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Alexander Borell Kommentar

Rolleiflex SLX

Während ich diese Zeilen schreibe sind es fast auf den Tag genau drei Jahre her, daß ich die Rollei SLX zum ersten Mal sah: Am 22. März 1973 wurde sie in Singapore einer staunenden Weit vorgeführt.
Was ich damals an fortschrittlicher, teilweise sogar revolutionär bahnbrechender Technik in die Hände bekam, hat mich von Konzeption und Leistung her so sehr begeistert, daß ich spontan als erster "Nutznießer` der Weit eine gültige schriftliche Bestellung auf diese Kamera abgab.
Und während Sie diese Zeilen lesen, wird sich voraussichtlich diese seinerzeit bestellte Kamera bereits in meinem Besitz befinden, so daß Sie mich anrufen können, wenn Sie gern noch mehr Informationen haben möchten.
Aber in diesen drei Jahren ist viel passiert: Die enorme Expansion der Rolleiwerke, aber auch die wirtschaftliche Restriktion haben Schwierigkeiten entstehen lassen, an die damals im Traumhotel Shangri La noch kein Mensch dachte. Eine Weile schien es sogar, als würde meine Bestellung nie mehr realisiert werden können. Etwa zu dieser Zeit gab es Leute, die sich die Hände rieben:
Berufspessimisten, die immer Unheil und Katastrophen prophezeien. An sich recht zweifelhafte Typen, weil sie nämlich schweigen, wenn ihre Voraussagen nicht eintreffen, aber lautstark triumphieren, wenn ihre Prognose stimmt. In dieser Situation schrieb ich, daß ich es für unmöglich hielte, das Projekt Rollei SLX sterben zu lassen, nachdem solche Summen und ein solcher Aufwand an technischer Entwicklung bereits stattgefunden hatten: nicht einmal Bankdirektoren können, technisch unbelastet, gegen diese Kamera entscheiden.
Heute also gibt es diese Kamera, das Band ist, während Sie diesen Kommentar lesen, angelaufen.
Worüber wir damals in Singapore alle gerätselt haben, ist für mich als Nicht-Elektriker immer noch ein Wunder: die "Linear-Motoren". Zwei davon steuern die Zeit- und Blendenautomatik. Alle, oder fast alle Kamerafunktionen werden von einem Prozeßrechner elektronisch gesteuert: Elektronik ist bekanntlich präziser und viel weniger störanfällig, als Mechanik. Aber vielleicht sollte ich doch versuchen, meine bisherigen Eindrücke der Reihe nach zu schildern.
Der erste Eindruck: Es handelt sich hier um eine schwergewichtige Sache! Man hält diese kompakte, sachlich schön gebaute Kamera in den Händen und vergißt, daß es eine Motorkamera ist. Und für eine Motorkamera im Format 6 x 6 cm sind 1,8 kg mit dem Planar 2,8/80 mm nicht zu schwer. Der Klotz von Objektiv, ein Brocken aus Metall, Glas und Elektronik wiegt allein mehr als ein Pfund mit eingebauten Linearmotoren und Anzeige für die jeweils eingesteuerte Blende.
Als nächstes, wie üblich, der Blick durch den Sucher. In diesem Falle Lichtschacht und Mattscheibe mit Schnittbild und Mikroprismenring: Wer jemals eine Rollei, die Zweiäugige, in 
der Hand hielt, kennt dieses klare, gleichmäßig helle Sucherbild, auf das man präzise scharfstellen kann. Da es sich bei der SLX um eine hochkarätige Systemkamera handelt, lassen sich Mattscheiben und Suchersysteme natürlich wechseln. Wieder ein Schritt weiter: Man kennt die elektrische Funktion, findet rechts den Schalter für "Ein" (zugleich Einzelbild!) und "C" für "Serie". Man schaltet ein, drückt auf einen der beiden Auslöser (hierüber werde ich noch extra berichten!) und hört ein recht erhebliches Geräusch. Leise ist die SLX keineswegs! Da aber ohnedies kein Mensch diese Fotografiermaschine übersehen kann, und da mit Sicherheit niemand glaubt, es handle sich hier um ein Gerät zur Messung radioaktiver Strahlung, darf schließlich jeder auch hören, daß fotografiert wird. Trotz dieses Geräusches gibt es bei der SLX keine Erschütterung, und was man hauptsächlich hört, ist die Rückkehr des Spiegels - wenn die Aufnahme bereits vorbei ist.
