← Zurück

Artikel

2009

NÖRGELMANN ÜBER: REGULA REFLEX 2000 CTL

Nach vielbeachtetem Start mit der Fujica ST 701 und der VX 500 aus Dresden setzt das „Foto-Magazin" in diesem Heft die Reihe seiner Amateurtests mit der Regula Reflex 2000 CTL fort. Als Prototyp auf der photokina '68 gezeigt, zwei Jahre später marktreif entwickelt, seit Oktober 1970 in kleinen Stückzahlen lieferbar, interessiert die Regula Reflex aus zweierlei Gründen: 1. Es gehört viel Mut dazu, heute noch neu in den Spiegelreflexmarkt einzusteigen. Das Kamerawerk King KG in Bad Liebenzell hat diesen Mut bewiesen. 2. haben die Regula-Techniker, das verdient besondere Beachtung, einen Schlitzverschluß entwickelt, der -horizontal ablaufend - die Rekordzeit von 1/2000s schafft. Eine Meisterleistung Schwarzwälder Präzision.

Red.

Der liebe Gott hat die Fähigkeit, gute Obstwässer zu destillieren, nicht gleichmäßig auf dem Globus verteilt: das können nur die Schwarzwälder. Glauben sie. Und wenn man einen solchen Obstler trinkt, ist man durchaus geneigt, Angehöriger dieses Glaubens zu werden.
Und nun steht eine Spiegelreflex aus dieser Gegend vor mir. Ich greife danach, denn ich urteile gar sehr nach dem Gefühl meiner Fingerspitzen, und - das Ding ist festgeschraubt. Erst beim zweiten Zugreifen entdecke ich, daß es nicht festgeschraubt, sondern nur so schwer ist.
Gelobt sei alles Schwere in der Fotografie -sagte ich früher einmal und schraubte  mir zwei Zentimeter geformtes Blei unter meine Leicas. Und dann gelang die 1/5 s aus der Hand. Ich habe es ausprobiert: mit der Regula Reflex 2000 CTL schaffen Sie die 1/4 s aus der Hand! Dazu gehört allerdings nicht nur ein erhebliches Gewicht und ein griffiger, an der richtigen Stelle liegender Auslöser, was die Regula beides besitzt, sondern auch ein Schlitzverschluß, der nicht schlägt.
Die Obstler-Könige im Schwarzwald sind grundgescheite Leute. Deshalb haben Sie sich
gesagt: Wenn schon zu den etwa achtzig Spiegelreflex-Kameras noch eine fehlt, dann muß sie was Besonderes haben. Die Regula hat einen in doppelter Beziehung einmaligen Schlitzverschluß: Nicht nur, daß er die üblichen Zeiten von B über eine Sekunde bis zur
s aufweist, er hat sogar eine 1/2000 s! Und ist noch mit 1/125 s blitz-synchronisiert! Und das alles schafft dieser großartige Verschluß ohne den leisesten Schlag.
Wenn ich von Schlag spreche, meine ich nicht Knall. Ich empfehle keinem Besitzer dieser Kamera, damit auf dem Petersplatz in Rom während des Segens des Heiligen Vaters eine Aufnahme zu machen: die Schweizergarde würde das Feuer sofort erwidern! Wie man einen solchen Knall, zugleich ohne jeglichen Schlag, technisch fertigbekommt, scheint mir von jetzt ab zu den Schwarzwälder Geheimnissen zu gehören. Für mich als Techniker grenzt das an Zauberei.
Sonst ist an dieser Kamera nichts gezaubert: Die Empfindlichkeitseinstellung für die Belichtungsmessung durchs Objektiv ist einfach und übersichtlich, das Zählwerk neben dem Suchereinblick ebenso, und das Signal neben den Verschlußzeiten, ob dieser gespannt oder
entspannt ist, empfinde ich als genauso praktisch wie den Blitz-Mittelkontakt im Sucherschuh.
Für ebenso schwarzwälderisch schlau halte ich das Schraubgewinde im Praktica-Format für die Objektive: wem 700 Wechselobjektive nicht reichen, der findet sicherlich auf dieser Welt noch ein paar dazu, vom kürzesten Kurz bis zum längsten Lang. Das Sucherprisma mit Fresnellinse, Mattscheibenring und Mikroprisma ist gut, der Schnellschalthebel liegt günstig und arbeitet weich, die Rückwand läßt sich praktisch öffnen und man sieht eine so saubere Technik, daß man sie den Produzenten von Kuckucksuhren auf Anhieb gar nicht zutrauen würde.
