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Test & Technik Normtest

Nikon F4

Maß der Dinge

Keine Kameraneuheit der letzten Jahre hat soviel Aufsehen erregt wie die Nikon F4. Über keine wurde inzwischen soviel geschrieben, meist im Superlativstil. Grund genug, der Nikon F4 im sachlichen Test auf den Zahn zu fühlen.

Von allen japanischen Kameraherstellern steht Nikon zur Zeit am besten da. Das Tokioter Unternehmen verstand es glänzend, sein typisches Profi-Image beizubehalten und trotzdem durch die Ausweitung des Modellprogramms auf den Massenmarkt Marktanteil und Umsatz erheblich zu vergrößern. Zwar gab es unter dem harten Kern der Nikon-Anhänger auch Kritiker, die den Nimbus der Marke durch populäre Autofokusmodelle wie F-501 und F-401 in Gefahr sahen, doch hat man ihnen spätestens mit dem Erscheinen der F4, dem zweiten Kameraknüller des Jahres 1988 nach der äußerst gelungenen F-801, den Wind aus den Segeln genommen. Intern gibt es zwei Modelle: Die F4 mit dem normalen Batteriepack MB-20 und die F4s mit dem High-Speed-Batterieteil MB-21. Wir prüften die F4s.
Keine Frage, daß die neue F4 würdig an die Tradition der glorreichen F-Serie anknüpft, denn bei aller modernen Technik wurden spezielle Profibelange nicht vergessen. So bietet die F4 neben Spiegelarretierung und einem schnellen Motor (max. 5,7 Bilder/Sek.) den obligatorischen Meßsucher. Als vielseitiger Standardsucher in der Grundausstattung fungiert dabei der DP-20. Wobei das Wort Standard seinen vielfältigen' Funktionen wahrhaftig nicht gerecht wird. Anders als bei der F3 hat Nikon das Belichtungsmessungssystem bei der F4 hauptsächlich in den Sucher integriert. Deshalb findet man am sogenannten Meßsucher mit der High-Eyepoint-Charakteristik den griffigen Wahlschalter für den Modus der Belichtungsmessung. Der Fotograf kann zwischen Spotmessung, mittenbetonter Integralmessung und der schon von der F-801 bekannten Matrixmessung wählen. Einzig die Spotmessung ist in Kombination mit allen vier Suchern (Lichtschacht-, Lupen-, Sport- und Multimeßsucher) möglich. Der Sportsucher DA-20 ermöglicht zusätzlich noch die mittenbetonte Integralmessung.
Für den Normtest wählten wir die Nikon F4 mit dem Multi-Meßsucher DP-20, der eine einmalige Besonderheit aufweist. Weil er nämlich Träger des Meßsystems ist, muß er der verschiedenen Helligkeit der insgesamt 13 lieferbaren Einstellscheiben über einen Korrekturfaktor angepaßt werden. Er erscheint seitlich am Sucher in einem Sichtfenster, das man versehentlich auch für ein ganz normales Override halten könnte. Mit Hilfe eines mitgelieferten Werkzeugs läßt sich der richtige Wert über eine Justierschraube einstellen.
Wie es sich für eine moderne Kamera mit Führungsanspruch bis weit in die neunziger Jahre gehört, erfährt der Fotograf in der Informationszentrale Sucher alle wichtigen Werte. Auf ein LCD-Mäusekino wie bei der F-801 verzichteten die Nikon-Konstrukteure deshalb gottlob. Man wird allerdings häufiger in die Verlegenheit kommen, die zusätzliche Sucherbeleuchtung in dezentem Grün zu aktivieren, denn bei diffusem Licht, wie man es im Winter oder in mäßig beleuchteten Innenräumen hat, fällt es schwer, alles zu erkennen. Alles. das heißt im wesentlichen eine digitale Flüssigkeitskristall-Anzeige für Bildzahl, Verschlußzeit, Belichtungskorrekturwert sowie für die Blende bei Programmautomatik, Blendenautomatik und Zeitautomatik. Außerdem wird die Blende ständig direkt vom Objektiveinstellring eingespiegelt. Eine LCD-Analoganzeige tritt bei Wahl des manuellen Belichtungsabgleichs in Funktion. Außerdem signalisiert das Sucherbild die Art der Belichtungsmessung und zeigt an, wenn der Meßwertspeicher aktiviert wurde und informiert darüber, welches Belichtungsprogramm gewählt wurde. Rechts oben im Sucher befinden sich die Fokusanzeigen, Belichtungskorrektur- und Blitzbereitschaftsanzeige.
Naturgemäß finden sich in der für Autofokus ausgelegten Standardeinstellscheibe Typ B bis auf die Fresnellinien keine weiteren Einstellhilfen für manuelles Fokussieren. Stellt man den Autofokus-Wahlschalter auf "M" wie manuell, dann signalisiert eine grüne Leuchtdiode im Sucher die korrekte Einstellung. Der innere 5-mm-Meßkreis markiert die Spotmessung. In seinem Inneren erscheint, begrenzt von zwei eckigen Klammern, das Autofokus-Meßfeld.

