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Artikel

1997

Beratung

Die letzten Mechaniker

Marktübersicht mechanische Kleinbildkameras

Kleinbildkameras mit mechanisch gesteuertem Verschluß sind vom Aussterben bedroht. Die Kaufleute haben nur noch zwei ökonomische Nischen in ihrem nüchternen Kalkül für sie reserviert: Entweder laufen sie ganz billig auf längst abgeschriebenen Produktionsanlagen oder sie werden als kostbares Prestigeobjekt handwerklicher Tradition vermarktet. Hier sind sie alle, von Alpa bis Zenit.

Gäbe es nach dem traurigen Vorbild der Ökologen auch für aussterbende Industrieprodukte der achtziger Jahre eine Rote Liste, so würde sie sich in etwa so lesen: Rechenschieber, Vierfarbkugelschreiber, Spulen-Tonbandgeräte, mechanische Schreibmaschinen und mechanisch gesteuerte Kleinbildkameras. Läßt der Chronist die untereinander baugleichen Kameras weg, so bleiben gerade noch neun Exemplare dieser seltenen Spezies übrig, die zwei Extreme bilden. Entweder sind die letzten mechanischen Mohikaner die teuersten oder die billigsten Kleinbild-Spiegelreflexkameras auf dem Markt. Die Leica M6, letzter Vertreter der einst ebenso zahlreichen wie urdeutschen Kategorie der Meßsucher-Kameras, bildet gewissermaßen die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Obwohl sie keine Spiegelreflexkamera ist, zählen wir sie dazu, weil sie in Anspruch und Niveau zu den besten gehört und für viel den Inbegriff der hochwertigen mechanischen Kamera verkörpert.

Wollte eine Jury die Sinnbilder des mechanischen Zeitalters küren, das uns zu Beginn die industrielle Revolution bescherte, so würde die Entscheidung sicherlich zugunsten der mechanischen Uhr und der Dampfmaschine fallen. Beide haben gleichermaßen tiefgreifend das Leben der Menschen verändert. Aus dem Land der Uhrmacher, dem Schweizer Jura, stammt die Alpa 11si, die exklusivste Kamera der Weltproduktion überhaupt. Sie ist so exklusiv, daß sogar Fachleute aus der Branche ständig versucht sind zu glauben, es gäbe sie schon gar nicht mehr. Diese Seltenheit drückt sich auch im Preis aus, wenn auch jene 6900 Mark, die der deutsche Importeur Cinevox für das Feinmachanik-Meisterstück verlangt, längst nicht mehr soviel Ehrfurcht erzeugen wie früher, als die Leicas noch halb so teuer waren und die Alpa einsam oben am Preisgipfel stand. Mit einer Alpa zu fotografieren ist ungefähr so mühsam, wie Autofahren lernen auf dem Magirus-Jupiter-LKW der fünfziger Jahre ohne Getriebesynchronisierung. Es gibt keine Unterstützung in Form eines herkömmlichen Schnellschalthebels mit ergonomisch günstig plaziertem Auslöser. Der Alpa-Fotograf ist vielmehr Herrscher über ein Reich von Hebeln und Knöpfen, die alle in der richtigen Reihenfolge bedient werden wollen. Wenn das Motiv im Sucher der Alpa sorgfältig komponiert ist, muß der Alpa-Fotograf diese Komposition wie ein virtuoser Flötenspieler umsetzen. Die Schweizer Kamera gilt als Leckerbissen für jeden Mechanik-Besessenen, mattschwarzer Schrumpflack - am von keinerlei Design verdorbenem - Gehäuse signalisiert absolutes Understatement im Einklang mit höchster Exklusivität.