Aber da wir gerade von Kuckucksuhren sprechen: die Belichtungsmessung durchs Objektiv und deren Einstellung erscheint mir, mit der Gesamtkamera verglichen, doch noch ein wenig zu sehr wie das kleine Türchen, aus dem das Vögelchen pfeift, was die Uhr geschlagen hat. Hier hat man, wenn auch sicher sehr liebevoll und grundsolide, gebastelt, ohne sich rechtzeitig darum zu kümmern, was etwa außerhalb des Schwarzwaldes in dieser Hinsicht geboten wird. Zwar hat man sich wieder pfiffigerweise gesagt, daß die Menschen zwei Hände mit je fünf Fingern haben und deshalb die Meßtaste gleich doppelt, links und rechts vom Objektiv angebracht. Und trotzdem wäre es klüger gewesen, beide wegzulassen und mit stets geöffneter Blende über einen Simulator zu messen. Nun muß man nämlich auf diese Taste drücken: es schließt sich die Blende, das Bild wird dunkel. Weiter geschieht nichts. Denn damit noch etwas geschieht, muß ich fester drücken. Für meine Begriffe so fest, daß die Kamera dabei zu wackeln anfängt. Und dann muß ich, unter diesem kräftigen Druck, die Suchernadel in eine Art von Gabel hineinmanövrieren, was ich mittels der Blendenverstellung am Objektiv bewerkstelligen kann, wenn ich die Verschlußzeit vorgewählt habe. Würden Sie lieber mit dem linken Zeigefinger drücken, mit der rechten Hand die Blende verstellen, um dann loszulassen, die Kamera neu zu greifen und auszulösen? Oder würden Sie lieber den rechten Zeigefinger auf dem Auslöser lassen, mit dem rechten Ringfinger die Meßtaste drücken und dann mit der linken Hand über die Blende den Zeiger in die Meßgabel einpegeln?
Sie könnten aber auch mit dem linken Zeigefinger die Meßtaste drücken, die Blende Vorgewählt haben, den rechten Zeigefinger auf der Auslösetaste halten, und, mit Daumen und drittem Finger die Verschlußzeiten so verstellen, daß die Meßgabel über dem Zeiger ... Also bei aller Liebe zum Handwerk: hier ist mir noch zuviel Kuckucksuhr, und ich wünsche dem Regula-Werk von ganzem Herzen soviel Erfolg, daß das nächste Modell bald zum gleichen Preis mit Offenmeß-Methode auf dem Markt kommen kann.
Fragen Sie mich, liebe Test-Leser, niemals, ob eine von mir getestete Kamera auch „gute Bilder" mache. Nach meiner Ansicht macht die nämlich der Fotograf und nicht die Kamera. Und wenn Sie schon, wie ich, ein Xenon 1,9/50 drin haben, dann zeichnet ein solches Objektiv unter allen Umständen schärfer, als Ihr Film das auflösen kann. Würde aber ein Verschluß klemmen, unregelmäßig ablaufen, oder sonst irgend ein technischer Fehler an einer Kamera während meines Tests auftreten, würde ich sie dem Hersteller zurückschicken, ohne ein Ergebnis zu veröffentlichen.
Bei diesem neuen schwarzwälder Produkt hat man, wenn man so etwa drei 36er-Filme durchgespielt hat wie ich, das merkwürdige Gefühl, diese Kamera würde, wenn man sie kaufte, im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Erzeugnissen ausnahmsweise nicht erst repariert werden müssen. (Haben Sie, Herr Regula, gemerkt, daß dies ein Sonderkompliment ist?)
Und jetzt, am Schluß gibt es noch ein Plus für das Filmeinlegen, das besonders einfach funktioniert, ein Plus für den überaus sauberen Finish, und wenn ich trotzdem nur zu meiner Note drei bis vier komme, dann nur mit einer Träne im Auge und wegen der Tatsache der für mich so umständlichen Belichtungsmesserei, die mich nur allzusehr an einen Ausspruch meines großen Landsmanns Karl Valentin erinnert. Der sagte, als eine Militärkapelle an ihm vorübermarschierte: „Es ist grausam schwer, unterm Gehen marschieren und blasen."
Ich rate aber jedem Interessierten, sich diese Kamera anzuschauen und sie in die Hand zu nehmen: vielleicht hat er weniger viele linke Hände als ich!
Mag sein, daß dann auch die Methode, mit der Arbeitsblende zu messen, sinnvoll wird, weil man in dieser Kamera auch noch mit dem billigsten Scherben fotografieren kann.
Apropos billig: das ist sie nicht! Sie ist aber auch nicht teuer. So etwa ab 600 DM, mit einem preiswerten 2,8 Objektiv, 700 DM in der Standardausführung ist heute für eine solche Kamera ein akzeptabler Preis. Vielleicht habe ich mein Notensystem falsch aufgebaut: beim Eiskunstlauf gibt es ja auch zwei Noten und dann würde ich meine obige Note für die Pflicht gegeben haben. Für die Kür, worin ich den Mut einer deutschen Firma erblicke, aus eigener Initiative etwas so vielversprechendes auf den internationalen Markt zu bringen, gäbe ich eine Note 1 mit Stern.

{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}