Handhabung

Nimmt man die F4s das erste Mal in die Hand, so ist man über die majestätische Größe und das satte Gewicht von immerhin 1280 Gramm nur für das Gehäuse beeindruckt. Skepsis, wie so etwas wohl in der Praxis zu bändigen sein wird, macht sich breit. Doch das große Verdienst des italienischen Stardesigners Giorgio Giugiaro ist es, einem solchen Koloß ein ebenso attraktives wie gut zu handhabendes Kleid geschneidert zu haben. Zweifellos liegt die F4 gut in der Hand. Ihre Bedienungselemente sind griffig und lassen sich leicht und präzise verstellen. Besonders das Verschlußzeitenrad rastet mit tresorhafter Präzision ein. Natürlich ist so eine vielseitige Kamera wie die Nikon F4 nicht arm an Einstellmöglichkeiten. Die Kommandobrücke auf der Kameraoberseite birgt vier Haupteinstellelemente. Der Hauptschalter ist um den Auslöser am Handgriff, der gleichzeitig als Batteriefach dient, gruppiert. Außerdem ist er auch für die Steuerung des Motors verantwortlich, der über fünf Betriebsarten verfügt. Neben dem Selbstauslöser gibt es eine Einzelbildschaltung und zwei Continous-Funktion mit hoher (5,7 B/Sek.) und langsamer Frequenz (3,4 B/Sek.) sowie die einzigartige Cs (Continous Silent)-Funktion, eine superleise Flüsterschaltung (1 Bild pro Sekunde). Neben dem Verschlußzeitenknopf, der auch die Stellung "T" bietet, ist ein griffigem Rad für die Override-Einstellung, das etwas vom wichtigen Programmwahlschalter ablenkt. Dieser kennt fünf Einstellungen: Highspeed-Programm, Normalprogramm, Blendenautomatik (S), Zeitautomatik (A) und manueller Abgleich. Auf der gegenüberliegenden Seite, jenseits vom DP 20, ist das Rad für die ISO-Einstellung (6-6400 und DX 25-5000), das trotz motorischer Filmrückspulung für alle Fälle eine Rückspulkurbel beherbergt. Beim Filmeinlegen wird der F4-Neuling verblüfft feststellen, daß bei den ersten Transportschritten bei geöffneter Rückwand der Verschlußaufzug entkoppelt ist.

Verschluß

Zweifellos gälte die Nikon F4 als noch revolutionären, wenn nicht die F-801 als populäres Volumenmodell zwei Meilensteine der Entwicklung bereits vorweg genommen hätte. Gemeint sind der ultraschnelle Verschluß mit der 8000stel Sekunde und die Matrix-Messung. Die F4 ist mit einem elektromagnetisch gesteuerten, vertikal ablaufenden Schlitzverschluß ausgestattet, der sich aus vier vorderen und vier hinteren Vorhängen zusammensetzt. Bei manueller Belichtung und Blendenautomatik hat der Fotograf die Wahl zwischen 16 fest definierten Verschlußzeiten von 1/8000 Sekunde bis vier Sekunden, das Einstellen von Zwischenwerten ist nicht möglich. Außerdem gibt es natürlich B, X (1/250 Sek.) und T. Bei Programm- und Zeitautomatik arbeitet der Belichtungsmesser stufenlos von 30 Sek. bis 1/8000 Sek. Die Verschlußzeiten werden, das bewies der Test, vorbildlich eingehalten. Selbst die 8000stel Sekunde wurde mit 1/7657 gemessen, das entspricht einer Abweichung von nur 0,1 Blendenstufen plus. In die Verschlußeinheit der F4 ist ein hochwirksamer Schockabsorber aus einer Wolfram-Legierung eingebaut. Wenn der Verschluß nach unten abläuft, bewegt sich der Absorber nach oben, um Erschütterungen von Spiegel und Verschluß auszugleichen.

