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Beratung
Mittelformatkameras bis ca. DM 2000:
Der Einstieg zum Aufstieg
Mittelformatkameras sind heute erschwinglicher denn je, dafür sorgen in letzter Zeit preiswerte Importe aus China und Osteuropa. Doch auch aus Japan und sogar aus West-Berlin kommen attraktive Modelle, die teilweise deutlich unter 2000 Mark kosten und sich damit stark von den Prestigemarken Rollei und Hasselblad abheben, deren Modelle mühelos doppelt so teuer sind. Eine Analyse der Mittelformat-Einsteigerklasse soll Kleinbild-Aufsteigern den Einstieg erleichtern.
Was kann einen eingefleischten Kleinbild-Fotografen mit umfangreicher Ausrüstung, technisch auf dem neuesten Stand, dazu bewegen, auf eine Mittelformatkamera umzusteigen? Ist es das beim populären 6x6 viermal größere Format, das schärfere und kontrastreichere Vergrößerungen garantiert und für mehr Farbsättigung sorgt? Ist es die brillantere Projektion oder ganz einfach der Reiz des anderen, verbunden mit einem höheren Prestigewert? Viele Mittelformat-Neulinge schätzen die Bildkomposition per Faltlichtschacht, die noch kurzer Gewöhnung an das seitenverkehrte Sucherbild für neue Einblicke und manchmal sogar bessere Bilder sorgt. Andere nutzen den scheinbaren Nachteil von je nach Format nur zwölf oder 16 verfügbaren Bildern auf Rollfilm 120 als Vorteil und fotografieren bewußter. Wiederum andere verzichten auf die Objektivflotte der Kleinbildkamera und entdecken durch Standortvariation und Perspektivenwechsel die Vielfalt fotografischen Möglichkeiten schon bei der Kamera-Grundausstattung. Auf das Spiegelreflexprinzip möchte man schon aufgrund des aussagekräftigen Sucherbildes nicht verzichten, deshalb haben wir uns bei dieser Marktübersicht auf die Vertreter dieser Gattung beschrankt.
Das Angebot des Marktes ist groß genug, um jeden dieser Charaktere zufriedenzustellen, und nicht immer ist ein prall gefülltes Bankkonto Voraussetzung für die Freude an der Mittelformatfotografie. Es gibt ein rundes Dutzend Kameras unter 2000 Mark, die Filmkosten steigen durch bewußteres Fotografieren nicht an, die Qualität der Bildausbeute profitiert davon. Die Kosten für teurere Abzüge bei 6x6 (13x 13 kostet genausoviel wie 13x 18 cm vom Printer) lassen sich durch die einmalige Anschaffung eines Projektors (zum Beispiel Liesegang Fantax 600 für rund 600 Mark) reduzieren.
In der Einsteigerklasse bis um die 2000 Mark beeindruckt die konstruktive und formale Vielfalt der angebotenen Spiegelreflex-Mittelformatkameras. Ob einäugig oder zweiäugig, mit Wechselobjektivfassung oder mit festeingebauter Brennweite, ob mit Wechselmagazin oder ohne, ob Kleinbildkamera-like oder würfelförmig, alles ist hier von 150 DM bis 2300 DM vertreten. Sogar beim Bildformat hat man die Qual der Wahl, ganz davon abgesehen, daß dies bei einigen Kameras noch variabel ist, fällt die Grundsatzentscheidung in dieser Klasse zwischen 4,5x6cm, 6x6cm und sogar 6x7cm, wenn es nicht nur in Sachen Bildformat, sondern auch im Preis etwas mehr sein darf. Denn die Pentax 6x7 markiert den Spitzenreiter mit ca. 2300 Mark in der Grundausstattung.
Die Billigangebote aus China
In drei Varianten tritt inzwischen die billigste Art der Mittelformat-Fotografie, die chinesische Seemöwe, an. Vom rührigen Oberpfälzer Importeur Brenner eingefangen und zu Billigpreisen feilgeboten, können sie von der Verarbeitungsqualität her natürlich nicht mit der schwedischen Nachtigall namens Hasselblad konkurrieren. Dafür vermitteln die an der klassischen Rolleiflex orientierten Kameras schon für einen Spottpreis Mittelformat-Flair. Spartanisch sind sie alle drei, ob mit Transportkurbel (4 A), ohne (4 B-1) oder mit Kurbel und Hot-Shoe (4A-103) kompromißlos dem zweiäugigen Prinzip unterworfen, das weder Objektiv- noch Filmwechsel wahrend einer Aufnahmereihe zuläßt, dafür allerdings mit spielerischer Handlichkeit und leisem Auslösegeräusch entschädigt. Zur 4 B-1 wird noch eine Maske für 4,5x6 cm mitgeliefert.
