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Test & Technik Praxisbericht
Die neue Mamiya 6 MF
Die Vielseitige
Mit fernöstlicher Höflichkeit präsentierten die japanischen Mamiya-Repräsentanten auf der photokina ein Vorserienmodell der neuen Mamiya 6 MF. Man durfte die Meßsucherkamera betrachten, ja sogar berühren, doch anschließend wurde das gute Stück wieder nach Japan zurückgeflogen. In umgekehrter Richtung erreichte uns nun die erste für Testzwecke freigegebene Kamera, die wir für unseren Praxisbericht ausgiebig geprüft haben.
Als einziges Exemplar ihrer Gattung, beeindruckt die neue Mamiya 6 MF durch ihren eigenständigen Charakter. Das bezieht sich sowohl auf die technische Ausstattung als auch auf das Design. Die Mamiya 6 MF ist ein typisch japanisches Ausstattungspaket, das aber dennoch den Eindruck von Sachlichkeit vermittelt. Sie ist die einzige Mittelformat-Meßsucherkamera mit Wechselobjektiven auf dem Markt und mit Zeitautomatik, Meßwertspeicher, Belichtungskorrektur und manueller Nachführmessung ausgestattet. Das neue an der Mamiya 6 MF wird bereits durch die Zusatzbezeichnung angedeutet, "MF" steht nämlich für "Multiple Forrnat". Der Fotograf hat die freie Wahl zwischen drei verschiedenen Aufnahmeformaten: 6x6 und 4,5x6 Zentimeter sowie das Panoramaformat 24x54 Millimeter. Die Formate 6x6 Zentimeter (effektives Aufnahmeformat 56x56 Millimeter) und 4,5x6 Zentimeter (effektives Aufnahmeformat 41,5x 56 Millimeter) können wahlweise auf Rollfilm 120 oder 220 belichtet werden. Das Panoramaformat 24x54 Millimeter (effektives Aufnahmeformat 24x54 Millimeter) wird, mit einem entsprechenden Adapterset, auf Kleinbildfilm belichtet. Für jedes einzelne Objektiv wird ein separater Leuchtrahmen mit Markierungen für das jeweilige Aufnahmeformat eingespiegelt.
Zeitautomatik
Die Zeitautomatik wird am Verschlußzeitenrad eingestellt. Wenn das entsprechende Symbol "A" auf den Verschlußzeitenindex zeigt, ist das Verschlußzeitenrad gegen versehentliches Verstellen arretiert. Lediglich ein leichter Dreh für die Meßwertspeicherung ("AEL") ist bei dieser Einstellung noch möglich. Um die Arretierung zu lösen, genügt ein leichter Druck auf den Entriegelungsknopf in der Mitte des Verschlußzeitenrads. In der Zeitautomatik wird die Blende am Objektiv vorgewählt; die Kamera steuert automatisch und stufenlos die passenden Verschlußzeiten zwischen 1/500 und 4 Sekunden, wobei jedes Objektiv mit einem Zentralverschluß ausgestattet ist. Die Belichtung wird über eine Silizium-Fotodiode im Sucher gemessen. Je nach Objektiv ergeben sich die folgenden Meßcharakteristiken: mittenbetont bei den Objektiven 4/50 mm und 3,5/75 mm sowie integral beim Teleobjektiv 4,5/150 mm. Daß die Meßcharakteristiken so ausfallen, ist auf die stets gleich groß bleibende Meßfläche im Sucher zurückzuführen. In der Praxis kann man jedoch gut damit arbeiten, weil bei einem großem Bildwinkel, der großräumige Motive erfaßt, mittenbetont gemessen wird, während bei kleineren Bildausschnitten im Telebereich die Integralmessung ausreicht. Bei schwierigen Lichtverhältnissen kann man eine Ersatzmessung vornehmen und mit diesem Wert mittels Meßwertspeicherung auslösen.
