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Artikel
2009
NÖRGELMANN ÜBER:LEICA M5
Wenn Leitz eine neue Kamera vorstellt, darf man erwarten, daß neue Akzente in der Fototechnik gesetzt werden. Ohne Zweifel ist das bei der neuen M5 aus Wetzlar der Fall. Selektive Innenmessung in einer Sucherkamera, von Leitz erstmals realisiert: Man wird sich den September 1971 merken müssen. Als den Zeitpunkt, da zur Schnelligkeit des Großbasis-Entfernungsmessers und zur Dunkelleistung des Durchsichtsuchers die bildwinkelgenaue Lichtmessung kam, die bisher nur der einäugigen Spiegelreflex vorbehalten war.
Ich habe Ihnen auf der Titelseite eine Sensation versprochen. Und nicht die neue M5 ist diese Sensation, sondern etwas ganz anderes: ein Profi war bei mir zu Besuch, der kreuz und quer durch die Welt fliegt, um Fernseh- und Filmstars zu fotografieren. Auch Politiker. Und womit, meinen Sie, fotografiert er die? Erraten, mit ... na, Sie wissen schon.
Dem habe ich mitten im Gepräch meine Test-M5 auf den Tisch gestellt. Er hat sie mißtrauisch angeschaut, dann zögernd in die Hand genommen, sein Gesicht hellte sich mehr und mehr auf, dann nahm er sie ans Auge, schoß sechsmal in zwei Sekunden, suchte die dunkelste Ecke meines Zimmers, stellte die Entfernung ein, drehte am Blendenring, drehte an dem stufenlos arbeitenden Zeitenring des Verschlusses, murmelte „fünfsechs-einviertel, zwei-einsechzigstel" - und dann strahlte er mich an: „Fantastisch! Man hört sie kaum, und ..."
„Nehmen Sie mal den Weitwinkel rein und messen Sie dort hinten im Dunkeln die Entfernung."
Er tat es, inzwischen fast andächtig, und dann sagte er: „Können Sie mir schon vorab ...?"
„Nein, kann ich leider nicht, Sie müssen warten, bis es sie im Handel gibt." - Und sehen Sie, das ist für mich die Sensation: seit Jahren, vielen Jahren, will endlich mal ein Profi (und noch dazu ein ausgesprochener Spiegelreflexmann!) wieder eine deutsche Kamera, eine Leica, die es als Kamera und Prinzip nur einmal auf der Welt gibt!
Damit sind wir beim uralten Streit zwischen den Spiegelreflexlern und den Meßsucherleuten. Gewiß hat die Spiegelreflex Vorteile, besonders bei Nahaufnahmen. Dafür gibt es kein klareres Sucherbild, als das der M5, selbst in einer Höhle sehen Sie noch, was aufs Bild kommt. Und so gut oder feingeschliffen ein Mikroprisma im Reflexsucher auch sein mag: dem kombinierten Misch- und Schnittbild der M5 kommt nichts gleich. Es ist die schnellste Kamera, die ich kenne, und außerdem liegt die Schärfe mit jedem Objektiv auf den Zentimeter genau da, wo ich sie haben will, und die Auslösung knallt
weder durch Kirchen noch durchs Atelier! Daß die Spiegelreflex der Meßsucherkamera davongelaufen ist, lag bisher hauptsächlich an der Belichtungsmessung durchs Objektiv, die heute bereits jede billige Reflexkamera mehr oder weniger gut besitzt.
Und jetzt hat Leitz endlich wieder einmal den großen Schachzug gewagt und setzt mit der M5 einiges andere matt. Denn die M5 mißt nicht nur durch sämtliche Objektive, sondern sie mißt auch noch genau den bildwichtigen Ausschnitt, auf den es ankommt: Im Leuchtrahmen des Standardobjektivs (50) ist ein Meßkreis eingespiegelt. Beim Weitwinkel (35) ist das Meßfeld identisch mit dem Ausschnitt des 135ers, bei 90 und 135 ist wiederum das kleine Entfernungsmeßfeld identisch mit dem Meßfeld des Belichtungsmessers. Man hat die Vorteile sofort erfaßt, wenn man weiß, was man mißt, und sich nicht mehr auf irgend einen Mischmasch verlassen muß. Wer sich allerdings auf Landschaft mit Sonne im Rücken spezialisiert hat, braucht den Vorteil der Selektivmessung nicht.
