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Artikel
Test & Technik Praxisbericht
Panoramakameras für Rollfilm
Handwerk als Programm
Fotos mit extremen Seitenverhältnissen sind "in". Die zunehmende Popularität der Panoramafotografie läßt sich nicht als Modeerscheinung abtun, sie trägt vielmehr die Züge eines gewachsenen Trends. Die Reaktion der Kamera-Hersteller auf dieses Interesse äußert sich in zahlreichen Panoramakameras, die von der Einwegkamera bis zu den hochwertigen Profimodellen reicht. Wir haben vier Rollfilmkameras für die anspruchsvolle Panoramafotografie geprüft.
Beeindruckend sehen sie schon aus, unsere vier Testkameras: die Fuji Panorama G 617 Professional, die Linhof Technorama 617 S, die Linhof Technorama 612 PC und die Noblex Pro 06/150. Durch Formatdiagonale und Aufnahmefläche (6x12 und 6x17 Zentimeter) sind unsere Testkameras eher dem Großformat als dem Mittelformat zuzuordnen. Die Bedienung und der verwendete Rollfilm rückt sie aber wiederum in die Nähe des Mittelformats. Diese Panoramakameras für Rollfilm eignen sich gut für Landschafts- und Architekturaufnahmen und liefern wegen der großen Speicherfläche des Filmformats und der geringen Nachvergrößerung Aufnahmen mit einer auffallend hohen Detailauflösung.
Panoramaaufnahmen werden meist im Querformat gemacht. Dies ist aber keineswegs zwingend; auch das Hochformat hat hier seinen Reiz. In der Architekturfotografie können durch die senkrechte Ausrichtung der Filmebene stürzende Linien sogar in heiklen Motivsituationen vermieden werden. Mit den Panoramakameras lassen sich stürzende Linien problemlos ausgleichen.
Fuji Panorama G 617 Professional
Die Fuji Panorama G 617 Professional macht den Eindruck einer ausgewachsenen Sucherkamera und läßt sich, vom Spannen des Zentralverschlusses abgesehen, auch wie eine solche bedienen. Der Filmtransport erfolgt mit einem Schnellschalthebel, der für jede weitere Aufnahme zweieinhalbmal betätigt wird. Der Zentralverschluß muß dennoch mit dem entsprechenden Hebel am Objektiv eigens gespannt werden. Der Zeitenbereich des Zentralverschlusses reicht von einer bis zu 1/500 Sekunde (und Bulb).
Das fest eingebaute Objektiv Fujinon SW 8/105 mm ist von guter optischer Qualität. Der diagonale Bildwinkel von 80 Grad entspricht zwar, bezogen auf das Kleinbildformat, der Brennweite 25,8 Millimeter, für eine Panoramakamera hätte er jedoch etwas größer ausfallen dürfen. Die Blenden zwischen 8 und 45 werden am Objektiv eingestellt. Für die Fokussierung wird die geschätzte Entfernung auf die entsprechende Skala am Objektiv eingestellt.
Linhof Technorama 617 S
Die Linhof Technorama 617 S ist eine robuste Panoramakamera mit Aufstecksucher und fest eingebautem Objektiv Super-Angulon 5,6/90 mm von Schneider-Kreuznach. Das 5,6/90-mm-Objektiv erfaßt einen größeren Winkel als das Fujinon 8/105 mm und läßt sich ab 1,6 Meter fokussieren. Die Bildqualität ist überzeugend. Der Zentralverschluß steuert Zeiten zwischen einer und 1/500 Sekunde, T und B. Der Blendenbereich reicht von 5,6 bis 64. Der Filmtransport erfolgt über eine Kurbel, die nach jeder Belichtung entriegelt werden muß. Der schräg angebrachte Auslöser ist durch ein Kabel mit dem Zentralverschluß verbunden.
