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2009
NÖRGELMANN ÜBER:Tessina 35 Spiegelreflex 14x21 mm
Eins muß ich eingangs gleich feststellen: die MINOX ist, trotz gegenteiliger Behauptung, schon längst keine Geheimkamera mehr. Bereits sechsjährige Kenner von Krimi- und Spionagefilmen krähen „Minox", wenn ich sie aus der Tasche ziehe. Sie ist, meiner Meinung nach, die ungeheimste Kamera der Welt.
Ein kleines fotografisches Ding jedoch, das kein Mensch kennt, ist die TESSINA.
Sie kommt aus dem Land der Uhren, der Schweiz, und genauso ist sie auch gemacht. Alles an ihr ist winzig, aber unerhört präzise. Wenn Sie dieses kleine Ding aus ihrem Etui nehmen, dann meinen Sie zuerst, dieser Winz sei mit Blei gefüllt. Wenn Sie sich dann aber einmal davon überzeugen, was da alles drin ist, dann haben Sie vermutlich noch nie in Ihrem Leben soviel Präzisionstechnik auf so kleinem Raum. in Ihrer Hand gehabt.
Sie ist eine „ZWEIÄUGIGE", - aber eine echte Spiegelreflex! Das Sucherobjektiv liegt neben dem Aufnahmeobjektiv 1:2,8/25 mm. In das Bildzählwerk ist die Blendenskala eingebaut: Sie können Zeit- und Blendenkombination frei wählen.
An einem kleinen Einstellrad (mit Entfernungsangabe und Tiefenschärfenanzeige!) stellen Sie über die Mattscheibe richtig scharf, und wenn Sie den Sucherschacht hochgeklappt haben, ist er zugleich ein Durchsichtsucher nach dem Newton-Prinzip und mit Leuchtrahmen!
Rechts hinten finden Sie wiederum ein kleines Rädchen. Sie ziehen es heraus, ziehen es wie eine Uhr auf, und dann macht die TESSINA 8 Aufnahmen hintereinander, Sie brauchen nur den Auslöser zu drücken. Was Sie wiederum aus Versehen nicht tun können, denn er ist verriegelt, wenn Sie den Schutzschieber vor Sucher- und Aufnahmeobjektiv geschoben haben.
Die TESSINA verwendet Normalfilm 35 mm, aber in speziellen Längen. Sie können von jeder beliebigen Filmsorte mit Hilfe eines Tageslicht-Umspulgerätes die benötigte Menge auf eine Tessina-Spule wickeln und verwenden, - wobei er auch noch entsprechend abgeschnitten wird.
Das Bildformat ist 14 X21 mm, ausreichend für recht anständige Vergrößerungen oder Dias. Plastik-Diarähmchen gibt es auch dazu, die in jeden Projektor passen.
(Und wenn Sie nicht selber umspulen wollen, bekommen Sie fertig konfektionierte Tessina-Filme.)
Wenn Sie dieses, rundum geschützte Kameraleinchen aus der Hosentasche ziehen und damit fotografieren, glaubt kein Mensch, daß Sie das tun. Aber es geht sogar noch unauffälliger: es gibt dazu ein Lederarmband. Mit einem Griff, einem Druck haben Sie die TESSINA darauf befestigt und tragen Sie nun wie eine Uhr am Arm, möglichst noch unter dem Jackenärmel. Dann schießen Sie wirklich „aus dem Handgelenk". Und verlieren können Sie das Ganze auch nicht, weder beim Klettern, Reiten, noch sonstwo. Sie können aber auch das Armband gegen eine Platte mit Stativmutter und Tragekette auswechseln. Sie hängt ihnen dann, etwa wie ein modernes Schmuckstück, am Hals oder - unter der Jacke.
Besonders nett finde ich, was man sich so alles als Zubehör noch ausgedacht hat: wer will, kann aus dieser kleinsten Spiegelreflex der Welt ein richtiges System machen.