Unter dem Leuchtrahmen, den Sie sich schon vor dem Objektivwechsel nach Wunsch zur Kontrolle für jede Brennweite einspiegeln können, liegt die Strichskala für die Belichtungsmessung. Sie erzeugen beim Verstellen von Blende oder Verschlußzeit ein Fadenkreuz, Sie können wahlweise nach plus oder minus variieren, und außerdem lesen Sie noch die eingestellte Verschlußgeschwindigkeit mit ab.
Das Filmeinlegen ist mit der Spezialspule ein Vergnügen, Sie brauchen nichts mehr einzufädeln oder zu wickeln: Film halb reinstecken, Deckel zu - alles andere macht die Kamera. (Keine mühsame Kontrolle, ob die Filmperforation in die Zähnchen der Transportrolle eingreift!)
Sucherschuh mit Mittel-Blitzkontakt, außerdem noch zwei extra Buchsen für X und M. Das wären die wichtigsten Details. Daß man das Riemenproblem ebenso neuartig wie praktisch gelöst hat, nur nebenbei: die M5 hängt vertikal am Riemen, man hat dadurch die Schalthebel-, Verschlußzeit- und Auslösefinger endlich mal völlig frei.
Eine Nacht habe ich in meinem Hotelzimmer in Wetzlar gesucht, um was zu finden, was mir nicht gefällt, und ich habe was gefunden: der Auslöseknopf liegt zu tief, man muß sich zum Auslösen gewissermaßen auf die Zehenspitzen stellen - dafür sind Fehlauslösungen unmöglich.
Und dann die Tasche. Diese Bereitschaftstasche! Braun! Zu einer schwarzen Kamera mit schwarzem Riemen! Brrrrr ... ich habe auch noch nie in meinem Leben zum dunkelgrauen oder schwarzen Anzug braune Schuhe angezogen, und das hätte man bei Leitz wissen müssen. Aber da sind angeblich die Meinungsforscher, die Statistiker, die behaupten, das Publikum wolle keine schwarzen Taschen mehr! Und das im gleichen
Augenblick, wo auf Ledermessen international die schwarzen Aktenkoffer und Herrentaschen auf den Markt kommen! Am besten erspart man sich diesen Bereitschafts-Pantoffel ganz, denn man hat zu dieser M5 doch mehrere Objektive und stopft das Ganze ohnedies in eine Kombitasche. Trotzdem sollte man auch bei Leitz seinem guten Geschmack mehr trauen, als einer falsch erfragten Publikumsmeinung.
Aber, sagen die Fotohändler, diese Kamera ist sehr teuer.
Natürlich ist sie teuer. Aber die jungen Burschen, die ihre BMWs oder Hondas fahren, schauen ja auch nicht auf den Preis, und ich halte jeden für schief gewickelt, der bei einer solchen Kamera überhaupt vom Preis spricht. Für Wohlfahrtsempfänger ist sie auch nicht konzipiert, und man sollte, auch beim Fotohandel, endlich einmal begreifen, daß der PREIS keine Rolle spielt, wenn jemand heutzutage etwas wirklich haben will - nur darauf kommt es an. (Im übrigen freuen sich die Banken, wenn man einen Anschaffungskredit von ihnen haben will, den man auf 36 Monate zurückzahlen kann!) Und die Freude an einer M5, geteilt durch sechsunddreißig - reden wir nicht weiter davon, denn bei der M5, die völlig neue Maßstäbe setzt, kommt es nicht mehr darauf an, was sie kostet. Und selbst Leitz sollte nicht den Versuch machen, den Preis mit teuren Löhnen und hohen Unkosten in Deutschland zu entschuldigen: das tut Rolls Royce in England ja auch nicht. Und so, wie ich mit meinem Porsche zufrieden sein muß, weil ich mir keinen Lamborghini leisten kann, wird sich nicht jeder die M5 leisten können. Aber es wird genug potente Käufer geben, und genug M5 in aller Welt: Meine Note 1, und Leitz sei Dank!
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