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Artikel

1997

Test & Technik

Leica R6 gegen Vivitar 2000

Kritik der reinen Vernunft

Fotografie pur bieten zwei mechanische Kameras. Während die Leica R6 etwa 4200 Mark kostet, gibt es die Vivitar 2000 bereits für ein Zehntel. Ist der große Preisunterschied gerechtfertigt?

Eine Leica zu besitzen ist der Traum vieler Fotografen. Für die meisten von ihnen wird es auch immer ein Traum bleiben. Nur wenige können für ihr Hobby soviel Geld aufbringen, wie es eine Leica-Ausrüstung verschlingen würde. Sind Leicas nun wirklich soviel besser, daß sie diesen hohen Preis rechtfertigen oder wird hier nur der traditionsreiche Name bezahlt? Wir haben das teuerste Leica-Modell, die Leica R6, der neuen, preiswerten Vivitar 2000 gegenüber gestellt, um unabhängig von Prestige, Nimbus oder Image einmal die reinen Leistungsdaten zu vergleichen.
Beide Kameras werden mechanisch gesteuert. Das bedeutet, daß sie nur für den Belichtungsmesser Energie benötigen.
Das Design beider Kameras ist klassisch. Sie sind ausgesprochen kompakt gebaut und die Anordnung der Bedienungselemente wurde so gewählt, daß jeder, der bereits einige fotografische Erfahrungen mit anderen Kameras älterer Bauart sammeln konnte, sich sofort auskennt. Keine Tipptasten, keine LCD-Displays, keine Deckel und Klappen, hinter denen sich irgendwelche Spezialknöpfe verstecken.
Die Rückwände beider Kameras besitzen Griffmulden für den Daumen. Die Vivitar 2000 besitzt zusätzlich auf der Vorderseite rechts und links je einen Wulst zum besseren Halten der Kamera. Trotzdem ist sie mit nur 410 Gramm um etwa 215 Gramm leichter als die Leica R6. Das höhere Gewicht der Leica resultiert aus der robusten Aluminium-Druckguß-Konstruktion.
Das Gehäuse der Vivitar 2000 wurde, wie die meisten modernen Kameras, aus hochfestem Kunststoff gefertigt. Die Rückwände beider Kameras lassen sich durch Hochziehen der Rückspulkurbel, die in beiden Fällen über der Filmempfindlichkeitswählscheibe angebracht ist, öffnen. Weder die Leica R6 noch die Vivitar 2000 besitzen eine Sperre gegen versehentliches Öffnen der Rückwand.
Die Richtigkeit der eingestellten Filmempfindlichkeit und der Filmtyp lassen sich bei der Leica R6 im Filmfenster der Rückwand kontrollieren. Die Vivitar 2000 bietet diese Möglichkeit nicht. Wenn hier die relativ leicht rastende Empfindlichkeitswählscheibe versehentlich verstellt wird, gibt es keine Kontrollmöglichkeit.

Handlichkeit und Bedienung

Alle Einstellungen, inklusive Filmempfindlichkeit, müssen bei beiden Kameras manuell vorgenommen werden. Die Vivitar besitzt für die Empfindlichkeitseinstellung eine griffige Wählscheibe, die in Drittelstufen zwischen ISO 25/15xGRADx und 1600/33xGRADx einrastet. Der Einstellring für die Filmempfindlichkeit bei der Leica R6 ist durch eine Sperre gegen versehentliche Verstellungen gesichert. Erst wenn die Entriegelungstaste gedrückt wird, kann eine, Verstellung vorgenommen werden. Der Einstellbereich liegt zwischen IS0 12/12xGRADx und ISO 3200/36xGRADx. Das sind jeweils eine Stufe mehr nach oben und unten. Viel ist das im Vergleich zu den Möglichkeiten moderner Automatikkameras nicht. Dort liegen die manuellen Einstellmöglichkeiten entsprechend den angebotenen Filmmaterialien zwischen ISO 6/9xGRADx und ISO 6400/39xGRADx.
Die Entriegelungstaste für die Empfindlichkeitseinstellung der Leica R6 dient gleichzeitig auch zur Batterieprüfung. Wird sie gedrückt, leuchtet bei ausreichendem Batteriestrom für den Betrieb des Belichtungsmessers eine rote LED auf. Sie bleibt auch angeschaltet, wenn der Finger vom Auslöser genommen wird. Eine Sparschaltung sorgt nach etwa 12 Sekunden für die automatische Abschaltung der Anzeigen. Bei der Vivitar 2000 bestätigen die LEDs im Sucher ausreichende Batterieleistung. Sie erlöschen, sobald der Finger vom Auslöser genommen wird.
Während bei der Vivitar 2000 der Filmtransporthebel gleichzeitig als Hauptschalter der Kamera für die Aktivierung des Belichtungsmessers und die Entriegelung des Auslösers dient, kann bei der Leica R6 mit dem Schalter unterhalb des Verschlußzeitenwählers nur der Belichtungsmesser abgeschaltet oder die Meßcharakteristik gewählt werden. Der Auslöser kann bei gespanntem Verschluß jederzeit betätigt werden. Der leicht ausgeklappte Filmtransporthebel hat beim Fotografieren auch den Vorteil, daß er sich in dieser Stellung besser und schneller betätigen läßt. Er fährt nach dem Transport automatisch in diese Stellung, während er bei der Leica R6 wieder ganz zurückklappt.
Etwas unglücklich wurde bei der Vivitar 2000 der Auslöser plaziert. Er wird von dem dicht daneben liegenden Transporthebel und dem Verschlußzeitenrad überragt und ist von Leuten mit etwas größeren Händen nur schwer zu bedienen. Die Plazierung des Auslösers im Verschlußzeitenrad der Leica R6 erscheint dagegen sehr viel ergonomischer.
Bei beiden Kameras werden durch leichten Druck auf die Zweistufenauslöser die Belichtungsmessung und die Sucheranzeige aktiviert. Die Auslösung erfolgt, wenn ganz durchgedrückt wird. Beide Auslöser besitzen ein Gewinde für den Drahtauslöseranschluß. Die Auslösung selbst ist in beiden Fällen angenehm weich. Die Geräuschentwicklung beim Auslösen ist bei der Vivitar allerdings deutlich höher.

