dergleichen auf den Markt! Das finde ich zum Heulen, zumal man diese Entwicklung sogar schon bei den GewindeschraubAsahileuchten begriffen hat.
Aber . . .
Haben Sie schon mal was von einer Bibel --I gehört? Nein? Sie wurde ja auch nicht geschrieben, um mehrere folgen zu lassen. Bisher aber kam noch nach jeder Kamera Nr. 1 eine Kamera Nr. 2. Vielleicht kommt eines Tages auch eine XE-2, die nicht nur einen Motor hat, sondern sogar wahlweise eine Zeit- und Blendenautomatik?
Für meinen Bericht bat ich um eine Objektivkombination, die mir besonders universell schien: nämlich mit Weitwinkel, Standard- und ausreichendem Zoom-Objektiv. Wenn schon Weitwinkel, dann gleich richtig - so meine ich jedenfalls und wählte das 21er. Das ist etwa die Hälfte vom normalen 50er. Welchen Bogen man, vom gleichen Standpunkt aus, mit diesen drei Objektiven zur Verfügung hat, zeigen Ihnen die vier Abbildungen, die ich auf dem Markt in Desenzano geschossen habe. Es sind, dem Format nach, Originalvergrößerungen von 24x36, und auch das Rokkor 2,8/21 mm zeigt Randschärfe und Verzeichnungsfreiheit. Mit dem 1,4/50 hat man die angenehme und problemlose "Normale` - und das Zoom Rokkor 1:4,5/80-200 mm ist nicht nur optisch einwandfrei, sondern deckt auch handlich und nicht zu schwer den Fernbereich mit ab.
Was mir bei diesen Aufnahmen passierte:
Ich stellte bei der ersten Aufnahme mit dem Weitwinkel fest, daß rechts neben dem Sucherbild bei Blende 16 eine 1/500 sek. angezeigt wurde. (Auf Agfapan 400, 30 DIN und Atomal!) Ich wiegte mich daher in absoluter Sicherheit und schoß alle drei Objektive rasch durch, damit mir die weiße Dame an dem Verkaufsstand nicht davonlief. Im Auge hatte ich, als letztes Bild mit 200 mm Brennweite, die andere weiße Dame.
Leider wurde sie unscharf, denn - wie ich erst hinterher nachvollzog - die Verschlußzeit war mir unter dem Zeltdach um volle drei Stufen auf 1/60 sek. abgerutscht! Machen Sie mal aus der Hand eine rasche Aufnahme mit 200 mm im Glauben, Sie hätten 1/500 sek. zur Verfügung! Sehen Sie, ich bin's von meinen anderen Kameras gewöhnt, daß sich nur die Blende verändert, und die wäre dann halt von 16 auf 5,6 aufgegangen, aber die 1/500 sek. wäre mir geblieben. Aber natürlich ist das meine Schuld und nicht die der XE-1, und es kann eigentlich überhaupt keine Debatten darüber geben: wer innerhalb eines bestimmten Schärfentiefenbereichs bleiben will oder muß, weil das seinen beweglichen Motiven am besten entspricht, der fährt mit der Verschlußautomatik besser, denn sein Schärfenbereich bleibt ihm erhalten, egal was der Verschluß auch macht. Meine persönliche Art zu fotografieren ist anders - folglich wünsche ich mir eine feststehende Verschlußzeit.
Ob mir und Ihnen das einmal eine XE-2 bringen wird?
Aber ich sagte Ihnen anfangs, es ginge mir diesmal mehr um die Kombination einer Spitzenkamera mit möglichst wenigen, dafür möglichst universellen Objektiven. Eine solche Topzusammenstellung kostet natürlich Geld. Rechnen wir für die XE-1 mit Rokkor 1,4/50 etwa DM 1.300,-, für das Weitwinkel-Rokkor 2,8/21 runde DM 800,- und für das Zoom-Rokkor 1:4,5/80200 DM 1.200,-, so sind das insgesamt runde DM 3.300,-. Ein schöner Batzen, aber Sie wissen ja: wenn Sie bereit sind, meilenweit für eine Packung Zigaretten zu laufen, sollten Sie sich für eine solche Ausrüstung auch etwas umsehen! Festpreise gibt's ja bei uns nicht mehr. Zuletzt noch etwas über's Geld. Sie haben mit dieser beschriebenen Ausrüstung eine fotografische Basis, von der Sie [eben könnten. Sie erwerben für runde DM 3.000,- professionelle Geräte, und nun überlegen Sie bitte, was der kleinste Dorffrisör investieren muß, um von seinen Geräten zu leben! Es wundert mich nämlich immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit manche Amateure von ihrer Ausrüstung professionelle Qualität verlangen, von einem professionellen Preis jedoch nichts hören wollen.
Und dabei ist es doch gar nicht schwer, von Fotos zu leben, denn Sie brauchen dazu nur vier Dinge: die Idee, das Können, die Ausrüstung und ein wenig Glück. Glück brauchen Sie in jedem Beruf; die Ausrüstung haben Sie soeben kennengelernt; die Ideen und das Können besitzen Sie ohnedies. Wo in aller Weit bekommen Sie für DM 3.000,- eine Lebenschance?

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