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Alexander Borell Kommentar

Yashica FR

In COLOR FOTO 9/76 konnten Sie einen ausführlichen Labortest über die Yashica FR nicht nur lesen, sondern auch studieren. So konnten Sie z. B. diesem Test entnehmen, daß die Verschlußzeit bei der 1/125 sek. um einen Viertel Blendenwert abweicht, und daß die Verschlußzeit bei 1/15 sek. um volle 0,2% vom Wert bei 20xGRADx Celsius abweicht, wenn die Kamera -20xGRADx kalt ist. Das sind präzise Werte, die einen Fachmann durchaus interessieren, vor allem aber erhalten sie Wert und Bedeutung, wenn man mehrere solcher Tests miteinander vergleicht, um sich über die Qualität einer Kamera grundsätzlich zu orientieren. Da ich mich neben Kameras auch noch für Uhren und Autos interessiere, lese ich ebenfalls solche Tests und bin vom Wagen "All sehr angetan, wenn er von 0 auf 100 in 8,6 sek. beschleunigt, während das der Wagen "B" nur in 9,4 sek. schafft. Natürlich sagen solche Werte für sich allein so gut wie nichts. Wenn ich jedoch weiß, daß der Wagen "A" aus 1.600 ccm schneller beschleunigt, als "B" aus 2,2 Litern, dann kann ich sehr wohl darauf schließen, daß "B" länger hält als "A", aber mir beim Fahren weniger Freude macht. So können auch Sie, nach einiger Übung und wenn Sie wollen, einige Schlüsse aus den gesamten Daten eines Labortests ziehen.
Aber trotzdem würden vermutlich auch Sie - wie ich - kein Auto nur auf technische Angaben hin kaufen, wenngleich die technischen Angaben Ihre Wahl zugunsten einiger weniger Modelle verändern kann. Der präzise Test ermöglicht also eine Art der Vorauswahl.
Dann aber gibt es noch das, was man den "Field"-Test nennt, einen Feld-Wald-und-Wiesen-Test", meistens identisch mit dem Bericht eines Autors, der in seinem Artikel seine persönliche Meinung äußert. Als Amateur, also als Liebhaber, liest man Fachliteratur, und schon bald kennt man seine Autoren. Als ich vor Jahren zwei Dutzend exotische Vögel beherbergte, wußte ich ganz genau, wenn der Autor X schrieb, eine bestimmte Art sei leicht zu halten, würde mir das auch gelingen, wohingegen ich nie Schwierigkeiten mit Vögeln hatte, die der Autor Y als äußerst schwer zu halten beschrieb. Und mit meinen Meerwasser-Korallenfischen ging es mir etwas später nicht anders.
Ebenso weiß Ich durch viele Gespräche, daß auch Fotoamateure ihre Autoren sehr genau kennen und entweder mit ihnen meistens übereinstimmen, oder aber absolut nicht deren Meinung sind. Trotzdem vertritt der Autor, im Gegensatz zum Labor, eine eigene Meinung. Und da wir bei COLOR FOTO festgestellt haben, daß es genug Leser gibt, die auch eine persönliche Meinung lesen wollen - (um zuzustimmen oder dagegen zu sein!) - werden wir hin und wieder über die gleiche Kamera oder das gleiche Gerät sowohl den NORMTEST veröffentlichen, als auch die persönliche und subjektive Meinung eines Amateurs oder Profis. Diesmal bin ich als Amateur dran mit der Yashica FR.