Selbstverständlich ist die Mamiya 6 MF auch mit einer Belichtungskorrektur ausgestattet, die im Bereich von -2 bis +2 Lichtwerten in Drittelstufen erfolgen kann. Bei durchgedrücktem Entriegelungsknopf kann der gewünschte Korrekturwert mit dem entsprechenden Hebel eingestellt werden. Das ist eine etwas umständliche Bedienung, doch in der Praxis funktioniert die Belichtungskorrektur tadellos. Der gewählte Wert rastet ein und ist auf einer Skala genau abzulesen. Leider wird der Fotograf nicht auch im Sucher über die Belichtungskorrektur informiert. Angezeigt wird aber die Unter- beziehungsweise die Überbelichtung.
Manuelle Belichtungseinstellung
Wie es sich für eine Meßsucherkamera gehört, kann die Belichtung bei der Mamiya 6 MF auch manuell eingestellt werden. Die Einstellung erfolgt nach dem Prinzip der Nachführmessung. Beim Antippen des Auslösers leuchtet die eingestellte Verschlußzeit konstant auf. während die von der Kamera ermittelte Zeit blinkt. Nun kann der Fotograf, je nachdem, ob er mit der Schärfentiefe oder der Bewegungsunschärfe gestalten möchte, wahlweise den Blendenring am Objektiv oder das Verschlußzeitenrad an der Kamera so lange drehen. bis nur noch eine Verschlußzeit konstant leuchtet. In diesem Betriebsmodus können die Verschlußzeiten nur in ganzen Werten eingestellt werden, Zwischenstellungen sollte man also tunlichst vermeiden. Die Blende rastet ebenfalls nur in ganzen Stufen ein (mit Ausnahme der Anfangsblende beim Standard- und beim Teleobjektiv), wobei jedoch beliebige Zwischenstufen eingestellt werden können. Der Blendenring verstellt sich auch in den Zwischenpositionen nicht, so daß fein abgestufte Belichtungen möglich sind. Allerdings wäre es sinnvoll gewesen, die Position der halben Blendenwerte zumindest mit einem Punkt oder einer Linie wie bei den Mamiya-RZ67-0bjektiven - zu markieren, zumal es an Platz nicht gefehlt hätte.
Formate nach Wunsch
Der Besitzer der Mamiya 6 MF hat Wahl zwischen drei Aufnahmeformaten und zwei Filmtypen. Das 6x6-Format kann "unmaskiert" auf Rollfilm 120 oder 220 belichtet werden. Für das 4,5x6-Format muß eine Formatmaske, die zum Lieferumfang der Kamera gehört, zwischen den Rollfilm-Führungsschienen eingelegt werden. Die Belichtung kann ebenfalls auf Rollfilm 120 oder 220 erfolgen. Trotz des kleineren Aufnahmeformats können aber nicht mehr Aufnahmen als beim 6x6-Format auf den jeweiligen Film belichtet werden, weil die Aufnahmen im Querformat angeordnet sind (auf dem Film erscheint oben und unten je ein unbeachteter Streifen). Das ist darauf zurückzuführen, daß der Weg des Schnellschalthebels für den Filmtransport und den Verschlußaufzug gleich groß bleibt, so daß die selbe Filmlänge wie beim 6x6-Format weitertransportiert wird. Den 185-Grad-Schwenk des Schnellschalthebels hat man nicht verkürzen können, weil der Verschlußaufzug der Objektive darauf abgestimmt ist und nicht für jedes Format beliebig verändert werden kann. Ein Adapter mit einer anderen Übersetzung des Filmtransports hätte aber ein größeres Gehäuse erfordert (weil die Höhe der Rollfilmspule nicht verkürzt werden kann).
Die Belichtung der Länge nach ist zwar für den Filmverbrauch nachteilig, wirkt sich aber positiv auf die Handhabung aus, weil man dadurch - wie bei einer Kleinbildkamera - im Querformat fotografiert, so daß keine Umgewöhnung erforderlich ist.
