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Alexander Borell Kommentar
Eine Leica HS?
Um es gleich vorwegzunehmen: dieses "HS" stammt nicht von der stockseriösen und stets tiefstapelnden Firma Leitz in Wetzlar, sondern von mir. Es entstand, während ich mit dieser Kamera/Objektivkombination arbeitete und bedeutet "High Speed". Auch dachte ich mir, wenn schon alle anderen ihre Modelle durch Hinzufügen von Buchstaben aufwerten, sollte ich das bei Leitz auch tun, zumal es die Leica M 5 zusammen mit dem neuen Noctilux 1:1 (eins zu eins!) wirklich verdient hat. Und ich sehe mit Ruhe jeder "Einstweiligen Verfügung` entgegen, wenn ich behaupte: sowohl diese Kamera als auch dieses Objektiv, besonders in dieser Kombination, sind einmalig auf der Welt und geeignet, Aufgaben zu lösen, die man mit keiner anderen Kamera der Weit auf die gleiche elegante Art lösen kann.
Die Leica M 5 ist bekannt, ihre Vorteile ebenfalls: das kaum vernehmbare Auslösergeräusch, das unbemerktes Fotografieren überall dort erlaubt, wo Spiegelschlag - sei er noch so leise stören würde, und die bei geringem Licht noch absolut punktgenaue Entfernungsmessung über den kombinierten Misch- und Schnittbild-Entfernungsmesser mit seiner enorm großen Meßbasis. Dazu noch die Belichtungsmessung durch's Objektiv. Schon diese Eigenschaften gaben bisher der Leica M 5 ihre Sonderstellung in einer Umwelt von Spiegelreflexkameras, die ihr kein anderes Produkt streitig machen konnte.
Ganz besonders interessant, und auf eine neue Art unschlagbar, wird sie mit dem neuen Noctilux 1:1/50 mm, das bereits bei voller Öffnung (!) eine bisher in der Fotografie für unmöglich gehaltene Abbildungsqualität zeigt. Konturenschärfe, Auflösungsvermögen und Kontrastübertragung sind so, daß sie hinterher an Ihrer Aufnahme gelegentlich noch mehr Details entdecken, als Sie vorher mit Ihren Augen gesehen haben. Offene Lichtquellen werden völlig frei von Überstrahlungen abgebildet! Bei allen vergleichbaren Blenden konnte ich nicht den geringsten Unterschied gegenüber dem sicherlich weltbekannten und weltanerkannten Spitzenobjektiv Summicron 1:2 feststellen. Was den Techniker interessieren mag, und was für die Leitzforschung spricht: Dieses Objektiv enthält keine "asphärischen" Elemente, sondern erzielt seine überragende Leistung durch die Verwendung neu von Leitz entwickelter optischer Gläser. Hierdurch entfällt der Aufwand für die Herstellung von asphärischen Flächen, wie sie noch im bisherigen Noctilux 1,2 verwendet werden mußten, so daß dieses neue Objektiv 1: 1 nicht nur besser, sondern zugleich auch preiswerter sein kann. Selbstverständlich hat man diesem Leistungsprotz aus Canada auch die in leitzüblicher Akuratesse gefertigte Streulichtblende mitgegeben, obwohl ich nach längerem Arbeiten mit diesem Objektiv sagen kann wenn es ein Objektiv auf der Welt gibt, das keiner Gegenlichtblende bedarf, dann ist es dieses. Man sollte es damit aber vor Regen, Schnee oder seitlichem Spritzwasser schützen.
