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Artikel
1997
Test & Technik
Die Nikon F4 im Profitest
Bewährungsprobe
Als Profikamera der 90er Jahre angekündigt, hat die Nikon F4 bei ihrer Vorstellung größtes Aufsehen erregt. Höchste Zeit also für einen Praxistest. Der Münchener Profifotograf Thomas Schumann bereiste mit der F4 die USA. In COLOR FOTO beschreibt er, ob die Kamera ihre Bewährungsprobe bestanden hat.
Ein Traum, das ist Nikons Profikamera der 90er Jahre, die neue F4, für mich wirklich - wenn auch mit kleinen Macken. Noch nie hat mich ein Modellwechsel bei Nikon so beeindruckt. Dabei ist für mich nicht etwa die Einführung des Autofokus, sondern die Kombination der Meßmethoden, des Aufhellblitzes und der Kompatibilität des Nikon-Bajonetts mit den vorhandenen Objektiven die eigentliche Freude an der F4. Und dazu ist alles noch recht formschön verpackt und mit einem echten Hochleistungsmotor moderner - sprich leiser - Prägung versehen.
Eine gute Fee muß ihre schützenden Hände über mich gehalten haben, als ich vor über 20 Jahren meine Ikarex verkaufte, um die erste Nikon zu erwerben. Inzwischen sind über 30 Nikon-Kameras mit mehr als 50 Objektiven durch meine Hände gegangen, und noch immer funktioniert alles zusammen.
Eigentlich wollte ich nach über fünf Jahren ununterbrochener Profi-Tretmühle nur Urlaub machen - ohne Kamera. Eine Traumreise sollte es werden Über New York nach Miami Beach, mit dem Auto über Orlando nach New Orleans und weiter mit dem Flugzeug nach Los Angeles. Dann wieder per Auto nach San Francisco, bevor es zurück ins heimische München gehen sollte. Doch dann trat COLOR FOTO an mich heran und fragte, ob ich nicht doch eine Kamera mitnehmen wolle, die neue F4 nämlich. Logisch, daß ich viel zu neugierig war, um zu widerstehen, und so wurde aus dem privaten Urlaubstrip dann doch wieder eine halbamtliche Reise. Trotzdem nahm ich mir vor, nichts weiter als ein Tourist zu sein und nur zum Spaß zu fotografieren.
Bereits nach den ersten Meldungen über die F4 bestellte ich mehrere Exemplare der neuen Kamera, während der Reisetermin immer näher rückte. Nikon konnte, wie gewohnt, die versprochenen Liefertermine nicht einhalten. Alles schien in letzter Minute zu platzen, doch dann erhielt ich das offensichtlich erste Verkaufsexemplar per Luftfracht nach Miami nachgeschickt.
Am 11. Dezember 1988 hielt ich dann endlich die F4 erstmals in Händen. Mitgenommen in die USA hatte ich nur kleines Marschgepäck: eine F-801, ein SB 24-Blitzgerät mit adaptiertem Quantum-6V-Powerpack, zwei Zooms, 2,8/35-70 mm und 2,8/80-200 mm, sowie zwei Weitwinkelobjektive, nämlich 2,0/24 mm und 4,0/18 min. An Filmmaterial hatte ich 40 Kodachrome 64 Professional dabei.
Nachdem ich auf der photokina '88 die F4 zum ersten Mal gesehen hatte, erschien mir die Kamera nun nicht mehr so groß, irgendwie paßte sie gleich in meine Hand. In weniger als einer Stunde hatte ich die Bedienungsanleitung überflogen, kannte ich doch das meiste aus alter Nikon-Erfahrung. Alles an der F4 erscheint mir logisch angeordnet, kaum anders als bei der F3. Also Film rein und die ersten Fotos geschossen.
Langsam entwickelte sich eine Synthese zwischen der Kamera und meinem Kopf. Eins war mir klar: um mit diesem Gerät klarzukommen, mußt Du das Konzept erst richtig verstehen, mußt begreifen, wie alles funktioniert, bevor Kopf und Kamera zu einer Einheit werden und die Kamera damit zu einem optimalen Werkzeug.