Das Referenzkreuz sowie die im Sucher sichtbare Libelle können bei Quer- und Hochformat für die Ausrichtung der Kamera benutzt werden. Das effektive Aufnahmeformat ist mit 5,65 x 17,1 Zentimeter größer als bei der Fuji Panorama (5,55x 16,8 Zentimeter).
Linhof Technorama 612 PC II
Die Linhof Technorama 612 PC II ist das kleinere Schwestermodell der Technorama 617 S. Sie ist ebenfalls robust gefertigt und mit einem Aufstecksucher ausgestattet. Sie ist die einzige Kamera in unserem Test, die mit Wechselobjektiven bestückt werden kann. Es stehen zwar nur zwei Objektive zur Verfügung, doch erweitert dies bereits die Einsatzmöglichkeiten der Kamera deutlich. Die Brennweite des Apo-Symmar 5,6/135 mm entspricht etwa der Bilddiagonalen und kann somit als Normalobjektiv eingesetzt werden, während das Super-Angulon 5,6/65 mm eine ausgesprochene Weitwinkelcharakteristik hat (diagonaler Bildwinkel 91 Grad, was ungefähr der Kleinbild-Brennweite 21 Millimeter entspricht). Beide Objektive stammen von Schneider-Kreuznach und werden über eine Einstellschnecke nach Entfernungsschätzung fokussiert. Die kürzeste Einstellentfernung beträgt beim 135er 3,5 Meter und beim 65er 1,5 Meter. Das Weitwinkelobjektiv läßt sich bis auf Blende 45, das Normalobjektiv sogar bis Blende 64 abblenden.
Der Verschlußzeitenbereich für beide Objektive umfaßt eine bis 11500 Sekunde (ferner die Einstellungen B und T). Beide Objektive haben sehr gute Abbildungseigenschaften.
Formatbegrenzungen im Aufstecksucher zeigen jeweils den für die zwei Brennweiten gültigen Bildausschnitt an. Außerdem sind eine Libelle und ein Referenzkreuz zu sehen. Das effektive Aufnahmeformat ändert sich geringfügig mit dem gerade verwendeten Objektiv; sie beträgt 5,65x12,1 Zentimeter beim 65er und 5,65x11,95 Zentimeter beim 135er. Auf einem 120er Rollfilm können sechs, auf einem 220er Rollfilm zwölf Aufnahmen belichtet werden.
Noblex Pro 06/150
Unter der Bezeichnung Noblex Pro 06/150 bieten die Dresdner Kamerawerke Noble eine Panoramakamera mit Rotationsobjektiv und dem effektiven Aufnahmeformat 5x12 Zentimeter an. Die Kamera ist mit einem Fixfokus-Objektiv Tessar 4,5/50 mm (von Docter-Wetzlar) ausgestattet. Der Objektivwinkel bestimmt bei dieser Kamera nur den vertikalen Bildwinkel. Der horizontale Bildwinkel wird allein durch dem Rotationswinkel des Objektivs bestimmt, der bei der Noblex 146 Grad beträgt.
Die verschiedenen Verschlußzeiten werden durch die Rotationsgeschwindigkeit der Objektivtrommel realisiert. Das funktioniert so: Ein Gleichstrommotor dreht die Objektivtrommel für jede Belichtung um 360 Grad. In der ersten Hälfte der Bewegung wird die Trommel bei geschlossenem Strahlengang des Objektivs auf eine konstante Drehgeschwindigkeit beschleunigt. in der zweiten Hälfte der Umdrehung wird der Strahlenhang geöffnet und der im Halbkreis angeordnete Film absolut gleichmäßig belichtet. Durch verschiedene Drehgeschwindigkeiten können vier Verschlußzeiten gebildet werden (bei gleich groß bleibendem Verschlußspalt): 1/30,1/60, 1/125 und 1/250 Sekunde. Durch mehrfache Drehungen lassen sich sogar Mehrfach- und Langzeitbelichtungen realisieren, ein sehr stabiles Stativ vorausgesetzt.