Belichtungssteuerung

Auch bei der Messung der vier Belichtungsautomatiken gab sich die F4 keine Blöße. Bei der Blenden- und Programmautomatik ergibt sich ein kleiner Absacker bei Blende 1,4. Dies hängt damit zusammen, daß die größte relative Öffnung bei den Objektiven oft etwas optimistisch angegeben wird. Das Kurzzeitprogramm geht schon ab EV 7 auf die größte Blende, das Normalprogramm erst ab EV4.

Belichtungsmeßsystem

Bis auf den Sensor für die Spotmessung, der im F4-Gehäuse integriert ist, ist der Multi-Meter-Sucher DP 20 für die Belichtungsmessung verantwortlich. Das Testprotokoll bescheinigt den drei Meßsystemen eine außerordentlich hohe Genauigkeit, die dem Spitzenanspruch der Kamera gerecht wird. Der Clou an der F4 ist die schon bei der F-801 eingeführte Matrixmessung, dennoch konnte sie beim Flaggschiff noch wesentlich verfeinert werden. Der Matrixsensor bestimmt die Motivhelligkeit, indem er das Motiv in fünf Segmente unterteilt und in jedem dieser Felder Helligkeit und Motivkontrast analysiert. Entsprechend den gewonnenen Schlüsseldaten, die ein Mikrocomputer im Sucher auswertet, wird das Aufnahmemotiv einem von 25 Matrixfeldern zugeordnet, von denen jedes mehrere gespeicherte Belichtungsmuster enthält. Je nach Belichtungssituation wählt die F4 aufgrund dieser Vergleichsmethode das geeignete Belichtungsmuster. Das Matrixsystem überzeugt durch hohe Belichtungssicherheit für alle Lichtsituationen - von extremen Kontrasten einmal abgesehen - und ist im praktischen Einsatz der mittenbetonten Integralmessung vorzuziehen. Es unterscheidet sogar zwischen Hoch- und Querformat und reagiert entsprechend. Mit einem Nikon TTL-Speedlight ist sogar matrixgesteuertes Aufhellblitzen möglich.

