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Artikel
1997
Test & Technik
Mit Maß und Ziel
Die neue Mamiya 6 setzt auf bewährte Traditionen im Kamerabau
Während andere Hersteller dem konservativen Mittelformat mit von der Kleinbild-Spiegelreflex entlehnter Hochtechnologie auf die Sprünge helfen, geht Mamiya bei der Six den umgekehrten Weg: Eine Mischung aus Tradition und Moderne soll den Erfolg bringen.
Eine neue Mittelformatkamera stellt man sich anders vor als die Mamiya 6. Mit ergonomischen Rundungen im Bio-Design der neunziger Jahre, Multi-Programmautomatik und Autofokus sollte sie schon aufwarten. Fortschritt findet bei der jüngsten Mamiya-Entwicklung jedoch nur in Maßen statt. Immerhin ist der Zentralverschluß elektronisch gesteuert, eine Zeitautomatik in Verbindung mit dem Meßwertspeicher befreit den Fotografen von der umständlichen Nachführmessung und signalisiert die Schnappschuß-Bereitschaft der kompakten Kamera. Nicht nur dies deutet daraufhin, daß die Reportagefotografie das Metier der Mamiya 6 ist. Als Meßsucherkamera konzipiert, zwingt sie den Fotografen zum Blick durch den hellen Leuchtrahmensucher mit großem Meßfleck statt zum Mittelformattypischen Einblick in den Lichtschacht. Der Mischbildentfernungsmesser mit großer Meßbasis erinnert - wie übrigens viele Details der Kamera - an die Leica M 6, nur daß er sich dank des größeren Sucherbildes noch besser punktgenau auf das Motiv scharfstellen läßt. Fokussieren mit der Mamiya 6 wird zur reinen Freude, das Verlangen nach Autofokus kommt gar nicht auf, und der Vergleich mit einem präzisen, dämmerungstauglichen Zielfernrohr trifft zur Charakterisierung genau ins Schwarze. Je nach eingesetztem Objektiv wird der korrekte Ausschnitt in den Sucher eingespiegelt. In weiser Selbstbeschränkung schuf Mamiya neben dem 3,5/75-mm-Standardobjektiv nur noch ein 4/50-mm-Weitwinkel und ein 4,5/150-mm-Tele; die klassische Reportageausrüstung wäre damit komplett. Anders als bei der Leica M 6 sieht sich der Mamiya-Fotograf nicht mit der verwirrenden Vielzahl der Leuchtrahmen konfrontiert. Moderne Zeiten signalisiert die alphanumerische Anzeige der manuell eingestellten oder von der Kamera bei Blendenvorwahl automatisch gewählten Verschlußzeit. Beim manuellen Nachführsystem blinkt neben der eingestellten Zeit die vom Meßsystem der Kamera ermittelte korrekte Verschlußzeit.
Problemlose Bedienung
Die Mamiya 6 gehört zu den wenigen Kameraneuerscheinungen, die man auch ohne ein Studium der Bedienungsanleitung auf Anhieb begreift. Nur der Objektivwechsel gestaltet sich etwas ungewöhnlich. Da es sich um Zentralverschluß-Objektive handelt - was man ihnen von außen nicht ansieht, weil kein Verschlußzeitenring darauf hinweist -, muß beim Wechseln stets der Hilfsverschluß im Innern der Kamera gespannt sein, damit kein Licht durch das Bajonett auf den Film fällt. Dies geschieht mit einer Flügelschraube auf der Kameraunterseite. Goldkontakte stellen die Übertragung der eingestellten Werte vom Verschlußzeitenknopf an der Kameraoberseite zum Objektiv sicher. Ein Objektivwechsel ist nur bei gespanntem Verschluß und aufgezogenem Hilfsverschluß möglich.
Die Mamiya 6 erinnert nicht nur an die Leica M 6, in ihren "Erbanlagen" stecken auch Merkmale der Plaubel Makina 670. Dies ist insofern kein Wunder, als die Plaubel von Mamiya im Lohnauftrag gefertigt wurde. Während die Plaubel ein versenkbares Objektiv mit sogenannter offener Scheren-Spreizmechanik besaß, ist die Mamiya 6 als Tubuskamera konzipiert. Zum Transport läßt sich das Objektiv versenken, der kleine Balgen im Innern der Kamera klappt dabei zusammen. Natürlich ist der Auslöser in dieser Transportstellung genauso verriegelt wie beim geschlossenen Rollo des Hilfsverschlusses. Die Tubuskonstruktion macht die Kamera noch handlicher; dank des ausgeformten Handgriffs läßt sie sich trotz ihres relativ hohen Gewichts ruhig und sicher halten.
Die Kamera wiegt mit dem Standardobjektiv 3,5/75 mm knapp 1200 Gramm, nicht gerade wenig für eine Reportage- und Actionkamera, die selten mit Stativ benutzt wird. Der solide Alu-Druckgußrahmen, der außen mit Kunststoff verkleidet ist, fordert mit diesem Wert seinen Tribut. Auch die Maße sind nicht eben zierlich, wenn die Kamera auch knapp um die voluminöse 120er respektive 220er-Filmspule herumgebaut ist. Als Lohn der Mühe winken dem Benutzer prachtvolle, farbsatte Dias im klassischen Mittelformat 6x6 cm oder brillante Negative, die bei sorgfältiger Ausarbeitung detaillierte Ausschnittvergrößerungen zulassen. Nicht unbeteiligt an den hervorragenden Bildergebnissen sind die extra für diese Kamera gerechneten Objektive, die sich durch hohen Kontrast und ein bemerkenswertes Auflösungsvermögen auszeichnen. Auch die weiche Auslösung verhindert Verreißen und Verwacklungsunschärfe. Wie bei Leica-M-Objektiven befindet sich der Blendenring vorne an der Frontlinse. Eine Reportagekamera sollte auch problemloses Blitzen zulassen; hier sorgt der Zentralverschluß für eine Synchronisation auch bei kürzesten Verschlußzeiten. Letzterer läuft übrigens extrem leise von der 1/500 Sekunde bis zu vollen vier Sekunden ab. Doch Vorsicht, der kurzhubige Auslöser reagiert
schon auf minimalen Druck besonders in der Gewöhnungsphase geschieht es, daß der Fotograf hin und wieder ein Bild unfreiwillig belichtet.
Die Mischung aus Tradition und Moderne in Gestalt der Mamiya 6 ist gelungen. Die Kamera bietet den Reiz des Besonderen, gefällt durch ihren brillanten Sucher, besticht durch hohe Abbildungsqualität und ist handlicher, als es das recht große und schwere Gehäuse verspricht. Etwas Übung erfordert der Objektivwechsel, das Bajonett will mit Gefühl und Aufmerksamkeit behandelt wer den. Die Verwandtschaft zur Leica M 6 beschränkt sich nicht nur auf das Meßsucherprinzip, auch im Preis ergeben sich Parallelen. Mit 3 800 Mark für Kamera inklusive Standardobjektiv verlangt man bei Mamiya nicht wenig. Dafür könnte die Kamera auch außen mit edlem Metallfinish glänzen.
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