Die Blende wird mit einem etwas fummeligen Rädchen in einer Öffnung an der Objektivtrommel eingestellt. Die Schärfe wird in der Form von Schärfentiefe über die Blende beeinflußt. Bei Blende 5,6 erstreckt sich der Schärfentiefenbereich zwischen 3,3 Meter und unendlich und bei Blende 22 ist bereits alles ab 1,3 Meter in der Schärfentiefenzone.
Im Sucher ist weder ein Referenzkreuz noch eine Libelle zu sehen, und die zwei Kerben in der Mitte der seitlichen Sucherwände reichen für eine genaue Ausrichtung der Kamera bei Freihandaufnahmen nicht aus.
Sowohl das "Garantie-Zertifikat" als auch der Hochglanzprospekt verheißen "verzerrungsfreie Aufnahmen". Mit Verzerrung ist hier offenbar nicht perspektivische Verzerrung, sondern Verzeichnung gemeint. Die tonnenförmige Verzeichnung ist aber - bei problematischen Motiven sogar in der Bildmitte - deutlich zu sehen. Das Auflösungsvermögen des Noblex-Objektivs reicht nicht an das der anderen Testobjektive heran, ist jedoch noch akzeptabel.
Fazit
Man muß das Handwerk des Fotografen in den Grundzügen beherrschen, um mit den Panoramakameras für Rollfilm angemessen umgehen zu können. Das beginnt bei der Ausrichtung der Kamera und setzt sich fort bei der Wahl des Bildausschnitts, bei der Einstellung der passenden Blende und der Verschlußzeit und beim Spannen des Zentralverschlusses. Die Belichtungsmessung muß ebenfalls bewußt erfolgen, weil der große Bildwinkel Motivpartien unterschiedlicher Helligkeit erfaßt. Bei Diafilmen läßt sich die Belichtung im allgemeinen am besten mit einer Zweipunkt oder Mehrpunkt-Kontrastmessung in den Griff bekommen.
Mit jeder der vier getesteten Kameras lassen sich gute Panoramaaufnahmen machen. Diese Kameras halten allerdings auch Ernüchterndes bereit: Die Verzeichnung und die weniger gute Abbildungsleistung des Noblex-Objektivs wurden schon erwähnt.
Das Öffnen der Filmrückwand bei den beiden Linhof-Kameras wirkt recht antiquiert: Die gesamte Platte wird abgenommen und muß verstaut werden.
Umständliche Bedienung
Sind die Kameras auf einem Stativ mit einer Schnellwechselplatte befestigt, läßt sich der im Kameraboden versenkte Drehbügel für die Entriegelung der Rückwand bei der 617 nur sehr schwer, bei der 612 gar nicht mehr bedienen. Folglich muß die Kamera vom Stativ entfernt und die Schnellwechselplatte abgeschraubt werden. Wir haben dies bei jedem Filmwechsel tun müssen. Auch für den Filmtransport mit Hilfe einer Kurbel, die nach jeder einzelnen Belichtung über einen separaten Knopf erst entriegelt werden muß, sind längst bessere Lösungen bekannt. Wir wünschen uns eine Panoramakamera für Rollfilm, die etwas von jeder der vier Testkameras hat: den Bedienungskomfort der Fuji G 617 (mit Koppelung des Verschlußaufzugs an den Filmtransport), den Bildwinkel der Noblex jedoch ohne Verzeichnung), den abnehmbaren Aufstecksucher der Linhof 617 S (mit Gittereinteilung und dreidimensionaler Libelle), die Wechselobjektive der Linhof 612 PC (mit einer größeren Brennweitenauswahl), die Möglichkeit, mit einer Formatmaske zwischen den Formaten 6x 17 und 6x 12 Zentimetern frei zu wählen (mit aufsteckbaren Wechselsuchern). Einige der Wünsche werden von der neuen Gilde-Kamera erfüllt, von der es aber zum Zeitpunkt unseres Praxistests nur ein einziges handgefertigtes Exemplar gab, so daß wir sie nicht berücksichtigen konnten.
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