Dazu gibt es einmal eine aufsteckbare Sucherlupe 8X. Sie ziehen einfach den Lichtschachtsucher heraus und schieben diese Lupe ein. Damit stellen Sie wirklich zentimetergenau ein, allerdings seitenverkehrt, wie eben bei einer richtigen Mattscheibe.
Das macht bei Queraufnahmen einige Schwierigkeiten, und wer die nicht will, kauft sich einen ebenso kleinen wie optisch guten Pentaprisma-Sucher! Dann schaut man in Augenhöhe durch, sieht alles groß, hell und seitenrichtig, und vergißt, wie klein das alles ist.
Aber was wäre diese Kamera, wenn man dazu einen der üblichen Belichtungsmesser brauchte, der allein schon größer ist, als die ganze Kamera?
Auch daran haben diese Schweizer Uhrmacher gedacht: Sie ziehen die Belichtungstabelle die für Schwarzweiß an sich genügt, einfach heraus und schieben in den Schuh einen Spezial-Belichtungsmesser. Der ist wiederum eine Sache für sich: So groß wie eine Briefmarke und nur wenige Millimeter dick.
Auf dem stellen Sie die Filmempfindlichkeit ein, kuppeln ihn mit dem Blendenrad an der Kamera - und haben nun Blende und Belichtungsmessung gekuppelt! Und das alles halb so groß wie eine Zigarettenpackung!
Ja, natürlich, blitzen können Sie auch: die TESSINA-Leute haben es fertig gebracht, in dieses Schächtelchen auch noch eine X- und M-Synchronisation einzubauen!
Vorsatzlinsen und ein Balgengerät gibt es allerdings nicht, dafür können Sie bis auf 30 cm nah ohne jedes Hilfsmittel herangehen. (Und die Entfernung brauchen Sie dabei nie zu schätzen oder „abzuschnürln", denn Sie stellen ja über die Mattscheibe scharf!)
Filter können Sie hingegen aufstecken, aber das vergütete Objektiv braucht eigentlich keine, es sei denn für Sonderzwecke.
Wenn Sie zum ersten Mal mit der TESSINA fotografieren, sind Sie davon überzeugt, alle Aufnahmen müßten verwackelt sein. Das ist aber eine akustische Täuschung: das Sirren des automatischen Filmtransports erweckt diesen Eindruck, aber dann ist die Aufnahme ja längst vorbei. Am ruhigsten ist die Kamera am Arm, am schnellsten mit der Schnappschuß-Einstellung: von ca. 1,2 Meter bis 00 alles scharf!
Was Sie herausholen, ist weitgehend Ihnen selber überlassen: Sie können mit 30 DIN schnellsteil Sport fotografieren, haben einmalige Szenen, aber bei 13 X18 natürlich Korn.
Oder Sie können, z. B. mit dem FP4, Aufnahmen bis 18 X24 vergrößern, mit immer noch recht guter Qualität.
Und wenn Sie gar diesen Winz aufs Stativ nehmen und Agfa FF geladen haben, schaffen Sie 24 X 30 bei richtiger Belichtung und Entwicklung.
Für einen „ernsthaften" Amateur ist die TESSINA nur ein stets griffbereites optisches Notizbuch. Für den nicht ganz so ernsthaften, der auch mal Spaß an der Freude hat, ist sie es auch. Für Hinterlistige, die unbemerkte Schnappschüsse sammeln, ist sie ideal. Und reiche Leute sollten es nicht versäumen, sich die kleinste Spiegelreflex der Welt zum Angeben zu kaufen. Denn noch nie wurde ich, wenn ich es bewußt auf Aufmerksamkeit anlegte, so oft gefragt: „Ja, was haben Sie denn da für eine tolle Uhr?"
Um eins allerdings würde ich die TESSINALeute bitten: Nehmen Sie doch das nächste-mal, wenn Sie wieder eine Gebrauchsanweisung drucken lassen, Ihre Uhrmacherlupe aus dem Auge! Denn eine großartige, winzige Kamera erfordert nicht unbedingt eine Druckschrift, die kein Mensch ohne Lesegerät entziffern kann!
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