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Artikel
1997
Test & Technik
Giganten
Praxisvergleich Canon EOS-1 gegen Nikon F4
Dem Profi in die Hand gebaut, so behaupten die beiden Hersteller Canon und Nikon, seien ihre neuen Topmodelle, die Canon EOS-1 und die Nikon F4. Heiner Henninges hat intensiv mit beiden fotografiert und die Unterschiede für die Praxis aufgezeichnet.
Einen Schönheitswettbewerb würde mit Sicherheit keines der neuen Topmodelle von Nikon und Canon gewinnen. Daran konnten auch Designer-Päpste wie Colani und Giorgio Giugiaro nichts ändern, die maßgeblich für das äußere Erscheinungsbild der beiden zur Zeit modernsten Profikameras verantwortlich zeichnen. Doch die Schönheit spielt bei einem professionellen Handwerkszeug nur eine untergeordnete Rolle. Zweckmäßigkeit steht an erster Stelle. Darin, was die Canon- oder Nikon-Konstrukteure als zweckmäßig betrachten, zeigen sich allerdings schon die ersten Unterschiede zwischen der EOS-1 und der F4. So trägt Nikon eher der bekannt konservativen Neigung eines Großteils der Berufsfotografen Rechnung und gestaltete alle Bedienungselemente so, daß jeder Umsteiger - mag er nun früher mit einer Nikon F3 oder einer Canon F1 fotografiert haben - sich sofort zurecht findet. Knöpfe, Räder, Hebel - wie gehabt -bestimmen das Bild. Groß und griffig sitzen sie dort, wo sie immer saßen oder vermutet werden. Abgesehen von der Kombinationsmöglichkeit von Belichtungs- und Entfernungseinstellspeicher wird pro Rad-, Tasten- oder Hebelbedienung jeweils nur eine Funktion eingestellt und angezeigt. Nur im Sucher hat der Fotograf eine Gesamtübersicht über alle vorgenommenen Einstellungen.
Ganz anders dagegen die EOS-1: Keine hervorstehenden Teile, nur einige wenige Tasten und zwei Bedienungsräder. Selten benötigte Einstelltasten wurden unauffällig, wie bereits bei früheren Modellen üblich, hinter einer Klappe versteckt. Den fünf Drucktasten und einem Einstellrad auf der Kameraoberseite der Canon EOS-1 stehen vier Einstellräder, sieben Einstellsperren und vier Einstellhebel der Nikon F4 gegenüber. Die Anzeigen der eingestellten Funktionen erfolgen bei der EOS-1 nicht über Indizes und Skalen an den Rädern oder Hebeln, sondern auf einem großen, bei Dunkelheit beleuchtbaren Datenmonitor. Nachteil für den erfahrenen Fotografen: Er muß erst die Funktionen der einzelnen Tasten auswendig lernen. Die Sucherinformation der Canon fällt etwas spärlicher aus als bei der Nikon. Ist einem die Nikon F4 auf Anhieb vertraut, braucht es einige Gewöhnung und Übung, bis sich die komfortablen Automatiksteuerungen der EOS-1 ganz erschließen.
Ein neuartiges Bedienungselement der Canon EOS-1, an das man sich sehr schnell gewöhnt, ist das Daumenrad auf der Rückseite der Kamera. Mit ihm wird bei manuellem Kamerabetrieb die Blendeneinstellung und bei Automatiksteuerung die Belichtungskorrektur vorgenommen. Das schon von der T90 her bekannte Multi-Funktionsrad zur Wahl der Verschlußzeit beziehungsweise der unterschiedlichen Kamerabetriebsarten oberhalb des Auslösers und auch das Daumenrad auf der Kamerarückseite sind für mich wichtigere Neuerungen als so manche Automatikspielerei.
Aufnahmevorbereitung
Colani und Giugiaro gingen bei der Anordnung und Gestaltung der Bedienungselemente der EOS-1 und der F4 von grundverschiedenen Einschätzungen der Arbeitsweise von Berufsfotografen aus. Beide haben das Verhalten der Profis über Jahre studiert und bei den Vorgängermodellen Erfahrungen gesammelt. Ging man bei der Canon-Konzeption davon aus, daß der Profi seine Aufgabe vorher genau kennt, sich vorbereitet und seine Kamera vor der eigentlichen Arbeit auf die bevorstehenden Gegebenheiten einstellt oder abstimmt, erlaubt die Nikon spontane Veränderungen der Voreinstellungen selbst dann noch, wenn die Kamera bereits am Auge ist. Ein Beispiel dafür ist die Wahl des Transportmodus. Die Umstellung von Einzelbildschaltung auf die schnelle oder langsame Serienbildschaltung oder die Serienschaltung mit besonders leisem Filmtransport geschieht mit dem um den Auslöser plazierten Drehschalter, der gleichzeitig als Hauptschalter für die Kamera dient.