Das Gegenstück zur Alpa nicht nur aus alphabetischer Sicht - heißt Zenit 12 XP und stammt aus der Sowjetunion. Daß im real existierenden Sozialismus der Rotstift erst noch ins Rechnungswesen Einzug halten muß, beweist das schwere, äußerst robust wirkende Messinggehäuse. Es wirkt wie aus dem Vollen gefräst. Ansonsten wurden die Genossen stark von den deutschen Kamerabauern an der Elbe inspiriert, wie M-42-Gewinde, Objektivkonstruktion und Schlitzverschluß beweisen. Die Zenit ist die billigste Kamera dieses Vergleichs, sie kostet mit 200 Mark noch nicht einmal soviel wie eine simple Autofokus-Sucherkamera und erschließt dem Fotografen, dank des weltweit immer noch am weitesten verbreiteten M-42-Objektivanschlusses, alle Aufnahmegebiete, von ganz nah bis ganz fern. Zenit-Kameras hinken seit einigen Modellreihen etwa 15 Jahre hinter dem üblichen Kamerafortschritt hinterher und gerade das macht sie so sympathisch. Wenn auch bei der 12 XP inzwischen ein Leuchtdiodenabgleich im Sucher verschämt moderne Zeiten signalisiert. Dieser wirkt wegen des kleinen Spiegels etwas unterdimensioniert. Etwas haklig fühlt sich der von der Kameraoberseite keck emporragende Auslöser an, dessen extrem langer Weg mit seiner zusätzlichen Abblendfunktion zum Belichtungsmessen zusammenhängt.

Der fünfzig Mark teureren Praktica MTL 5 B merkt man, im Vergleich zur etwas grobschlächtigen Zenit, die fünfzigjährige Erfahrung bei 35mm-Spiegelreflexkameras gründlich an. Zwar verkörpert sie durch zahlreich verwendetes Aluminium nicht den schweren Heavy-Metal-Charakter der Russin, sie wirkt aber im Detail deutlich ausgereifter. Der DDR-Qualitätsstandard ist inzwischen überzeugend. Für die Praktica sprechen im Vergleich zur Zenit der vollwertige Verschlußzeitenbereich von der Tausendstel bis zur ganzen Sekunde, der deutlich bessere - wenn auch noch nicht brillante - Sucher und das weitaus größere Original-Zubehörangebot für M-42. Für vergleichsweise wenig Geld kommt der Praktica-Fotograf in den Genuß ganz hervorragender, bisweilen schon legendärer Objektive mit Namen Flektogon 2,8/20 mm, Pancolar 1,8/80 mm, Jena S 2,8/180 mm und Jena S 2,8/200 mm, allesamt aus dem Stammwerk von Carl Zeiss Jena. Zugeständnisse an den günstigen Praktica-Preis sind allerdings der laute Spiegelschlag und der recht schwergängige Filmtransport.

Der letzte Oldie dieser Gruppe auf dem Stand der Spiegelreflextechnik Anfang der siebziger Jahre ist die Pentax K 1000. Ihre Abstammung von der Spotmatic steht ihr förmlich im voluminösen Gesicht geschrieben. Doch muß ihre technische Rückständigkeit, die sich aus den technischen Daten herauslesen läßt, - Dinge wie Tuchschlitzverschluß, CdS-Fotowiderstand und die üppigen Gehäusemaße deuten darauf hin - nicht mit funktionalen Nachteilen erkauft werden. Verschlußaufzug und Filmtransport funktionieren weich und geschmeidig, der Sucher ist hinreichend hell und zeigt die kompromißlose Meßnadel, jenes präzise Instrument, das sich so viele Fotografen sehnlichst zurückwünschen. Leider reichte es bei der K 1000, die ursprünglich als Economy-Modell der ersten Bajonett-Baureihe von Asahi Pentax konzipiert wurde, nicht zum Selbstauslöser, den sogar Zenit und Praktica offerieren. Trotzdem ist die Pentax K 1000 als vollwertige Gebrauchskamera von allen dieser Gruppe gerade wegen ihres günstigen Preis-Leistungsverhältnisses am meisten zu empfehlen.

Gut fünfmal so teuer wie die Praktica ist die Nikon FM2. Sie kann neben ihrer Herkunft aus gutem Hause auch noch ein paar technische Leckerbissen vorweisen. Ihr Titanlamellen-Schlitzverschluß realisiert die 1/4000stel Sek., Blitzaufnahmen verlieren dank der 1/250stel Synchronzeit ihren Schrecken. Das kompakte Gehäuse liegt ausgezeichnet in der Hand und läßt sich auch noch zünftig motorisieren, nämlich bis zu 3,5 Bilder pro Sekunde.