Und sofort nach dem Auslösen - aber je nach Dauer der Belichtung - surrt der Motor und transportiert den Film weiter. Diese Rollei SLX bestätigt meine Ansicht über Motorkameras, die ich schon seit Jahren vertrete: Filmschalten oder Kurbeln stirbt aus, dieser Trend zeigt sich bereits deutlich bei Kleinbild. Und wenn man diesem Wunsch der Verbraucher bisher damit gerecht zu werden versuchte, daß man an Standardkameras mehr oder weniger kleine oder große Motore anbringen konnte, so hat Rollei auch hier eine echte Konsequenz gezogen: die SLX ist eine kompakte Motorkamera, und dies in einer bisher unbekannten Vollendung. Sie bekommen zur SLX einfache und federleichte Plastikrahmen, die Sie nach Belieben mit Film vorladen und in einem ebenso flachen und leichten Plastikgehäuse mit sich führen können, ohne daß sich ein Maßanzug dabei ausbeult oder verzieht. Durch Druck auf zwei Knöpfe (er muß gleichzeitig erfolgen, und damit ist unbeabsichtigtes öffnen vermieden) springt das Kamera-Rückteil auf. Sie legen den vorgeladenen Filmrahmen ein (nach unverwechselbaren Symbolen!), schließen die Kamera, drücken auf den Auslöser, und leise surrend wird das erste Filmstück vor die Andruckplatte gezogen: Fertig zur ersten Aufnahme. Wenn Sie gern mit 220er Film arbeiten: Einfaches Umstellen von außen genügt.
Eine bessere Lösung verdrängt bekanntlich stets eine gute Lösung. Die bisher üblichen Filmmagazine waren eine gute Lösung für Leute, die entweder sehr schnell schießen oder sehr schnell das Material wechseln mußten. Aber Magazine sind schwer, teuer und komplizierte Mechanismen mit eigenen Zählwerken. Der Filmrahmen zur Rollei SLX ist billig - wirklich billig - leicht, ohne komplizierte Technik, und außerdem muß man nicht einmal nach Entnahme des Films die Leerspule wechseln: Man legt die neue Spule einfach da ein, wo frei geworden ist, und schiebt den Rahmen umgekehrt in die Kamera. Rechnen Sie bitte einmal selber aus, wieviel angefangenen Film man motorisch durchspulen kann - wenn man unbedingt den Film wechseln will - bis man auf die Kosten eines bisher üblichen Magazins kommt! Das Laden mit den vorgeladenen Filmrahmen geht mindestens ebenso rasch, wie das Wechseln eines Magazins. Übrigens: nach dem letzten Bild - entweder 12 oder 24 - surrt dieser Vollautomat wieder, weil er den Filmrest von selber aufwickelt. Sekundenschnell. Sie brauchen nur den Rahmen gegen den nächsten auszutauschen.
Spätestens nach dem dritten Film merken Sie, daß es bis jetzt keine Kamera auf der Welt gibt, mit der Sie schneller und einfacher arbeiten können.
Nun haben wir genug gespielt, jetzt wollen wir wirklich fotografieren, das Filmzählwerk zeigt die "V" an. Wir stellen an dem griffigen Knopf rechts die gewünschte Verschlußzeit ein. Die elektronischen Verschlüsse der Objektive sind Zentralverschlüsse: Blitzen mit jeder Zeit bis zur 1/500 sek. möglich. Um das - evtl. mit einem kleinen Aufhellblitz - ausnutzen zu können, fehlt der SLX auch der heiße Mittenkontakt links am Gehäuse nicht.
Wir haben also die Verschlußzeit eingestellt: Die Zahlen 1/500 bis zur 1/2 sek. sind weiß graviert, zusätzlich zeigt eine Skala deutlich "weiß". Bei den langen, grün gravierten Zahlen bis zu vollen 30 sek. und "B" wird die Skala rot: Ein kleines Hilfsmittel zur Verdeutlichung bei der raschen Arbeit.
Wenn wir nun wissen wollen, ob die Belichtung stimmen wird, drücken wir die schwarze, daumengerechte Taste rechts am Gehäuse. Sofort zeigt ein Zeiger am Objektiv die zur gewählten Zeit passende Blende an! Zusätzlich signalisieren rechts im Sucher zwei rote Leuchtdioden, wenn die Aufnahme bei dieser Zeiteinstellung unter- oder überbelichtet werden würde. Eine dritte Leuchtdiode, oben im Sucher, meldet übrigens, wenn die Akkus leer werden, der Saft reicht dann aber immer noch für etwa zwei Dutzend Aufnahmen. Wir haben, so nehmen wir an, festgestellt, daß bei der gewählten 1/125 sek. der Prozeßrechner in der Kamera die Blende 8 für richtig hält. Gemessen wird das mittels dreier Siliziumdioden hinter dem Spiegel, wobei eine davon die Aufgabe hat, das über die Mattscheibe oder den Prismensucher einfallende Fremdlicht zu messen und vom Aufnahmelicht durch das Objektiv abzuziehen: Es findet eine volle Kompensation statt - ohne Klappen oder Hebelchen. Die SLX ist also auch in dieser Beziehung eine technische Spitzenleistung, die ich sonst nur noch bei Leitz, Alpa und Olympus in dieser konsequenten Form kenne.
Nun lösen Sie aus, über einen der beiden elektrischen Kontaktauslöser links oder rechts an der Kamerafront.