Sympathie ist bekanntlich etwas, was man nicht vom Verstand her begründen kann, bei Frauen nicht, bei Männern nicht und erst recht nicht bei Kameras. Es gibt welche, die ich einfach nicht mag, ohne erklären zu können, warum. Und meistens entsteht ein solches Kriterium schon beim ersten Anfassen beim ersten Blick durch den Sucher, beim ersten Verschlußspannen und Auslösen. Die Yashica FR war mir vom ersten Augenblick an sympathisch: beim Anfassen, weil sie sich gut in die Hand fügt und ihr Belag angenehm griffig ist; beim Blick durch den Sucher, weil er hell und sauber wirkt und ich das ganze Bild trotz Brille voll überblicken kann. (Vielleicht liegt es an meiner Brille, daß ich die leichte Eckenvignettlerung nicht feststellen kann, die NORMTEST bemerkte.) Der Verschluß spannt sich butterweich und geschmeidig, was auf saubere technische Verarbeitung schließen läßt, und das Auslösen schließlich ist einmalige Klasse. Daß man es bei Yashica gelernt hat, im Detail vorbildlich zu sein, wurde nie bezweifelt. Die FR ist aber auch als Ganzes, als Kamera und Werkzeug eine saubere, runde und ehrliche Sache. Sie gibt nicht vor, etwas zu können, sondern sie kann. So kann sie z. B., wenn auch nicht mit Automatik doch einen 36er Film mittels ihrer Einstellmethode so belichten, als sei er mit der Maschine gemacht. So kann sie mittels ihres diagonalen Schnittbild-Entfernungsmessers auch im Nahbereich sehr präzise scharf eingestellt werden, und so sind Auslöse- und Spiegelgeräusch dem Besten auf dem Markte voll ebenbürtig. Sogar die Abblendtaste zur Kontrolle der Schärfentiefe kann man so leicht mit dem Finger betätigen, daß man nicht hinterher zum Doktor muß. Sie spult, was ich für besonders erwähnenswert halte, den Film im Uhrzeigersinn auf, was man heute mehr und mehr ins Gegenteil verkehrt findet. Das hat den Vorteil daß man auch einen frisch aus der Kamera genommenen Film sofort in eine Entwicklungsdose einspulen kann, ohne in der Hälfte als Folge des Gegendralls hängen zu bleiben.
Sie hat einen geradezu provozierenden Batterie-Prüfknopf. Wenn man ihn drückt, leuchtet es rot wie bei einem Ami-Straßenkreuzer, auch wenn die Batterie kurze Zeit später ihren Geist aufgibt. Aber viele Germanen lieben diesen Knopf: sie fliegen beruhigt mit einer zwei Jahre alten Batterie auf die Seychellen-Inseln, um erst im Flugzeug zu merken, daß die notwendigen 6 Volt nun nicht mehr im Kameraboden stecken, und deshalb weder rote noch grüne Leuchtdioden die richtige Belichtung anzeigen.
Da hilft es dann auch nicht mehr viel, wenn die sechs 1,5 Volt Batterien im Winder noch arbeiten. Der Winder ist ein feines und preiswertes Gerät, um zu besseren Aufnahmen zu kommen als ohne. Man ist ja nicht zu faul, den Daumen zu bewegen, aber der Winder kann es schneller, und da liegt der Vorteil. Aber bei aller Sympathie: er ist unhandlicher und schwerer als der zur Olympus OM. Vor allem stört meine Finger eins: Der Blendenring des Objektivs liegt so knapp an dem Vorbau des Winders, daß man sich beim Einstellen der Blende selber mit den Fingern etwas im Wege ist. Noch dazu ist dieser Blendenring (beim ML 50 mm 1: 1,7) so glatt, daß man darauf rutscht. Ein Vorschlag zur Abhilfe: einen Blendenhebel aus Plastik dazu liefern, wie er z. B. bei Mittelformat-Kameras längst üblich ist. Der Blendenweg beträgt keine Vierteldrehung, man könnte die Blende allein mit dem linken Zeigefinger einstellen und würde so eine Automatik fast nicht vermissen.
Natürlich sind auch die beiden Skalen im Sucher, oben für die Blende, rechts für die Verschlußzeiten, so fein und elegant diskret angedeutet, daß man sie wieder einmal nicht sieht wenn oben ein dunkler Dachballken, rechts ein Herr im Frack zur Bildgestaltung gehören. Aber die FR hat ja ein Nachführsystem, man stellt vorher Zeit oder Blende ein und hat dann die grüne Leuchtdiode. Ist sie oberhalb der Bildmitte, kann man ruhig aus der Hand arbeiten, ist sie unterhalb, geht es um die langsamen Zeiten. Man lernt das ziemlich bald recht genau abzuschätzen.
