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Artikel
2009
NÖRGELMANN ÜBER: ROLLEIFLEX SL 66
Diesmal sehe ich mich genötigt, meine Leser mit einem Vorwort hinzuhalten. Ein Vorwort entsteht immer dann, wenn der Autor nicht in der Lage ist, sein eigentliches Thema so abzuhandeln, daß man es ohne Vorwort versteht. Also
Vor mehr als einem Jahr begann, wie ich damals dachte, eine frischfröhliche Testerei mit sauberen Verrissen und gelegentlich auch einem Lob. Ich hielt damals auch meine Art der Betonung für äußerst originell. Dabei hatte ich allerdings übersehen, daß es ein gewaltiger Unterschied ist, ob man, nach der Methode Harun al Raschids, unerkannt in einem Fotogeschäft eine Kamera kauft, sie zu Hause auseinandernimmt, um sie dann nach Strich und Faden fertig zu machen, oder ob man, fair wie ich sein wollte, lauthals verkündet, man teste nur Kameras, die man freiwillig zur Verfügung gestellt bekäme. Ich habe dabei übersehen, daß es eine Reihe von Firmen gibt, die gar keine Lust haben, sich durch einen Testverriß von mir aus dem Geschäft katapultieren zu lassen. Die Folgen dieser Fehlspekulation zeigen sich jetzt: man hat erkannt, daß ich kein bezahlter Hochjubler bin und schickt mir deshalb einfach von vornherein nichts, was verrißträchtig erscheint, sondern überläßt mir zum Testen nur die Rosinen aus dem Kuchen. Dadurch hat sich eine in doppelter Hinsicht interessante Situation ergeben: einmal komme ich gar nicht mehr dazu, bildsaubere bösartige Kritiken zu schreiben, wie das meinem Charakter entspricht, zum zweiten aber liegt jetzt bereits in der Tatsache selber, daß man mir eine Kamera überhaupt zum Testen schickt, schon eine gewisse Selektion und eine Wertung. Und, wie mir zahlreiche Anrufe und Briefe beweisen, herrscht unter den Amateuren schon jetzt die Meinung, wenn man mir bestimmte Kameras erst gar nicht zum Testen schicke, so wisse man wohl, warum. So kann es also sein, daß meine Benotung nach der bisherigen Art nicht mehr lange durchführbar ist, und ich über kurz oder lang mir zum Testen überlassene Kameras einfach nur noch so besprechen werde, wie ich das bisher tat. Meine Leser werden, da ich mich ja, meistens deutlich genug ausdrücke, trotzdem in der Lage sein festzustellen, was sie für sich selber von dieser Kamera halten. Und damit bin ich beim Thema des Tages: der Rollei SL 66.
Mein Vater besaß ein dickes Buch über den Russisch-Japanischen Krieg, in dem vor allem wunderbare Bilder von Schlachtschiffen zu sehen waren. Mir hatte es besonders das russische Flaggschiff angetan: breit, behäbig, bequem für einen Admiral und - total unbrauchbar zum Kämpfen.
Als ich 1966 die Rollei SL 66 zum ersten Mal in einem Schaufenster sah, kam mir die Gedankenassoziation „Flaggschiff" und - ist mir bis heute geblieben. Nur meine Ansicht über dessen Kampftauglichkeit hat sich wesentlich geändert.
Da ich diesen Test ohnedies nicht für Knipser schreibe, kann ich mir im Text manches ersparen, was jeder den technischen Daten entnehmen kann. Vielmehr will ich lieber beschreiben, wie es mir selber mit diesem Flaggschiff ergangen ist.
Anfangs stand ich nur bewundernd davor. Sie gefiel mir, diese Rollei SL 66, aber ich hatte Respekt vor diesem ungeheuerlichen Ding. Soviel Kamera und soviel Geld, Sie verstehen?! Und ich konnte mir eigentlich nicht recht vorstellen, daß man mit ihr ohne Kran arbeiten könne.
Im Atelier, dachte ich, ja, - dieser eingebaute Auszug, das Balgengerät also gleich drin, ist eine schicke Sache. Daß man das Objektiv verschwenken kann, um bei Aufnahmen nach dem Scheimpflugprinzip Schärfentiefe bei offener Blende geschenkt zu bekommen, war ja auch schön, aber ...
Wir hatten ja schon immer ein gewisses Faible für Schwedinnen und bleiben ihnen auch im Alter treu. So ähnlich ging es mir auch, bis - mir Rollei das Flaggschiff eines Tages ins Haus schickte. Ich sollte, so riet man mir, an dieses schwere Ding auch noch ein Gerät hängen, schwer wie eine Sense und fast so groß, und das nannten sie bei Rollei „Handgriff".
Freunde, ich war selten so mißtrauisch! Aber dann fand ich es gut, wie man den Handgriff befestigen konnte: nur ein Rutscher in den Schwalbenschwanz im Kameraboden -und schon hat man eine Einheit in der Hand, die - plötzlich überhaupt nicht mehr so schwer ist, Kamera und Handgriff liegen so gut in der Hand, und der Knopf für die Entfernungseinstellung wächst einem förmlich in die Finger, daß man zum ersten Male so etwas wie Genuß verspürt. Dann stellt man sofort fest, daß sich der gebräuchlichste Einstellbereich, von 00 bis 1,5 Meter, mit drei Fingern ohne Umgreifen blitzschnell durchfahren läßt. Schneller und bequemer habe ich noch keine Kamera scharfstellen können, am wenigsten die, wo man das ganze Objektiv aus dem Handgelenk um seine Achse drehen muß. Daß man unter den Einstellscheiben alle möglichen Sorten dem eigenen Geschmack anpassen kann, nur nebenbei. Der im Handgriff eingebaute Drahtauslöser ist ein Relikt aus der Zeit erster Fotografie und dieser Kamera unwürdig: es ist Platz genug im Griff für eine Batterie, man sollte sie ebenso perfekt elektrisch auslösen können, wie diese Kamera auch sonst perfekt ist und die technisch noch lange weiter kann, wo andere längst passen. Drehen Sie doch mal den Balgen ganz heraus, drehen Sie dazu noch das Objektiv in Retrostellung (beides in wenigen Sekunden, ohne An- und Umbau!) und dann haben Sie mit dem Standard-Planar 80 mm den Maßstab 1,6: 1! Ja, aber dieser riesige Schlitzverschluß, sagten mir die Profis, den haben doch andere schon nicht gekonnt.
