← Zurück

Artikel

2009

PRÜFBERICHT

DIE TESSINA

Eine kritische Betrachtung der gegenwärtig kleinsten Reflexkamera. Sie verwendet 35-mm-Film in eigenen Kassetten. Aufnahmeformat: 21 x 14 mm. Der Beitrag stammt vom Technischen Redakteur des englischen »The British Journal of Photography«, der angesehenen, ältesten Fotozeitschrift der Welt. Der Autor machte sich neben seinen zahlreichen fototechnischen Publikationen in jüngster Zeit auch durch Erfindungen auf fotochemischem Gebiet einen Namen.

»Kleinkamera« - oft mißbraucht

Die Bezeichnung »Kleinkamera« wird sehr oft mißbraucht. Heute nennt man vielfach Kameras so, die weit über ein Kilo wiegen! Die Tessina jedoch ist eine Kamera, die mit vollem Recht Kleinkamera, ja Kleinstkamera genannt werden darf. Sie ist nur 6,8 x 5,4 x 2,5 cm groß; ihr Aufnahmeformat ist 21 x 14 mm. Dieses Format hat dasselbe Seitenverhältnis wie das Standard-Kleinbildformat 24 x 36 mm, nämlich 1:2. Das ist für all jene angenehm, die bei der Bildkomposition eben dieses Verhältnis gewohnt sind. Andere Kameras, die so klein
sind wie die Tessina, benutzen 16-mm-Film, und viele Fotokameras, die mit 16-mm-Magazinen geladen werden, sind größer als die Tessina, dabei wird in der Tessina 35-mm-Film verwendet.
Ein großer Vorteil der Tessina liegt in der Tatsache, daß sie mit handelsüblichem Kleinbildfilm geladen wird, d.h. man kann die Tessina-Kassetten mit Hilfe des Tageslicht-Ladegerätes füllen. Somit bleibt kaum ein Filmwunsch offen, da es praktisch alle Filmtypen in 35-mm-Breite gibt. Bei 16-mm-Kameras dagegen kann man gelegentlich Lieferschwierigkeiten bei bestimmten Filmsorten haben.

Ein weiterer Vorteil

Der 35-mm-Film hat bei diesem Kleinformat aber auch noch einen weiteren Vorteil. Ein schwacher Punkt der Kleinstformate ist, daß man die Filme bei der Verarbeitung mit größter Sorgfalt behandeln muß, um kein einziges Filmbild zu beschädigen. Eine kleine Verletzung, die bei einem Bildchen im Format 24 x 36 mm keine große Rolle spielt, ist bei 18 x 24 schon gewichtiger und noch unangenehmer bei kleineren Formaten, besonders bei 16 mm. Benutzt man 35-mmFilm, ist die Möglichkeit einer mechanischen Beschädigung des Films verringert. Seine Handhabung ist auch beim Prüfen der Negative oder Dias, beim Archivieren und Vergrößern weitaus einfacher.

Die kleinste Reflex

NaN

Die Tessina gehört zur Klasse der zweiäugigen Reflexkameras. Sie hat ein Sucher- und ein Aufnahmeobjektiv. Beide liegen sehr eng beieinander, so daß die Parallaxe sehr gering ist. Die beiden Objektivachsen sind nur 13 mm voneinander entfernt. In der Normalhaltung der Kamera ist das Aufnahmeobjektiv etwas höher und seitlich vom Sucherobjektiv gelegen. Der Film läuft parallel zum Boden der Kamera; das Objektivbild wird mit einem Spiegel auf ihn reflektiert. Dieser Kniff ermöglicht u. a. die kleinen Abmessungen des Geräts. Um sich die Methode vorstellen zu können, erinnere man sich an den Weg, den das Licht im Sucher bei einer zweiäugigen Reflexkamera zurücklegen muß. So arbeitet auch das Suchersystem der Tessina. Der Spiegel reflektiert das Licht auf eine Mattscheibe, über der ein Lichtschacht angeordnet ist, der Störlicht abhält. Analog ist es bei der Aufnahmekammer: hier wird das Licht ebenfalls über einen Spiegel, jedoch nach unten, auf den Film reflektiert.