Um diese Belichtungsmesserei überhaupt in Gang zu bringen, drückt man rückseitig mit dem Schnellschalt-Daumen auf eine breite Taste: dann leuchten die Dioden auf. Oben rot, wenn es zur Überbelichtung kommt, unten rot, wenn unterbelichtet würde. Am einfachsten: mit dem rechten Zeigefinger das Verschlußzeitenrad mit dem im Sucher sichtbaren Zeiger dorthin drehen, wo es rot leuchtet. Natürlich ist beides möglich: die Verschlußzeit nach der Blende, oder die Blende nach der Verschlußzeit zu wählen.
Sollten Sie mit dem leichten Druck auf die Meßtaste Schwierigkeiten haben - wie z. B. ich - dann gehen Sie mit dem Schnellschalthebel in Arbeitsstellung und schieben die Meßtaste ein wenig nach rechts, wo sie arretiert. Nahezu automatisch drücken Sie dann den Schalthebel wieder in Normalstellung, wodurch die Meßtaste von selber in Ruhestellung zurückschnappt und den Strom ausschaltet.
Dies alles ist in der Praxis sehr einfach und ohne Aufwand zu machen. Je länger Sie mit dieser Kamera arbeiten, desto vertrauter wird sie Ihnen, und auch desto mehr sind Sie von ihrer klug durchdachten Beschränkung bei voller Arbeitstüchtigkeit überzeugt. Nahezu alles Zubehör zur Contax RTS ist auch an der Yashica FR zu verwenden, von der Datenrückwand bis zur Infrarot-Auslösung über Distanz.
Alles in allem, erst recht wenn man den Preis berücksichtigt, eine solide, wohl durchdachte, praxisgerechte und grundehrliche Kamera zu der ich mein vorbehaltloses Ja sagen kann.
Die Bedienungsanleitung ist überaus ausführlich und komisch. Diese Japaner sind entweder zu geizig, einen Deutschen an der Übersetzung ein paar Yen verdienen zu lassen, oder sie sind zu mißtrauisch und meinen, man würde heimlich Scheußlichkeiten in den Text schmuggeln, um sie zu ärgern.
Ein paar solcher Originalitäten möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, denn schließlich muß ja auch ein Kommentar nicht unbedingt tierisch ernst enden. Also ich zitiere:
"Als besonders stabile Unterlage ist ein Baumstumpf, die Wand eines Gebäudes oder anderer Bauten besonders geeignet." Oder: "Setzen Sie Ihre Kamera niemals plötzlichen Temperaturschwankungen aus, weil die elektrischen Kontakte rosten können und dadurch eine Betriebsstörung wegen schlechten elektrischen Kontaktes verursacht wird." Anmerkung hierzu: Demnach wäre die FR für Arbeiten in einem bayerischen Winter völlig ungeeignet; ja, selbst im Sommer schwankt die Temperatur während eines Gewitters mit Hagel. Oder ist dies eine gedruckte Möglichkeit, spätere Garantiereparaturen abzulehnen? Ich glaube, es ist doch Geiz.
Und schließlich hapert es auch mit der Fotohistorie. 
Denn da steht auf Seite 73:
"Wenn eine Belichtung von mehr als einer Sekunde erforderlich ist, stellen Sie die Verschlußzeitenskala auf "B" (Blitzlampenbelichtung) ein. Oha! - mit Blitzlampen hat nun "B" ebensowenig zu tun, wie mit Glühwürmchen. Dieses "B" stand einmal für englisch "Ball" und stammt noch aus der Zeit, als ein "Compound-Verschluß" mittels Druckluft und Gummiball offen gehalten wurde.
Über die Belichtungseinstellung durch Blendenvorwahl erhalten Sie folgende aufschlußreiche Darstellung:
"Drehen Sie zuerst den Blendenring und stellen Sie den Ring auf die gewünschte Einstellung ein. Drehen Sie dann die Verschlußzeitenskala auf eine der beiden kalibrierten Einstellungen ein und verstellen Sie den Blendenring, bis der grüne LED-Punkt aufleuchtet, auf den die Verschlußzeitennadel ausgerichtet ist."
Hierbei denke ich an meinen Geschichtsprofessor, der unmittelbar vor seiner Pensionierung einmal zu uns sagte: "Hannibal schied dreimal zu Fuß aus dem Leben." Trotzdem: die Yashica FR ist eine so klar konzipierte Kamera, daß sie trotz dieser Anweisungen mit ihr zurechtkommen.

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