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Artikel

2009

NÖRGELMANN ÜBER: MAMIYA C 330

„Als ich im Jahre 1918, als damals völlig unbekannter Soldat ...". Manchem von uns mag das noch in den Ohren klingen. Aber ich muß gestehen, daß ich heute auch hin und wieder die Versuchung verspüre, etwa so zu beginnen: „Als ich im Jahre 1953, als damals völlig unbekannter Amateur ...". Nun, zu dieser Zeit schrieb ich einen ausführlichen Brief an ein Werk, dessen Leitung damals auf mindestens drei hohen Rössern übereinander saß, und auf meine dringende Bitte, uns endlich eine „Zweiäugige" mit Wechselobjektiv zu bauen und damit nicht zu warten, bis es andere tun, nicht einmal antwortete. Und damit wurde dieses Werk zur Hebamme einiger ganz hübscher Töchter, deren letzte und bestgelungene Mamiya C 330 heißt.
Ich danke an dieser Stelle allen, die mir zu diesem Thema geschrieben haben, ein Berg von Zuschriften, und bitte zugleich um Entschuldigung, wenn ich nicht jedem Schreiber einzeln antworte, wie er es verdient hätte! Mich selber habe ich ob dieser Befragungsidee verwünscht, denn einige hundert Seiten, zum Teil eng mit Hand beschrieben, wollen durchgeackert sein, und ein subjektiver Bericht von mir allein wäre so schön einfach gewesen. (Die Idee eines Lesers, künftig vorgedruckte Fragebogen dem FM beizulegen, ist gut, aber was 60 000 Fragebogen drucken und einlegen kostet!)
Ursprünglich wollte ich das Ergebnis in einer grafischen Darstellung veröffentlichen, aber ernsthafte Amateure sind Individualisten, grafisch nicht zu rubrizieren. So sehe ich mich gezwungen, einige Dutzend Einzelmeinungen zusammenzufassen, wenigstens nach den wichtigsten Gesichtspunkten, wobei leider manches Detail unter den Tisch fallen muß. Hin und wieder aber werde ich mir eine eigene Bemerkung nicht verkneifen können.

Der Kaufgrund ist eindeutig: Preis und Wechselobjektive! Wo gibt es, zweiäugig, sonst noch so etwas? Man wünscht vielseitigste Anwendungsmöglichkeit einer Kamera, wozu dann, sofort folgend, der lange Auszug und damit die Ersparnis eines Balgengeräts genannt wird.

Die technische Konzeption wird durchwegs etwa als „rustikal, aber funktionierend" bezeichnet. Man meint, die C 330 müsse von Maschinenbauern konstruiert worden sein, die aber - was von ihrem Fach verstanden hätten. Naturgemäß wird in erster Linie von dem Wechselsystem der Frontplatte mit den Objektiven gesprochen. Meine persönlichen Erfahrungen decken sich mit denen der Leser: einfacher geht es nicht mehr, primitiver auch nicht. Deutsche Konstrukteure wären aufgrund eines solchen Vorschlages entlassen worden: wir hätten mit Riegelehen und Hebelchen und Bajonettchen gearbeitet und bei uns hätte dann das Ganze nur halb so gut und sicher funktioniert.

Das schwere Gewicht und die Bauart charakterisiert ein Leser mit dem ebenso lapidaren wie bewundernden Satz: „Dieses Monstrum hält alles aus." Weiter werden lobend erwähnt: der stetige Kurbelbetrieb ohne Verblitzung, Filmwechsel auf dem Stativ, Verwendungsmöglichkeit von Platten und Planfilm, Mehrfachbelichtungen einfach, zwei Auslöser vorteilhaft, Zahntrieb auch nach langer Benutzung einwandfrei, leichte Umstellung von 120er- auf 220er-Film, Wechselmöglichkeit von Suchersystemen und Mattscheiben, eingebautes Balgengerät für Nahaufnahmen.

Die Objektive werden durchwegs als hervorragend bezeichnet. Zwei Leser halten die Sekore für „besser" als die Planare. Dazu muß ich etwas sagen: einige Leser meinen nämlich auch, die Mamiya-Sekore würden sehr kontrastreich bis hart zeichnen. Genau! Und zu allen Zeiten werden sehr kontrastreiche Negative bzw. Vergrößerungen von Amateuren für „schärfer" gehalten, als solche mit weniger Kontrast zugunsten der Halbtöne. Daher glaubten früher viele, das berühmte Heliar sei nicht scharf: ebenso ein subjektiver Irrtum wie die Meinung, die Sekore seien schärfer als die Planare. Aber -ausgezeichnet sind sie ganz bestimmt!

Die Verschlüsse geben zu Klagen keinen Anlaß. Es wird betont, daß sie auch unter extremsten Temperaturbedingungen (+50xGRADx bis -32xGRADx) einwandfrei gearbeitet haben.

Der Parallaxenausgleich wird einmal gelobt, weil er simpel mit dem Zeiger unter der Mattscheibe funktioniert. Andererseits aber heißt es fast übereinstimmend, daß es hier Grenzen gibt: bei wirklichen Nahaufnahmen wird der Paramender empfohlen, eine Verschiebemechanik, die zwar sicher arbeitet, aber doch umständlich ist, besonders bei bewegten Motiven. Ein eigener Knopf, oder besser ein winziges Hebelchen, muß je nach Brennweite eingestellt werden, damit der Zeiger unter der Mattscheibe die richtige Parallaxe anzeigt.

