← Zurück

Artikel

Report

Original und Fälschung

Victor Hasselblad aus Göteborg gilt als Pionier der einäugigen Spiegelreflexkamera für das Mittelformat 6x6 cm. Seine Idee, 1948 in New York der Weltöffentlichkeit erstmals anhand des Typs 1600 F vorgestellt, rief viele Nachahmer auf den Plan, und nicht nur japanische. Die ersten waren die Sowjets, die sich der neuen Kamera annahmen und mit der Kiev 88 heute noch ein Modell anbieten, das wie eine Zwillingsschwester der Hasselblad aussieht. Die Kiev 88 kommt jetzt auf den deutschen Markt. COLOR FOTO vergleicht die Fälschung mit dem Original.

Der Schein trügt, wie so oft. Die beiden Kameras, die aussehen, als waren sie zwei nicht sehr verschiedene Modelle eines Herstellers, trennen Weiten. Ideologische und preisliche, ja sogar konzeptionelle Unterschiede sind nicht von der Hand zu weisen. Die eine kommt aus Schweden, genießt qualitativ einen ausgezeichneten Ruf und gilt als Statussymbol unter den teuren Kameras, sie besitzt einen Zentralverschluß. Die andere kommt aus der Sowjetunion, hat den Ruch eines Plagiats, ist erschwinglich und wartet mit einem Schlitzverschluß auf. Formale Gemeinsamkeit tauscht also, trotzdem fordert sie einen Vergleich geradezu heraus. Vorbild für die Kiev 88 war zweifellos die Hasselblad 1000 F, ein Modell aus den frühen fünfziger Jahren, als Victor Hasselblad noch auf den Schlitzverschluß setzte. Bei näherer Betrachtung der Gehäusedetails ist man ob der Ähnlichkeit der Kiev mit der heutigen Hasselblad 500 C/M verblüfft. Das Wechselmagazin, die fein polierten Kanten des Gehäuses, bei der Kiev allerdings nicht ganz so kunstvoll gerundet wie beim Original, das alles wirkt perfekt nachgeahmt.
Dabei fällt auch die unerwartet gute Detailverarbeitung der Kiev ins Auge, die freilich von der tadellos wertvollen Ausführung der Schwedenkamera noch ähnlich weit entfernt ist wie Göteborg von Kiev. Doch genug der Äußerlichkeiten, widmen wir uns mit beiden Kameras der Fotografie. Beide Kameras liegen ausgezeichnet in der Hand, die Russin wirkt wegen des zierlicheren Objektivs sogar noch ein wenig handlicher. Dem Kiev-Wechselmagazin würde man Hasselblad-Kompatibilität durchaus zutrauen, doch der Schein trügt auch hier, es sind nur ein paar Millimeter, die einem Tausch im Wege stehen. Bei der Hasselblad im Laufe der Jahre zu einem unbeschwerten Vergnügen gereift, wird das Filmeinlegen bei der Kiev dagegen zur gewöhnungsbedürftigen Fummelei. Überein sorgfältig abgedichtetes aufklappbares Guckloch an der Magazinrückseite muß sich der Fotograf vom richtigen Transport nach Bildnummer "Eins" überzeugen, bevor er loslegen kann. Filmtransport und Verschlußaufzug bewältigt man bei der Kiev per Drehknauf, die Verschlußzeit (von 1/1000 Sek. bis 1/2 Sek.) wählt der Fotograf anschließend, indem er den Drehknopf herauszieht und die gewünschte Zeit an der Marke einstellt. Freilich sind die Bedienungswege lang und der Kraftaufwand ist, verglichen mit der Hasselblad 500 C/M, die sich spielend leicht und schnell bedienen laßt, recht hoch. Der Zentralverschluß (von 1/500 Sek. bis 1 Sek.) sitzt bei der 500 C/M naturgemäß im Objektiv, deshalb wird auch dort die Verschlußzeit eingestellt. ,Umständlich ist die Bedienung des Faltlichtschachts bei der Kiev. Noch dem Einblick, der dank heller Mattscheibe meistens Klarheit verschafft, müssen seine Seitenwände mühsam zusammengefaltet werden. Die Hasselblad laßt sich kultivierter und gepflegter an, doch Vergleichsaufnahmen mit beiden Kameras zeigten, daß die robuste Kiev in Sachen Bildqualität ihrem Vorbild nicht nachsieht. Wenn es daran geht, zum Schluß die Rechnung aufzumachen, schlagt die Sternstunde der Kiev. Das ganze Equipment inklusive Universaltasche, zweitem Wechselmagazin, TTL-Prisma, Sonnenblende, Drahtauslöser, zweier Filter und Augenmuschel made in USSR kostet rund 2100 Mark, eine Hasselblad in vergleichbarer Ausstattung würde mehr als 7500 Mark kosten. Die Kiev hat also durchaus ihre Reize' und wenn sich der Perfektionismus aufs Bildermachen beschrankt und Robustheit zahlt, kann sie guten Gewissens empfohlen werden.

{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}