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Artikel
2009
NÖRGELMANN ÜBER: RTL 1000 UND EXAKTA TWIN TL
Seit kurzem erheben zwei Kleinbild-Spiegelreflexkameras Anspruch darauf, die Tradition der weltberühmten Exakta fortzusetzen: Die RTL 1000 aus Dresden, die die Nachfolgerin der VX1000 ist, sich in der Bundesrepublik aber nicht „Exakta" nennen darf. Und die Exakta TWIN TL, die eine „deutsche Kamera aus Japan" ist. Nörgelmann macht sich seine eigenen Gedanken über die junge Exakta-Generation.
Red.
Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Paar Wiener Würstchen? Nicht? - Sie sind beide gleich lang, besonders das eine.
Und damit haben Sie auch schon einen wesentlichen Unterschied zwischen der „östlichen" RTL 1000 und der deutschen, noch östlicher gebauten, EXAKTA TWIN TL: man kann sie beide links oder rechts auslösen, besonders die eine.
Das kommt aber nicht etwa daher, daß man sowohl dem Links- wie dem Rechtshänder die gleichen technischen Chancen geben wollte, sondern weil die alte, gute „EXAKTA VAREX" aus Dresden den Auslöser merkwürdigerweise links vorne hatte, und folglich alle Objektive mit Blenden-Halb- oder Vollautomatik einen Ansatz brauchten, mit dem man über die Blendenautomatik auch den Auslöser betätigen konnte.
Manche von Ihnen werden sich noch daran erinnern: Als es noch die EXAKTA VAREX gab, wurden in jeder Küche rund um den Erdball Objektive für dieses universellste aller jemals gebauten Systeme gekocht. Und offenbar in einer Anwandlung von Menschenfreundlichkeit und Vernunft, sonst in der Fotobranche zwei weltweit unbekannte Faktoren, baute man jetzt ...
Dieses „jetzt" sollte erklärt werden: es bezieht sich auf die Zeit nach dem World War II, auf die Jahre, seit es zweierlei Deutsche gibt, die östlichen und die westlichen. Sie entstanden durch Unwissenheit, Arroganz und Torheit einiger absolut undeutscher Weltpolitiker. Jedoch gründlich, wie wir Deutsche nun einmal sind, haben wir diese Teilung sofort so ernst genommen, wie ein ernsthafter Amateur sein Exakta-Bajonett. Und da sind wir beim nächsten Unterschied: Die deutsch-japanische EXAKTA TWIN hat ein spezielles Bajonett und ein paar Objektive dazu. Und damit auch die hunderte von Objektiven mit Dresdner-Bajonett passen, liefert man einen Extra-“Systemring". (Ein zweiter Adapterring macht Objektive in Praktica-Gewinde passend.) Die RTL 1000 dagegen, die als Direkt-Nachfolger der Exakta Varex nicht auf Patente schielen muß, hat das Original-Exakta-Bajonett fest eingebaut.
Das Auslösen geht bei beiden gleich: weich, aber nicht Butter ...
Der Schnellschalthebel faßt sich bei der TWIN an, wie aus Honanseide, bei der RTL 1000 wie ein Stück Blech.
Die Sucherbilder sind annähernd gleich, bei der TWIN bin ich mit Brille besser dran, ohne erst recht. Die Verschlußzeiten sind bei beiden gleich, wie sie aus nebenstehender Technik entnehmen können. Nachgemessen habe ich natürlich keine, spielt nach dem ersten Probefilm ja auch keine Rolle mehr. Bei der TWIN sitzt der rechte Auslöser oben, mir sympathisch, wie bei einer Leica -, bei der RTL 1000 vorne rechts an einer Art von „Drehdrücker". (Diese Bezeichnung ist mein Patent und mir daher geschützt! Wenn man es aber nicht weiß, drückt man wie verrückt und bekommt den Auslöser doch nicht runter, weil man eben den „Dreh" dabei nicht kennt, und in der Gebrauchsanweisung steht davon nichts.)
Beide aber lassen sich verriegeln, wenn man linksdrückend auslösen will. Bei der TWIN geht das mit einer harten, unhandlichen Taste, die aber festmontiert und unverlierbar ist, beim Brüderchen Ost mit einem kleinen Stift, der mitgeliefert wird und, einmal in den Schnee gefällen, nie mehr gefunden wird.