Von der Konzeption her weniger gelungen präsentiert sich die Great Wall. Das lackierte Blech und der auffällige Schriftzug erinnern an ein Kinderspielzeug, wenngleich es sich um eine ernsthafte Kamera mit Wechselobjektiv handelt. Diesen Vorteil würde man gerne nutzen, wenn es Wechselobjektive gäbe. Auch der primitive Verschluß und das nachlässige Finish der Großen Mauer' vermögen nicht zu überzeugen, anders als die Bildqualität, die sich sehen lassen kann.Seit kurzem ist auch der Hasselblad-Nachbau Kiev 88 TTL bei uns Erhältlich.
Die Kamera ist dem Schlitzverschluß-Modell aus Göteborg, der 1000 F aus den frühen fünfziger Jahren bis auf die letzte Schraube nachempfunden.
Die Funktionellen aus dem Osten
Die Verarbeitungsqualität kann sich sehen lassen. Anders als bei den amateurhaften Chinesen-Kameras, die zu einer eher spielerischen Mittelformat-Stippvisite einladen, hat die Kiev etwas von einem soliden und robusten Werkzeug. Die Kamera kann vor allem durch die hervorragende Bildqualität des sechslinsigen Volna-Objektivs überzeugen, leider sind Wechselobjektive hierzulande noch sehr schwer zu kriegen, dafür wird man aber für rund 2000 Mark mit einem beachtlichen Ausstattungsumfang vertröstet. Von der Gegenlichtblende bis zum Drahtauslöser vom TTL-Prisma bis zum Wechselmagazin, das Kiev-Set ist so üppig ausgestattet wie der Werkzeugkasten eines Lada.
Als vollwertige Mittelformat-Systemkamera hat sich die Pentacon six auch im Westen einen guten Ruf erworben, der in der Vergangenheit allerdings durch Probleme beim Filmtransport etwas überschattet wurde. Diese Kinderkranheiten sollen inzwischen beseitigt sein, die Pentacon six dieses Vergleichs arbeitete einwandfrei. Offiziell gibt es keinen Pentacon six-Import in die Bundesrepublik, allerdings findet man in der COLOR FOTO-Börse Adressen von Leuten, welche die Kamera zum konkurrenzlos günstigen Preis von rund 650 Mark feilbieten. Die Objektive aus Jena sind ohne Fehl und Tadel. Die Beroflex AG offeriert auch hierzulande fast das gesamte, üppige Zubehörprogramm zur Pentacon six.
Wo gibt es sonst ein TTL- Prisma für nur ca. 450 Mark oder das legendäre Olympia-Sonnar 2,8/180 mm, das wie geschaffen für Porträt- und Sportaufnahmen ist, für nur 650 Mark? Eine preiswertere Systemkamera von derart hoher optischer und konstruktiver Qualität ist im Mittelformat schier nicht vorstellbar. Die Kamera kann als echter Geheimtip gelten, wie lange noch, das ist allerdings fraglich. Schon lange wird über ein Produktionsende der Schlitzverschlußkamera aus Dresden gemunkelt. Die Exakta 66 soll in Heinrich Mandermans gesamtdeutscher Kamerapolitik endgültig Vorrang haben.
Die Pentacon six wirkt nicht nur wie eine überdimensionale Kleinbild-Spiegelreflex, sie hat mit dieser auch die Philosophie eines beinahe lückenlosen Zubehörprogramms gemeinsam. Zum Verwechseln ähnlich sieht ihr die Exakta 66. Man hat den Eindruck, daß eine Pentacon six zum Vorschein käme, wenn man das massiv gummiarmierte Exakta-Gehäuse einfach abschälen würde. Konstruktiv sind beide Kameras in der Tat bis auf wenige Einzelheiten identisch. Detailverbesserungen wie eine auf 220er-Film umstellbare Andruckplatte, ein qualitätsuggerierendes "Made in WestGermany", enorm leistungsfähige Schneider-Objektive und ein sehr genaues TTL-Prisma als Zubehör sorgen allerdings für den feinen Unterschied, der sich auch im Preis niederschlagt. Trotz ihres eher abweisenden äußeren Erscheinungsbildes erwies sich die Exakta im Umgang als rauh aber herzlich. Zweifellos eine Kamera, die mehr als eine Außenseiterrolle verdient hat.
