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Junge Großbildfotografie
Retter in der Not: Die handy Handy
"Handy" ist ein mit "handlich" nur scheinbar leicht zu übersetzendes Wort der englischen Sprache. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie ein amerikanischer Gastdozent versuchte, uns die vielen, übertragenen Bedeutungen dieser und einiger ähnlicher Vokabeln an Beispielen klarzulegen: "Handy" ist etwas, was einem in Verlegenheits-Situationen zupaß kommt, was die Situation rettet, ohne eigentlich dafür bestimmt zu sein. Und genau das kann - unter anderem - ganz perfekt diese "handy" Handy von Sinar.
Sie wissen doch, wie das mit den großartigen, technischen Errungenschaften unserer Zeit ist: Sie funktionieren immer, sie gehen nie kaputt. Und gerade, wenn es besonders darauf ankommt, dann macht irgend etwas leise "knacks".
Vielleicht trugen die nicht gerade sanften Erschütterungen der lange Autofahrt die Schuld daran, vielleicht war es ein Schlag, den der Koffer auf der engen, steilen Treppe von 150 Stufen abbekam. Ich weiß es nicht. Und es ist auch gleichgültig. Jedenfalls stand ich mit Modell in einem alten, winkeligen, italienischen Castello, das an jenem Tag extra wegen unserer Aufnahmen für alle Besucher gesperrt worden war. Die große Kamera war aufgebaut und der Automat-Verschluß streikte. Ich weiß genau, was Sie jetzt denken: Profis haben doch immer mehr als eine Kamera bei sich. Bei Kleinbild und 6 x 6 ist das auch eine schlichte Notwendigkeit. Aber bei Großbild? Großbildkameras funktionieren immer - jedenfalls für gewöhnlich. Und wenn man neben der umfangreichen Ausrüstung schon das Gepäck für 4 Personen im Auto hat, ist für eine zweite Großbildkamera bestimmt kein Platz mehr zumindest nicht für eine komplette.
Das aber ist genau einer jener Fälle, in denen einem die Sinar Handy sehr zupaß kommt. Die Extra-Bauteile, die man unbedingt braucht,. sind nur wenige - bei der Stativarbeit lediglich ein "Kupplungsstück-Handy" und eines der beiden Weitwinkelobjektive Schneider Super-Angulon 1:8/65 mm oder 1:5,6/47 Mm in Prontor-Press-Verschluß und Einstellfassung auf Spezialplatte mit Tubus. Die übrigen Bauteile schraubt man einfach von der Sinar-p ab - die Rückstandarte samt Mattscheibenrahmen. Und schon bewährt sich das Sinar Baukasten-System: Die Rückstandarte wird mit dem "Kupplungsstück-Handy" verschraubt, das mit einem Stativgewinde ausgerüstet ist. Wo zuvor der Kamerabalgen eingesetzt war, da setzt man eines der beiden Objektive mit seiner Spezialplatte ein. Schraubt man das Ganze nun auf ein Stativ, bestückt es mit der Bino-Spiegellupe, dann ist die handlichste aller Großbildkameras auch schon einsatzbereit. Für die Arbeit aus freier Hand stehen außerdem noch ein Handgriff mit Drahtauslöser, eine Kreuzlibelle zum Ausrichten der Kamera, ein Sucherschuh und natürlich ein Aufstecksucher zur Verfügung. Die Kreuzlibelle leistet übrigens auch bei der Stativarbeit gute Dienste.
Die wenigen Extra-Bauteile passen problemlos in jeden Sinar-Koffer. Und ohne daß zusätzlich Raum beansprucht würde, steht stets eine Zweitkamera zur Verfügung. Mir rettete das den Tag in dem italienischen Castello, ja, überhaupt die ganze Fahrt, von der ich sonst unverrichteter Dinge hätte zurückkehren müssen - um den ganzen Aufwand, die Fahrtkosten und das Modellhonorar ärmer und nicht um ein Bild reicher. Zwar mußte ich ganz schnell umdenken, meine Aufnahmen anders planen. Hatte ich zuvor beabsichtigt, mit dem 240 mm Rodenstock Sironar über den Burghof hinweg zu fotografieren, mein Modell auf der anderen Seite in einem der Rundbogen des Wehrgangs zu plazieren, so war das nun natürlich auch mit der längeren der beiden Handy-Brennweiten, dem 65 mm Super-Angulon, nicht mehr möglich. Dafür konnte ich mit diesem Superweitwinkel unmittelbar auf dem Wehrgang und sogar innerhalb der recht engen Wehrtürme fotografieren. Das 65 mm Angulon zeichnet in der Handy das 4x5"-Format voll aus. Abgeblendet auf f/11 oder f/16 kommt auch der weitwinkeltypische Lichtabfall dem Rande zu nicht störend zum Tragen - ich fotografierte ohne konzentrisches Verlaufsfilter, die Aufnahmen fielen tadellos aus. Und da ich mit dem stehenden oder aufrecht sitzenden Modell arbeiten konnte, auf die geringfügige Verzeichnung in der Architektur keine Rücksicht nehmen mußte, störten auch die bei der Handy fehlenden Verstellmöglichkeiten nicht.
Einziger Trick: Die Hauptlinien des Motivs und die Kamera selbst mußten parallel zueinander ausgerichtet sein, ein Verkanten hätte zu unschönen Verzeichnungen geführt. Das zwang zu einer gewissen Strenge in der Kameraführung, denn ich wollte mein Format ja möglichst voll nutzen. So mußte -ich das wichtige Bildgeschehen im Formatmittelpunkt konzentrieren, auf die diesen Mittelpunkt schneidenden Waag- oder Senkrechten legen. Mir war das in diesem Fall sympathisch, doch hätte sich auch eine andere Möglichkeit geboten: Bei dem heutigen, hochauflösenden Aufnahmematerial ist es ja straflos möglich, nur einen Teil des Formates zu nutzen, also schon bei der Aufnahme auf einen bestimmten Ausschnitt hin zu fotografieren. Die extrem kurze Brennweite des Super-Angulons hätte es gestattet, die Bilder aus größerer Entfernung zu machen und nur den oberen oder unteren Teil des Formates zu nutzen. Solange dabei die Hauptlinien des Motivs und die Filmebene parallel zueinander stehen, passiert optisch nichts Negatives. Man erzielt auf Umwegen, was man sonst durch Hoch- oder Tiefverschieben der einen Standarte erreicht - eine optisch einwandfreie Parallelverschiebung, die stürzende Linien und die damit verbundene, zumeist häßliche Verzeichnung vermeidet.
Und darin liegt auch der Kerngedanke, der bei Sinar zur Konstruktion der Handy geführt hat und der besonders klar beim Einsatz des Super-Angulons 1:5,6/47 mm zum Ausdruck kommt.
Dieses extrem kurzbrennweitige Objektiv zeichnet das 4x5"-Format natürlich nicht mehr voll aus, es vignettiert selbst bei der kleinsten Blende. Doch was es mit seinem riesengroßen Bildwinkel erfaßt - gestochen scharf und bei Wahrung eines vernünftigen Aufnahmeabstandes auch völlig verzeichnungsfrei - das ist enorm und gestattet auch ohne den ganzen Verstellaufwand anschließend den gewünschten Ausschnitt herauszuvergrößern. Ja, gewöhnlich hat man dabei noch Reserven, kann - falls der Auftraggeber es wünscht - aus einer als Querformat gemachten Aufnahme ein qualitativ einwandfreies Hochformat entnehmen. Doch das ist eine ganz andere Geschichte der "handy" Handy - wir werden bei passender Gelegenheit darauf zu sprechen kommen.
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