Immer wenn ich Testberichte über Kameras lese, fällt mir eines auf: In den meisten Fällen habe ich das Gefühl, eine Kamera hätte "keine Seele" oder dürfe keine Macken haben. Dabei haben alle technischen Geräte ihre Eigenheiten, ihr Eigenleben. Fragen Sie doch mal Ihre Frau, die ihre Nähmaschine genau kennt: Wetten, daß sie ihrer Freundin erst erklärt, welche Eigenheiten an der Maschine zu beachten sind? Oder denken Sie an Ihr Auto, das Sie wie Ihre Westentasche kennen, Ihrem Freund aber erst erklären müssen, bevor auch er sicher damit umgehen kann. Warum also, in Gottes Namen, darf das bei einer Kamera nicht so sein?
Was für technische Geräte allgemein selbstverständlich ist, das gilt auch für eine Kamera. Wenn ich jetzt also über die Macken der Nikon F4 schreibe, so darf sie - für mich - die meisten dieser Macken durchaus haben.
Zwei Dinge stören mich an der F4 wirklich, es sind Macken, mit denen ich nur sehr schwer leben kann, dabei ließen sie sich doch so einfach beheben. Zum einen verstellt sich der Meßsystemwähler viel zu leicht. Bei einer unbeabsichtigten Verstellung von Matrix- auf Spotmessung - oder umgekehrt -ist das schon gravierend. Auch wenn die jeweilige Meßart im Sucher angezeigt wird - wer achtet schon immer peinlich darauf? Zum anderen löst die Kamera, wenn sie in die Fototasche gesteckt wird, zu leicht von selber aus, weil der Auslöseknopf zu weit aus dem Gehäuse herausragt.
Etwas enttäuscht bin ich über den relativ hohen Stromverbrauch, meine F3 verbraucht nur halb so viele Batterien. Auch der Batteriewechsel ist gewöhnungsbedürftig -schade, es gibt keine wiederaufladbaren Powerpacks.
Das waren aus meiner Sicht auch schon die Macken dieser Kamera, der Rest ist mehr oder weniger perfekt, vom präzisen und schnellen Autofokus bis zur ebenso präzisen Belichtungsmessung.
Übrig bleiben noch ein paar Wünsche. So funktionell der SB 24-Blitz auch ist, für eine Profikamera ist er mehr als schwach auf der Brust. Eine Leitzahl von 45 und eine Blitzfolgezeit von ca. 5 Sek. bei Vollast fehlen noch. Und ein AF-Zoom im Brennweitenbereich von 24-85 mm, vielleicht mit Lichtstärke 1:2,8, wäre die perfekte Ergänzung zum System.
Eigentlich schäme ich mich ein bißchen, so viel Lob verteilt zu haben. Doch was bleibt mir übrig, die Kamera hat auf meiner Reise zuverlässig und präzise funktioniert. Ob dies im harten Berufseinsatz so bleiben wird und die F4 auch durch Robustheit und problemloses Funktionieren über viele Jahre hinweg bestechen kann, das muß die Erfahrung dann zeigen. Der eigentliche Schwachpunkt liegt für mich also nicht bei der Kamera, sondern beim deutschen Vertrieb. Trotz Profi-Card und guten Beziehungen sind die F4, der SB 24 und einige Optiken überall leichter zu bekommen, als bei meinem Profihändler. Zwölf Jahre lang kaufe ich nun schon bei meinem Händler in München, jetzt muß ich mir überall die dringend benötigten Geräte zusammenklauben. Hat jemand noch eine F4 zu verkaufen?
Bekanntlich kommt Hochmut vor dem Fall, in der Autoindustrie kann so mancher Hersteller ein Lied davon singen. Und so kann ich, bei allem Respekt vor der Leistung der Nikon-Ingenieure, fast nur hoffen, daß Nikon bald Konkurrenz bekommt, damit man in Düsseldorf wieder auf den Teppich kommt.
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