Ich habe die Kamera auf den Tisch gelegt, drei Zehn-Pfennigstücke hochkant nebeneinander auf die Mattscheibe gestellt und die 1/s s ausgelöst: die Zehnerl blieben eisern stehen. Was man hört, ist nämlich mir der Rückschlag des Spiegels, - aber dann ist die Aufnahme ja schon im Kasten. Das Aufschwingen ist butterweich gedämpft.
Und wenn man nicht mehr fotografieren mag, läßt man den Arm mit der Kamera einfach hängen, man spürt dann ihr Gewicht weniger, als wenn man so ein Ding stundenlang um den Hals hängen hat.
Es ist selbstverständlich, daß der Kassettenwechsel blind im Dunkeln in einer Sekunde gelingt, Fehler sind ausgeschlossen, und den Schieber können Sie auch während der Arbeit in der Kassette unterbringen, weshalb Sie ihn weder verlieren, noch in der Tasche verbiegen. Es gibt Prismensucher dazu, auch einen Lupenlichtschacht mit Belichtungsmesser, mit dem Sie sowohl integral, als auch Punkt messen können. Punkt sosehr, daß Sie beim Porträt das Weiß im Auge farbrichtig bekommen.
Die Meß-Skalen sind im Drehknopf gleich für vier Brennweiten eingebaut, beim Objektivwechsel brauchen Sie nur den Knopf umzustellen, dann stimmt die Entfernung und die Schärfentiefenskala je nach Objektiv. Maßstab und Verlängerungsfaktoren lesen Sie an der Balgenführung ab, ebenfalls je nach verwendetem Objektiv.
Aber das Blitzen! Mit Schlitzverschluß! Höchstens 1/30 s! Das ist doch ...
Moment: wer viel zu blitzen beabsichtigt, kauft sich für diesen Zweck eins der beiden Blitzobjektive: da hat er einen eigenen Zentralverschluß drin, - in allen anderen jedoch
muß er ihn nicht jedesmal mitbezahlen. Und leicht sind sie dadurch auch. Arbeitsblendenkontrolle, Vorauslösung des Spiegels, Doppelbelichtungseinrichtung sind Selbstverständlichkeiten.
Aber noch muß ich jedem, der eine SL 66 in die Hand nimmt, einen Trick verraten, der so schön ist, daß er eigentlich in die Bedienungsanleitung aufgenommen werden sollte: Lösen Sie nicht mit dem rechten Zeigefinger aus, wie Sie das vielleicht gewöhnt sind, sondern machen Sie es gleich richtig! Also: In der Linken hängt die Kamera am Griff, die Finger sind an der Entfernungseinstellung, die Rechte legen Sie unter die Kamera als Unterstützung, und mit dem rechten Daumen lösen Sie aus! Wenn Sie nicht seit 40 Jahren Kettenraucher sind, gelingt Ihnen so die 1/s, mir sogar die 1/4 noch aus der Hand! An den berühmten Rollei'schen Doppelschwung für Filmtransport und Verschlußaufzug gewöhnt man sich rasch, und bei einem Wettschießen mit einem Profi, der es nicht glauben wollte, auf einen 220er Film, lag ich mit der Rollei SL 66 gegen seine ... (na ja, das darf ich nicht sagen) um nur ein halbes Bild zurück. Anschließend betrachtete er das Flaggschiff auch mit anderen Augen als bisher. Und er blieb nicht der Einzige.
Was evtl. noch interessieren und die Farblabors ärgern dürfte: Sie können aus dem 6 X 6 Format natürlich auch 4,5 X6 heraus-vergrößern. Für quer gibt's Suchermasken. Aber: für hoch auch! Und dazu die entsprechende Kassette. Dann können nämlich die Labors keine Ausschnitt- oder „Handvergrößerung" berechnen, sondern müssen das volle Hoch- oder Querformat kopieren zum normalen Preis.
Es gäbe noch viele Kleinigkeiten, die an dieser Kamera Freude machen, weil sie sinnvoll sind und technisch sauber gelöst. Und wenn Sie auch den Handgriff brauchen, sparen Sie sich wenigstens den Drahtauslöser, denn mit meiner Methode vermissen Sie ihn nicht.
Und wer mir nicht glaubt, ist zu einem längeren Spaziergang herzlichst eingeladen: er mit seiner Sechsmalsechs um den Hals, ich mit meiner Rollei im Handgriff, und ihm tut das Genick früher weh, als mir der Arm. Besonders, wenn wir beide die 250er Brennweite drin haben. Apropos Brennweite: schauen Sie mal auf die Mattscheibe, wenn vorn der 40er Weitwinkel drin ist!
Und jetzt kennen Sie natürlich auch schon meine Note. Sie bedeutet, daß ich mir im Frühjahr kein neues Auto kaufen kann, weil ich ... siehe unter Note 1!
(Ernsthaften Interessenten stelle ich mein Flaggschiff für eine Probefahrt bei mir zur Verfügung, und wenn er mich auch nur in einem Punkt widerlegt, kostet mich das drei
Pullen Sekt!)
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