Kleiner oder kein Effekt

Natürlich drängt sich hier der Verdacht auf, der Spiegel könnte einen negativen Einfluß auf die Bildleistung des Objektivs ausüben. In der Praxis jedoch scheint nur ein kleiner oder überhaupt kein Effekt feststellbar zu sein. Selbstverständlich darf der Spiegel nicht im geringsten schmutzig oder staubig sein. Der Fotograf muß sich vor dem Schließen der Kamera vergewissern, daß der Spiegel völlig sauber ist. ( Ein formatgerechter präparierter Pinsel wird in der Schweiz - nicht in England - bei der Kamera mitgeliefert. Seine Haare dürfen nicht mit den Fingern berührt werden D. Ü.). Der Spiegel im Strahlengang des Aufnahmeobjektivs kehrt das Bild um. In der Dunkelkammer muß man den Film so in den Vergrößerer einlegen, daß die Schicht nach oben zeigt.

Eingebauter Motor

Der Tessina-Verschluß (ein Zentralverschluß) hat den Zeitenbereich von 1/2 bis 1/500 s und B. Man stellt die Zeiten an einem kleinen Rädchen ein, das auf der rückwärtigen Schmalseite der Kamera eingelassen ist. Der Rand des Rädchens ist gezähnt, so daß es sich sicher drehen läßt. Die einzelnen Zeiten rasten ein. Neben dem Verschlußstellrädchen ist eines für F-, M- und X-Kontakt angebracht und auch der Blitzkontakt in Normalausführung, so daß sich alle handelsüblichen Blitzgeräte ohne weiteres anschließen lassen. An den beiden Enden dieser Schmalseiten liegt das Rad zum Filmspulen und der Aufzugsknopf für den Motor. Der Filmtransport erfolgt durch einen Motor. Um den Motor aufzuziehen, muß man den Knopf etwas aus der Kamera herausziehen. Das geht manchmal etwas schwierig. Bei vollem Aufzug zieht der Film je nach Filmdrall so 10 bis 12 Aufnahmen durch. Der Motor summt bei Ablauf anfangs in höherer Tonlage ; diese sinkt bei den letzten Transporten, wenn man die Feder also wieder spannen muß. Der Filmtransport erfolgt im Sekundenbruchteil. Beim Druck auf den Auslöser läuft der Verschluß ab, der Film wird aber erst transportiert, wenn man den Auslöseknopf wieder freigibt. Diese Methode ist praktisch, wenn man unbeobachtet Aufnahmen machen will; denn so ist es möglich, nach der Aufnahme den Finger auf dem Auslöseknopf zu lassen, die Kamera unter der Jacke zu verstecken und dann erst den Finger vom Auslöser zu nehmen, so daß der Filmtransport gedämpft erfolgt.

Normalfall Hochformat

In der normalen vertikalen Lage macht die Kamera Aufnahmen im Hochformat. Für Querformat-Aufnahmen muß man also die Kamera hochhalten. Hier verhält sie sich also wie die alten Großformat-Reflexkameras. Es ist nur am Anfang ein wenig schwierig, sich daran zu gewöhnen.

Pentaprisma aufschiebbar

An der Kamera läßt sich ein Pentaprisma aufschieben. Das bei den Prüfaufnahmen benutzte Pentaprisma schob sich leicht von der Kamera ab ; man mußte hierbei etwas aufpassen. Das Sucherbild ist nicht sehr hell, jedoch ist es für Außenaufnahmen ausreichend. Das Sucherokular läßt sich fokussieren. Das Prisma vergrößert die Ausmaße der Kamera offensichtlich, jedoch steht das im Verhältnis zum erreichten Gewinn. Die Kamera wird um etwa 3,5 cm höher. Das Prisma ist rund 5 cm lang. Der Suchereinblick ragt hinten über die Kamera hinaus. Es ist immer ein Vergnügen, mit Kleinstkameras aufzunehmen - sie fordern den passionierten Fotografen heraus, zu prüfen, in welchem Grad man gleichwertige Ergebnisse wie mit größeren Aufnahmeformaten erzielen kann. Für den Fotoneuling sind sie eine bequeme Taschenkamera, die - so man richtig belichtet - bei Farbe und Schwarzweiß ausgezeichnete Aufnahmen ermöglicht. Die Tessina kann man sehr empfehlen, besonders da man sie mit normalem Kleinbildfilm laden kann.

