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Test & Technik

Das Arbeitspferd

Die Neue Leica R6

Während die gesamte Fotobranche auf Elektronik setzt, besann man sich bei der Leica GmbH in Sohns auf Altbewährtes. Die neue Leica R6 besticht durch Präzisionsmechanik Made in Germany.

Das Ganze glich einem konspirativen Treffen. In der schummrigen Halle des Münchner Hotel Domus warteten Matthias Zipfel, stellvertretender Chefredakteur und ich auf die Kuriere aus Solms. Anlaß des Treffens: Informationen über Leicas neue Geheimwaffe, über die Kamera, die der frisch gebackenen Leica GmbH in Solms helfen soll, ihren einzigartigen Namen gegenüber der schier übermächtigen japanischen Konkurrenz zu behaupten. Schließlich erschienen die beiden tatsächlich, drückten uns eine rote Plastiktüte in die Hand und verschwanden mit der Bemerkung "Spielt doch schon 'mal damit" auf ihre Zimmer. Das, was Wolfgang Müller, Leica Geschäftsführer Vertrieb Deutschland und Pressechef Hans-Günther von Zydowitz uns da formlos in die Hand drückten, war auf den ersten Blick ein alter Hut. Nur dort, wo bei der bekannten Leica die Typenbezeichnung R5 stand, prangte jetzt das rote Wappen mit dem Leica-Schriftzug. Die Stelle, wo früher das Leitz Zeichen war, wurde diskret von einem schwarzen Klebestreifen verdeckt. Darunter in weißer Schrift der neue Name: R6.
Die neue Leica R6, die äußerlich ihrer Schwester, der bewährten R5, fast wie ein Ei dem anderen gleicht, besitzt jedoch ein Innenleben, das sie grundsätzlich von sämtlichen in letzter Zeit auf den Markt gekommenen Spiegelreflexkameras unterscheidet. Sie arbeitet vollmechanisch.
Was heißt das für die Praxis? Die Leica R6 kann nichts, was nicht jede heute angebotene Spiegelreflexkamera nicht auch kann. Sie besitzt einen präzise arbeitenden, mechanischen Metall-Lamellen-Schlitzverschluß mit einem relativ begrenzten Verschlußzeitenbereich von 1 bis 1/1000 Sek. und einen von Großfeld-Integral- auf Selektivmessung umschaltbaren Belichtungsmesser. Die Einstellung von Belichtungszeit und Blende erfolgt manuell. Die einzige Automatik, über die diese neue Kamera verfügt, ist ihre TTL-Blitzsteuerung.
Auf den ersten Blick scheint es nicht viel zu sein, was diese im robusten Ganz-Metall-Gehäuse untergebrachte Kamera zu bieten hat. Doch das, was die mechanisch gesteuerte Leica R6 kann, das kann sie immer. Sie kann es selbst unter extremen Klimabedingungen und notfalls sogar ohne Batterie. Denn Strom benötigt bei dieser Kamera nur der Belichtungsmesser und die zuschaltbare Beleuchtung für die Einspiegelung der Sucheranzeigen von Verschlußzeit und Blende bei schlechten Lichtverhältnissen.
Überspitzt gesagt: die Leica R6 ist eine Kamera für Leute, die selbst bestimmen wollen, wie sie fotografieren, für die das Bild im Kopf und nicht in der Kamera entsteht, für die Verschlußzeit und Blende nicht nur Steuermechanismen für die Belichtung, sondern kreative Gestaltungsmittel sind. Die Leica R6 ist als robustes Präzisionshandwerkszeug für spezielle Anwendungen konzipiert. Sie dokumentiert deutlich einen der Leitsätze der Leica-Philosophie: Die Konzentration auf das Wesentliche. Hier wurde die Konzentration allerdings ziemlich weit getrieben. Sie zeigt, für viele vielleicht auch schmerzlich, daß Konzentration auch oft Verzicht bedeutet. Ein Vorzug der Leica R6 für die Praxis ist zweifellos die Übereinstimmung der Bedienungselemente mit dem elektronisch gesteuerten Schwestermodell, der Leica R5 und die volle Kompatibilität zum Leica R-Programm. Der griffgünstig angebrachte Verschlußzeitenknopf und der Hauptschalter sind zum verwechseln ähnlich. Er läßt sich bedienen, ohne die Kamera vom Auge zunehmen. Der Programmwählschalter der R5 wurde für die R6 zum Wahlschalter für die Charakteristik der Belichtungsmessung umfunktioniert.
Die Meßmethode wird im Sucher durch Leuchtdioden angezeigt. Die eingestellte Verschlußzeit und die Blende werden, wie bereits erwähnt, eingespiegelt und lassen sich bei Bedarf mit einem kleinen Schalter links unten neben dem Kamerabajonett beleuchten.
Der Belichtungsmesser läßt sich mit dem Wahlschalter auch abschalten. Das ist wichtig, obwohl es eine Sparschaltung gibt, mit der sich die Belichtungsmessung etwa 12 Sekunden nach Loslassen des Auslösers automatisch abschaltet. Vor allem beim Transport der Kamera könnte sich durch unbeabsichtigten, ständigen Druck auf den Auslöser die Batterie entladen.
Das Belichtungsmeßsystem kann bei eingeschalteter Kamera durch Antippen des Auslösers, Drücken der Arretierungstaste am Wahlschalter, Antippen der Auslöser von Motor oder Winder sowie durch Drücken des Batterieprüfknopfes aktiviert werden. Der Belichtungsabgleich erfolgt im Nachführprinzip entweder durch Vorwahl der Blende und Drehen des Zeiteinstellringes oder durch Vorwahl der Verschlußzeit und Drehen des Blendenringes. Der Abgleich wird im Sucher durch zwei dreieckige und eine runde LED angezeigt.
Die Dreiecke geben entweder Unter- oder Überbelichtung sowie die Drehrichtung für den Blendenring oder Verschlußzeitenknopf an. Die mittlere runde LED leuchtet bei richtiger Belichtung. Leuchtet die rechte Dreiecks-LED zusammen mit der mittleren, beträgt die Überbelichtung eine halbe Blendenstufe, leuchtet umgekehrt das linke Dreieck gemeinsam mit der mittleren LED zeigt dies eine Unterbelichtung von einer halben Blende an. Somit können Über- und Unterbelichtungen auf einfache Weise bewußt gesteuert werden. Weitere Sucheranzeigen sind die Blitzbereitschaftsanzeige und die Warnung bei einer Korrektur des Meßwertes.
Eine Besonderheit der R6 ist die Möglichkeit der Spiegelvorauslösung, mit der auch kleinste Vibrationen beim Fotografieren mit Tele-Objektiven oder langen Belichtungszeiten verhindert werden.
Mit der neuen Kamera, stellt die Leica GmbH zwei neue Spitzenobjektive vor: Ein neues Vario-Elmar-R 3,5135 70 mm und das PC Super-Angulon-R 2,8/28 mm mit der Möglichkeit des Perspektive-Ausgleichs.
Die Leica R6 schwimmt mit ihrer Konzeption eindeutig gegen den mächtigen Strom der Elektronik. Aber sie schließt auch eine Lücke, die das Umschwenken der anderen Hersteller hinterlassen hat. Es bleibt abzuwarten, ob diese Lücke für die einzige Spitzenkamera mit dem Zusatz "Made in Germany" ausreicht.

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