Verschlußzeiten

Die Verschlußzeitenwähler beider Kameras besitzen jeweils dreizehn Raststellungen. Bei der Vivitar 2000 können Verschlußzeiten von 1 bis 1/2000 Sekunde, bei der Leica nur von 1 bis 1/1000 Sekunde gewählt werden. Zusätzlich bieten beide Kameras "B"-Einstellung. In dieser Betriebsart bleibt der Verschluß der Kameras so lange geöffnet, wie der Auslöser gedrückt wird.
Die Leica R6 besitzt darüber hinaus eine "X"-Einstellung für Blitzfotos mit der schnellstmöglichen Synchronzeit von 1/l00 Sekunde. Bei der Vivitar 2000 wird als schnellste Blitzsynchronzeit die 1/125 Sekunde angegeben. Wie die Messungen der Verschlußzeiteneinstellungen ergeben haben, liegt aber auch diese Einstellung näher bei 1/l00 als bei der angegebenen 1/125s Sekunde. Langzeitblitzsynchronisation ist mit beiden Kameras im Bereich von 1/60 bis 1 Sekunde möglich.
Der Blitzanschluß erfolgt bei beiden Kameras über den Zubehörschuh mit Mittenkontakt auf dem Pentaprismensucher. Im Gegensatz zur Vivitar 2000 bietet die Leica R6 TTL-Blitzautomatik für SCA-Blitzgeräte. Hier kommt doch eine recht widersprüchliche Philosophie zum Ausdruck. Einerseits bietet man eine rein mechanisch arbeitende Kamera für manuellen Betrieb an. Andererseits integriert man eine automatische Blitzsteuerung. Daß eine Blitzautomatik durchaus eine sehr angenehme Arbeitserleichterung ist, wird hier nicht in Frage gestellt, ob sie aber in einer sonst völlig auf Automatik verzichtenden Kamera sinnvoll ist, löst Zweifel aus.
Die Blitzautomatik macht auch wiederum den Einbau des Okularverschlusses nötig, durch den bei Aufnahmen vom Stativ mit Drahtauslöser die Irritation der im Boden der Kamera befindlichen Silizium-Photodiode durch einfallendes Fremdlicht vermieden werden kann.
Auf solche Features hat man bei Vivitar verzichtet, ebenso auf die Möglichkeit der Belichtungsmesser-Korrektur. Bei der Leica R6 kann die Belichtungsmessung in Drittelstufen um ± 2 Blendenwerte korrigiert werden. Das ist bei der Vivitar 2000 nur über den Umweg der Filmempfindlichkeitseinstellung möglich. Allerdings sind derartige Manipulationen nicht ungefährlich, da die Kamera kein Filmfenster besitzt, wo man die eingestellte Empfindlichkeit mit der tatsächlichen vergleichen kann, wenn wieder normal belichtet werden soll. Wenn schon kein Filmfenster integriert werden konnte, so hätte man doch wenigstens einen Halter für den Deckel der Filmverpackung anbringen können.