Der Preis liegt einiges unter DM 2.000,-, und selbstverständlich können Sie dieses Objektiv an allen M-Modellen verwenden. Von jeher hat Leitz Geld verlangt für seine Spitzenqualität, und man ließ bei Leitz lieber die Finger ganz von einer Sache, als sie billig und nur mittelmäßig zu produzieren. Und so kostet die Leica M 5 mit dem Noctilux 1: 1 auch runde dreieinhalbtausend Mark. Das ist enorm viel Geld für jemanden, der die technischen und optischen Möglichkeiten dieses "Spezialaggregates" nicht ausnützen kann. Wer aber einmal damit gearbeitet hat, kommt leicht auf den Gedanken, sich auf eine Fotografie zu spezialisieren, die dort beginnt, wo alle anderen zu fotografieren aufhören. Mir kam der Zusatz "HS", High Speed, ganz von selber in den Sinn, als ich damit die Aufnahmen vom Eishockeytraining im Stadion machte. Mit absoluter Präzision und schneller als mit anderen Systemen hat man die Entfernung eingestellt, und kann sie, nach einiger Übung, mit jeder Bewegung mitziehen, um im richtigen Augenblick auszulösen.
Das Licht im Stadion läßt sich auf verschiedene Helligkeit schalten. Ich ließ es, während des Trainings, auf 25% des sonst üblichen Lichtes reduzieren und schoß meine Aufnahmen auf HP 4, 27 DIN, mit einer 1/250 Sekunde! Das bedeutet, daß Sie mit jedem normalen Colorfilm aus der Hand gestochen scharfe Bewegungsaufnahmen machen können.
Eine Schwierigkeit ergibt sich allerdings bei der Arbeit mit der vollen Öffnung 1:1 - den Begriff Schärfentiefe können Sie sie vergessen. Das sieht nämlich so aus:
Einstellung: scharf:
1,0 m 0,9896-1,0106
1,2 m 1,1847-1,2157
1,5 m 1,4755-1,5254
2,0 m 1,9555-2,0466
3,0 m 2,8984-3,1091
5,0 m 4,7184-5,3178
10,0 m 8,9184-11,3822
unendlich 81,1728-unendlich
Das bedeutet in der Praxis, daß Sie nicht nur unerhört genau einstellen müssen, wie es eben nur mit dem Meßsucher der M-Modelle möglich ist, sondern daß Sie andererseits bei Porträtaufnahmen eine großartige Möglichkeit haben, den Schärfebereich genau begrenzt dorthin zu legen, wo Sie ihn bildmäßig haben möchten: bei einem Abstand von 1,5 Meter haben Sie ja nur 5 cm im Schärfebereich! Allerdings geht die Schärfe ja nicht schlagartig in Unschärfe über - das Noctilux 1: 1 ist ein echtes Universalobjektiv mit zusätzlichen Reserven, die es sonst nirgendwo mehr gibt. Und wenn es nicht nur Profis sind, die mit der "Leica HS" nun bisher unlösbare Aufgaben meistern können, so dürfte es sicherlich auch Amateure geben, die ein solches Meisterstück besitzen wollen, vielleicht sogar gerade solche, die des Fummelns mit Brennweiten eigentlich längst überdrüssig sind, die endlich einmal keine Universaltasche mehr mitschleppen und die trotzdem exklusiv weiter fotografieren wollen.
Und nicht ganz zuletzt wird Leitz ein paar schwarze M 5 mit dem schwarzen Noctilux 1: 1 auch an solche Leute verkaufen können, die - wie nach dem Kriege so häufig - nach außen weithin sichtbar dokumentieren wollen, daß sie trotz Wirtschaftskrise noch nicht am Hungertuche nagen müssen.
Grundsätzlich sehe ich auch in diesem neuen Objektiv (siehe meinen Bericht über das Apo-Telyt in COLOR 2/76!) einen weiteren und sehr sicheren Schritt auf dem Wege, wieder das zu werden, was der Name einmal auf der Welt gewesen ist: der Inbegriff absoluter Spitzenleistung und Qualität. Und ich wage es, zu behaupten: wer heute Leitz wählt, hat sich für einen neuen Aufsteiger entschlossen.
(Um Zuschriften vorzubeugen: Natürlich habe ich gemerkt, daß
dieses Superobjektiv infolge seines Durchmesser das Sucherbild in der rechten unteren Ecke beschneidet. Aber mit dieser Kombination versucht man sich auch nicht in Bildkomposition, sondern im Erfassen einmaliger Gelegenheiten, und die bekommt man auch ohne Kontrolle rechts unten auf den Film!)
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