Blendenautomatik ist bei beiden selbstverständlich, welcher Nyassahäuptling würde es
seinem Chefingenieur erlauben, heute noch eine Kamera ohne Blendenautomatik zu bauen ... Reden wir also erst gar nicht davon.
Dafür möchte ich um so mehr über etwas anderes reden: Die Belichtungsmessung! Bei beiden Typen durchs Objektiv möglich. Aber ... Bei der TWIN, die ein festes Prisma hat, geht das mit einer Meßtaste, die mich an die Sozius-Fußrasten meiner BMW 500, Baujahr 1938 erinnert. Runterdrücken, Blende entsprechend zumachen, bis alles drin ganz dunkel ist und man den Meßzeiger auch nicht mehr sieht, und dann die Taste wieder hoch: das Motiv ist inzwischen vermutlich weg.
Hingegen die RTL 1000!
Die mißt durch ein aufsetzbares Pentaprisma und hat daher für den ernsthaften Amateur den tatsächlichen Vorteil, das ganze Suchersystem wechseln zu können. Finde ich wirklich gut, bei einer Kamera für Ernsthafte. Aber ...
Ich habe die Exakta-Bedienungsanleitung zum Gebrauch dieses Belichtungsmesserprismas dreimal langsam und laut gelesen, und dann gelang mir tatsächlich eine Messung. Beim zweitenmal hatte ich alles schon wieder vergessen. Zugegeben, ich werde vielleicht langsam senil und leide an Erkenntnis- und Gedächtnisschwund. Aber tun Sie doch mal spaßeshalber selber mit, ich zitiere wörtlich: „MESSEN MIT AUFNAHMEBLENDE: Umschalter der unteren Scheibe (50a) an der Aussparung mit Strich so hineindrücken, Blendeneinstell-Einrichtung so stellen, daß die Striche auf allen drei Scheiben (50 a c) genau übereinanderstehen. Dazu untere Scheibe (50a) anheben und drehen, bis die Striche der mittleren und inneren Scheibe (50b und c) aneinanderstehen. Untere Scheibe (50a) zurückgehen lassen. Mit Blendenschalter (40) Blendenautomatik des Objektivs abschalten. (Siehe Objektivbedienung in der Bedienungsanleitung der Kamera.)"
(Das ist etwa ein Neuntel des ganzen Textes!)
Die RTL 1000 hat, um genau zu sein, noch eine Langzeiteinstellung des Verschlusses, die ich, offen gestanden, ebenfalls nicht begriffen habe. Dafür hat sie nur einen Blitzkontakt, die TWIN hat deren zwei und einen Mittelkontakt auf dem Sucher. Was jedoch die TWIN wiederum nicht hat: einen Preis für gutes Design, den man in östlichem Überschwang der RTL 1000 gegeben hat: sie erinnert ein wenig an den Panzerkreuzer Potemkin, nur besser erhalten.
Zusammenfassend würde ich sagen: Die TWIN wurde von einem Hauch Stuyvesant getroffen, man hat sich bemüht, eine unschöne, aber technisch hervorragende Kamera mit aller Gewalt zu ändern.
Die RTL 1000 sieht genau so aus, und arbeitet auch so, wie diese Menschen jetzt sprechen: „F. ist kein V! Es dient dem f. Bipoga unserer A.u.Bwelt, und ist deshalb föwü K.I.".
(Erraten: „Fotografieren ist kein Vergnügen, es dient dem freiheitlichen Bildungsprogramm unserer Arbeiter- und Bauernwelt, und ist deshalb förderungswürdig Klasse I.") Es stimmt mich traurig, zu sehen, was aus den beiden Söhnen eines großen alten Mannes geworden ist, und ich gebe beiden meine Note 4: Geschenkt würde ich sie beide in meiner Sammlung als Warnung dafür aufstellen, was Politik doch alles zerstören kann. (Im übrigen bin ich absolut der Meinung, daß man mit beiden Kameras wirklich einwandfrei fotografieren kann, wie das eben so ist mit Verschleißgeräten für einige hundert vorhandene Objektive!)
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