Entfernungs-Skalen sind ein Kapitel für sich. Sie sind linksseitig an der Kamera angeordnet und befinden sich auf einem bleistiftdicken Teil, das drehbar ist, je nach Brennweite. Einmal liest man die Entfernung vorne vor der Kamera ab, einmal in einem Fensterchen, und - so behaupten einige Leser - stimmen tut das nur selten. In der (englischen!) Gebrauchsanweisung ist diesem Vorgang eine volle Seite mit sechs Abbildungen gewidmet! In der Praxis versteht man das leichter, als auf dem Papier. Ich selber muß allerdings gestehen, daß ich mich bei einer Spiegelreflexkamera noch nie um eine Entfernungs-Skala gekümmert habe. Wozu auch, ich stelle doch auf der Mattscheibe ein, oder?

Aufnahme-Möglichkeiten bietet die C 330 in Hülle und Fülle. Man kann zwischen einem Weitwinkel 55 mm bis zu einem Tele mit 250 mm wählen. (Standard-Brennweite ist 80 mm und nicht 105 mm, wie ein Fotohändler einem Leser einreden wollte!) Dazu gibt es noch, wie ein Leser schreibt, die Möglichkeit, über die Teles mit Zwischenring und Weitwinkel in Retrostellung Aufnahmen bis 4: 1 zu machen!
Ich hatte meine erste Mamiya Ende der 50er Jahre, und mußte mit ihr einen wichtigen Industrieauftrag erledigen: ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viele entweder unbelichtete oder doppeltbelichtete Aufnahmen auf einem Film gehabt, wie damals. Inzwischen aber ging die Entwicklung dieser Kamera von der C 3 über die C 33, die C 220 bis zur heutigen C 330, und mit der kann man eigentlich nichts mehr falsch machen, wenn auch das Richtigmachen nicht immer ganz einfach ist.
Kritik: Es wird von manchen Benützern das Finish gerügt, das teilweise für die Ewigkeit diene, teilweise aber an ein Spielzeugauto erinnere (Filmmerkscheibe!), der Filmtransport sei nicht immer gleichmäßig, zwischen den Aufnahmen die Abstände unterschiedlich, und wenn man nach Vorschrift mit der „1" anfange, sei das erste Bild sogar angeschnitten. (Das habe ich selber allerdings nie erlebt, hängt aber womöglich mit dem verwendeten Material zusammen!) Wenig gefällt auch, daß man zu den einzelnen Brennweiten diverse Suchermasken einlegen muß, die lose irgendwo in den Taschen herumsausen: die sollten womöglich im Sucherschacht abklappbar befestigt sein. Daß die Verschlüsse für Zentralverschlüsse zu laut seien, wird ebenso gerügt, wie der fehlende Selbstauslöser. Vor allem jedoch mißfällt, daß man bei Verwendung der Weitwinkel 55 mm und 65 mm eine extra Ausgleichs-Skala auf die Mattscheibe im Sucher legen muß. Von den Mattscheiben schreiben einige, sie wären zu dunkel, wenn auch präzise; die Fresnelscheiben wären zwar hell, dafür nicht präzise. (Die Möglichkeit eigener Justierung wird wiederum gelobt!)
Schließlich ärgern sich viele, daß sie mit der C 330 eine schöne, gut bebilderte Anleitung in englisch (!) bekämen, den schwachen deutschen Text aber in einem Extraheft nachlesen müßten und sie sind der Ansicht, wenn man von uns gutes Geld wolle, solle man auch in unserer Sprache reden. (Diese Ansicht habe ich schon öfters vertreten!)
Nicht unerwähnt soll die Fleißaufgabe eines Lesers bleiben, der die Gewichte aller (auch der Einäugigen!) auf dem Markt befindlichen 6 X6- oder 6 X 7-Kameras dem der C 330 gegenübergestellt hat und damit nachweist, daß diese scheinbar „schwere" Kamera noch zu den „leichtesten" gehört.
Die Benutzung des Handgriffs mit Auslöser wird von den meisten empfohlen und ein paar originelle Sonderwünsche wurden auch laut: so sollte das Sucherobjektiv ebenfalls abblendbar sein, um die Schärfentiefe deutlich zu machen; es werden Wechselmagazine gewünscht oder gar die Möglichkeit, ein Polaroid-Rückteil verwenden zu können. Es hat mich, beim Lesen, gewundert, daß niemand auf die eingebaute Fernsteuerung mit Ausfahrantenne, die zugleich als Abstandhalter für Nahaufnahmen dienen könnte, gekommen ist.
Aber genau das ist so charakteristisch für diese C 330: sie bietet so viele Chancen, echte fotografische Chancen, daß man zum Fabulieren angeregt wird.
Meine persönliche Meinung: Man bekommt mit der C 330 für sein Geld ein optimales fotografisches Arbeitsgerät, mit dem sich nahezu alles bewältigen läßt. Man erkauft sich diese enorme Universalität mit etwas Unbequemlichkeit, etwa wie bei den Heimwerkermaschinen, die auch alles können, aber halt nicht ganz einfach umzubauen sind. Ich würde diese Kamera jedem empfehlen, der rechnen muß und doch auf nichts verzichten will.
Schließen aber möchte ich mit den Worten eines Lesers, der das alles so besonders treffend in dem Satz ausdrückt: „Es geht einem mit dieser Kamera wie mit einer guten Ehefrau - man liebt sie und vergißt ihre Fehler."

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