Über eine solche kam bislang auch die Pentax 6x7, einziger Vertreter des Idealformats in diesem Vergleich, nicht hinaus. Zugegeben, sie ist groß und schwer und trotz ihres Kleinbildkamera-ähnlichen Handlings am besten mit dem Zusatz-Handgriff zu bändigen, aber sie ist neben der Bronica GS-1 die einzige echte 6x7-Fieldkamera, mit der man Action-Aufnahmen im Freien machen kann. Auch der schnelle Schlitzverschluß zeichnet sie dafür aus. Schon seit 1969 gibt es diesen Penta Oldie, der als bemerkenswert technische Details einen elektronisch gesteuerten Verschluß und einen arretierbaren Rückschwingspiegel aufweisen kann. Die Pentax 6x7 harmoniert ebenso wie die Pentacon six und die Exakta 66 am besten mit einem TTL-Prisma, denn diese Kameras verbinden Kleinbild-Handling und Schnelligkeit mit der überlegenen Bildqualität des Mittelformats.
Die etablierten Japaner
Aus der Einsteiger-Klasse des Mittelformats im kleinen Format 4,5x6cm sind seit nunmehr dreizehn Jahren die beiden Mamiya-Modelle M645 und M645 1000s nicht mehr wegzudenken. Die Mamiya 645-Reihe wurde zum Synonym für Edelamateure, der schnellere Schlitzverschluß (l/1000 Sek.) unterscheidet das Standard- vom Luxusmodell. Wer keinen Schlitzverschluß mag, weil er den völlig blitzsynchronisierten und leiseren Zentralverschluß vorzieht und ein Wechselmagazin braucht, der kann getrost zur Zenza Bronica ETR-S greifen. Beide Konkurrenten, Mamiya 645 und Bronica ETR-S, lassen sich durch ein AE-Prisma zu Zeitautomaten aufrüsten, spezielle Wechselmagazine an der überaus sympathischen ETR-S erlauben Panorama-Aufnahmen auf Kleinbildfilm.
Mamiyas bislang einzige 6x6Modelle, die altbekannten zweiäugigen C220f und C330S haben das antiquierte Prinzip durch Wechselobjektive vervollkommnet. Sie eignen sich hervorragend als Ausbildungskameras für jene, die sich vorgenommen haben, endlich ernsthaft zu fotografieren. Der ausziehbare Balgen laßt Nahaufnahmen bis zu 35 mm Objektabstand zu. Die besser ausgestattete 330S bietet statt Transportknopf eine Kurbel. Wer sich ein TTL-Prisma sparen will, um sich seine Mittelformat-Ideologie nicht zu verwässern, dem sei ein brauchbarer Handbelichtungsmesser um den Hals gelegt, beispielsweise den Gossen Sixtomat 2 für etwa 130 Mark. Das gilt übrigens für alle Kameras in diesem Vergleich mit Ausnahme der Kiev 88 TTL, bei der ein TTL-Prisma zur Grundausstattung gehört.
Fazit
Eine verwirrende Vielfalt kennzeichnet die Einsteiger-Klasse der Mittelformat-Spiegelreflexkameras. Die überaus preiswerten Chinesen sprechen jene Fotografen an, die neben ihrer umfangreichen Kleinbildausrüstung gelegentliche Mittelformat-Gehversuche unternehmen wollen. Alle anderen Offerten sind zweifellos ernsthafterer Natur, was sich auch in den Investitionen ausdrückt. Sehr günstig kommt man mit einer Pentacon six weg, deren Starke ein umfangreiches und preiswertes Systemzubehör ist und die von der Bildqualität hohe Ansprüche zu befriedigen vermag. Nostalgiker, die hohe Qualität zum erschwinglichen Preis suchen, entscheiden sich am besten für eine Mamiya C330S, und Anhänger fortschrittlicher Technik wählen je noch Bedürfnis entweder die vielseitige Mamiya 645 oder die kultivierte und vornehme Bronica ETR-S. Ein Sonderangebot ist die Kiev 88TTL im Komplettset für ca. 2000 Mark. Im Preis-Leistungsverhältnis ist die Petacon six eindeutiger Siegen Im Bedienungskomfort und Ausbaufähigkeit sind Mamiya 645 1000S und Zenza Bronica ETR-S Trumpf. Sie bieten auch die modernste Technik. . Eine Kaufentscheidung füllt hier über das Wechselmagazin. Wer das Mittelformat eher spielerisch am Rande erforschen will, der sollte eine von den Seagulls nehmen. Für die Great Wall spricht nicht viel, nicht einmal der Preis. Die Pentax 6x7 ist die richtige Wahl für Idealformat-Anhänger und die Exakta 66 ist eine Kamera, der man insbesondere ihre optische Leistungsfähigkeit nicht ansieht. Gerade mit TTL-Prisma eröffnet sie erstaunliche Möglichkeiten bei der schnellen Action-Fotografie. Ihr ärgster Feind ist indes die Pentacon six. Sie kann das alles zwar nicht ganz so perfekt, dafür macht sie es erheblich billiger
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