Zwar kann man durch Beschneiden des 6x6-Formats zum gleichen Ergebnis kommen, doch ist die Maskierung empfehlenswert, wenn der Bildaufbau bereits bei der Aufnahme auf das 4,5x6-Format ausgerichtet sein soll.
Für Panorama-Aufnahmen auf Kleinbildfilm wird ein einfaches und ausgeklügeltes Adapterset eingesetzt, das als Zubehör für etwa 300 Mark erhältlich ist (die Preise standen bei Redaktionsschluß noch nicht fest). Das Set besteht aus einem Kleinbild-Patronenhalter, einer Aufwickelspule, einer Rückspulkurbel sowie einer Formatmaske für 24x54 Millimeter und wird einfach montiert: Der Halter mit der Kleinbildpatrone wird in die Filmkammer, die Aufwickelspule in den Spulenraum und die Formatmaske zwischen den Filmführungsschienen eingesetzt. Die Filmandruckplatte muß auf die Markierung 220/135" ausgerichtet sein. Für den Filmrücktransport wird die Rückspulkurbel in das Stativgewinde eingeschraubt (sie kann auch am Gehäuse angeschraubt bleiben). Auf einen 135/36-Film können zwanzig Panorama-Aufnahmen im Format 24x54 Millimeter belichtet werden. Dieses Format ist etwa 2,8mal größer als das Panoramaformat anderer Kleinbildkameras (13x36 Millimeter) und kann somit bei formatfüllenden Aufnahmen aufgrund der größeren Aufnahmefläche mehr Detailinformationen speichere, was eine bessere Bildqualität zur Folge hat.
Handhabung und Sonstiges
Auf den Fotografen wartet ein wohlproportioniertes Gehäuse, das sich ebenso schnell und einfach bedienen läßt wie eine einfache Kleinbildkamera. Die Bedienungselemente sind nach der klassischen Anordnung plaziert und auf Anhieb zu finden. Der Blendenring ist, wie bei einer Meßsucherkamera nicht anders zu erwarten, am Objektiv vorn angebracht. Das hat zur Folge, daß die Blendeneinstellung nicht im Sucher eingespiegelt werden kann. Ansonsten informieren die Sucheranzeigen über alle aufnahmerelevanten Daten. Vermißt haben wir lediglich die Anzeige der Belichtungskorrektur im Sucher. Die Filmempfindlichkeit kann bis ISO 1600/33xGRADx eingestellt werden, doch mit einer Belichtungskorrektur von -2 EV läßt sich der Bereich bis ISO 6400/39xGRADx erweitern. Selbstauslöser mit Pilotlampe, Gewinde für herkömmlichen Drahtauslöser, eine Notentriegelung für den Filmtransport bei verbrauchter Batterie, Auslöserverriegelung (Ein/Aus-Schalter), X-Synchronbuchse und Blitzschuh sind weitere Ausstattungsmerkmale der Mamiya 6 MF Ausgezeichnet gelöst sind die Entriegelung der Rückwand, das Verstellen der Filrnandruckplatte und vor allem der Wechsel der Filmspulen, da die beiden unteren Spulenhalter per Knopfdruck herausspringen und dann einfach hereingedrückt werden.
Das große Sucherbild der Mamiya 6 MF ist für bewußte BiIdgestaltung sehr gut geeignet. Die Schärfentiefe muß am Objektiv abgelesen werden
Um Bedienungsfehler weitgehend auszuschalten, ist die Mamiya 6 MF mit einigen Sicherheitsmechanismen ausgestattet. Der Auslöser ist gesperrt. wenn sich der Hilfsverschluß vor dem Filmfenster befindet, das Objektiv versenkt ist, kein Film eingelegt oder der Schnellschalthebel nicht betätigt wurde. Ist die Kamera aufgrund eines dieser Bedienungsfehler nicht aufnahmebereit, wird das durch eine rote Leuchtdiode rechts oben im Sucher angezeigt. Das Objektiv läßt sich nur bei verschlossenem Hilfsverschluß abnehmen beziehungsweise wechseln.