Bei der EOS-1 muß dazu erst die Klappe geöffnet werden, hinter der sich die blaue Taste für die Aktivierung der Filmtransportwahl befindet. Erst wenn sie gedrückt wurde, kann mit dem Multi-Funktionsrad auf der Kamera die Einstellung vorgenommen werden, und erst, wenn die Einstellung dann durch Antippen des Auslösers bestätigt wurde, ist der Einstellvorgang abgeschlossen.
Hinter der Abdeckung befindet sich auch die weiße Clear-Taste. Sie annulliert alle die Automatik beeinflussenden Verstellungen und stellt die Grundeinstellung wieder her. Dies bei der Nikon F4 nicht möglich. Hier muß jede Funktion einzeln an dem dafür vorgesehenen Bedienungselement eingestellt werden.
Der Filmwechsel war und ist, vor allen in der aktuellen Reportagefotografie, immer eine Fehlerquelle. Zu oft wird im Eifer der Gefechts vergessen, die Empfindlichkeit umzustellen. Um solche Pannen zu verhindern, wurde von Kodak die DX-Filmerkennung entwickelt. Sie ist zwar auch für den Profi eine Hilfe, doch gibt es Ausnahmen, wo auch sie nicht weiterhilft, vor allem wenn, wie so häufig, mit empfindlichkeitssteigernder Push-Entwicklung oder mit den Filmen mit variabler Empfindlichkeit ohne Kodierung gearbeitet wird. Sowohl Nikon als auch Canon besitzen DX-Erkennung und ein zusätzliches Override für die manuelle Einstellung. Die Nikon F4 muß, um DX-Filme zu erkennen, auch auf DX gestellt sein. Die EOS-1 erkennt immer, ob ein DX-Film in der Kamera ist oder nicht. Blockiert die Nikon F4 in der DX-Stellung, wenn ein nicht-kodierter Film eingelegt wurde, so blinkt bei der Canon EOS-1 auf dem Datenmonitor die Empfindlichkeitseinstellung, die zuletzt vorgenommen wurde, um den Fotografen vor möglichen Abweichungen zu warnen. Die ISO-Anzeige blinkt außerdem, wenn trotz DX-Kodierung des Films die Empfindlichkeit manuell eingestellt wurde. Diese Override-Einstellung hat bei der Nikon F4 stets Vorrang. Ist die Kamera nicht auf DX eingestellt, wird der Fotograf also nicht mehr vor Fehleinstellungen gewarnt. Zwar kann normalerweise die Einstellung durch einen Blick auf das Filmfenster überprüft werden. Diese Kontrollmöglichkeit entfällt jedoch ebenfalls, wenn zum Beispiel die Multi-Funktionsrückwand MF-23 angesetzt wurde.
Belichtungsmessung
Erfreulich exakt arbeitet bei beiden Kameras die Belichtungsmessung. Beide bieten Meßmethoden mit Mehrfeld-, Spot- und mittenbetonter Messung an. Besonders einfach ist die Wahl der Meßmethode bei der Nikon F4. Auch hier kann von einer Methode zur anderen gewechselt werden, ohne daß die Kamera vom Auge genommen werden muß. Der Schalter ist gut greifbar am Wechselsucher untergebracht, er rastet deutlich ein, die Verstellung wird im Sucher angezeigt. Bei der Canon wird die Meßmethode nicht im Sucher angezeigt. Hier muß die Einstellung vorher vorgenommen und auf dem Datenmonitor kontrolliert werden. Eine Besonderheit der EOS-1 ist die Möglichkeit, Kamerafunktionen selbst zu programmieren. So gesehen besitzt sie vier Meßmethoden. Statt der Mehrfeldmessung kann als dritte Meßmethode auch auf mittenbetonte Integralmessung umgestellt werden. Ich habe bei beiden Kameras bei manueller Einstellung immer die Spotmessung bevorzugt und für Automatikbetrieb die Mehrfeldmessung herangezogen. Ich muß zugeben, daß die Automatik mir in beiden Fällen mindestens gleich gute, wenn in Einzelfällen nicht sogar bessere Ergebnisse lieferte.
Als Automatik ist mir bei der Nikon F4 die Zeitautomatik am liebsten, weil ich gern mit der Blende und Verschlußzeit gestalte, also Einfluß darauf nehmen möchte. Bei der Canon EOS-1 benutze ich fast ausschließlich die Programmautomatik. Durch den bequemen Programm-Shift und die Möglichkeit des Automatik-Overrides mit dem Daumenrad an der Rückseite erscheint mir diese Betriebsart als einfacher und schneller, aber mit den gleichen gestalterischen Möglichkeiten der manuellen Einstellung von Zeit und Blende.