Die übrigen japanischen Vertreter der mechanischen Zunft verdienen die Attribute funktionell und preiswert. Ein besonderes Flair oder gar ein nostalgischer Reiz geht von ihnen kaum aus. Sie sind im gewissen Sinne sogar austauschbar und manchmal sogar baugleich, wie Exakta HS-10 undVivitarV2000 beweisen. Beide kommen vom japanischen Hersteller Cosina, der auch die exklusiv von Porst vertriebenen Carena-Modelle produziert. Familiäre Gemeinsamkeiten der mechanischen Einheitskameras mit Namen Exakta HS-10, Vivitar V 2000 und Yashica FX-3 Super 2000 sind ihre Kompaktheit und ihre, gemessen am Preis, sehr gute Verarbeitungsqualität. Der Metallschlitzverschluß bringt die 1/2000stel Sek. ebenso selbstverständlich wie eine salonfähige Blitzsynchronzeit von einer 1/125stel Es sind preiswerte Gebrauchskameras, die, abgesehen vom Belichtungsmesser. batterieunabhängig arbeiten und an denen der technische Fortschritt der letzten zehn Jahre nicht spurlos vorübergegangen ist. Als weiteres Zugeständnis an die Erfordernisse der Gegenwart werden sie vornehmlich mit Standard-Zoomobjektiven bereits in der Grundausstattung kombiniert. Selbst damit haben sie Mühe, die 500-Mark-Grenze zu sprengen. Für Freunde objektivtechnischer Leckerbissen kann die unscheinbare Yashica FX-3 Super 2000 gelten, deren komplizierter Name konträr zum schlichten Äußeren steht. An das Yashica-Contax-Bajonett lassen sich alle Carl-Zeiss-Objektive anschließen, von denen aber auch das billigste Weitwinkel (2,8/35 mm) doppelt soviel kostet wie die Kamera selbst.

Leica, der Erfinder der Kleinbildkamera, ist in dieser traditionell mechanisch geprägten Gruppe als einziger Hersteller gleich mit zwei Modellen Vertreten, die als einzige Gemeinsamkeit den mechanisch gesteuerten Verschluß aufweisen. M6 und R6 sind darüber hinaus so verschieden, wie es die Kinder gleicher Eltern nur sein können. Das typisch deutsche Meßsucherprinzip verkörpert die Leica M6. Ihre bestechenden Eigenschaften sind der leise Verschluß und die exakte Scharfeinstellmöglichkeit auch bei schlechtem Licht und unabhängig von der eingesetzten Brennweite. Dafür erfordert sie mehr Konzentration bei der Bedienung und manche stört der Sucher, der bis auf die eingespiegelten Rahmen stets das gleiche zeigt und ein geschultes Auge für die jeweils geeignete Brennweite erfordert. Als ideale Alternative für die M6-Achillesfersen Makro- und Telefotografie empfiehlt sich die Leica R6, die aber für viele Fotografen die universellere und reaktionsschnellere Kamera verkörpert. Beschämend für die sehr teure R6 ist allerdings der Umstand, daß sie lediglich den Verschlußzeitenbereichzeitenbereich einer Praktica MTL SB bietet, obwohl es die alte Leicaflex SL besser konnte und man für den Preis einer R6 mit Leichtigkeit zwanzig Prakticas erstehen könnte. Reichen das brillante Sucherbild, das formschöne Gehäuse und die leise, geschmeidig arbeitende Mechanik aus, um darüber hinwegzutrösten?

Fazit

Die mechanischen Kameras erleben noch keine Renaissance. Trotz unbestreitbarer technischer Faszination verringert sich ihre Zahl aus Kostengründen weiterhin. Die Produktion der M-42-Prakticas wird auch nicht mehr ewig lange dauern, weil die preiswerten B-Modelle kaum teurer sind. Mechanische Kameras haben, so scheint es, nur noch auf hohem Preisniveau oder als Einheitsmodelle in hohen Stückzahlen eine Chance:

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