Belichtungsmeßsystem und Verschluß

Die Überprüfung der Verschlußgenauigkeiten hat gezeigt, daß auch mechanische Verschlüsse heute sehr präzise arbeiten können. Beide Verschlüsse erfüllen spielend die DIN-Normen. Im Bereich bis 1/60 Sekunde waren selbst bei der Vivitar 2000 die Abweichungen nur knapp über 0,1 Blendenstufen. Einen Ausreißer zeigt der Verschluß allerdings bei der 1/125 Sekunde, die gleichzeitig die Einstellung für die schnellste Blitzsynchronzeit ist. Hier weicht die tatsächliche Verschlußzeit fast um 1/3 Blende vom angegebenen Wert ab. Durch die separate X-Einstellung hat Leica diesen Ausreißer vermeiden können. Auch die 1/1000 und die 1/2000 Sekunde wurden bei den Messungen nicht ganz erreicht. Allerdings liegen die Belichtungsabweichungen von deutlich weniger als 1/3 Blendenstufe noch innerhalb der DIN-Normen.
Ein Beispiel für Leica-Präzision ist die Genauigkeit des R6-Verschlusses. Er zeigt praktisch keine die Aufnahme beeinflussenden Abweichungen. Selbst die größten Abweichungen liegen bei noch nicht einmal 1/10 Blendenstufe.
Mit gleicher Präzision arbeitet auch die Belichtungsmessung der Leica R6. Sie wird durch Abgleich im Sucher kontrolliert. Der Fotograf kann zwischen mittenbetonter Integral- und Spotmessung wählen. Zwei Dreiecke mit "+" und "-" Zeichen weisen auf Über- beziehungsweise Unterbelichtung hin und geben durch ihre Spitzen gleichzeitig an, in welche Richtung Blendenring oder Verschlußzeitenrad verstellt werden müssen. Bei korrekter Belichtung leuchtet zwischen beiden eine rote LED auf. Leuchtet die runde LED zusammen mit einer Dreiecksdiode auf, so beträgt die Abweichung etwa 1/2 Blende und weniger. Je mehr sich die Einstellung dem korrekten Wert nähert, um so dunkler wird die Dreiecksanzeige, bis sie schließlich erlischt. Die Messung reagiert sogar auf die Einstellung von Zwischenwerten außerhalb der Raststufen. So kann bequem und sehr präzise die optimale Belichtungseinstellung gefunden werden.
Nicht ganz so exakt arbeitet die Nachführmessung der Vivitar 2000. Hier leuchtet die Anzeige für korrekte Belichtung auch, wenn die Helligkeit etwa 1/6 über oder unter dem für die Einstellung korrekten Wert liegt. Deshalb haben wir für die Belichtungsmessung der Vivitar zwei Kurven angegeben. Sie zeigen die Abweichungen von dem exakten Wert in Abhängigkeit von der Annäherung über die Unter- oder Überbelichtung. Doch auch in diesem Fall betragen die extremsten Abweichungen von der idealen Belichtung nur 1/2 Blende.
Dabei ist zu bedenken, daß die Messung nur einer von vielen Faktoren ist, die sich auf die Exaktheit der Belichtung auswirken können. Weitere Faktoren sind der präzise Ablauf des Verschlusses, das exakte Funktionieren der Blende, die tatsächliche Empfindlichkeit der verwendeten Emulsion und die Präzision der Laborverarbeitung. Auswirkungen auf die Bildqualität haben solche Normabweichungen praktisch nur in der Diafotografie. Beim Fotografieren mit Negativmaterial beeinflussen sie das Resultat praktisch nicht.

Fazit

Es war vorauszusehen, daß bei dieser Gegenüberstellung die Leica, abgesehen vom Gewicht und der 1/2000 Sekunde Verschlußzeit, der Vivitar in allen Bereichen überlegen sein würde. Sie besitzt eine Vielzahl von zusätzlichen Ausstattungsmerkmalen. Der Sucher ist sehr viel heller, der Schnittkeil dunkelt nicht so schnell ab, Blende und Verschlußzeit werden eingespiegelt und lassen sich bei Dunkelheit sogar beleuchten. Es besteht die Möglichkeit, einen Dioptrienausgleich vorzunehmen. Motoranschluß, Selbstauslöser, Abblendtaste, Spiegelvorauslösung, Mehrfachbelichtungsmöglichkeit und Kontaktbuchse für Blitzanschluß über Kabel sind außer den genannten Ausstattungsmerkmalen weitere Vorzüge, die den Anspruch der Leica als Profikamera rechtfertigen.
Bei der spartanisch ausgestatteten Vivitar 2000 verschlechtern vor allem die Abweichungen bei der Blitzsynchronzeit und bei der 1/2000 Sekunde den sonst, gemessen am Preis-Leistungsverhältnis, hervorragenden Eindruck.
Das umfangreiche Vivitar-Objektivprogramm und die Anschlußmöglichkeit aller Pentax-K-Objektive erweitern die Einsatzmöglichkeiten dieser wirklich vernünftigen Kamera, die den Vergleich mit eingeführten Systemkameras nicht zu scheuen braucht. Sie ist als preiswerte Einsteigerkamera oder auch als Ergänzung zur bestehenden Ausrüstung uneingeschränkt zu empfehlen.
Die Leica R6 verdient volle Bewunderung für die Präzision von Belichtungsmessung und Verschlußablauf. Sie wird dem hohen Anspruch einer Profikamera, den sie schon allein durch den Preis an sich selbst stellt, allerdings nur bedingt gerecht, da sie in Bezug auf Verschlußzeitenbereich, Blitzsynchronzeit und Filmempfindlichkeitseinstellung hinter den technischen Möglichkeiten moderner Kameras zurückbleibt.

PLUS FÜR LEICA R6

PräziserVerschluß

 Exakte Belichtungsmessung

Helles Sucherbild

Beleuchtbare Sucheranzeigen

Separate X-Zeit

Abblendtaste

Spiegelvorauslösung

PLUS FÜR VIVITAR 2000

Preis-Leistungsverhältnis

Geringes Gewicht

Auslösesperre

Griffwulste

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