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Artikel
2009
NÖRGELMANN ÜBER:SEAGULL DF
Bereits vor zwei Jahren brachte das „Foto-Magazin" einen Exklusivbericht über Maos Fotoindustrie. Die Kameras aus Kanton und Schanghai - drei zweiäugige Reflexkameras 6 x 6, eine einäugige Reflexkamera 24X 36, eine Klappkamera 6 x 6 und eine Sucherkamera24 X 36 -sind jetzt auch bei uns zu haben. Bei Neckermann, der Mitte Juli - um erster im China-Geschäft zu sein - in einer Blitzaktion den für Herbst geplanten Start seines Rivalen Foto-Quelle unterlief. Im Mittelpunkt dieses Marktkriegs der beiden Großversender steht Chinas einzige einäugige Spiegelreflex „Seagull DF", die, im Juli von Neckermann für 279 DM angeboten, im August von Foto-Quelle für „199 DM und in großen Stückzahlen" auf den Markt gebracht wurde. Bei so viel Markt-Spektakel ist das Informationsbedürfnis groß; Nörgelmann testet sie deshalb: die erste „Seemöve" aus dem Angebot der Foto-Quelle.
Die alten Römer konnten nicht nur bessere Straßen bauen, als unsere heutigen Straßenbauämter (weil die Verantwortlichen damals noch geköpft, nicht aber pensioniert wurden!), sondern sie wußten auch sonst recht gut Bescheid und darum sagten sie: „ex oriente lux" - aus dem Osten kommt das Licht. Dieser Zustand ist inzwischen auf einigen Wirtschaftssektoren bereits eingetreten und zwar so blendend, daß einigen Hiesigen die Augen übergehen.
Das Neueste ist eine Spiegelreflex aus China, die SEAGULL heißt, SEEMÖVE. Hübsch, nicht? Ein großes Versandhaus führt sie ein, weil wir zu wenig deutsche und japanische Kameras haben. Und weil offenbar ein dringendes Bedürfnis bestand, sich eine uralte Minolta …
Aber da beginnt die Geschichte der Schöpfung: Am Anfang war alles sozial, und der Geist Maos schwebte über dem Land, in dem es keine Fotoindustrie gab. Und Mao sah, daß man anderswo gern mit Licht schrieb, und daß damit ein großes Geschäft zu machen sei. Also sprach er: Wir wollen eine Kamera bauen, geht hin und holt aus allen Ländern eine Kamera, damit wir die beste nachbauen.
Und sie gingen hin, kamen mit Kameras zurück und Gott Mao entschied sich für die Urausführung der Minolta. Und so verging zwischen Morgen und Abend der erste Tag.
Und sie baueten das Gehäuse nach, säuberlich, präzise und ohne Fehl. Das geschah am zweiten Tag.
Und sie konstruierten den Schlitzverschluß, B, 1-1/1000 s, synchronisiert und weich auszulösen: das geschah am dritten Tag.
Und sie setzten den Filmtransport ein, konventionell, stets funktionierend und stabil: das war der vierte Tag.
Am fünften Tage wurde ein Objektiv mit seinem Minolta-Bajonett gebaut, eingesetzt und die Automatik-Druckblende getestet, und es war alles in Ordnung.
Zum Schluß bekam die Kamera noch den Finish: den Bildzähler, die beiden Synchronkontakte und eben alles, was die Minolta damals hatte, und so verging der sechste Tag.
Am siebenten Tage aber sprach Gott Mao: So, nun gehet hin in alle Welt und verkauft diese Kamera, zu unserem Ruhme und Reichtum, und sicherlich werdet ihr überall auf der Welt genug weiße Teufel finden, die mit uns große Abschlüsse machen, denn ihr Drang nach Neuheiten und ihre gegenseitige Konkurrenz sind gar groß.
Und Gott Mao hatte recht: die beiden Großen auf dem deutschen Fotomarkt haben von jetzt an die Chinesen auf der Speisekarte. Und es sind durchaus keine faulen Eier, die man da preiswert feilbietet, es sind nur alte Schinken. Aber halt chinesisch.
Im Grunde ginge mich das garnichts an, man kann mit dieser Primitiv-Spiegelreflex einwandfrei arbeiten, wenn nicht ...
Nun, das kleine rote Büchlein, die Bibel des Gottes Mao, befähigt 700 000 000 Menschen, tausend Jahre Entwicklung nachzuholen und von heute auf morgen die Atombombe oder -eine Spiegelreflexkamera zu bauen. Wenn Mao befiehlt, wird die nächste „SEEMÖVE" ein „SEEADLER" sein - Neckermann und Quelle machen's gemeinsam möglich. Und während bei uns eine Gewerkschaft über Streik oder höhere Löhne berät, läßt Gott Mao seine Völker beten und - arbeiten.
Das bringt uns eines Tages nicht mehr das Licht, sondern es bringt uns um. Aber wen interessiert das bei uns schon? PS: „Rücknahme bei Nichtgefallen!" - So steht es in den Katalogen der Versandhäuser. Sie können sich also ohne Risiko das Vergnügen leisten, eine chinesische Kamera mal in die Hand zu nehmen.
Aus Gründen der Höflichkeit: Note 5.
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