Autofokus
Ich möchte den enormen technischen Aufwand und die Leistung der Canon-Konstrukteure nicht schmälern, wenn sich für mich in der Praxis der große Vorzug des kreuzförmig gestalteten AF-Sensors nicht so auszahlte. Erstens kommt nur der in den Vorzug dieses auch auf waagerechte Strukturen ansprechenden AF-Systems. dessen Objektiv mindestens eine Anfangsöffnung von f/2,8 besitzt, und zweitens kann der erfahrene Fotograf durch leichte Schräghaltung von Kamera und AF-Lock auch auf solche Motive mit einfachem Meßfeld automatisch scharfstellen. Der große Vorzug des Meßkreuzes wird sich allerdings in extremen Situationen bei Sport- und Actionaufnahmen mit den superschnellen und superlichtstarken USM-Objektiven zeigen, von denen leider bisher nur zu wenige zu haben waren. Eine Einrichtung, die mir in der Praxis noch viel wichtiger erscheint, ist die Möglichkeit, die Autofokus-Aktivierung auf die AE-Taste zu verlegen. Gerade für Leute, denen es Schwierigkeiten macht, den exakten Druckpunkt beim Auslöser zu finden, ist dies eine praktische und einfache Alternative. Unterschiede in der Schnelligkeit des AF-Systems mögen vielleicht meßbar sein, bei meinen Aufnahmen spielten sie keine Rolle. Was hingegen sehr angenehm auffiel, war der extrem leiste Autofokus der EOS-1, vor allem, wenn ein USM-Objektiv angesetzt ist.
Ein weiterer Vorzug der EOS-1 sind die vielen Sonderfunktionen durch die Möglichkeit der individuellen Programmierung. Der Fotograf kann hier selbst einige Grundfunktionen einstellen, zum Beispiel den Endpunkt der Filmrückspulung, was bei der F4 nur eine Servicestation bewerkstelligen kann. Um so verblüffender erscheint bei einer voll auf Automatik setzenden Kamera wie der EOS-1 der vorsintflutliche Okularverschluß, für den erst die Augenmuschel abgenommen werden muß, um ihn zu montieren. Bei der F4 verschließt ein Hebeldruck das Sucherokular.
Fazit
Es sind im wesentlichen die unterschiedlichen Philosophien und weniger die Leistungen, in denen sich die beiden Kameras unterscheiden. Während die Canon EOS-1 radikal ein völlig neues Kamerakonzept darstellt, erscheint die Nikon F4 als eine Mittlerin zwischen Tradition und Fortschritt. Bedeutet die Entscheidung für die EOS-1 einen totalen Umstieg sowohl vom System als auch in der Denkweise und Handhabung, so behält die Nikon trotz aller fortschrittlichen Neuerungen Anschluß an das vorhandene System. Der Umstieg fällt leichter und ist nicht so gewöhnungsbedürftig. Trotz der vielen zusätzlichen Funktionen der EOS-1, wie zum Beispiel die individuelle Programmierung, ist das Nikon-System zur Zeit ausbaufähiger. Nicht nur weil auch alle alten Objektive ansetzbar sind - für die EOS-1 wird es, zumindest für die langbrennweitigen Teleobjektive, demnächst auch einen Adapter mit leichter Brennweitenverlängerung geben -, sondern weil es stärker auf die Dual-Funktion von manueller und automatischer Scharfstellung abgestimmt ist. Das Nikon-System bietet auch für Spezialgebiete wie die Makrofotografie oder Architekturaufnahmen mit einer Vielzahl von Zubehör wie Balgengeräten, Zwischenringen, Makro- und Shift-Objektiven sowie verschiedenen Suchersystemen die größeren Einsatzmöglichkeiten. Die Entscheidung für das eine oder andere System hängt stark vom Aufgabenbereich, den Gewohnheiten und der vorhandenen Ausrüstung des Einzelnen ab. Dem trotz aller fortschrittlichen Computersteuerungen eher konservativem Konzept der Nikon F4 steht das zwar zukunftsorientierte aber erst noch wachsende EOS-System gegenüber. Der Nikon F4 merkt man insbesondere an Details deutlich an, daß sie auf professionelle Bedürfnisse zugeschnitten ist. Profis schätzen Qualität und Robustheit mehr als elektronische Raffinessen. Bei aller Systemüberlegenheit der Nikon F4 habe ich das Gefühl, daß sie die letzte Generation ihrer Art verkörpert, während die EOS-1 die jüngste Generation einer neuen Spezies von Kameras für Berufsfotografen dokumentiert.
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