Dunkelkammer überflüssig

Der Tessina-Tageslichtumspuler macht es möglich, jede Tessina-Kassette bei Tageslicht mit ganz wenigen Handgriffen aus einer normalen Kleinbildpatrone zu laden. Eine Dunkelkammer ist dazu überflüssig. Die Kleinbildpatrone kann man überhaupt immer im Filmlader lassen und sich die Tessina-Kassetten nacheinander füllen. Der Tageslichtumspuler mißt automatisch die ausreichende Filmlange für eine Kassettenfüllung. Eine Kassettenladung ergibt 23 Aufnahmen im Format 21 mal 14 mm bei Schwarzweiß, 18 bei Farbe. (Eine 36er Patrone 24x 36 ergibt etwa 75 Tessina-Aufnahmen. D. Ü.) Durch die größere Dicke des Farbfilms ist bei ihm die Aufnahmezahl etwas kleiner. Mit einiger Übung kann man jedoch noch einige Aufnahmen mehr gefahrlos in die Kassette einspulen.

Außerordentlich unauffällig

Die Zusatzsucher werden in einer Halterung - praktisch ein Sucherschuh -, unmittelbar an der Mattscheibe angeordnet, eingeschoben. Nachdem ich den normalen Lichtschachtsucher abgenommen hatte, konnte ich außerordentlich unauffällig fotografieren, wenn man die Finger über die Kameraoberseite legt ( und teils als »Lichtschacht« verwendet D.Ü.). So kann man tatsächlich den Eindruck erwecken, keine Kamera in der Hand zu haben. Die meisten Leute werden annehmen, wenn sie überhaupt das Instrument gewahr werden, es handele sich vielleicht um einen Belichtungsmesser.

Objektiv guter Qualität

Das dreilinsige Objektiv der Tessina (Tessinon) hat Lichtstärke 1:2,8 bei 25 mm Brennweite ; es läßt sich bis 22 abblenden. Die Blende wird an dem kleinen Stellrad an der Kameraoberseite eingestellt. Sie hat eine Doppelskala, die das Ablesen erleichtert. Das Stellrad zum Fokussieren liegt über dem Sucher oberhalb des Sucherobjektivs. Das ist in der Praxis eine sehr bequeme Lage. Präzises Fokussieren ist nicht sehr leicht, aber dank der großen Schärfentiefe des Objektivs ist es genau genug. Die Qualität des Objektivs ist gut. Bei voller Öffnung bietet es hervorragende Wiedergabe, bei Abblendung auf einen Wert zwischen 4 und 5,6 ergibt es ausgezeichnete Schärfe mit brillanter Detailwiedergabe. Die vordere Schmalseite der Kamera hat einen verschiebbaren Schutzdeckel, der die beiden Objektive verdeckt. Man kann nur auslösen, wenn der Deckel ganz geöffnet ist.

Qualität einer Schweizer Uhr- und am Armband zu tragen

In Ergänzung zu der Schlangenkette, die man an der Kamera befestigen kann, läßt sich die Tessina auch an einem Armband tragen. Das Armband besitzt eine Metallplatte ähnlich jener der Schlangenkette. Diese läßt sich am Kameraboden anschieben und einrasten. Die Halt-platte der Schlangenkette besitzt Stativgewinde. Am Armband kann man die Kamera unter den Ärmel wegstecken und bei Gebrauch blitzschnell in Gebrauchshaltung bringen.
Die Tessina ist eine Kamera, die Neugier erregt. Sie ermöglicht Resultate in professioneller Qualität. Vom fertigungstechnischen Standpunkt aus betrachtet, ist sie außerordentlich gut gebaut. Sie präsentiert eine Kleinstkamera in einer Qualität, wie wir sie bei einer Schweizer Uhr erwarten. Sie wiegt 17o g (schußfertig mit Kassette und Film geladen).
Aus dem Englischen von Dieder Renner

{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}