Die elektronisch gesteuerte Verschlußauslösung läuft butterweich und sehr leise ab. Dies bewirkt nicht nur, daß der Mittelformat-Fotograf die Erschütterung des Spiegelschlags bei Spiegelreflexkameras unangenehm in Erinnerung hat, sondern ermöglicht auch verwacklungsfreie Aufnahmen mit dem 150er Teleobjektiv oder mit längeren Verschlußzeiten.
Das Sucherbild ist groß, hell und brillant, die Parallaxe wird automatisch ausgeglichen. Die für jedes Objektiv einzeln eingespiegelten Leuchtrahmen mit gut sichtbaren Formatmarkierungen erleichtern die Bildgestaltung. Die Scharfeinstellung mit dem Mischbild-Meßsucher funktioniert auch bei schlechten Lichtverhältnissen schnell und präzise.
Die Verarbeitung ist tadellos, und das Gehäuse aus einer Aluminiumlegierung, die im werkseigenen Forschungszentrum speziell für die Mamiya 6 MF entwickelt wurde, macht einen soliden Eindruck, Das Gehäuse ist an den entscheidenden Stellen mit einer rutschfesten Gummiarmierung überzogen.
Fazit
Die Stärken der Mamiya 6 MF sind in den Vorzügen einer ausgeklügelten Mittelformat-Meßsucherkamera zu suchen: helle" und brillantes Sucherbild, schnelle und genaue Scharfeinstellung auch bei schwachem Licht, extrem leises und erschütterungsfreies Auslösen, kompakte und leichte Bauweise. Aber auch in puncto Vielseitigkeit hat die 6 MF einiges zu bieten: drei Aufnahmeformate auf Roll- beziehungsweise Kleinbildfilm, Zeitautomatik mit Blendenvorwahl oder manuelle Belichtungseinstellung, Meßwertspeicherung und Belichtungskorrektur, Blitzsynchronisation bei allen Verschlußzeiten zwischen 1/50() und 4 Sekunden. Mit den drei ausgezeichnet korrigierten Wechselobjektiven 4/50 mm, 3,5/75 mm und 4,51150 nun lassen sich zahlreiche fotografische Sachgebiete abdecken, und mit dem als Zubehör erhältlichen Vorsatz für Nahaufnahmen kann man auch mal einen Vorstoß in den Nahbereich wagen.
Die bequeme Handhabung, die schnelle Scharfeinstellung und das kaum wahrnehmbare Auslösegeräusch machen die Mamiya 6 MF zur idealen Kamera für Reportage-, Reise- sowie Porträt-, Beauty- und Modefotografie.
Die Schwächen der Mamiya 6 MF (keine Schärfentiefenkontrolle im Sucher, kein extremer Tele- und Weitwinkelbereich) sind systembedingt. Zu bemängeln sind die etwas umständliche Belichtungskorrektur und das Fehlen der Korrekturanzeige im Sucher.
Die Mamiya 6 MF wird durch ihre Vielseitigkeit pragmatisch orientierte Käufer ansprechen, zumal das Preiswachstum recht moderat ist. Das Gehäuse wird voraussichtlich etwa 2 100 Mark kosten, die aufnahmebereite Einheit mit Normalobjektiv 3.5/75 nun zirka 3700 Mark. Die komplette Ausrüstung mit Gehäuse, drei Objektiven, Nahvorsatz und Panorama-Adapterset bleibt mit rund 8900 Mark unter dem, was man sonst für eine qualitativ gleichwertige Mittelformat-Ausrüstung berappen muß.
Die Mamiya 6 MF ist zweifelsohne eine Ausnahme-Erscheinung unter den Mittelformatkameras und liegt aufgrund ihrer ausgezeichneten Gesamtleistung zwischen sehr gut und hervorragend, allerdings etwas näher beim letzteren, so daß sie die höchste COLOR FOTO-Praxisauszeichnung, das Prüfsiegel Praxisbericht hervorragend*****, erhält.
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