Und hier ist - ob bewußt oder zufällig - etwas ganz Neues auf dem Sektor Kamerabau passiert: Die Rollei SLX ist die derzeit einzige Kamera der Welt, die für den Linkshänder ebenso gut zu bedienen ist wie für Rechtshänder! Wenn Sie Rechtshänder sind, ist Ihnen die Unterdrückung einer enorm großen Minderheit vielleicht noch nie bewußt geworden. Tatsächlich geschieht diese absolute und fast diskriminierende Unterdrückung der Linkshänder seit einigen tausend Jahren: Schon in der Bibel sitzen die Guten rechts. Kleinkinder werden wenn linkshändig geboren -von unvernünftigen Eltern gezwungen, das "schöne`, das rechte Händchen zu geben, und erst seit kurzer Zeit dürfen Linkshänder in der Schule links schreiben, zu meiner Zeit war das noch "grober Unfug". Ich bin sicher, Rollei hat sich damit den Dank aller Linkshänder gesichert, die nun erstmals in den Genuß des gleichen Kameragefühls kommen wie die Rechtshänder. Natürlich kann jeder, Links- oder Rechtshänder, wählen, mit welchem Finger er lieber auslösen will.
Die Druckplatten der Auslöser kann man herausschrauben und bekommt damit das Gewinde für den Drahtauslöser frei. (Um es nicht zu vergessen: Es gibt noch eine Normbuchse für den Anschluß von Fernauslösern und anderen Zusatzgeräten, an der rechten Kameraseite!)
Die Auslöser rasten in einer winzigen Kugel ein, damit man sie nicht verlieren kann. Und spätestens jetzt begreift man, daß Rollei mit der SLX nicht nur eine geniale Idee hatte, sie aber nachlässig hinschluderte, sondern daß jedes, auch das kleinste Detail, von Überlegung und bester Qualität zeugt.
Selbstverständlich können Sie diese ganze Automatik ausschalten, z. B. bei einer Serie von Aufnahmen mit gleichbleibender Beleuchtung, so daß gewisse Bildpartien farblich völlig identisch ausfallen - oder auch bei der Arbeit im Studio nach einmaligem Messen.
Daß diese Kamera nur mit Strom funktioniert ist klar. Ich habe es noch bei keiner elektrisch-elektronischen Kamera als Manko empfunden, daß sie ohne Strom nicht arbeitet - im Gegensatz zu manchen anderen Fachkollegen. Aber jeder Fortschritt fordert gewisse Konzessionen, und ein Auto fährt bekanntlich auch nicht ohne Benzin. Das hat sich inzwischen herumgesprochen, und Leute, die eine Wüste durchqueren, sorgen für genug Sprit. Mit der Rollei SLX wird man für genug Saft sorgen, was wiederum kein Problem ist: Der Energieeinschub ist kaum größer als zwei Feuerzeuge, man kann einen oder zwei überall mitnehmen, jeder reicht für über fünfhundert Aufnahmen und ist in einer Stunde wieder aufgeladen.
Sie haben es selber gemerkt: Die SLX ist ein Blendenautomat mit Zeitvorwahl. Zugleich aber kommt sie auch den Anhängern der Zeitautomatik mit Blendenvorwahl entgegen: Sie brauchen nur bei gedrückter Meßtaste die Zeit solange ändern, bis der Blendenzeiger die gewünschte Blende anzeigt. Das alles ist nur bei einer Kamera möglich, die nicht mit jahrelanger Tradition vorbelastet ist.
Das Bildzählwerk befindet sich auf der Rückseite der Kamera. Es wird mittels Rändelschraube von 120er Film auf 220er Film umgestellt und bietet außerdem noch die Möglichkeit, eine Lasche der Filmpackung als Merkhilfe einzuschieben. Die Kamera ist für weiteres Zubehör programmiert: Es wird über die Universal-Steckverbindung möglich sein, Timer, Fernsteuer- und Kontrollvorrichtung, Funkempfänger und Lichtschranke anzuschließen. Außerdem eine Daten-Einkopiervorrichtung und, als völlig neue fotografische Möglichkeit, ein Gerät für High-Speed-Multibelichtungen, das heißt bis zu zehn Aufnahmen pro Sekunde auf ein (!) Negativ zum Studium oder zur Kontrolle von Abläufen einer Bewegung. Und das alles bekommen Sie in einer Abmessung von 138 mm hoch, 85 mm breit und 104 mm tief. Daß eine solche Kamera, tatsächlich einmaliges Arbeitsgerät, nicht billig sein kann, ist klar. Vor drei Jahren, in Singapore, hoffte man etwa an der DM 2.000,- Grenze bleiben zu können. Wenn Sie aber, lieber Fotofreund, ehrlich einmal vergleichen, was Sie heute für eine Spitzenkamera bezahlen müssen, ohne dabei auch nur annähernd die Möglichkeiten wie mit der SLX zu haben, dann scheint es gerechtfertigt, wenn sich in diesen drei Jahren der Preis auf mindestens das Doppelte einpendeln wird. (Bei fünf gesparten Magazinen konventioneller Art sieht die Rechnung schon wieder ganz anders aus!) Um zuletzt nicht wieder in den gleichen Fehler zu verfallen, wie er mir bei meinem Kommentar über die Olympus OM-2 unterlaufen ist (siehe "Übrigens . . ." in diesem Heft!) kann ich versichern: Die Rollei SLX funktioniert.

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