Der Autofokus

Zur Firmenphilosophie der Nikon Corporation gehört größtmögliche Systemkompatibilität. Deshalb wurde das seit 30 Jahren bewährte Bajonett beibehalten. Mit Zeitautomatik oder manueller Einstellung lassen sich nahezu alle jemals gebauten Nikkore an der F4 bei manueller Fokussierung verwenden. Alle Kamerafinessen lassen sich freilich nur mit allen 17 derzeit lieferbaren AF-Nikkoren nutzen. Neben der Einstellung "M" wie manuell offeriert der Fokus-Wählhebel links vom Kamerabajonett noch die Funktionen Schärfe-Priorität (S), bei der die Kamera erst auslöst, wenn sie fokussiert hat. In der dritten Betriebsart C herrscht Auslöse-Priorität. Die Kamera fokussiert ständig, solange der Fotograf den Auslöser leicht niederdrückt. Sie löst beim Durchdrücken jederzeit, unabhängig von der Schärfe, aus. Aber damit nicht genug, die automatische Fokusnachführung (Fokus Tracking) verbindet beide Arten auf höchst praktische Weise. Ist der Fokussierschalter auf C und der Filmtransporthebel auf langsame Bildfrequenz (C1) eingestellt, so wird die Schärfe bei bewegten Objekten automatisch nachgeführt, wenn der Fotograf den Auslöser leicht niederdrückt. Sobald dann im Sucher die beiden Fokuspfeile gleichzeitig aufleuchten, heißt es Durchdrücken und das Resultat ist ein scharfes Foto. Die Autofokus-Falle gibt es nur in Verbindung mit der Multifunktionsrückwand MF-23, die unter anderem auch noch ein automatisches Bracketing zur Serienausstattung der F4 beisteuert.
Nicht immer befindet sich das Hauptmotiv einer Aufnahme exakt in der Bildmitte. In solchen Fällen hilft der Schärfespeicher, der bei der F4 mit einer außergewöhnlichen Sonderfunktion aufwartet. Weil es nämlich fast immer sinnvoll ist, auch den Belichtungswert des aus der Bildmitte gerückten Hauptmotivs festzuhalten, lassen sich Schärfe und Lichtwert Gleichzeitig speichern, wenn es der Fotograf wünscht.
Die Nikon F4 verzichtet auf einen Autofokus-Illuminator, jenes infrarote Hilfslicht, das dem Autofokus bei wenig Licht hilft, die Schärfe zu finden. Immerhin stellt die F4 noch bis EV-1 scharf, was auch im Test nachgewiesen wurde. Nikon glaubt, genauso wie bei der F-801, auf den Illuminator verzichten zu können, dennoch sollte eine Spitzenkamera mit diesem Detail nicht geizen.
In Sachen Autofokus-Geschwindigkeit gelang es den Nikon-Konstrukteuren, die ohnehin schon ausgezeichneten Werte der F-801 bei der F4 noch zu übertreffen. Bestückt mit dem AF-Nikkor 3,5 4,5/28-85 mm schaffte es die Kamera bei der 50-mm-Einstellung von 80 cm auf unendlich in 0,81 Sekunden scharfzustellen, die F-801 benötigte beim 35 -70 mm von 70 cm bis unendlich 0,96 Sekunden. Wobei die Zeit gemessen wird, die zwischen Antippen des Auslösers und Öffnen des Verschlusses verstreicht. Trotzdem hält die Minolta Dynax 7000i mit dem 3,5 4,5/35-105 mm bei 50 mm ab 85 cm den Rekord.

Fazit

Nikon gelang mit der F4 das Meisterstück im Kleinbild-Spiegelreflexkamerabau. Insgesamt neun ICs, zwei 8-Bit- und ein 4Bit-Mikrocomputer schaffen ein einzigartiges Potential an künstlicher Intelligenz. Daß die F4 trotzdem nicht zum seelenlosen Fotografierroboter mißriet, verdankt sie ihrem gefälligen Design, ihren leicht verständlichen und ergonomischen Bedienungselementen und der typisch-soliden Nikon-Verarbeitungsqualität. Kein Wunder, daß die F4, die in diesem Test ihre Bewährungsprobe ausgezeichnet bestanden hat, das COLOR FOTO Prüfsiegel mit der Note sehr gut erhält. Trotz aller technischen Üppigkeit zeichnet die F4 trotzdem noch so etwas wie weise Selbstbeschränkung aus, denn in Tokio packten die Kamerabauer bewußt nicht alles technisch Machbare in ihr neues Profiflaggschiff. Auf einen eingebauten Blitz und ein LCD-Display wurde weise verzichtet, echte Profibedürfnisse erfüllten sie lieber mit Wechselsucher, Spiegelvorauslösung, Schärfentiefentaste und dem integrierten Motor. Autofokus-Falle und einen AF-Illuminator könnte man sich noch wünschen, neben der illusorischen Forderung, daß die Kamera ein bißchen kleiner, ein bißchen leichter und ein bißchen billiger sein könnte.

Plus und Minus

PLUS

konkurrenzlose Profikamera mit allen sinnvollen, technisch machbaren Features.

drei Belichtungsmeßmethoden hoher Genauigkeit

ausgezeichnete Verarbeitung

leichte Bedienung

High-Eyepoint-Wechselsucher

schnelle, hochpräzise Verschlußsteuerung.

MINUS

Bracketing und Schärfenfalle nur als Zubehör

kein AF-Illuminator

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