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Photographica Aktuell

Alpa - nicht billig, aber selten

So massiv wie die Berge

Alpa - das ist weder eine Schokolade noch ein Müsli, sondern eine Kamera aus der Alpenrepublik Schweiz - und so exklusiv, daß sie zwar hin und wieder in Zeitschriften erwähnt wurde, aber nur wenige sie jemals in natura gesehen haben.

Und warum gerade eine Alpa?" Nun, das frage ich mich auch. Es gibt Dinge, die sind schwer zu erklären. Ist es der Ruch des Exklusiven, oder ist es ein ganz besonderes "Feeling", das nur Eingeweihten bekannt ist? Denn exklusiv ist sie wirklich. Hin und wieder wurde die Alpa in Zeitschriften mal erwähnt, aber selbst wer aufmerksam die Schaufenster der Fotogeschäfte studierte, hat kaum jemals eine in natura gesehen. Denn insgesamt wurden nur rund 50000 Kameras dieses Namens hergestellt.
Die Pignons AG in Ballaigues, Schweiz, war ursprünglich ein Familienbetrieb zur Herstellung von Uhren. 1939 brachte sie den ersten Prototyp der Bolca-Kamera heraus. Später wurde der Name in Alpa geändert. Kameras hat man dort bis in die 80er Jahre produziert. Dazu gehörten auch Spezialgeräte wie Panoramakameras mit 360 Grad Blickwinkel. Alpas waren individuelle Apparate. Es war möglich, Sonderausstattungen ab Werk zu bestellen. Da ein Großteil in Handarbeit hergestellt wurde, konnten sie nicht billig sein. Das letzte Modell, die 11si, ist in der "Foto-Revue" von 1985 mit 5000 Mark angegeben. Damit war sie mit Abstand die teuerste Kleinbild-SLR auf dem Markt. Zum Vergleich: Eine Reflex-Leica bekam man zu dieser Zeit schon ab 2000 Mark.
Wenn man eine 9d aus dem Jahre 1964 sie in die Hand nimmt, spürt man tatsächlich den Hauch des Besonderen. Wer auf das Gehäuse tippt, hört einen ungewohnt dumpfen Ton. Es besteht aus Magnesium-Guß, einschließlich Boden, Rückwand und Oberkappe. An diesen Stellen ist das Material drei Millimeter stark! Blech oder gar Plastik sucht man an diesem Gehäuse vergeblich. Trotzdem ist die Kamera recht handlich und nicht übergewichtig. Die Bedienungselemente gehen leicht und geschmeidig, da reichlich Kugellager Verwendung fanden.
Allein der Zeitenknopf für den horizontalen Tuchschlitzverschluß (1-1/1000 Sekunde) paßt nicht dazu. Er dreht sich mit und muß zum Verstellen heruntergedrückt werden. Den Auslöser findet man an der Vorderseite, und ganz ähnlich wie bei der früheren Exakta hat das Objektiv einen Abblendhebel, der auch den Auslöser mitbewegt. Der Filmtransport erfolgt am Schnellschalthebel, aber ganz unkonventionell, nämlich anders herum als gewohnt - die Basiskonstruktion stammt aus dem Jahr 1952. Den Schnellschalthebel hat man später einfach draufgesetzt. Über diese Kuriosität verfügen alle Alpas ab 1959 bis in die 80er Jahre. Doch unbequem muß dieser Transporthebel nicht sein; man hakelt ihn mit dem Zeigefinger herum. Eine andere Merkwürdigkeit: Beim Auslösen schlägt der Hebel gegen das Prismengehäuse. Ich war zunächst der Meinung, er sei nicht richtig montiert. Doch der kleine Gummipropfen zeigt: So war's gedacht - eine Alpa ist eben unerschütterlich!
Die Rückspulkurbel ist die beste, die ich jemals an einer Kamera fand. Man zieht den Drehknopf ein Stück heraus, drückt ihn über eine Parallelogrammkonstruktion zur Seite und benutzt das Rädchen als Kurbelgriff. Zur Ausstattung gehören ein Selbstauslöser, X- und M-Kontakt (X-Synchronisation bis 1/60 sec) und eine Auslösesperre. Eine riesige Augenmuschel rundet das Bild ab. So kann man bei Verwacklungsgefahr die Kamera fest an den Kopf drücken, ohne daß man Kanten und Ecken spürt.
Spiegel-Vorauslösung ist möglich, indem man den Auslöser langsam drückt. Dann werden Spiegel und Verschluß nacheinander betätigt, wie bei alten Praktica-Modellen.
Die Alpa 9d ist ein (verkannter) Meilenstein in der Kamerageschichte: Die CdS-Belichtungsmessung erfolgt durch das Objektiv! Für uns heute ist das nichts Besonderes, aber erinnern wir uns: 1964 war das Jahr, in dem die TTL-Technik das Licht der Welt erblickte und maß. Die Fans streiten noch darum, ob die Alpa die erste Kamera mit dieser Meßtechnik war.
Bei der Alpa ist natürlich Arbeitsblendenmessung angesagt. Und dabei blieb es bis zum Ende ihrer Tage. Eine Kupplung mit dem Zeitenrad ist nicht möglich, da dieses ja beim Aufziehen und beim Verschlußablauf mitdreht. Man muß also die vorgesehene Zeit an dem kleinen Rädchen auf dem Prismengehäuse separat einstellen. Darunter liegt das Zeigerwerk mit Anzeiger im Sucher. Dieser kann mit den besten SLR-Suchern konkurrieren. Die Mattscheibe ist besonders groß und zeigt ein diagonales Schnittbild.
Das Objektiv dieser 9d ist von Schneider, Kreuznach, ein Sechslinser 1,9/50 mm. Die meisten Alpas waren aber mit dem "Macro-Switar" von Kern ausgestattet. Auch "Old Delft"-Objektive aus Holland gab es für Alpas. Wechselobjektive hat außer den genannten Firmen auch Angenieux hergestellt, darunter Spezialobjektive mit außergewöhnlich hoher Korrektur.
Zum Zubehörprogramm gehörten obendrein Motorsysteme mit Intervallauslösung und wissenschaftlichen Gerätschaften. Außerdem gab es, früheren Informationen zufolge, Adapter für M-42- und Exakta-Objektive.
Warum gerade eine Alpa? Weil sie so massiv ist wie die Schweizer Berge? Weil sie trotz erheblicher Gebrauchsspuren immer noch seidenweich und präzise arbeitet wie am ersten Tag? Weil sie trotz allem ein bißchen verspielt wirkt und ein paar liebenswerte Anachronismen bereithält? Vielleicht trifft von allem etwas zu. Aber vor allem erinnert sie nachdrücklich an solide Handwerksarbeit.

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